Das derzeitige Verfassungsrecht gebietet keine Trennung von Amt und Mandat

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F. THEMENBEREICH IV: STATUS DER ABGEORDNETEN

1. Trennung von Regierungsamt und Abgeordnetenmandat Empfehlung

Die Trennung von Regierungsamt und Abgeordnetenmandat soll verfassungsrechtlich nicht verbindlich gemacht werden, sondern es soll bei der bisherigen Staatspraxis bleiben, wonach jede Fraktion hierüber in eigener Verantwortung entscheiden kann.

Begründung:

Das derzeitige Verfassungsrecht gebietet keine Trennung von Amt und Mandat. Solange die Trennung nicht durch Verfassungsänderung festgeschrieben wird, besteht die Möglichkeit, die Frage durch den Gesetzgeber oder auch unterhalb der Gesetzgebungsebene, z.B. durch Fraktionsabsprachen, zu entscheiden.

In der politischen Diskussion wurde in den vergangenen Jahren immer wieder die Auffassung vertreten, die Verbindung eines Regierungsamtes mit einem Abgeordnetenmandat widerspreche der Gewaltenteilung. In der staatsrechtlichen Literatur und der Verfassungsrechtsprechung findet diese Meinung jedoch keine Stütze. Die gleichzeitige Mitgliedschaft in Parlament und Regierung ist entstanden aus dem englischen Kabinettsystem und wird dort als ganz selbstverständlich betrachtet. Sie wurde auch in Deutschland bislang gewohnheitsrechtlich als selbstverständliches Element der parlamentarischen Demokratie aufgefasst. Ihre Unzulässigkeit wird weder im staatsrechtlichen Schrifttum noch in der Verfassungsrechtsprechung behauptet.

So hält Zinn/Stein, Verfassung des Landes Hessen, Art. 75 Erl. 24b die gleichzeitige Mitgliedschaft im Landtag und der Landesregierung für zulässig, obwohl sie dazu führe, dass dieselben Personen die Funktionen von Legislative und Exekutive ausüben. Sie könne als Bestandteil des parlamentarischen Prinzips angesehen werden. Im Unterschied zur konstitutionellen Monarchie, in der sich die klassische Gewaltenteilung entwickelt habe, werde in der parlamentarischen Demokratie die Exekutivspitze vom Parlament berufen und abberufen und gehe in der Regel aus diesem hervor. Im parlamentarischen System laufe die Linie der Gewaltenteilung zwischen der Regierung und den sie stützenden Parteien einerseits und der Opposition anderseits. Die gleichzeitige Mitgliedschaft in Parlament und Regierung wird mit der Notwendigkeit eines engen Kontaktes zwischen Regierung und Regierungsparteien und der gegenseitigen Einflussnahme begründet (Hessischer Staatsgerichtshof, NJW 1977, 2065, 2068; Zinn/Stein, Verfassung des Landes Hessen, Art. 75

Erl. 24b; v. Mangoldt-Klein, GG, 2. Aufl. 1964, Vorbem. V 1e zu Art. 62, Erl. IV 2a zu Art. 66; Mein in Münch, GG, 3 Aufl. 1995, Erl. 7 zu Art. 62; Herzog in Maunz-Dürig, GG, Erl. 33 zu Art. 66 mit jeweils weiteren Nachweisen). Schneider (in Alternativkommentar zum Grundgesetz, 2. Aufl. 1989, Erl. 4 zu Art. 66) sieht in der Vereinbarkeit von Regierungsamt und Abgeordnetenmandat keinen Verstoß gegen den Gewaltenteilungsgrundsatz, sondern eher umgekehrt eine Stärkung der politischen Funktionenteilung zwischen Regierung (smehrheit) und parlamentarischer Opposition.

Für eine Trennung wurden in den Beratungen der Kommission mehrere Gründe geltend gemacht: Wenn Mitglieder der Landesregierung als Parlamentarier sich selbst kontrollier90 Hessischer Landtag · 15. Wahlperiode · 15/4000 ten, widerspreche das dem klassischen Modell der Gewaltenteilung und stoße in der Öffentlichkeit häufig auf Unverständnis. Besonders für kleinere Parteien sprächen auch arbeitsökonomische Gründe für eine Trennung, da Regierungsmitglieder wegen der mit dem Amt verbundenen Arbeitsbelastung für Tätigkeiten in der Fraktion nicht mehr zur Verfügung stünden, was die Funktionsfähigkeit kleinerer Fraktionen erheblich beeinträchtigen könne. In der Kommission gab es auch die Einschätzung, dass Finanz- und Machtinteressen die entscheidenden Motive für Regierungsmitglieder seien, ihr Abgeordnetenmandat beizubehalten. Die Grundentschädigung eines Abgeordneten, der Mitglied der Landesregierung ist, wird allerdings um drei Viertel gekürzt (§ 18 Abs. 1 Hessisches Abgeordnetengesetz vom 18. Oktober 1989, GVBl. I S. 261, zuletzt geändert durch Gesetz vom 28. Juni 1999, GVBl. I S. 330), sodass sich der finanzielle Vorteil zurzeit auf etwa 2. DM beläuft.

Gegen eine Trennung wurde eingewandt, dass sich das Staatsgefüge, das den von J. Locke (1632 ­ 1704) und Ch. de Montesquieu (1689 ­ 1755) entwickelten Lehren von der Gewaltenteilung zugrunde lag, wesentlich gewandelt habe. Nicht mehr das Staatsoberhaupt, sondern das Volk sei heute der Souverän. Es gehe nicht mehr um die Konfrontation zwischen Krone und Volk. Lock und Montesquieu hätten ihre Theorien entworfen, als die Exekutive unabhängig von der Legislative eingesetzt worden sei. Der durch Erbrecht in sein Amt gelangte König habe die Minister ernannt und entlassen. Heute dagegen kreiere die Legislative die Exekutivspitze und könne sie auch wieder abberufen. So gesehen sei die Regierung nichts anderes als ein Exekutivausschuss der die Regierung tragenden Parlamentsfraktionen. Die Gewaltenteilung verlaufe nicht mehr zwischen Regierung und Parlament, sondern zwischen Regierung und Regierungsfraktionen einerseits und der Opposition andererseits, im föderalen Staat auch zwischen Bund und Ländern. Regierungsmitglieder sollten deshalb gleichzeitig Fraktionsmitglieder sein. Der Meinungsbildungsprozess finde am Ende in den Fraktionen statt, deren Entscheidung müssten auch die der Fraktion angehörenden Regierungsmitglieder mittragen. Zu berücksichtigen sei auch die Gefahr, dass bei einer Trennung von Amt und Mandat der Landespolitik besonders qualifizierte Persönlichkeiten verloren gehen könnten. Gäben Regierungsmitglieder, die über kein Abgeordnetenmandat verfügen, wegen Fehler oder Missstände in ihrem Geschäftsbereich ihr Amt vorzeitig auf, schieden sie damit auch weitgehend aus der Gestaltung der Landespolitik aus. Der einzige Vorteil einer verfassungsrechtlichen oder einfachgesetzlichen Regelung bestünde darin, dass die Fraktionen künftig davon entlastet würden, die Frage der Trennung von Amt und Mandat in jeder Legislaturperiode für sich zu entscheiden.

Die Enquetekommission ist zu dem Schluss gelangt, dass die Entscheidung über eine Trennung von Amt und Mandat von Fraktion zu Fraktion und Wahlperiode zu Wahlperiode nach pragmatischen Gesichtspunkten getroffen werden sollte und nicht durch eine langfristige, sei es verfassungsrechtliche oder einfachgesetzliche, Festlegung.

2. Zahl der Landtagssitze Empfehlung

Die Zahl der Landtagssitze soll nicht verringert werden. Angesichts der parlamentarischen Initiativ- und Beteiligungsrechte und der Kontrollnotwendigkeiten erscheint die Verringerung der Landtagsmandate nicht sachgerecht.

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Begründung:

Die Enquetekommission spricht sich dafür aus, es bei 110 Abgeordnetensitze zu belassen.

Die Abgeordneten haben eine Exekutive mit etwa 150.000 Bediensteten zu kontrollieren.

Schon jetzt stehen sie einer Übermacht gegenüber. Dieses Ungleichgewicht würde sich bei einer Reduzierung der Abgeordnetensitze noch vergrößern. Die Abgeordneten des Hessischen Landtags repräsentieren eine Bevölkerung von über 6 Millionen Menschen. Eine Vergrößerung der 55 Wahlkreise würde den notwendigen unmittelbaren Kontakt zur Bevölkerung erschweren. Besonders Abgeordnete der kleineren Fraktionen hätten noch größere zeitliche Schwierigkeiten, allen Einladungen zu Veranstaltungen von Einrichtungen und Vereinen zu folgen.

3. Verlängerung der Wahlperiode

Die Enquetekommission hat sich einmütig für eine Verlängerung der Wahlperiode des Hessischen Landtages auf fünf Jahre ausgesprochen und deshalb im Herbst 1999 die Fraktionen aufgefordert, ein verfassungsänderndes Gesetz einzubringen. Die Kommission regte gleichzeitig an, die nach Art. 123 Satz 2 der Hessischen Verfassung notwendige Volksabstimmung mit der Kommunalwahl im Frühjahr 2001 zu verbinden. Dieser Zeitplan ließ sich jedoch nicht realisieren. Die Fraktionen von CDU, FDP und SPD haben die Empfehlung der Kommission aufgegriffen und befürworten, zusammen mit der nächsten Bundestagswahl am 22. September 2002 eine Volksabstimmung über die Verlängerung der Wahlperiode durchzuführen (siehe Abschnitt B.)

In den meisten Bundesländern beträgt die Wahlperiode fünf Jahre. Durch eine Verlängerung der Legislaturperiode erhofft sich die Kommission eine Verbesserung der Arbeitsfähigkeit des Parlaments. Erfahrungsgemäß dauert es einige Monate, bis ein neukonstituierter Landtag vollständig funktionsfähig ist. Abgeordnete, die erstmalig in den Landtag gewählt worden sind, benötigen in der Regel eine noch längere Einarbeitungszeit. Im letzten Jahr der Legislaturperiode wird die Arbeitsfähigkeit durch den beginnenden Wahlkampf beeinträchtigt. Für eine ungestörte effektive Parlamentsarbeit bleibt somit nur eine relativ kurze Zeit. Anderseits werden die Abgeordneten mit immer komplexeren Themen konfrontiert, die zum Teil weit über eine Legislaturperiode hinausreichen. Die Verlängerung der Wahlperiode würde es den Abgeordneten erleichtern, sich längerfristig und kontinuierlich auf diese Themen zu konzentrieren, da sie sich nicht bereits nach ca. zwei Jahren mit dem aufkommenden Wahlkampf beschäftigen müssten.

Der Vertreter der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN möchte die Verlängerung der Wahlperiode davon abhängig machen, dass der damit verbundene demokratische Mitwirkungsverlust durch zusätzliche plebiszitäre Elemente in der Verfassung kompensiert wird.

Er schlägt deshalb eine Erleichterung von Volksbegehren und Volksentscheiden vor. Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat am 17. August 2000 einen entsprechenden Entwurf für ein Gesetz zur Änderung von Artikel 124 der Hessischen Verfassung eingebracht (Drucks. 15/1473), der eine Senkung des Quorums für Volksbegehren von einem Fünftel auf ein Zehntel der Stimmberechtigten vorsieht.