In der Reichsversicherungsordnung RVO ist der Leistungsanspruch bei Schwangerschaft und Mutterschaft

November 2001 hat folgenden Wortlaut:

In den letzten Jahren haben sich im Freistaat Thüringen mehrere Geburtshäuser etabliert. Dort wird, in der Regel von Elternvereinen getragen, eine akzeptierte und erfolgreiche Arbeit bei der Geburtsvorbereitung, Betreuung und Beratung von Schwangeren und jungen Müttern sowie der Familienarbeit geleistet. In Verantwortung von qualifizierten Hebammen finden darüber hinaus zahlreiche Geburten in den vier Geburtshäusern in Erfurt, Arnstadt, Jena und Gera statt. Während in den erst genannten drei Einrichtungen so genannte ambulante Geburten stattfinden, besteht in Gera seit 1998 die Möglichkeit sowohl ambulant zu entbinden, als auch nach der Entbindung über Nacht oder bis zu sechs Tage in der Einrichtung zu verbleiben.

In der Reichsversicherungsordnung (RVO) ist der Leistungsanspruch bei Schwangerschaft und Mutterschaft geregelt.

Während die Entbindungskosten unproblematisch von den Krankenkassen und der Beihilfestelle erstattet werden, gibt es seit Jahren unterschiedliche Verfahrensweisen bei der Erstattung der so genannten Betriebskosten für die Geburtshäuser. Während von einigen Krankenkassen (in der Regel Betriebskrankenkassen oder private Kassen) diese Kosten getragen werden, lehnen andere Krankenkassen und die Beihilfestelle des Freistaats Thüringen Erstattungsansprüche ab.

Diesbezüglich gibt es unterschiedliche Urteile in Thüringen u.a. vom Verwaltungsgericht Weimar, dem Sozialgericht Altenburg und dem Landessozialgericht Thüringen. Eine letztinstanzliche Entscheidung des Bundessozialgerichts steht noch aus.

Um die Unsicherheiten und Ungleichbehandlung junger Mütter bezüglich einer Kostenübernahme auszuräumen, wurde vom Netzwerk der Geburtshäuser in Deutschland eine Gesetzesänderung bzw. Ergänzung angeregt. In einem Schreiben des Bundesgesundheitsministeriums an die Spitzenverbände der Krankenkassen vom 3. September 2001 wurde ein gesetzlicher Regelungsbedarf verneint aber jedoch darauf hingewiesen, dass der entsprechende Leistungsparagraph (§ 197 RVO) auch auf die Geburtshäuser anwendbar sei und entsprechende Verträge mit den Krankenkassen abgeschlossen werden könnten.

Ich frage die Landesregierung:

1. Wie schätzt die Landesregierung die Arbeit in den Geburtshäusern in Thüringen ein?

2. In welcher Form werden die Geburtshäuser bzw. Trägervereine unterstützt und finanziert (bitte falls möglich, auch aufschlüsseln in kommunale Leistungen und über den zweiten Arbeitsmarkt geförderte Arbeitsstellen)?

3. Wie viele Geburten fanden im Freistaat Thüringen in den letzten drei Jahren insgesamt statt?

18. Januar 2002

4. Wie viele Geburten fanden in Thüringen in Kliniken, wie viele als Hausgeburten und wie viele in den vier Geburtshäusern statt (bitte die Geburten in den Geburtshäusern auch auf die vier Einrichtungen aufschlüsseln)?

5. Welche durchschnittlichen Betriebskosten werden den Müttern bei einer Geburt in den Geburtshäusern Thüringens in Rechnung gestellt, und welche so genannte Betriebskosten entstehen vergleichsweise bei der ambulanten Entbindung in einem Krankenhaus?

6. Ist der Landesregierung das Schreiben des Bundesgesundheitsministeriums an die Spitzenverbände der Krankenkassen bekannt? Falls ja, wie bewertet die Landesregierung die darin formulierte Auslegung des § 197 RVO?

7. Sieht die Landesregierung, vor dem Hintergrund dieses Schreibens, Änderungsbedarf für die Beihilfevorschriften falls ja, in welcher Form, falls nein, warum nicht?

8. Bestände die Möglichkeit, anerkannte Geburtshäuser in Thüringen generell gemäß § 197 RVO als andere Einrichtungen einzustufen, wie im Urteil des Sozialgerichts Altenburg vom 30. September 1999 (Aktenzeichen S 13

KR 2180/98) angeführt?

Das Thüringer Ministerium für Soziales, Familie und Gesundheit hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 8. Januar 2002 wie folgt beantwortet:

Zu 1.: In Thüringen besteht derzeit jeweils ein Geburtshaus in Erfurt, Jena und Arnstadt. Eine weitere durch freiberuflich tätige Hebammen betriebene Einrichtung befindet sich in Gera, diese trägt den Charakter eines Entbindungsheims.

Geburtshäuser verstehen sich als selbständige außerklinische Einrichtungen, in denen Hebammenhilfe während der Schwangerschaft, bei der Geburt und während des Wochenbetts durch freiberuflich tätige Hebammen angeboten wird.

Die Berufsausübung der Hebammen in der außerklinischen Geburtshilfe erfolgt im gesetzlichen Rahmen des Thüringer Hebammengesetzes und der Thüringer Berufsordnung für Hebammen und Entbindungspfleger.

Das Ministerium für Soziales, Familie und Gesundheit sieht die zwingende Notwendigkeit, den stationären wie auch gleichermaßen den ambulanten Entbindungseinrichtungen zum Schutz und zur Sicherheit von Mutter und Kind sehr strenge Qualitätsmaßstäbe aufzuerlegen. Vor dem Hintergrund dieser Verantwortung schließt es sich weiter der Sicht der Fachkreise (Deutsche Krankenhausgesellschaft, Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe u. a.) an, die in den Geburtshäusern keine wirkliche Alternative zur Entbindung in stationären Gesundheitseinrichtungen sehen.

Die Thüringer Geburtshäuser stellen sich zwar gleichermaßen wie die Entbindungseinrichtungen an Krankenhäusern den hohen Qualitätsanforderungen, in dem sie u. a. an der bundesweiten Perinatalstudie zur Qualitätssicherung in der außerklinischen Geburtshilfe teilnehmen. Die Sicherung der internen Qualität ist den Geburtshäusern selbst überlassen, wobei zweifelsohne hier die in den stationären Entbindungseinrichtungen der Krankenhäuser gegebenen Überwachungs- und Eingriffsmöglichkeiten bei Komplikationen nicht bzw. äußerst eingeschränkt realisierbar sind.

Zu 2.: Seitens des Ministeriums für Soziales, Familie und Gesundheit wurden bisher den Geburtshäusern keine finanziellen Unterstützungen gewährt. Förderungen an Geburtshäuser über den zweiten Arbeitsmarkt wurden für Beratungsdienste in die Familienarbeit gewährt.

Die Thüringer Kommunen sind zu entsprechenden Zuschüssen an Geburtshäuser nicht verpflichtet. Dem Innenministerium liegen keine Angaben über kommunale Zuschüsse vor.

Zu 5.: Gemäß Hebammenhilfe-Gebührenverordnung erhält die Hebamme für die Hilfe bei einer außerklinischen Geburt in einer von Hebammen geleiteten Einrichtung 625 Deutsche Mark (für das Beitrittsgebiet 86 Prozent = 537,50 Deutsche Mark) von der gesetzlichen Krankenkasse. Darin sind keine Betriebskosten enthalten. Diese werden jeweils den Müttern in Rechnung gestellt. Sie belaufen sich nach Angaben der Geburtshäuser auf durchschnittlich 600 bis 700 Deutsche Mark pro Entbindung.

Ein Vergleich der Betriebskosten bei einer ambulanten Entbindung in einem Krankenhaus ist insofern nicht möglich, da hier diese Kosten pauschaliert im jeweiligen Pflegesatz enthalten sind. Detailliertere Informationen konnten hierzu nicht eingeholt werden.

Zu 6.: Das Schreiben des Bundesministeriums an die Spitzenverbände der Krankenkassen vom 3. September 2001 ist hier bekannt. Die dort vertretene Auffassung, dass die Rechtsvorschrift des § 197 der Reichsversicherungsordnung (RVO) auch auf die Geburtshäuser angewendet werden kann, wird aus hiesiger Sicht geteilt.

Nach § 197 RVO besteht ein Leistungsanspruch für stationäre Entbindungen nur bei Aufnahme in ein Krankenhaus oder eine andere Einrichtung. In Betracht kommen also vor allem die Entbindungsstationen von Krankenhäusern, ferner aber auch andere Einrichtungen, wie z. B. Entbindungsanstalten, Entbindungsheime oder Geburtshäuser. Diese müssen geeignet und dazu bestimmt sein, Frauen zur Entbindung und Wochenpflege aufzunehmen, sowie ihnen ärztliche Betreuung und Hebammenhilfe zu gewähren. Um ein Vertragsverhältnis mit den Krankenkassen eingehen zu können, ist für Krankenhäuser und andere Einrichtungen die Zulassung in der Gesetzlichen Krankenversicherung gemäß der §§ 107 und 108 des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch (SGBV) (BSG-Urteil vom 23. November 1995 - 1 RK 5/94) erforderlich.

Zu 7.: In Thüringen finden gemäß § 87 Satz 2 des Thüringer Beamtengesetzes die Beihilfevorschriften des Bundes in der jeweils geltenden Fassung Anwendung. Danach können die entstandenen Aufwendungen für Unterkunft, Verpflegung und Pflege bei einer Entbindung im Geburtshaus beihilferechtlich nicht berücksichtigt werden. Eine Kostenerstattung wäre nur nach Änderung der Beihilfevorschriften möglich. Eine solche ist nicht beabsichtigt.

Das Schreiben des Bundesgesundheitsministeriums an die Spitzenverbände der Krankenkassen zur Auslegung des § 197 RVO hat keine Auswirkungen auf die Beihilfe. Das folgt daraus, dass es sich um verschiedene Krankensicherungssysteme handelt, die auf unterschiedlichen Rechtsgrundlagen basieren.

Das ist nicht zu beanstanden, denn der Dienstherr ist aus Fürsorgegründen nicht gehalten jegliche Aufwendungen als beihilfepflichtig anzusehen. auf vollständige oder punktuelle Gleichstellung lässt sich aus dem Fürsorgegedanken nicht ableiten Entscheidung vom 29. März 1995 - Vf. 11-VII-92 - ZBR 1995, 196).

Der Abschluss von Versorgungsverträgen mit den gesetzlichen Krankenkassen auf der Grundlage des Schreibens des Bundesgesundheitsministeriums zur Auslegung des § 197 RVO hat somit keine Auswirkungen auf die Beihilfe.

Zu 8.: Entsprechend dem unter Antwort zu Frage 6 Genannten besteht die Möglichkeit, anerkannte Geburtshäuser als andere Einrichtungen im Sinne des § 197 RVO einzustufen. Das Thüringer Landessozialgericht hat mit Urteil vom 27. September 2000 (AZ: L 6 KR 688/99), entsprechend der ausdrücklichen Erwähnung der Geburtshilfe in § 107 Abs. 1 Nr. 1 SGB V festgestellt (unter Berufung auf die bereits genannte Entscheidung des Bundessozialgerichts), dass die in § 197 Satz 1 RVO genannten anderen Einrichtungen der Geburtshilfe vom Erfordernis der Zulässigkeit im Sinne des § 108 SGBV nicht ausgenommen sind. Durch diese Entscheidung wurde das Urteil des vom 30. September 1999 (AZ: S 13 KR 2180/98) aufgehoben.

Nach der Pressemitteilung Nr. 61/01 des Bundessozialgerichts hatte dieses in seiner Sitzung vom 9. Oktober 2001 in dieser Angelegenheit (AZ: B 1 KR 1/01 R) über die Übernahme von Kosten anlässlich der Entbindung in einem Geburtshaus zu befinden. Im Ergebnis des Revisionsverfahrens wurde das die Klage abweisende Berufungsurteil des Thüringer Landessozialgerichts bestätigt. Der Wortlaut dieser Entscheidung des Bundessozialgerichts wurde bisher nach hiesigem Kenntnisstand noch nicht veröffentlicht.