Okkulte Praktiken sind kein exotisches Randgruppenphänomen sondern sind weithin bekannt

Die Jugendlichen direkt zu befragen, wurde dagegen bisher nur selten unternommen. Einige wissenschaftliche Untersuchungen wurden gegen Ende der achtziger Jahre in Berlin und Rheinland-Pfalz durchgeführt, zwei jüngere Untersuchungen befragen Jugendliche in Frankfurt/Main und Thüringen, auch einige qualitative Interviewstudien sind bereits vorgelegt worden.

Okkulte Praktiken im Jugendalter

Okkulte Praktiken sind kein exotisches Randgruppenphänomen, sondern sind weithin bekannt. 93,5 % der befragten Jugendlichen in Thüringen geben an, mindestens eine der erfragten Praktiken zu kennen.

16,9 % der Thüringer Jugendlichen haben eine der erfragten Praktiken bereits einmal selbst ausgeübt. Kartenlegen und Gläserrücken sind die beiden am weitesten verbreiteten Praktiken, während Schwarze Messen zwar zu den bekanntesten Praktiken gehören, die aber nur von sehr wenigen Jugendlichen auch einmal praktiziert wurden.

Die nachstehenden Angaben zu Thüringen berufen auf dem Forschungsprojekt Affinität zu Okkultismus und Sekten von Prof. Dr. Straube u. a., Jena 1995.

Auch für die Untersuchungen in Frankfurt/Main, Berlin und Rheinland-Pfalz liegt der Bekanntheitsgrad okkulter Praktiken insgesamt um etwa 90 % der Befragten.

Die graphische Darstellung der Ergebnisse der Thüringer Untersuchung im Vergleich mit den Ergebnissen aus Frankfurt/Main zeigt einen deutlichen Unterschied hinsichtlich der eigenen Erfahrungen Jugendlicher mit okkulten Praktiken, der sich auch in den Ergebnissen anderer Untersuchungen wiederfindet. Der Anteil der Jugendlichen, die mindestens eine der erfragten Praktiken bereits einmal selbst ausprobiert haben, liegt in den ostdeutschen Untersuchungen um etwa die Hälfte niedriger als in den alten Ländern. Zinser ermittelt für (Ost)Berlin (1989) einen Anteil von 15,5 % okkulterfahrener Jugendlicher, für die neuere Untersuchung in Thüringen liegt der entsprechende Wert bei 16,9 %, während umgekehrt 32,1 % der Jugendlichen in Rheinland Pfalz und 44,4 % der Frankfurter Jugendlichen bereits einmal eine okkulte Praktik selbst ausgeübt haben.

Ein (leichter) Anstieg der Verbreitung okkulter Praktiken, wie er sich für die westdeutschen Untersuchungen abzeichnet, ist dabei für die beiden in Ostdeutschland durchgeführten Untersuchungen nicht erkennbar.

Neben dem deutlichen West-Ost-Gefälle wären auch Stadt-Land-Unterschiede zu erwarten gewesen. Ein Vergleich der Ergebnisse der beiden Städte Erfurt und Jena mit der Gesamtgruppe zeigt, dass okkulte Praktiken, mit Ausnahme der sogenannten Schwarzen Messen in den städtischen Regionen etwas häufiger praktiziert werden. Deutlich wird aus den Ergebnissen aller Untersuchungen auch, dass okkulte Praktiken offenbar (wiederum mit Ausnahme der Schwarzen Messen) eine deutlich größere Anziehungskraft auf weibliche als auf männliche Jugendliche ausüben.

Okkulte Praktiken werden von den meisten Jugendlichen nur einmal oder selten ausgeübt. Das Interesse am Übersinnlichen scheint sich nach wenigen Versuchen relativ schnell wieder zu verlieren. Die weitaus wichtigsten Gründe für eine Beschäftigung mit okkulten Praktiken sind aus der Sicht der Jugendlichen Neugier, Interesse am Außergewöhnlichen, Unterhaltung und Erfahrungen des Freundeskreises. Persönlichkeits- und problemorientierte Motive sind dem deutlich nachgeordnet.

Die Kenntnis und Informationen über okkulte Praktiken beziehen die Jugendlichen zum größeren Teil von Freund/-innen und Verwandten und, etwas weniger häufig, aus den Medien. Schulunterricht oder kirchliche und andere Bildungsangebote sind hingegen als Informationsquellen lediglich von marginaler Bedeutung. Neben der besonders großen Diskrepanz zwischen Bekanntheitsgrad und Praxis beziehen die Jugendlichen ihre Informationen über Schwarze Messen erheblich häufiger als für die anderen Praktiken aus den Medien. Die vermeintliche Kenntnis dessen, was eine Schwarze Messe sei, wird vermutlich weniger auf tatsächliches Wissen und Informationen, als vielmehr auf die Präsenz des Schlagwortes in Gesprächen, Medien und Filmen zurückzuführen sein.

Ebenso bleibt unklar, was das tatsächliche Praktizieren einer Schwarzen Messe für die Jugendlichen ausmacht und inwiefern die jeweiligen Handlungen dann von ihnen (auch hierbei dürfte das hoch emotional besetzte Schlagwort eine wesentliche Rolle spielen) anschließend als Schwarze Messe etikettiert werden.

In früheren Untersuchungen wurde der Versuch unternommen, das Gefahrenpotential okkulter Praktiken durch die vergleichende Auswertung emotionaler Verarbeitungsweisen einzuschätzen. Dabei wurde die von den Jugendlichen empfundene Angst beim Ausüben okkulter Praktiken (bzw. die zustimmende Antwort zur Frage. Es hat mir Angst gemacht) als Anzeichen einer psychischen Gefährdung interpretiert.

Dieser Ansatz ist jedoch kaum geeignet, tatsächliche Gefahren okkulten Praktizierens einzuschätzen.

44 % der Jugendlichen, die bereits einmal eine okkulte Praktik ausgeübt haben, geben an, dabei Angst empfunden zu haben, für 11 % war es langweilig und 63 % machte es Spaß.

Das Bedürfnis, anschließend mit jemandem darüber zu reden, hatten 42 % der Praktizierenden. Die Werte deuten bereits an, dass die Jugendlichen zum Teil mehrere Verarbeitungsweisen genannt haben. Die Überprüfung der Doppelnennungen zeigt, dass unter den Jugendlichen, die angeben, Angst gehabt zu haben, einige zugleich auch Langeweile empfanden. Besonders überraschend ist, dass 70 % der Ängstlichen meinten, es habe ihnen Spaß gemacht.

Lediglich etwas mehr als die Hälfte der Jugendlichen, die bereits eine der erfragten Praktiken selbst ausgeübt haben, äußerte, dass die ausprobierte Praktik auch funktioniert hätte.

Es scheint aber von entscheidender Bedeutung für die Gefühle und die emotionale Verarbeitung zu sein, inwieweit die Jugendlichen die Phänomene subjektiv als real erlebt haben. Vor allem die teilweise ausführlichen Schilderungen der Jugendlichen in den offenen Zeilen des Fragebogens deuten auf eine wesentlich komplexere emotionale Verarbeitung okkulter Praktiken hin, als durch eine einfache Reduzierung auf Fragen zum emotionalen Erleben erfaßt werden kann.

So wurden in Gesprächen mit Jugendlichen z. B. sowohl die hinlänglich bekannten Tieropfer, als auch Berichte von nächtlichen Treffen auf dem Friedhof, wo man auf Gräbern gesessen und meditiert habe mit dem Titel Schwarze Messe versehen. Vgl. auch die Schilderungen der interviewten Satanist/-innen bei Helsper (1992) und Streib (1994) oder die Schwarzen Messen der thüringischen Satanskinder bei Billerbeck/Nordhausen (1995) oder den bereits erwähnten, praktisch sämtliche Klischees reproduzierenden Bericht der Satanspriesterin Ricarda S. (1989).

Im folgenden werden die Ergebnisse der Frankfurter Untersuchung herangezogen, da vergleichbare Daten aus den Untersuchungen in Thüringen und Rheinland Pfalz nicht zur Verfügung stehen. Es kann jedoch angenommen werden, dass die Verteilungen der Antworten zu den verschiedenen Verarbeitungsweisen sich (besonders bei nahezu identischen Fragestellungen) auch für die anderen Untersuchungen nicht wesentlich unterscheiden werden. (vgl. Hansel 1995).