Das zweite relevante Ausschlußkriterium besteht in den engen Wohnsitzvoraussetzungen

59 BEG waren jedoch nur im engen Zeitraum von 1956 - 1958 und - nach der Novelle als sogenanntes BEG-Schlußgesetz im Jahre 1965 - grundsätzlich bis 1966, in Ausnahmefällen bis 1969 möglich. Seitdem sind Neuanträge nicht mehr zu stellen. Es ist verständlich, dass ein großer Teil der Betroffenen diese engen Antragsfristen verpaßte.

Man sollte sich vergegenwärtigen, dass das parallel für Soldaten, Angehörige der oder durch Kriegshandlungen geschädigte Zivilisten erlassene Gesetz, das Bundesversorgungsgesetz, keinerlei Antragsfristen kennt.

Das zweite relevante Ausschlußkriterium besteht in den engen Wohnsitzvoraussetzungen. Das im BEG geltende sogenannte subjektive Territorialitätsprinzip sorgte im wesentlichen für die Anwendung des Gesetzes auf Deutsche oder solche, die eine räumliche und rechtliche Beziehung zum Deutschen Reich hatten. Erst viel später schloß die Bundesrepublik auf jahrelangen Druck des Auslands sogenannte Globalverträge zugunsten der in diesen Staaten lebenden NS-Verfolgten ab, nachdem sie allein dem Staate Israel ab 1952 insgesamt 3 Milliarden DM als Eingliederungshilfe

- bewußt nicht als Entschädigung - zur Verfügung gestellt hatte.

Die in den osteuropäischen Staaten überlebenden NS-Opfer, zahlenmäßig das Gros der vom NS-Regime Deportierten, in KZs Inhaftierten, Vernichteten oder zur Zwangsarbeit herangezogenen Opfer, blieben nahezu 50 Jahre lang ohne einen Pfennig Entschädigung. Die sogenannte Diplomatenklausel, das dritte zentrale Ausschlußkriterium, verfügte, dass keine Leistungen in Staaten zu gewähren waren, mit denen die Bundesrepublik zur Zeit der Antragsfristen des BEG keine diplomatischen Beziehungen hatte. Auch Globalabkommen wie mit den Weststaaten lehnte man jahrzehntelang ab.

Die vierte Ausschlußregelung bestand darin, dass das Bundesentschädigungsgesetz nur auf die Opfer des sogenannten typischen NS-Unrechts angewendet werden sollte, das heißt auf diejenigen, die vom NS-Regime aus Gründen der politischen Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus, der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung verfolgt wurden. Diese Generalklausel klang und klingt zunächst gut. Verzichtet hat man damals also - dies ein deutlicher Unterschied zur Entschädigungsgesetzgebung für die Opfer des Stalinismus und des DDR-Regimes - auf die Nennung von speziellen Verfolgtengruppen oder Fallgruppen.

Dieser Unterschied ist deshalb bedeutsam, weil nicht nur der Gesetzgeber, sondern durch hohen interpretatorischen Aufwand auch die Gerichte und Entschädigungsbehörden ein feinsinniges Netz von Ausgrenzungen betrieben. Vom BEG beispielsweise nicht berücksichtigt wurden - und werden grundsätzlich bis heute nicht Zwangssterilisierte, Euthanasie-Geschädigte, in KZs verbrachte Asoziale oder Schwule, die Opfer der NS-Militärjustiz und die Zwangsarbeiter. Ausdruck des Kalten Krieges war der Ausschluß der Kommunisten, selbst wenn diese jahrzehntelang in den KZs gelitten hatten.

Durch eine langjährige diskriminierende Behördenpraxis und eine pervertierte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes wurden sogar die eindeutig aus rassischen Gründen und einem Genozidprogramm unterworfenen Sinti und Roma vielfach von Leistungen ausgeschlossen. Entweder man bestritt, dass sie aus rassischen Gründen verfolgt wurden und bemühte dafür die angeblich kriminellen Eigenschaften der - 60 sogenannten Zigeuner, oder die Betroffenen gerieten oftmals in einen Kleinkrieg gegen die Behörden, fanden hier keinen Staat, keinen starken Verfolgtenverband und keine politische Kraft als Bündnispartner. Unwürdige Vergleiche, bei denen die Opfer wenige Hundert DM erhielten, wenn sie auf alle Forderungen verzichteten, waren wohl nicht nur in Niedersachsen - dort habe ich mehrere Fälle kennengelernt - Ausdruck dieser Diskriminierungspolitik.

Über die Opfer der Euthanasie-Morde befand die herrschende Rechtsprechung zum BEG, diese seien aus gesundheitspolitischen Gründen verfolgt, somit keine Opfer typischen NS-Unrechts geworden. Nur wenn nachgewiesen werden könne, dass die Hinterbliebenen von dem Getöteten, hätte er überlebt, Unterhalt bekommen hätten, könne eine Härteklausel des BEG, § 171, zur Anwendung kommen. Dieser Zynismus ist so in den Kommentaren zum BEG nachzulesen.

Nicht anders erging es den Zwangssterilisierten. Das ihnen angetane Unrecht galt bis zum Jahre 1988 als rechtsstaatlich nicht zu beanstanden. Nur dem kleinen Anteil der 400.000 so Verstümmelten, nämlich die, die eindeutig aus rassischen Gründen zwangssterilisiert wurden, gestand man reguläre BEG-Leistungen zu, nicht jedoch denen, die aufgrund einer Entscheidung der Erbgesundheitsgerichte zwangssterilisiert worden sind. Eingeschränkte Leistungen aufgrund von § 171 BEG konnten Betroffene dann bekommen, wenn sie ohne vorausgegangenes Verfahren - also willkürlich - nach dem Erbgesundheitsgesetz unfruchtbar gemacht worden sind. Auf die Gruppe der Zwangssterilisierten werde ich am Schluß noch etwas intensiver eingehen.

Sie sehen daran - das ist Laien erst einmal schwer verständlich zu machen -, dass nicht die Tatsache, dass man in ein KZ gekommen ist, dass man getötet oder verschleppt worden ist oder Opfer von Menschenversuchen wurde, ausschlaggebend für die Verfolgteneigenschaft nach dem BEG ist, sondern die Frage, aus welchen Verfolgungsgründen man dieses erleiden mußte. Und wenn diese Opfer nach der herrschenden Lehre nicht unter die vier zentralen Kategorien, die ich eingangs zitiert habe, subsumiert wurden, blieben diese außen vor.

Bestritten wurde z. B. auch, dass die in die KZs verbrachten Asozialen Verfolgte waren, und dies trotz der reichsweiten Verfolgungsaktion mit dem Titel Aktion Arbeitsscheu Reich. Bestritten wurden grundsätzliche Verfolgungsgründe für in KZ verbrachte Homosexuelle, Prostituierte, die Swing-Jugend und die von der NS-Militärjustiz mit weit über 100.000 Zuchthausstrafen oder KZ-Haft oder mehr als 30.000 Todesurteilen belegten Kriegsdienstverweigerer, Deserteure und sogenannten Wehrkraftzersetzer.

Eine Gruppe von Verfolgten ist ebenfalls vom Entschädigungsrecht nur sehr unzureichend erfaßt worden, die der National-Geschädigten NS-Verfolgten, die nach 1945 einen Rechtsstatus als Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention innehatten. Diese, die zunächst gar nicht berücksichtigt wurden, konnten später aus einem kleinen Fonds, der dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen zur Verfügung gestellt wurde, eine Leistung bekommen. Die Mittel für diesen Fonds sind erschöpft, obwohl viele Betroffene nichts bekommen haben. Die Bundesregierung weigert sich, diesen Fonds aufzustocken.

Immer dann, wenn die Bundesregierung in den letzten 15 Jahren nach einer Ergänzung der gesetzlichen Regelungen zur Entschädigung gefragt wurde, sah sie keinen Handlungsbedarf. Immer, wenn sie bedrängt wurde, sah sie Handlungsbedarf nur in Einzelfällen. Immer dann aber, wenn der Druck so groß wurde, dass eine neue Regelung, die die bisherige Ausschlußpraxis nicht fortsetzen sollte, sogar in den Reihen der jeweiligen Regierungsfraktionen immer mehr Anhänger fand, war die Antwort: eine neue Härteregelung ohne Rechtsanspruch für die Opfer.

Dies ist die Praxis seit 1980. Ihr unterfielen und unterfallen selbst viele derjenigen Verfolgten, für die zweifelsfrei grundsätzlich das BEG zuträfe, etwa Juden, Sinti und Roma. Wer als verfolgter Jude erst nach 1969 aus dem Geltungsbereich des früheren Ostblocks nach Deutschland kam, konnte bis vor kurzem nur eine Einmalleistung bis zu 5.000 DM erhalten. Dies gilt grundsätzlich auch für Sinti und Roma, die schuldlos die Ausschlußfristen zum BEG verpaßt haben. Nur bei einem besonders schweren Verfolgungsschicksal sind für sie nach dem sogenannten Wiedergutmachungsdispositionsfonds laufende Leistungen möglich.

Die letzte umfassende Härteregelung stammt aus dem Jahre 1987/88. Diese war die Antwort der Bundesregierung auf die Forderung von SPD und GRÜNEN, per Gesetz eine Bundesstiftung für alle NS-Opfer einzurichten, die bisher keine oder nur eine sehr geringe Entschädigung bekommen hatten. Hier vollführte plötzlich das Bundesfinanzministerium als das für das BEG zuständige Ministerium des Bundes Salto mortale. Sah man zuvor keinen Handlungsbedarf, erklärte im Dezember 1987 plötzlich der zuständige parlamentarische Staatssekretär, man wolle nun 300 Millionen DM als sogenannte endgültige Abschlußregelung in den nächsten Jahren bereitstellen und rechne mit bis zu 200.000 Antragstellern. Dies ist doch eine ganz stattliche Zahl, nachdem vorher kein Handlungsbedarf gesehen wurde. Gleichwohl führt einfaches Kopfrechnen dazu, dass dies im Schnitt einmalig 2.000 DM für jedes Opfer bedeutet hätte.

Aber es kam viel schlimmer. Nach der neuen Härteregelung, die für die NS-Opfer gelten sollte, die von der Bundesregierung nach wie vor nicht als Verfolgte im Sinne des BEG anerkannt werden - Zwangssterilisierte, Euthanasie-Opfer usw. -, wurden wegen den äußerst strengen Vergabekriterien im ersten Jahr gerade einmal 1,4 Millionen DM von diesen 300 Millionen DM an die Opfer ausgegeben. Aus diesem Grunde wurden die Härteregelungen neu gestaltet, wenig später noch einmal, Jahre später wiederum. Am Grundsatz hat sich dabei wenig geändert:

Auf die Zahlungen besteht kein Rechtsanspruch. Für viele Schadensformen, Schaden am Leben, Vermögensschäden, Schäden im beruflichen Fortkommen - wie dies im BEG gilt - gibt es hier keinen Schadensausgleich. Die Leistung besteht überwiegend aus einer Einmalzahlung bis zu maximal 5.000 DM, oftmals geringer. Für jeden Hafttag im KZ gibt es nach wie vor eine Einmalzahlung von 5 DM pro Tag.

Nur wer schuldlos die Antragsfristen nach den entsprechenden gesetzlichen Grundlagen

- hier nach dem Allgemeinen Kriegsfolgengesetz - verpaßt hat, die deutsche Staatsangehörigkeit zum Zeitpunkt der Verfolgung hatte und heute noch hat, und wer sich in einer aktuellen Notlage befindet, kann diese Einmalzahlung bis zu 5.000 DM bekommen. Als aktuelle Notlage wird dabei ein Monatseinkommen von zur Zeit unterhalb 1.650 DM oder ein Familieneinkommen unterhalb 2.025 DM angenommen.