Mandatsverlust hat keine ex-tunc-Wirkung

Fraglich ist lediglich, ob im Hinblick auf die qualifizierte Mehrheit auf die gesetzliche Mitgliederzahl oder auf die anwesenden Mitglieder abzustellen ist. Die Normierung der gesetzlichen Mitgliederzahl hätte zur Konsequenz, dass eine Gruppe von Abgeordneten, deren Stärke zusammengenommen mehr als ein Drittel beträgt, die Herbeiführung einer Zweidrittelmehrheit leicht vereiteln kann, indem sie vor der Abstimmung den Plenarsaal verlässt. Aus diesem Grunde sollte auf die Zweidrittelmehrheit lediglich der anwesenden Mitglieder abgestellt werden. Gleichzeitig sollte durch Festlegung des Erfordernisses einer (Mindest-) Mehrheit der Mitglieder des Landtags sichergestellt werden, dass eine derart gewichtige Entscheidung wie der Beschluss über einen Mandatsverlust nicht nur mit einigen wenigen Abgeordnetenstimmen getroffen werden kann.

Der Beschluss über den Mandatsverlust hat keine ex-tunc-Wirkung. Das bedeutet beispielsweise, dass frühere Landtagsentscheidungen unberührt bleiben, auch wenn der Abgeordnete an ihnen mitgewirkt hat und seine Stimme für den Ausgang der Abstimmung entscheidend war. Auch entfallen Rechte des Abgeordneten, wie etwa seine Ansprüche auf Diäten, nicht nachträglich.

Zu § 8 Abs. 3:

Nach Absatz 3 ist der Beschluss des Landtags für den Mandatsverlust konstitutiv, gleichwohl scheidet der Abgeordnete frühestens zwei Monate nach der Bekanntgabe des Beschlusses aus dem Landtag aus. Bis zu diesem Zeitpunkt hat er uneingeschränkt alle Rechte und Pflichten eines Abgeordneten.

Die Regelung 3 könnte auf den ersten Blick den Eindruck erwecken, der Gesetzgeber eröffne die Möglichkeit einer Selbstprolongierung des Mandats durch Einlegung eines Rechtsbehelfs gegen den Landtagsbeschluss über den Mandatsverlust und setze sich damit in Widerspruch zu den mit dem Thüringer Gesetz zur Überprüfung von Abgeordneten verfolgten Intentionen. Tatsächlich trägt jedoch Absatz 3 lediglich dem Umstand Rechnung, dass ein betroffener Abgeordneter gegen den Beschluss des Landtags über den Mandatsverlust Rechtsschutz vor dem Thüringer Verfassungsgerichtshof in Anspruch nehmen kann. Hierfür kommt das Organstreitverfahren nach Artikel 80 Abs. 1 Nr. 3 der Verfassung des Freistaats Thüringen in Betracht. Nach § 39 Abs. 3 in seiner derzeitigen Fassung kann ein das Organstreitverfahren einleitender Antrag binnen sechs Monaten gestellt werden, nachdem dem Antragsteller die beanstandete Maßnahme bekannt geworden ist. Diese Frist wird allerdings durch Artikel 4 aus Praktikabilitätserwägungen für Anträge auf Durchführung von Organstreitverfahren zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Mandats auf zwei Monate verkürzt. Solange ein Organstreitverfahren fristgerecht beantragt werden kann oder - sofern innerhalb der Frist gestellt worden ist - dieser noch nicht durch den Thüringer Verfassungsgerichtshof zurückgewiesen worden ist, wäre ein Ausscheiden eines betroffenen Abgeordneten und die Berufung eines Nachfolgers nach § 48 problematisch. Würde sich nämlich nach der Berufung des Listennachfolgers herausstellen, dass der Landtagsbeschluss über den Mandatsverlust einer verfassungsgerichtlichen Überprüfung nicht standhält, mithin der betroffene Abgeordnete sein Mandat nicht verloren hat, würde sich die Frage nach der Wirksamkeit der Mitgliedschaft des Listennachfolgers im Landtag stellen. Würde man sie verneinen, würden rückwirkend seine Rechte aus dem Mandat entfallen und könnte möglicherweise sogar von Landtagsentscheidungen in Zweifel gezogen werden, bei denen die Stimme des Listennachfolgers ausschlaggebend für das Abstimmungsergebnis war. Würde man hingegen die Wirksamkeit der Landtagsmitgliedschaft des Listennachfolgers bejahen, wäre zu klären, wie der betroffene Abgeordnete nach einem Obsiegen im Verfassungsrechtsstreit wie11 der in die ihm zustehende Rechtsstellung einrücken kann. Angesichts dieser Problematik ist es ratsam, des aufzuschieben, bis entweder oben genannte Frist ungenutzt verstrichen oder ein etwaiges verfassungsgerichtliches Verfahren beendet ist. Für den Fristbeginn ist die Bekanntgabe des für den Mandatsverlust konstitutiven Landtagsbeschlusses maßgeblich.

Nach Abschluss eines Organstreits hat der betroffene Abgeordnete zwar außerdem die Möglichkeit, gegen eine den Mandatsverlust bestätigende Entscheidung Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht zu erheben (vgl. Maunz/Schmidt-Bleibtreu, § 90, Rn. 128). Wollte man aber auch den Ausgang eines etwaigen Verfassungsbeschwerdeverfahrens abwarten, bestünde die Gefahr, dass der Selbstreinigungsprozess des Parlaments nicht vor Abschluss der Wahlperiode beendet werden könnte. Damit würden die Selbstreinigungsbemühungen ad absurdum geführt. Daher ist es gerechtfertigt, dass der betroffene Abgeordnete spätestens mit Abschluss des Organstreits aus dem Landtag ausscheidet.

Zu Artikel 4:

Bei der Ergänzung der bisherigen Regelung des § 39 Abs. 3 wird vorausgesetzt, dass ein gegen den Beschluss des Landtags über den Mandatsverlust Rechtsschutz vor über das Organstreitverfahren nach Artikel 80 Abs. 1 Nr. 3 der Verfassung des Freistaats Thüringen in Anspruch nehmen kann. Nach § 39 Abs. 3 in seiner derzeitigen Fassung kann ein das Organstreitverfahren einleitender Antrag binnen sechs Monaten gestellt werden, nachdem dem Antragsteller die beanstandete Maßnahme bekannt geworden ist. Dies erscheint jedoch im Zusammenhang mit einem Mandatsverlust zu lang. Zu berücksichtigen ist nämlich, dass ein gründliches Überprüfungsverfahren bereits eine geraume Zeit nehmen dürfte und dass ein etwaiges Organstreitverfahren ebenfalls zeitintensiv sein kann.Angesichts dieses erheblichen Zeitaufwands muss wenigstens innerhalb einer angemessenen Frist Klarheit über die Frage bestehen, ob des Mandats streitbefangen ist, damit eine baldige endgültige Klärung dieses Streites durch den Thüringer Verfassungsgerichtshof herbeigeführt werden kann.