Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität durch die Thüringer Justiz
Daniel Kaufmann, der führende Korruptionsexperte der Weltbank, kommt zu dem Ergebnis, dass die Korruption im Vergleich zu einem Land ohne Korruption die Wachstumsrate um 0,5 bis ein Prozent drücke. Der Anteil der Investitionen am Bruttoinlandsprodukt werde um vier Prozent vermindert und die Einkommensverteilung verschlechtert Zeitung vom 10. September 1998). Die Korruption gefährdet also nicht nur den Rechtsstaat, sondern ist auch wirtschaftsschädlich und zutiefst unsozial. Der Bekämpfung der Korruption muss also, wie der Bekämpfung der Wirtschaftskiminalität insgesamt, hohe Priorität beigemessen werden. Im Freistaat Thüringen ist die Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität bei Staatsanwaltschaft und Landgericht Mühlhausen konzentriert. Die Staatsanwaltschaft Mühlhausen ist im Wirtschaftsbereich verstärkt worden.
Ich frage die Landesregierung:
1. Hat sich die Konzentration der Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität beim Landgericht Mühlhausen bewährt?
2. Wie viele Wirtschaftsstrafkammern (§ 74 c des Gerichtsverfassungsgesetzes) gibt es beim Landgericht Mühlhausen?
3. Wann ist/sind die Wirtschaftsstrafkammer(n) eingerichtet worden?
4. Wie viele Verfahren sind seit Errichtung der Wirtschaftsstrafkammer(n) beim Landgericht Mühlhausen anhängig gemacht worden?
5. Wie viele dieser Verfahren sind erledigt und wie viele davon noch anhängig?
6. Wie lange ist die durchschnittliche Verfahrensdauer?
7. Welchen Umfang haben die Verfahren, um welchen Schadensumfang geht es im Durchschnitt?
8. Welchen extremen Schadensumfang (maximal und minimal) haben die Verfahren bisher erreicht?
9. Was versteht die Landesregierung unter Großverfahren?
10. Wie viele Wirtschaftsstrafverfahren, die bei der Staatsanwaltschaft Mühlhausen eingegangen sind, sind solche Großverfahren?
11. Wie viele dieser Großverfahren sind erledigt, und wie viele sind noch anhängig?
Bei wie vielen der noch anhängigen Großverfahren ist wann mit der Anklageerhebung zu rechnen?
13. Wie hoch wird der wirtschaftliche Schaden und wie hoch werden die Steuerausfälle aus den Großverfahren veranschlagt?
14. Welche wirtschaftlichen Schäden und welche Steuerausfälle durch Wirtschaftskriminalität sind in welchen Jahren registriert worden?
15. Wie hoch werden der wirtschaftliche Schaden und die Steuerausfälle durch Wirtschaftskriminalität für welche Jahre geschätzt?
16. Wie hoch ist der Anteil der wirtschaftlichen Schäden und der Steuerausfälle unter den Fragen 14 und 15, der durch Korruption verursacht worden ist?
17. Wie lange wird im Durchschnitt mit welchem Richtereinsatz in den Wirtschaftsstrafsachen verhandelt?
18. Mit welchen durchschnittlichen Kosten ist der Freistaat in den Wirtschaftsstrafverfahren belastet?
19. In wie vielen der Wirtschaftsstrafverfahren ist die Anklage zum Landgericht Mühlhausen und in wie vielen Fällen zu welchen anderen Gerichten erhoben worden?
20. Wie viele Staatsanwälte waren bei der Staatsanwaltschaft Mühlhausen im 1. Halbjahr 1996, im 2. Halbjahr 1996, im 1. Halbjahr 1997, im 2. Halbjahr 1997 und im 1. Halbjahr 1998 tätig?
21. Welche und wie viele wirtschaftlich vorgebildete Kräfte standen den Staatsanwälten im genannten Zeitraum zur Verfügung?
22. Wie viele PC standen den Staatsanwälten und den wirtschaftlich vorgebildeten Kräften in den genannten Zeiträumen jeweils zur Verfügung?
23. Sieht die Landesregierung die Wirtschaftsststrafkammer(n) als überlastet an?
24. Mit wie vielen Richtern war das Landgericht Mühlhausen im 1. Halbjahr 1996, im 2. Halbjahr 1996, im 1. Halbjahr 1997, im 2. Halbjahr 1997 und im 1. Halbjahr 1998 besetzt?
25. Wie viele Richter waren in den genannten Zeiträumen der/den Wirtschaftsstrafkammer(n) zugewiesen?
26. Sind alle Richter der Wirtschaftsstrafkammer(n) mit PC ausgestattet?
27. Sind die PC vernetzt?
28. Wie viele Richter haben im 1. Halbjahr 1996, im 2. Halbjahr 1996, im 1. Halbjahr 1997, im 2. Halbjahr 1997 und im
1. Halbjahr 1998 jeweils die Wirtschaftsstrafkammer(n) wieder verlassen?
29. Ist daran gedacht, weitere Wirtschaftsstrafkammern (beim Landgericht Mühlhausen) einzurichten, und wenn ja, warum ist dies bisher unterblieben, wenn nein, warum nicht?
Das Thüringer Ministerium für Justiz und Europaangelegenheiten hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 18. Dezember 1998 wie folgt beantwortet:
Zu 1.: Die Landesregierung hat mit Verordnung vom 16. Juni 1994 von der Verordnungsermächtigung des § 74 c Abs. 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) Gebrauch gemacht und dem Landgericht Mühlhausen die Zuständigkeit für die in § 74 c Abs. 1 GVG bezeichneten Strafsachen auch für den örtlichen Zuständigkeitsbereich der übrigen Landgerichte des Freistaats Thüringen zugewiesen. Diese Zuständigkeitskonzentration betrifft indes lediglich Strafsachen, für die die erstinstanzliche Zuständigkeit des Landgerichts nach den allgemeinen Regeln des § 74 Abs. 1, § 24 Abs. 1 Nr. 3, § 24Abs. 2 GVG (sogenannte große Wirtschaftsstrafsachen) begründet ist. Mit Verwaltungsvorschrift des Thüringer Justizministeriums vom 7. Juni 1994 wurde bei der Staatsanwaltschaft in Mühlhausen gemäß § 143 Abs. 4 GVG eine Schwerpunktabteilung für Wirtschaftsstrafsachen errichtet. Die Zuständigkeit der Schwerpunktabteilung ist für solche
Verfahren begründet, die eine der in § 74 c Abs. 1 GVG aufgeführten Straftaten zum Gegenstand haben, wenn zu der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Mühlhausen zu erheben ist. Die Schwerpunktabteilung ist auch zuständig, wenn zur Beurteilung des Sachverhalts besondere Kenntnisse des Wirtschaftslebens erforderlich sind, die ein Gutachten zur Frage des Wirtschaftslebens erforderlich erscheinen lassen. Daneben sind bei den Staatsanwaltschaften in Erfurt, Meiningen und Gera Wirtschaftsabteilungen mit der Zuständigkeit für Strafsachen, die nicht von der dargestellten Zuständigkeitskonzentration erfasst sind (sogenannte kleine Wirtschaftsstrafsachen), eingerichtet.
Die Konzentration der Wirtschaftsstrafsachen im dargelegten Sinne bei dem Landgericht Mühlhausen hat sich nach Auffassung der Landesregierung bewährt. Die sachgerechte Bearbeitung von Wirtschaftsstrafverfahren erfordert besondere Kenntnisse in den Bereichen Betriebs- und Volkswirtschaft. Die Zuständigkeitskonzentration stellt sicher, dass die eingesetzten Richter und Staatsanwälte über ein sich stetig erweiterndes Fachwissen und breites Verständnis für komplexe ökonomische Zusammenhänge verfügen.
Darüber hinaus trägt sie dazu bei, dass die Rechtsanwendung in Thüringen nach einheitlichen und damit transparenten Maßstäben erfolgt.
Zu 2.: Beim Landgericht Mühlhausen sind zwei Wirtschaftsstrafkammern (eine große Strafkammer sowie eine kleine Strafkammer) eingerichtet worden.
Zu 3.: Die erste Wirtschaftsstrafkammer wurde zum 1. Januar 1995, die zweite Wirtschaftsstrafkammer zum 25. Januar 1995 eingerichtet.
Zu 4.: Die Landesregierung geht davon aus, dass sich die Frage allein auf den Geschäftsanfall bei den Wirtschaftsstrafkammern bezieht. Bei diesen sind seit ihrer Errichtung bis einschließlich des 1. Halbjahrs 1998 53 Verfahren 1. Instanz sowie 73 Berufungsverfahren anhängig gemacht worden.
Zu 5.: In 1. Instanz wurden bis einschließlich des 1. Halbjahrs 1998 40 Verfahren erledigt, so dass derzeit noch 13 anhängig sind. Da 54 Berufungsverfahren erledigt werden konnten, beträgt der Bestand an offenen Verfahren nach dem 1. Halbjahr 1998 noch 19.
Zu 6.: Die durchschnittliche Verfahrensdauer betrug im Jahr 1997 vor den Wirtschaftsstrafkammern in Verfahren 1. Instanz 5,9 Monate und in Berufungsverfahren 4,7 Monate.
Zu 7.: Der Umfang eines Strafverfahrens wird stets von mehreren, voneinander unabhängigen Parametern wie der Angeklagten, der Anzahl der angeklagten Taten, der Anzahl und den Umfang der Verfahrensakten sowie der Art und Anzahl der zu sichtenden Beweismittel bestimmt. Nicht unerheblichen Einfluss auf den Umfang eines Verfahrens im Sinne der Fragestellung kann auch die Prozessstrategie der Verfahrensbeteiligten haben, wie sich mit besonderer Deutlichkeit etwa in Fällen zahlreicher und umfänglicher Beweisanträge, denen das Gericht in aller Regel zu entsprechen hat, zeigt. Wegen der Vieldeutigkeit des in der Fragestellung verwendeten Begriffs Umfang eines Verfahrens lässt sich daher eine eindeutige Antwort nicht geben.
Aufgrund der im Rahmen der Beantwortung der Frage 1 aufgezeigten generellen Komplexität der Materie sind Wirtschaftsstrafverfahren, die eines oder mehrere der vorstehend genannten Kriterien erfüllen, umfänglicher als andere Strafverfahren. Dementsprechend sind die große Mehrzahl der bei den Wirtschaftsstrafkammern des Landgerichts Mühlhausen anhängigen Verfahren umfangreiche Verfahren. Die Sachakten umfassen in der Regel mehrere Bände, regelmäßig sind darüber hinaus stets eine Vielzahl von Beweismittelordnern zu sichten und auszuwerten. In sehr großen Verfahren müssen häufig mehrere mit betriebswirtschaftlichen Unterlagen ausgewertet werden. In Verfahren dieser Art sind zumeist mehrere Personen angeklagt, denen eine Vielzahl von Einzeltaten (bis zu 75) vorgeworfen wird. Regelmäßig ist die Einholung umfangreicher Sachverständigengutachten zu Fragen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung einzuholen, die eine der Geschäftsunterlagen erforderlich machen. Darüber hinaus ist in diesen Verfahren nahezu immer eine Vielzahl von Zeugen zu hören, die als Geschäftspartner, Arbeitnehmer oder subventionsgewährende Stellen mit den Angeklagten in Kontakt getreten sind.