Situation der Pflegeeltern im Freistaat Thüringen

Es ist durch wiederholte Berichte bekannt, dass im Freistaat Thüringen immer noch zu viele Kinder in Heimen aufwachsen. Die Zahl der Pflegeeltern hat sich zwar erhöht, ist aber insgesamt gesehen noch zu niedrig.

Ich frage die Landesregierung:

1. Wie hat sich in den vergangenen fünf Jahren die Pflegeelternlandschaft im Freistaat Thüringen entwickelt, und welches sind nach Meinung der Landesregierung die Ursachen für die noch unzureichende Pflegeelternschaft?

2. Wird in einem nachfolgenden Sozialbericht die Problematik des Pflegeelternwesens dargestellt, und was tut die Landesregierung noch, um auf diese Probleme öffentlich aufmerksam zu machen?

3. Wie gestaltet sich für Pflegeeltern die Berechnung der Rentenbezüge?

4. In welchem Maße sind Pflegeeltern sozialversicherungsrechtlich abgesichert?

5. Wie viele Frauenarbeitsplätze sind bezüglich der Pflegeelternschaft entstanden?

Das Thüringer Ministerium für Soziales und Gesundheit hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 12. Januar 1998 wie folgt beantwortet: Vorbemerkungen:

Nach § 27 in Verbindung mit den §§ 29 bis 35 des Achten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VIII) besteht ein Rechtsanspruch auf Hilfe zur Erziehung. Die Einzelheiten werden im Hilfeplan (§ 36 SGB VIII) festgelegt.

Die örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe sind im Rahmen ihrer Gesamt- und Planungsverantwortung verpflichtet, für qualitative und zu sorgen (§§ 79, 80 SGB VIII); sie tragen die Kosten für die Hilfen zur Erziehung.

Im Sinne dieser Anfrage stehen Vollzeitpflege als Familienpflege (§§ 33, 39 SGB VIII) und Heimerziehung sowie sonstige betreute Wohnform (§ 34 SGB VIII) im Vordergrund.

Zur realistischen Beurteilung der Heimsituation ist es geboten darauf hinzuweisen, dass die Thüringer Heime keinesfalls von Kindern überlaufen sind, für die eine Unterbringung in Familienpflege die sozialpädagogisch darstellen würde.

Nach inzwischen erfolgter Umstrukturierung entsprechen auch die in Thüringen entstandenen differenzierten und qualifizierten Einrichtungen den Anforderungen, die zeitgemäße Erziehungshilfe zu stellen hat.

Die Aufgabe der Heime ist grundsätzlich nicht auf längere Aufenthalte angelegt. Im Vordergrund steht immer die Realisierung der Rückkehroption in die Herkunftsfamilie. Soweit dies das soziale Gefüge der Familie nicht zuläßt, das Kind oder der Jugendliche also als familiengelöst anzusehen ist, ergibt sich die Notwendigkeit eines längerfristigeren Heimaufenthalts, soweit nicht alternativ Familienpflege möglich ist.

Zur Belegung der Heime sei beispielsweise darauf hingewiesen, dass das Thüringer Landesjugendamt im Zuge des nach § 47 SGB VIII vorgeschriebenen Meldeverfahrens fortlaufend und intensiv überprüft, ob und welche Kinder für eine Familienpflege, Adoptionspflege oder für eine Adoption in Betracht kommen.

Zu 1.: Dem Rechtsanspruch auf Erziehungshilfe folgend und die Bedeutung als kostengünstigere Alternative zur Heimerziehung würdigend, hat das Pflegekinderwesen in den letzten Jahren bei allen Jugendämtern eine erhebliche Aufwertung erfahren.

Im Rahmen der angestrebten Vernetzung und flexibleren Gestaltung von Hilfeangeboten sind beispielsweise insgesamt elf Familienwohngruppen im Sinne von § 34 SGB VIII entwickelt worden. In diesen leben in der Regel bis zu zwei Kinder mit den sie betreuenden Personen und deren Familien, so dass - im Sinne der Jugendhilfe erstrebenswert - Ersatzfamilien entstehen.

Zur Gesamtentwicklung der Fremdunterbringungsfälle wird auf die nachfolgenden statistischen Übersichten 1 bis 4 verwiesen.

Die Daten weisen beispielsweise bei paralleler Betrachtung der Vollzeitpflege (Familienpflege) und der Heimerziehung eine Zunahme der belegten Plätze für Vollzeitpflege von 1.069 (1991) auf 1.318 Plätze (1996) und im gleichen Zeitraum einen Rückgang bei der Heimunterbringung von 2.345 auf 2.153 Fälle, das sind 3,7 bzw. 11,3 vom Hundert, nach.

Diese Entwicklung bleibt jedoch noch unter der Zielsetzung der Landesregierung, nach der mittelfristig ein Anteil der Vollzeitpflege von rund 50 vom Hundert an den Fremdunterbringungen angestrebt wird. Dies entspräche in etwa dem Bundesdurchschnitt. Im Vergleich hierzu lagen für Thüringen zum 31. Dezember 1996 die Stichtagswerte für die Vollzeitpflege bei 34,7 und für die Heimerziehung bei 56,7 vom Hundert.

Die Gesamtsituation des Pflegekinderwesens hat sich in Thüringen in den zurückliegenden Jahren zwar durchaus für das Wohl der Erziehungshilfebedürftigen entwickelt, kann jedoch noch nicht als zufriedenstellend bezeichnet werden.

Insbesondere gestaltet sich die Umsetzung des Gesetzesauftrags in § 33 Satz 2 SGB VIII noch problematisch, wonach für besonders entwicklungsbeeinträchtigte Kinder und Jugendliche geeignete Formen der Familienpflege (Vollzeitpflege) zu schaffen und auszubauen sind. Hierbei zeigt es sich als besonderes Problem, dass derzeit für diese sozialpädagogischen Pflegestellen deutlich zu wenige - den fachlichen Anforderungen genügenden - Pflegefamilien/-personen zur Verfügung stehen.

Als weitere die Übernahme von Vollzeitpflege hemmende Gründe sind eingeschränkte materielle Voraussetzungen bei zu kleinen Wohnungen zu nennen. Auch der wirtschaftlich bedingte Existenzdruck, vielfach verbunden mit sozialer Unsicherheit für die eigene Familie, der auf vielen Familien lastet, verursacht Zurückhaltung.

Aus alledem ergab und ergibt sich zunächst auch weiterhin die Konsequenz, durch eine landesweite Initiative zur Gewinnung, Beratung, Bildung und fachlichen Begleitung zur Familienpflege geeigneter Personen die Akzeptanz zur Übernahme von Vollzeitpflege zu verbessern.

Zu 2.: Der Zweite Sozialbericht soll nach den derzeitigen Planungen die Entwicklung bzw. den Stand der Familienpflege (Vollzeitpflege) im Sinne von §§ 33, 39 SGB VIII als Bestandteil der Hilfen zur Erziehung darstellen.

Wenn es auch - wie in den Vorbemerkungen bereits dargestellt - Aufgabe der örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe (Jugendämter) ist, eine ausreichende Anzahl von Pflegestellen verfügbar zu machen, so will sich das Land seiner

Verpflichtung zur intensiven Mitwirkung an diesem Prozeß nicht entziehen. Es hat nach § 82 SGB VIII die Aufgabe, die Tätigkeit der Träger der öffentlichen und der freien Jugendhilfe anzuregen, zu fördern und auf einen gleichmäßigen Ausbau der Einrichtungen hinzuwirken sowie die Jugendämter bei der Wahrnehmung zu unterstützen.

Insoweit ist die sachliche Zuständigkeit des Landes als überörtlicher Träger der öffentlichen Jugendhilfe im Rahmen dieser Kleinen Anfrage insbesondere in § 85 Abs. 2 Nr. 1 und 5 SGB VIII konkretisiert.

Entsprechend dem Interesse des Landes am Ausbau des Pflegekinderwesens ist dieses Ziel als Leitsatz in das Arbeitsprogramm der Landesregierung eingeflossen.

Vielfältige Maßnahmen wurden und werden zukünftig zur Erreichung dieses Ziels von der Landesregierung durchgeführt bzw. fördernd unterstützt.

So stellt das Land seit 1994 im Rahmen des Aufbaus von ambulanter Erziehungshilfe und Pflegeelternberatung nicht unerhebliche Mittel für die Gewinnung, Beratung und Fortbildung von Pflegeeltern, die Vorbereitung und Durchführung von begleitenden Maßnahmen zur Vollzeitpflege sowie zur Förderung und Teilnahme an Maßnahmen zur Gewinnung und Fortbildung von Pflegeeltern bereit.

Der Landeshaushaltsplan sieht beispielsweise für 1998 Mittel in Höhe von 118.600 Deutsche Mark (Einzelplan 08 Kapitel 24 Titelgruppe 91) vor. In den Jahren 1994 bis einschließlich 1996 wurden insgesamt 39 Projekte, davon 16 Projekte von Trägern der freien Jugendhilfe und Zusammenschlüssen von Pflegeeltern, gefördert. Für 1998 ist Landesförderung für 15 Projekte in öffentlicher und acht Projekte in freier Trägerschaft vorgesehen.

Im Bericht der Landesregierung zum Neunten Jugendbericht der Bundesregierung gemäß § 10 Abs. 2 Thüringer Gesetz Buches Sozialgesetzbuch ­ Kinder- und Jugendhilfe (Drucksache 2/1045) vom 12. April 1996 wurde das Pflegekinderwesen (Problematik, Stand, Perspektiven) unter Tz. 8.3 (Seite 102 ff.) behandelt.

Entsprechend § 85Abs. 2 Nr. 1 SGB VIII hat der Landesjugendhilfeausschuß am 28. November 1996 die unter Mitwirkung der obersten Landesjugendbehörde und auf Vorlage der Verwaltung des Thüringer Landesjugendamts als überörtlicher Träger der öffentlichen Jugendhilfe entwickelten Empfehlungen für sozialpädagogische Pflegefamilien in Thüringen verabschiedet und diese den Thüringer Jugendämtern zur Anwendung empfohlen.

Seit Sommer 1996 hat die Landesregierung durch das Thüringer Ministerium für Soziales und Gesundheit (TMSG) - gemeinsam mit dem Landesjugendamt und den Jugendämtern - die auf das Pflegekinderwesen gerichtete Öffentlichkeitsarbeit über alle Medien mit dem Ziel verstärkt, Verständnis und Interesse für Pflegekinder, Pflegefamilien und die Herkunftsfamilien von Pflegekindern zu wecken, die Öffentlichkeit für die damit verbundene Problematik zu sensibilisieren sowie die Arbeit der Jugendämter in diesem Bereich transparenter zu machen.

Hierzu wurden vom TMSG Informationsfaltblätter über Vollzeitpflegefamilien/-personen in Thüringen und über Sozialpädagogische Pflegefamilien/-personen in Thüringen herausgegeben. Positive Rückmeldungen waren hierzu aus der Praxis festzustellen.

Weiterhin ist seitens des Landesjugendamts in Kooperation mit der Fachhochschule Erfurt eine landesweite Pflegeelternbefragung zur Thematik. Das Pflegekind zwischen Herkunftsfamilie und Pflegefamilie und die Rolle des Jugendamtes vorgesehen.

Ziel dieser Befragung soll es sein, im Rahmen der Maßnahmen zur Gewinnung, Beratung und Fortbildung von Pflegeeltern Anregungen und Hinweise zu erhalten für eine fachlich noch fundiertere und kooperativere Umsetzung des gemeinsamen Anliegens; überdies sollen die Problemlagen von Pflegefamilien differenziert erarbeitet werden.

Auf der Basis dieser Befragung ist geplant, gemeinsam mit den Jugendämtern und den Pflegefamilien/-personen innovative Projekte in diesem Bereich zu erarbeiten und zu etablieren.

Die Erfüllung des Gesetzesauftrags, für besonders entwicklungsbeeinträchtigte Kinder und Jugendliche geeignete Formen der Familienpflege zu schaffen und auszubauen (§ 33 Satz 2 SGB VIII), gebietet es bei dieser besonders sensibel zu behandelnden Klientel, Anbahnungen und Entscheidungen zur Vollzeitpflege nicht über Gebühr nach Aktenlage vorzunehmen.