Beck Christoph Sozialdarwinismus Rassenhygiene Zwangssterilisation und Vernichtung lebensunwerten Lebens

Peter Sandner (op. cit., 1993) hat bislang als einziger den Versuch unternommen, am Beispiel einer (außerhessischen) Kommune die Personen und Institutionen vollständig aufzuzählen, die in arbeitsteiliger Kooperation mit der Ermordung der Kranken befaßt waren. Von einzelnen Morden ausgehend, die Tatbeteiligten und ihre Kooperationsbeziehungen in einem hessischen Fall, vor allem auch auf Provinzresp. Staatsebene, zu beschreiben, steht noch aus.

So ist es beispielsweise heute kaum jemandem in Hessen bekannt, dass sich die Bundeszentrale der Organisation der Überlebenden der Euthanasie und der Zwangssterilisation von Ende der 40er bis Mitte der 50er Jahre in diesem Bundesland befand und dass ihr Periodikum Die Stimme der Sterilisierten in Frankfurt/M. erschien.

Vgl. dazu das Diktum Adolf Hitlers: Was nach diesem Kampf übrigbleibt, sind ohnehin nur die Minderwertigen, denn die Guten sind gefallen. (zit. nach Speer, op. cit., 1969, S. 446).

Man denke etwa an den in der Regel niedrigen sozialen Status der Opfer, die Persistenz unserer Bilder vom armen Irren und die geringe gesellschaftliche Sanktionsmacht verarmter Kranker und Behinderter.

Hatten die Verpflegungssätze pro Kopf und Tag in den hessischen Anstalten im Jahr 1936 durchschnittlich noch bei RM 0,46 gelegen (Merxhausen RM 0,54, Marburg RM 0,52, Hadamar RM 0,471), wurden sie kontinuierlich gesenkt, bis sie mit RM 0,31 (Merxhausen 1939), RM 0,32 (Eichberg 1940), RM 0,33 (Haina 1940) ein Niveau erreicht hatten, das dem nationalsozialistischer Ghettos (L6dz RM 0,30 1940, Theresienstadt RM 0,32 1942) entsprach.

Der daraus resultierende Auszehrungsprozeß lässt sich exemplarisch auch statistisch nachweisen: so sank das durchschnittliche Gewicht etwa der Insassen der Heil- und Pflegeanstalt Haina von 62,4 Kilogramm im Jahr 1936 auf 58,6 kg im Jahr 1938; dementsprechend stiegen die Sterberaten ab 1936 kontinuierlich an (Faulstich, a.a.O.).

Beispielsweise durch die Beschränkung kalorienverbrauchender Bewegungen auf ein Mindestmaß, was auch die als Muselmänner bezeichneten Ghettoinsassen und Konzentrationslagerhäftlinge kennzeichnete.

So hat Faulstich (a.a.O.) anhand der Belegziffern in den vier hessen-nassauischen Anstalten Eichberg, Hadamar, Herborn und Weilmünster ermittelt, dass im Jahr 1936 durchschnittlich nur 71 % der Krankenbetten belegt waren, während diese Anstalten in den folgenden drei Jahren derart überfüllt worden waren, dass ihre Kapazität, operationalisiert als Zahl belegter Betten, durchschnittlich um rund 30 % überschritten war.

Die einzelnen Verwaltungsvorgänge dieser Ausbeutungs- und Verwertungsstrategie dokumentiert im Detail Faulstich (a.a.O.).

Vgl. dazu den bekannten zeitgenössischen Bericht des Direktors der Frankfurter Universitäts-Nervenklinik Karl Kleist über die von ihm kritisierten Zustände in den hessischen Heil- und Pflegeanstalten vom März 1938 (den Alice Platen-Hallermund, op. cit., 1948, S. 42, als erste zitiert), der in dem Satz kulminiert: ... auch diejenigen, die nicht mehr gerettet werden können, haben, solange es noch kein Gesetz zur Vernichtung lebensunwerten Lebens gibt, das Recht auf eine ihr Dasein erhaltende und freundlich gestaltete Fürsorge.

Auf Kleists Kritik reagierte das Reichsinnenministerium mit der Bildung einer Kommission, der neben dem Heidelberger Kollegen Kleists, Carl Schneider, ein Vertreter des Sicherheitsdienstes angehörte. Sie kam im April 1939 zu dem Ergebnis: ... dass die Geisteskranken einen Anspruch auf Pflege und Wartung nur insoweit haben, wie erforderlich ist, um nicht durch die Entstehung vorzeitigen Siechtums der Volksgemeinschaft noch höhere Kosten, als ohnehin vorauszusehen, zu verursachen. (zit. nach Faulstich, a.a.O.).

Ebenda.

Landesrat Bernotat, seinerzeit Dezernent des hessen-nassauischen Bezirksverbandes, war SS-Obergruppenführer.

Wilhelm Traupel, seinerzeit Landeshauptmann, war SS-Standartenführer (ebenda).

Die Forschung ist gegenwärtig noch nicht weit genug fortgeschritten, um die einzelnen Phasen der Euthanasie - voneinander unterschieden durch Merkmale der Opfer, der Täter, der beteiligten Organisationen, der Tatorte und der Tötungsmethoden - endgültig definieren zu können. Fest steht, dass die Euthanasie im Frühjahr 1939 mit der Tötung von Kindern begann; die damals geschaffene Form der Kinder-Euthanasie bestand bis Kriegsende fort; daher wird sie hier - soweit das System der Kinderfachabteilungen und des Reichsausschuss(es) zur wissenschaftlichen Erforschung erb- und anlagebedingter schwerer Leiden usw. gemeint ist - nicht als eine eigenständige, zeitlich definierte Epoche im Vernichtungsprozeß gewertet. Die in diesem Sinn erste Phase der Euthanasie setzte im ersten Kriegsmonat ein mit Massenerschießungen deutscher Anstaltsinsassen und -insassinnen an der Ostfront. Sie wird im zweiten Kriegsmonat fortgesetzt mit der ersten Vergasung polnischer Heimbewohner und -bewohnerinnen. In den sukzessive besetzten osteuropäischen Territorien nimmt die Euthanasie in den folgenden Jahren einen anderen Verlauf als im Altreich, da hier nicht nur die Patientenschaften, sondern auch das Personal der Krankenhäuser vergast und erschossen wird. Als zweite Phase wird hier die zum Jahreswechsel 1939/40 einsetzende und im August 1941 endende T4-Aktion (vgl. dazu Anm. 34) bezeichnet. Als dritte Phase, die von den Akteuren so bezeichnete Phase der wilden Euthanasie, d. h. der dezentral organisierten Krankenmorde nach Abschluß der T4-Aktion; zur wilden Euthanasie wird hier auch die gleichzeitig stattfindende Aktion 14 f 13 (vgl. Anm. 38), die sogenannte Häftlings-Euthanasie, gezählt. Unter der vierten und letzten Phase der Euthanasie wird hier die Aktion Brandt verstanden, deren Sonderanlagen ab Herbst 1942 geplant wurden und entstanden.

In Baden-Württemberg (Grafeneck), Brandenburg (Brandenburg), Sachsen (Sonnenstein) und Sachsen-Anhalt (Bernburg). Die fünfte Vergasungsanstalt lag in Österreich (Hartheim).

So genannt nach ihrem Leiter, dem Reichskommissar für das Sanitäts- und Gesundheitswesen Karl Brandt, der einer der Leibärzte Hitlers war.

Deren Insassen und Personal zuvor ermordet worden waren.

Quelle, op. cit., 1992.

Zu der sogenannten Treysaer Konferenz, die in der diakonischen Einrichtung Hephata stattfand, trafen sich die Spitzenvertreter evangelischer Fachkreise, um das Konzept der Vernichtung lebensunwerten Lebens zu diskutieren und um über geeignete Mittel zur Unterbindung der Fortpflanzung Minderwertiger zu befinden. Die Ergebnisse ihres Meinungs- und politischen Willensbildungsprozesses faßten sie in der Treysaer Erklärung zusammen.

Das Clementine-Kinderkrankenhaus Dr. Christsche Hospital in Frankfurt/M.

Die klinische Pädiatrie des Dr. Christ schen Kinderhospitals befand sich damals im Gebäude Hans-Thoma-Straße 24.

D. h. die hiesigen nachgeordneten Behörden der Reichsanstalt für Arbeit.

Belegt sind beispielsweise Verlegungen von Schülerinnen und Scnüiern der Haus- und Landwirtschaftsschule in Camberg/Ts. in die Zwischenanstalt Scheuern im Jahr 1943 (Faulstich, persönliche Mitteilung).

Von ihnen nicht geschützt wurden beispielsweise die Fürsorgezöglinge des Landeserziehungsheims Karlshof bei Wabern: sie wurden 1943 in die Zwischenanstalt Scheuern verlegt (Faulstich, persönliche Mitteilung). Vgl. dazu auch die als Erziehungsheim Hadamar getarnte sogenannte Mischlingsabteilung, in die kommunale Jugendämter Kinder zu ihrer Ermordung einwiesen, die einen als jüdisch klassifizierten Elternteil hatten (vgl. dazu Trus, op. cit., 1995, S. 225 - 230).

Einige erste Anhaltspunkte zum Frankfurter Beispiel vermittelt Daub, op. cit., 1992.

Deren Sitzungsprotokolle vergleichsweise gut archivarisch erschlossen und überliefert sind. Das Gebäude wurde im Krieg zerstört und danach nicht wieder aufgebaut.

Das Areal gehört heute zum Eingangsbereich der Philharmonie; mit einer in das Pflaster eingelassenen Platte wird seit Anfang der 90er Jahre der Menschen gedacht, die von dort in den Tod geschickt wurden (vgl. dazu Götz Aly (Hg.) op. cit., 1987).

Der seinerseits die zentrale These seiner Arbeit der von Walter Grode (op. cit., 1987) entnahm.

Das beim Inspekteur der Konzentrationslager beim Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei geführt wurde.

Die einzige Monographie, die dazu vorliegt, ist die außerordentlich verdienstvolle, aber bald zehn Jahre alte und daher ergänzungsbedürftige Arbeit von Grode, a.a.O.

Die Kenntnis dieser Zahlen muss aber vorausgesetzt werden, wenn man - um nur ein Beispiel zu nennen - eines Tages zu einer Einschätzung über den in Hessen dem Krankenmord entgegengesetzten Widerstand und seine praktischen Folgen gelangen will.

Mitscherlich, op. cit., 1985, S. 19.

Das Statement wurde für den Druck leicht überarbeitet und mit einigen Belegen versehen.