Positivkatalog

Dieser Entwicklung kann auf verschiedene Weise entgegengetreten werden: Die Bundesgesetzgebung könnte in einem Positivkatalog festgeschrieben werden. Dies wäre die tiefgreifendste Maßnahme und würde zu einer klaren Aufteilung der Zuständigkeiten von Bund und Ländern führen. Als weniger weitgehender Schritt käme in Betracht, aus dem Katalog der konkurrierenden Gesetzgebung und der Rahmengesetzgebung einzelne Kompetenzen für die Länder zurückzuholen. Der Bund könnte außerdem durch seine Verfassungspraxis wie etwa durch Öffnungsklauseln und indem er seine Gesetzgebungszuständigkeiten nicht voll ausschöpft den Ländern die eigenständige Regelung von Teilen der jeweiligen Gesetzgebungskompetenz ermöglichen.

Rückholung von Gesetzgebungszuständigkeiten des Bundes Empfehlung

Die Enquetekommission hält eine Stärkung der Gesetzgebungskompetenz der Länder für erforderlich. Die konkurrierende Gesetzgebung sollte zugunsten einer klaren Aufteilung der Zuständigkeiten von Bund und Ländern aufgegeben werden. Sofern es zu keiner grundsätzlichen Änderung des bisherigen verfassungsrechtlichen Systems der Verteilung der Gesetzgebungszuständigkeiten zwischen Bund und Ländern (enumerative Aufzählung der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes, konkurrierende Gesetzgebung, Rahmengesetzgebung) kommt, sollten zumindest einige Materien aus dem Katalog der konkurrierenden Gesetzgebung und der Rahmengesetzgebung herausgenommen und vollständige der Landesgesetzgebung überlassen und einige Bereiche der konkurrierenden Gesetzgebung in eine Rahmengesetzgebung des Bundes überführt werden. Die Hessische Landesregierung wird aufgefordert, im Bundesrat mit folgenden Anträgen initiativ zu werden:

1. Die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz Förderung der wissenschaftlichen Forschung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 13 GG) wird auf Förderung überregionaler Einrichtungen und Vorhaben wissenschaftlicher Forschung eingeschränkt.

2. Bei der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz Zulassung zu ärztlichen und anderen Heilberufen und zum Heilgewerbe (Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG) ist der Zusatz ohne Ausbildungsvorschriften geboten.

3. Aus der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz Recht der Wirtschaft (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG) wird die Teilzuständigkeit für Berufsbildung in eine Rahmenkompetenz umgewandelt.

4. Die konkurrierenden Gesetzgebungskompetenzen Landwirtschaftliches Pachtwesen und Siedlungs- und Heimstättenwesen (Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG), Wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser (Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG) und die Rahmenkompetenzen Jagdwesen, Naturschutz und Landschaftspflege (Art. 75 Abs. 1 Nr. 3 GG) werden gestrichen.

5. Die Teilzuständigkeiten Grundsätze regionaler Wirtschaftsförderung, Bergbau und Energiewirtschaft werden aus der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz Recht der Wirtschaft (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG) herausgenommen und in eine Rahmenkompetenz überführt.

6. Die konkurrierenden Gesetzgebungskompetenzen Grundstücksverkehr, Bodenrecht und Wohnungswesen (Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG), Notariat (Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG) und Regelung der Krankenhauspflegesätze (Art. 74 Abs. 1 Nr. 19a GG) werden in Rahmenkompetenzen überführt.

7. Das Versammlungsrecht wird aus dem Katalog des Art. 74 Abs. 1 Nr. 3 GG gestrichen.

8. Das Besoldungsrecht wird aus der konkurrierenden Gesetzgebung herausgenommen und in die Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes überführt.

9. Die Rahmengesetzgebung des Bundes für den Bereich des Hochschulwesens wird gestrichen.

10. Die Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes für die allgemeinen Rechtsverhältnisse der Presse wird gestrichen.

11. Die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz. Die Abfallbeseitigung, die Luftreinhaltung und die Lärmbekämpfung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG) wird aufrechterhalten.

Die Landesregierung wird aufgefordert, im Rahmen eines bundesgesetzlichen Verfahrens der konkurrierenden Gesetzgebung in geeigneten Einzelfällen eine Öffnungsklausel zu fordern.

Begründung:

Die Enquetekommission hält es für geboten, Gesetzgebungskompetenzen für das Land zurückzuholen. Das Schwergewicht der bundesstaatlichen Ordnung hat sich während der vergangenen Jahrzehnte in der Bundesrepublik vom Kompetenzföderalismus zum Beteiligungsföderalismus entwickelt, sodass die Kompetenzausübung der Länder auf dem Gebiet der Gesetzgebung weniger in eigener Normsetzung als in der Mitwirkung an der Gesetzgebung des Bundes besteht. Selbst eine sich ständig steigernde Mitwirkung des Bundesrates an der Gesetzgebung des Gesamtstaates kann die Ausübung eigener Kompetenzen der Länder nicht ersetzen. Im Übrigen kommt dieses allein der Landesregierung und nicht den Landesparlamenten zugute. Nach den ursprünglichen Intentionen des Grundgesetzes lag das Schwergewicht der bundesstaatlichen Ordnung bei den Ländern. Die Ausübung staatlicher Befugnisse sollte primär deren Sache sein (s. etwa Art. 30, 70 GG).

Die Enquetekommission ist sich bewusst, dass die Forderung nach einem Positivkatalog für die Bundesgesetzgebung nur sehr schwer durchsetzbar sein wird. Sofern es zu einer solch grundsätzlichen Änderung des Systems der Verteilung der Gesetzgebungszuständigkeiten zwischen Bund und Ländern nicht kommt, plädiert sie dafür, aus dem Katalog der konkurrierenden Gesetzgebung und der Rahmengesetzgebung einzelne Kompetenzen zurückzuholen. Die Kommission hat dabei die Empfehlungen, die der vom Hessischen Justizministerium im Sommer 1991 eingesetzte Hessische Verfassungsbeirat Beratung ausgesprochen hat und ergänzend die gemeinsamen Forderungen der Ministerpräsidenten der Länder Hessen, Bayern und Baden Württemberg berücksichtigt.

Zu 1.: Förderung der wissenschaftlichen Forschung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 13 GG):

Da Bildung, Ausbildung und Wissenschaft zu den Essentialen der Länderstaatlichkeit gehören, sollte das Vorrücken der Bundeskompetenzen in diesen Bereich aufgehalten und soweit wie möglich rückgängig gemacht werden. Andernfalls würde die Länderstaatlichkeit ausgehöhlt. Ein Bedarf für eine zentrale, gesamtstaatliche Kompetenz ist hier auch nicht ersichtlich. Es ist ein Kennzeichen der deutschen Kultur, dass sie sich traditionell dezentral entfaltet hat, sodass sich der Bund auf die unerlässlich überregional erforderliche Staatstätigkeit in diesem Bereich beschränken kann.

Deshalb sollte die Gesetzgebungskompetenz Förderung der wissenschaftlichen Forschung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 13 GG) auf Förderung überregionaler Einrichtungen und Vorhaben wissenschaftlicher Forschung eingeschränkt werden, damit die Länder in eigener Verantwortung über alle Maßnahmen mit überwiegend regionalem Bezug entscheiden können. Allerdings erscheint eine dahingehende Erweiterung der Länderzuständigkeit nur bei einer Umgestaltung des Länderfinanzausgleichs möglich.

Zu 2.: Ausbildungsvorschriften für Heilberufe (Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG): Angesichts der grundsätzlich umfassenden Zuständigkeit der Länder für Bildung, Ausbildung und Wissenschaft hält die Enquetekommission bei der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz Zulassung zu ärztlichen und anderen Heilberufen und zum Heilgewerbe (Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG) den Zusatz ohne Ausbildungsvorschriften für geboten.

Zu 3.: Berufsbildung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG):

Die Länderkompetenz für Bildung, Ausbildung und Wissenschaft lässt es auch sinnvoll erscheinen, aus der konkurrierenden Gesetzgebung für das Recht der Wirtschaft (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG) die Zuständigkeit für die Berufsbildung in eine Rahmenkompetenz umzuwandeln. Dadurch erscheint die notwendige bundesweit einheitliche Gestaltung der Grundlinien dieses Rechtsgebietes gewahrt.

Zu 4.: Landwirtschaftliches Pachtwesen, Siedlungs- und Heimstättenwesen (Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG), wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser (Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 a GG), Jagdwesen, Naturschutz, Landschaftspflege (Art. 75 Abs. 1 Nr. 3 GG):

Die Zuordnung der Wirtschafts- und Sozialordnung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG) zum Kompetenzbereich des Bundes rechtfertigt sich aus der hier gegebenen Notwendigkeit einheitlicher Rechtsvorschriften für das gesamte Bundesgebiet. Für Teilbereiche ist dies jedoch nicht der Fall. Insoweit besteht keine sachliche Notwendigkeit für eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes. Die Enquetekommission hält es daher für geboten, diese

Die Reform des Grundgesetzes ­ Empfehlungen des Hessischen Verfassungsbeirats, Hrsg. Hessisches Ministerium der Justiz, o.J.

Modernisierung des Föderalismus ­ Stärkung der Eigenverantwortung der Länder ­ Gemeinsame Positionen der Ministerpräsidenten der Länder Baden-Württemberg, Bayern und Hessen zur Notwendigkeit einer leistungs- und wettbewerbsorientierten Reform des Föderalismus, Bonn 8. Juli 1999.