Meine Damen und Herren wir kommen zu unserem zweiten Referat das sich mit dem Thema Euthanasie beschäftigt
29 Wir hatten am 24. Juni zum erstenmal davon erfahren und hatten auch entsprechend die Ausstellung kostenmäßig mit unterstützt. Es ist traurig, dass die Universitätsklinik, die doch einen großen Haushalt hat, diese Aktion nicht von sich aus freiwillig mitgetragen hat oder eine andere Stelle. Aber dennoch ist es notwendig gewesen, in dieser Form die Geschichte in der Universitätsklinik Frankfurt am Main bezüglich der Zwangssterilisation und den Versuchen, die an Frauen in dieser Zeit durchgeführt worden sind, entsprechend zu belegen. Danke. von Sternburg: Ich danke sehr herzlich. Ich bitte um die nächste Wortmeldung.
Erika Fleuren: Ich bin Mitglied des Hessischen Landtags in der SPD-Fraktion. Ich habe ein bißchen in dem Referat die perverse Darstellung vermißt, die die Nazionalsozialisten, wenn sie es überhaupt gemacht haben, der Euthanasie - das Wort sagt es ja - einen bestimmten Begriff gegeben haben. Es ging ihnen ja, wie richtig dargestellt wurde, um die Vernichtung lebensunwerten Lebens. Aber sie haben zu ihrer Rechtfertigung ja häufig die Behauptung aufgestellt, dass bestimmte Krankheiten und bestimmte Behinderungen für Menschen ein solches Leid bedeuten, dass das Leben für sie keinen Wert mehr hat, daß der Tod sozusagen geradezu eine Erlösung für diese Menschen bedeutet. Dieser Gedanke ist ja bis zu einem gewissen Grade in der Bevölkerung, besonders bei Gesunden, verwurzelt, die sich bei bestimmten Krankheiten gar nicht mehr vorstellen können, welchen Sinn das Leben hat. Ich glaube, gerade diese perverse Argumentation der Nazis gehört auch mit zu dieser Betrachtungsweise. von Sternburg: Ich danke Ihnen herzlich. - Meine Damen und Herren, wir kommen zu unserem zweiten Referat, das sich mit dem Thema Euthanasie beschäftigt. Der Referent ist Ernst Klee, vielen von Ihnen bekannt als Schriftsteller und Filmautor. Seine Arbeiten ich weiß das selbst, weil er einige Filme für den Hessischen Rundfunk gemacht hat waren eigentlich immer Auslöser öffentlicher Debatten. Das galt besonders für das Thema Euthanasie und seine Bewältigung in der Geschichtsdiskussion. Das Schwergewicht, das Ernst Klee immer wieder in seinen Büchern und Filmen legte, war vor allem auch die Täterrolle. Herr Klee, ich darf Sie bitten, mit Ihrem Referat zu beginnen, das unter dem Thema steht: Nachkriegsstrafverfolgung von Euthanasie-Tätern und ihre Weiterbeschäftigung. Ernst Klee: Wir könnten es uns einfach machen; denn Hessen ist tatsächlich das Bundesland, das dank der Frankfurter Generalstaatsanwaltschaft am meisten zur Aufklärung der Krankenmorde getan hat. Die Frankfurter Generalstaatsanwaltschaft trug auch die Hauptlast der Verfolgung von Euthanasie-Tätern bundesweit. Dies ist - das ist heute schon ein paarmal gesagt worden; aber man sollte es immer wieder wiederholen das Verdienst von Generalstaatsanwalt Fritz Bauer.
Demgegenüber stehen jedoch auch Urteile mit sehr viel Verständnis für die Krankenmörder und der Negierung der Leiden der Opfer. So heißt es 1967 in einem Urteil des Frankfurter Landgerichts: Der Tod in der Gaskammer sei eine der humansten Tötungsarten. Hessen ist der Schauplatz des ersten großen Kriegsverbrecherprozesses der Gerichtsbarkeit der US-Armee. Verhandelt wurde die Ermordung von mindestens 465
- 30 Tbc-kranken Ostarbeitern 1944/45 in der Anstalt Hadamar. Die Zwangsarbeiter waren von den ärztlichen Diensten der Arbeitsämter ausgesondert und vom Landesarbeitsamt zur Sonderbehandlung überstellt worden.
Oberpfleger Heinrich Ruoff - Zitat -: Jeder Pole und Russe, der hinkam, starb ein paar Stunden nach der Ankunft.
Ruoff weiter:
Jeden Morgen war in der Anstalt eine Konferenz, bei welcher Dr. Wahlmann
- das ist der Leiter Oberpflegerin Huber und ich dabei waren. In diesen Konferenzen unterzeichnete Dr. Wahlmann die Todesurkunden der Polen und Russen und wir
- das heißt, das Personal stimmten ab, welche deutschen Patienten an diesem Tage die Einspritzung bekommen sollten.
Es gibt kein Bundesland, in dem in den unmittelbaren Nachkriegsjahren die Krankenmorde so gründlich untersucht worden wären wie in Hessen. Es hat hier drei Prozesse gegeben. Der eine Prozeß betrifft die Anstalt Eichberg, in der - bis die Alliierten kamen - Kranke durch Verhungernlassen oder Medikamente getötet wurden.
Der zweite Prozeß betrifft die Anstalt Kalmenhof in Idstein und der dritte Prozeß betraf die Anstalt Hadamar. Diese Urteile werden zwischen Dezember 1946 und März 1947 gefällt.
Im Hadamar-Prozeß wurden z. B. Dr. Bodo Gorgaß wegen Mordes in mindestens 1. und Dr. Adolf Wahlmann wegen Mordes in mindestens 900 Fällen zum Tode verurteilt; sieben Pfleger und Pflegerinnen erhielten Freiheitsstrafen.
Dies ist bereits der letzte Prozeß, das letzte bundesdeutsche Urteil, das so schwerwiegende Strafen gefällt hat. Bereits im Januar 1948 urteilte das Frankfurter Landgericht über sechs Pflegerinnen und Pfleger, die Kranke ermordet hatten. Da war bereits die Höchststrafe mit vier Jahren als ausreichend und gerecht angesehen worden.
Ein Berufsverbot hat keine der Mordschwestern und keiner der Pfleger jemals bekommen.
Die Urteile wurden bald korrigiert. Im Februar 1949 wird z. B. der stellvertretende Direktor des Kalmenhofs, Großmann, zuvor zum Tode verurteilt, mit einer Haftstrafe von vier Jahren und sechs Monaten belegt. Die Ärztin Weber, zuvor auch zum Tode verurteilt, erhält ein Jahr weniger und kommt 1954 in Idstein bei ihrem Schwager zunächst als Sprechstundenhilfe unter. Es ist Dr. Julius Muthig, SS-Arzt in den Konzentrationslagern Neuengamme, Oranienburg und Dachau. Frau Dr. Weber wechselt später per Heirat ihren Namen und hat 1960 wieder praktiziert.
Die milden Urteile sind darin begründet, dass die Patientenmorde juristisch nur noch Beihilfe zum Mord sind. Der im Eichberg-Prozeß zu lebenslanger Haft verurteilte Dr. Walter Schmidt ist im Juli 1953 bereits wieder in Freiheit.
Der Hessische Ministerpräsident und Justizminister Dr. Georg August Zinn rechtfertigte damals diese Gnadenpraxis gegenüber der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit: Amtierende Bundes- und Länderminister hätten Schmidts Freilassung befürwortet. Außerdem sei die Rechtsprechung außerhalb Hessens in gleichgelagerten Fällen wesentlich milder gewesen. Die Strafverfolgung erschien erledigt.
Doch im November 1959 wurde die Öffentlichkeit aufgeschreckt, weil der medizinische Leiter des Krankenmords, Prof. Werner Heyde, alle die Jahre unter dem Namen Dr. Sawade in Flensburg für zahlreiche Stellen Gutachten abgeliefert hatte, unter anderem auch für die Justiz. Es wurde gleichzeitig bekannt, dass seine Personenidentität zahlreiche Ordinarien, Arztkollegen und Juristen gekannt hatten. Heyde hat sich nach seiner Entdeckung in Frankfurt der Justiz gestellt.
Was weder Historiker noch die Ärzteschaft jemals getan hatte, tat nun die Frankfurter Generalstaatsanwaltschaft. Sie deckte die Strukturen der Krankenmordorganisation auf, was in den nächsten Jahren zur Verhaftung mehrerer Vergasungsärzte führte, von denen einige aber sehr schnell, dank ärztlicher Gutachten, wieder in Freiheit kamen, unter anderem der Arzt Horst Schumann, der nicht nur in der Vergasungsanstalt gearbeitet hatte, sondern auch in Auschwitz grauenhafte Experimente mit Röntgenkastrationen vorgenommen hatte.
Werner Heyde erhängte sich im Februar 1964, fünf Tage vor Prozeßbeginn, im Zuchthaus Butzbach.
Verhandelt wurde weiterhin gegen einen Hans Hefelmann; das war der Organisator der Kindermorde. Hefelmann besuchte den Prozeß in Limburg als freier Mann. Knapp fünf Monate dauerte der Prozeß. Da meldete sich nach der Verhandlung der Göttinger Psychiatriedirektor Prof. Dr. Gerhard Kloos. Die Herren kennen sich. Hefelmann hatte den Kindermord in Berlin organisiert und Kloos hatte ihn in der thüringischen Anstalt Stadtroda umgesetzt.
Und nun erstellt Kloos seinem ehemaligen Vorgesetzten ein ärztliches Gutachten, wonach er nicht mehr fähig sei, der Hauptverhandlung zu folgen. Tatsächlich wird 1964 das Verfahren gegen Hefelmann dank ärztlicher Gutachten eingestellt.
Das längste Verfahren in Frankfurt gegen vier Ärzte der Vergasungsanstalten dauerte von 1961 bis 1988. Die Ärzte wurden verhandlungsunfähig, aber sie praktizierten in all den Jahren weiter. Am 23. Mai 1967 fällte das Frankfurter Landgericht das Urteil gegen die Ärzte Ullrich, Bunke und Endruweit. Die Massentötungen - so heißt es im Urteil seien Mord. Rechtfertigungsgründe gebe es nicht. Danach werden die drei freigesprochen, da sie das Unerlaubte ihres Tuns nicht erkannt hätten. Drei Jahre später hebt der Bundesgerichtshof das Urteil wieder auf. Nun wird aus prozeßökonomischen Gründen das Verfahren gegen die drei Ärzte mit einem Verfahren gegen Dr. Borm verbunden.
Bunke, Ullrich und Endruweit werden nach und nach verhandlungsunfähig, praktizieren weiter, wie gesagt. Borm wird 1972 - objektiv hat er Beihilfe zur Tötung von mindestens 6.652 Patienten geleistet - freigesprochen. Die Begründung auch in diesem Fall: er habe das Unerlaubte seines Handelns nicht erkennen können.