Hochschule

2. Terrorismusbekämpfung Rasterfahndung

Auch nach der Novellierung des Hessischen Gesetzes über die Sicherheit und Ordnung gibt es erhebliche Probleme bei der Organisation von Rasterfahndungsmaßnahmen im Rahmen der bundesweiten Aktion zur Suche nach so genannten Schläfern infolge der Anschläge vom 11. September 2001.

2.1

Rasterfahndungsanordnungen im Oktober 2001

Wie in allen Bundesländern so ist auch in Hessen gestützt auf die alte Fassung des § 26 Hessisches Gesetz über die Öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG) nach dem 11. September 2001 eine Rasterfahndungsmaßnahme angelaufen.

§ 26 HSOG (alte Fassung)

(1) Die Polizeibehörden können von öffentlichen Stellen oder Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leib, Leben oder Freiheit einer Person die Übermittlung von automatisiert gespeicherten personenbezogenen Daten bestimmter Personengruppen zum Zwecke des Abgleichs mit anderen Datenbeständen verlangen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass dies zur Abwehr der Gefahr erforderlich ist. Rechtsvorschriften über ein Berufs- oder besonderes Amtsgeheimnis bleiben unberührt.

...

(4) Die Maßnahme bedarf außer bei Gefahr im Verzug der richterlichen Anordnung. Für das Verfahren gilt § 39 Abs. 1 mit der Maßgabe, dass das Amtsgericht zuständig ist, in dessen Bezirk die Polizeibehörde ihren Sitz hat. Die Anordnung muss die zur Übermittlung verpflichtete Person sowie alle benötigten Daten und Merkmale bezeichnen.

... Die oder der Datenschutzbeauftragte ist durch die Polizeibehörde zu unterrichten.

Dazu waren vom Landeskriminalamt (LKA) auf Grundlage mehrerer richterlicher Anordnungen des AG Wiesbaden, in denen eine gegenwärtige Gefahr bejaht worden war, von verschiedenen Stellen Daten angefordert worden, die einem bestimmten Profil entsprachen. Betroffen waren unter anderem Studenten technischer Fachrichtungen aus vorwiegend arabischen Heimatländern. Aufgrund der Beschwerde eines von der Maßnahme betroffenen Studenten hat das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main mit Beschluss vom 21. Februar 2002 die erstinstanzlichen Entscheidungen aufgehoben (Az.: 20 W 55/02). Als Begründung hat das OLG u. a. ausgeführt: Sinn der richterlichen Anordnung sei, dass die zuständige Tatsacheninstanz selbst die Tatsachen feststellt, die eine richterliche Anordnung im Rahmen des § 26 HSOG rechtfertigen. Vom Vorliegen einer gegenwärtigen Gefahr im Sinne dieses Gesetzes sei nicht auszugehen. Die Anforderungen an den Gefahrenbegriff seien deshalb so hoch, weil in die Rechte einer Vielzahl von Nichtstörern eingegriffen werde. Nach der Aktenlage fehlten hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass im maßgeblichen Zeitpunkt die Voraussetzungen des Gesetzes vorgelegen hätten. Überdies äußerte das OLG erhebliche Zweifel zur Eignung der Rasterfahndung und zur Erforderlichkeit der Datenübermittlungen. Allerdings hat es diese Frage im Ergebnis offen gelassen.

Infolge der Entscheidung sind alle in Hessen im Rahmen dieser Rasterfahndungsmaßnahme erhobenen Daten einschließlich solcher, die zum bundesweiten Abgleich schon an das Bundeskriminalamt weitergeleitet worden waren, gelöscht worden. Dessen habe ich mich vergewissert. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten im Wesentlichen nur Vorbereitungsarbeiten stattgefunden. Zu einer Rasterung der erhobenen Daten im eigentlichen Sinne war es noch nicht gekommen.

2.2

Novellierung des HSOG

Als Reaktion auf die Entscheidung des OLG Frankfurt wurde von den Fraktionen der CDU und FDP im Hessischen Landtag am 12. Februar 2002 eine Änderungsnovelle zum HSOG vorgelegt. Ziel war, die Voraussetzungen für Rasterfahndungsmaßnahmen zu senken und die Durchführung solcher Maßnahmen durch den Wegfall des Richtervorbehaltes zu vereinfachen.

Dieser Gesetzentwurf war sehr umstritten. Er wurde nach mehreren kontroversen Debatten im August in 3. Lesung verabschiedet.

§ 26 HSOG (i. d. F. vom 11. September 2002)

(1) Die Polizeibehörden können von öffentlichen Stellen oder Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs zur Verhütung von Straftaten erheblicher Bedeutung

1. gegen den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder

2. bei denen Schäden für Leben, Gesundheit oder Freiheit oder gleichgewichtige Schäden für die Umwelt zu erwarten sind, die Übermittlung von personenbezogenen Daten bestimmter Personengruppen zum Zwecke des automatisierten Abgleichs mit anderen Datenbeständen verlangen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass dies zur Verhütung dieser Straftaten erforderlich und dies auf andere Weise nicht möglich ist.

...

(4) Die Maßnahme nach Abs. 1 bedarf der schriftlich begründeten Anordnung durch die Behördenleitung und der Zustimmung des Landespolizeipräsidiums. Von der Maßnahme ist die oder der Hessische Datenschutzbeauftragte unverzüglich zu unterrichten.

(5) Personen, gegen die nach Abschluss einer Maßnahme nach Abs. 1 weitere Maßnahmen durchgeführt werden, sind hierüber durch die Polizei zu unterrichten, sobald dies ohne Gefährdung des Zweckes der weiteren Datennutzung erfolgen kann....

Auch ich habe mehrmals im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens zu dem Entwurf Stellung genommen. Dabei habe ich vor allem zu zwei Punkten Kritik geäußert:

Das Gesetz sieht nunmehr vor, dass tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen sollen, dass das Rasterungsverfahren für die Verhütung der bezeichneten Straftaten erforderlich ist. Diese Einfügung tatsächlicher Anhaltspunkte bezieht sich nicht auf die Wahrscheinlichkeit von Straftaten von erheblicher Bedeutung ­ wie es sachgerecht wäre ­, sondern auf die Prognose, ob das Rasterungsverfahren sinnvoll ist oder nicht.

Sachgerecht wäre eine Regelung, die tatsächliche Anhaltspunkte in der Weise in die gesetzliche Regelung einbringt, dass der Verdacht bevorstehender Straftaten durch tatsächliche Anhaltspunkte zu unterfüttern ist. Die geforderte Prognose ist ein Prozess gedanklicher Vorausschau, für den tatsächliche Anhaltspunkte allenfalls in Form von Erfahrungssätzen eine Rolle spielen, nicht aber im Sinne einer konkret zu treffenden Diagnose über das bereits vorliegende Geschehen. Insofern ist die systematische Stellung dieses Kriteriums im Gesetz nicht sachgerecht. Tatsachen können nur die Ausgangslage abstützen, von der die Vermutung bevorstehender Straftaten herrührt, nicht aber die Möglichkeit der Abwehr. Diese ist von einer wertenden Einschätzung, nicht aber von Tatsachen abhängig, die zur Anordnung führen.

Der Verzicht auf eine richterliche Anordnung hat zur Folge, dass die gegen die Betroffenen gerichteten Anordnungen als Verwaltungsakte ergehen müssen. Betroffene sind nicht die Stellen, von denen die Daten verlangt werden, sondern die Bürgerinnen und Bürger, in deren informationelle Selbstbestimmung eingegriffen und deren Daten erhoben werden sollen. Diese Verwaltungsakte müssen damit sie wirksam werden zugestellt werden. Am einfachsten kann das durch Allgemeinverfügung im Wege der öffentlichen Bekanntmachung erfolgen (§ 41 Abs. 3 2.3

September 2002 ­ Neue Rasterfahndung

Die Änderung des HSOG trat am 12. September in Kraft. Noch an diesem Tage wurde durch das LKA in Abstimmung mit dem Landespolizeipräsidium eine Anordnung zur erneuten Rasterfahndung in Hessen erlassen. Auf Grundlage dieser Anordnung ergingen über zwanzig Polizeiverfügungen an öffentliche und nicht-öffentliche Stellen in Hessen, wieder Daten entsprechend dem Profil aus dem letzten Jahr zu liefern. Diese Verfügungen waren als Verwaltungsakt mit der Anordnung des Sofortvollzuges ausgestaltet.

Gegen diese Verfügungen gab es eine Vielzahl von Einwendungen, und zwar von den Hochschulen und betroffenen Studenten.

Auch ich habe gegenüber den betroffenen Stellen, dem Innenministerium und dem LKA Bedenken geäußert.

2.3.1

Kein Verwaltungsakt gegen Hoheitsträger

Es gehört zu den Grundstrukturen des Verwaltungsrechts, dass Hoheitsträger einander nicht mit hoheitlichen Verfügungen traktieren dürfen. Meist wird das mit dem Schlagwort gekennzeichnet: Keine Polizeigewalt gegenüber Hoheitsträgern. Es besteht Einvernehmen, dass alle Hoheitsträger den polizeirechtlichen Pflichten zu genügen haben, also auch den aus § 26 Abs. 1 HSOG hervorgehenden. Es besteht aber ebenso Einvernehmen darüber, dass sie das aus eigener Pflichterfüllung heraus zu tun haben.

Das Verlangen des LKA gegenüber den Hochschulen (und den anderen betroffenen öffentlichen Stellen) ist in der Sache ein Amtshilfeersuchen: Die Hochschulen sollen dem LKA Teile ihrer Datenbestände verfügbar machen, um diesem die Erfüllung seiner Abgleichaufgabe möglich zu machen. § 26 Abs. 1 HSOG stellt insofern eine lex specialis zu § 5 Abs. 1 Nr. 3 und 4 Hessisches Verwaltungsverfahrensgesetz dar. Dort wird auf die Kenntnis von Tatsachen (Daten) abgestellt, die der ersuchenden Behörde unbekannt sind, die sie aber zur Erfüllung ihrer Aufgaben benötigt.

Hessischer Landtag · 15. Wahlperiode · Drucksache 15/479012

Die Durchführung der Amtshilfe regelt sich nach dem für die Hochschulen geltenden Recht: Sie müssen daher in eigener Zuständigkeit prüfen, inwieweit die vom LKA beanspruchte Datenübermittlung mit den Grundrechten auf informationelle Selbstbestimmung vereinbar ist, die den Studierenden zukommen. Dabei kommt der Frage entscheidende Bedeutung zu, ob die Duldungspflichten, die für die Studierenden verfügt worden sind, wirksam geworden sind. Ist dies nicht der Fall, so dürfen sie dem Amtshilfeersuchen nicht nachkommen.

2.3.2

Kenntnis der Betroffenen

Während der Gesetzesberatungen hatte ich darauf verwiesen, dass die Beseitigung des bisherigen Richtervorbehalts dazu führt, dass die zuständige Polizeibehörde selbst die Eingriffe zu verfügen hat. Wegen des in der Verfügung liegenden Grundrechtseingriffs kann das nur durch Verwaltungsakt erfolgen. Die rechtsstaatlichen Verfahrensgrundsätze und die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz gebieten,

­ dass der mit der Rasterung eintretende Eingriff in die Rechte der betroffenen Grundrechtsträger im Wege einer Allgemeinverfügung verbindlich gemacht werden muss, und

­ dass die betroffenen Personen davon verlässliche Kenntnis erlangen, um ihnen effektiven Rechtsschutz zu eröffnen.

Die Personen, deren Namen und Eigenschaften erhoben und gerastert werden sollen, sind nur grundrechtlich in ihrer informationellen Selbstbestimmung betroffen und besitzen eine Klagebefugnis i. S. d. § 42 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung. Das ist unstreitig; die angerufenen Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichte in allen Ländern haben die Klagebefugnis der klagenden Studenten anerkannt.

2.3.3

Rasterfahndung als erforderliches Mittel

§ 26 Abs. 1 HSOG sieht in seiner Neufassung als Voraussetzung für die Anordnung einer Rasterfahndung vor, dass tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass die Rasterfahndung das erforderliche und unentbehrliche Mittel darstellt.

In der Verfügung des LKA fand sich keine Auseinandersetzung mit der Frage, ob die bisherigen Erfahrungen, die mit der Rasterfahndung in anderen Bundesländern seit Herbst 2001 gewonnen worden sind, wirklich tatsächliche Anhaltspunkte für die Geeignetheit und Erforderlichkeit geliefert haben. Soweit meine Informationen reichen, ist trotz des hohen Personal- und Mitteleinsatzes bislang kein Terrorist aufgrund des Datenabgleichs gefasst oder entdeckt worden. Die in der Verfügung des LKA dargelegten Ermittlungsergebnisse und Strafverfolgungsmaßnahmen sind keine Frucht der Rasterfahndung, sondern beruhen auf Hinweisen fremder Geheimdienste und Strafverfolgungsorgane oder sind als Erfolge der deutschen Strafverfolgungsbehörden auszuweisen.

Die präventive Rasterfahndung ist hingegen bislang ohne vorzeigbare Erkenntnisse geblieben. Nach meiner Ansicht sind tatsächliche Anhaltspunkte für die Erforderlichkeit daher derzeit nicht nachweisbar. Deshalb sind die gesetzlichen Voraussetzungen für die Rasterfahndung nicht gegeben.

2.4

Ergebnisse der eingelegten Rechtsmittel

Einige der betroffenen Hochschulen hatten Widerspruch gegen die Verfügungen des LKA erhoben und vor den Verwaltungsgerichten beantragt, die aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 wiederherzustellen.

Darauf hat das LKA reagiert und die Bescheide abgeändert. Nunmehr wurde ein Amtshilfeersuchen an die öffentlichen Stellen gerichtet. Während einige Hochschulen daraufhin Daten geliefert haben, haben andere auch weiterhin ihre Vorbehalte zum Ausdruck gebracht. Gleichzeitig haben mehrere Studenten Rechtsmittel eingelegt. Eine Klage vor dem Staatsgerichtshof blieb allerdings zunächst ohne Erfolg, da der Antragsteller den Rechtsweg nicht ausgeschöpft hatte.

Das Verwaltungsgericht (VG) Gießen hat in zwei Entscheidungen vom 8. November 2002 den Hochschulen Gießen und Marburg im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes aufgegeben, die Daten der antragstellenden Studenten zunächst nicht zu übermitteln. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Hochschulen nicht ausreichend ­ nämlich überhaupt nicht ­ geprüft hätten, ob im Rahmen des § 14 HDSG eine Übermittlung zulässig wäre. Das Amtshilfeersuchen sei rechtswidrig, denn es bestünden Bedenken bezüglich der Zuständigkeit des LKA. Ferner sei das Amtshilfeersuchen zu unbestimmt, da nicht klar dargelegt sei, welche Studiengänge erfasst sein sollten.

Schließlich würden auch Daten verlangt, die bei den Hochschulen nicht (mehr) verarbeitet werden dürfen, weil bei exmatrikulierten Studierenden Daten wie Geburtsort und -land sowie Staatsangehörigkeit gelöscht sein müssten.

In seinen Entscheidungen setzt sich das Gericht kritisch mit den formalen Voraussetzungen der Anordnung einer Rasterfahndungsmaßnahme gem. § 26 HSOG auseinander. Nach seiner Ansicht wäre ein Verwaltungsakt die zutreffende Rechtsform. Dieser Verwaltungsakt habe Drittwirkung, so dass zum Wirksamwerden auch eine Bekanntgabe gegenüber den Studierenden notwendig sei.