Alleinerziehende erzielen trotz überdurchschnittlicher Erwerbsbeteiligung offenbar kein ausreichendes Erwerbseinkommen

Alleinerziehende erzielen trotz überdurchschnittlicher Erwerbsbeteiligung offenbar kein ausreichendes Erwerbseinkommen. Eine spezielle Analyse der Haushalte mit jungen, 30- bis 39-jährigen Bezugspersonen belegt, dass Familien am stärksten von staatlichen Transferleistungen profitieren (vgl. Abbildung 42). Während Alleinlebende im Mittel die geringsten Sozialtransfers beziehen, steigen die Beträge bei den Familien in den neuen Ländern mit zunehmender Kinderzahl an.40 Im Unterschied zu den Paaren mit Kindern erhalten Alleinerziehende überdurchschnittlich hohe Transfers, insbesondere Sozialhilfe bzw. Wohngeld und Arbeitslosenhilfe. Offensichtlich sind Alleinerziehende trotz überdurchschnittlicher Erwerbsbeteiligung nicht in der Lage, ein Einkommen zu erzielen, das sie unabhängig macht von bedarfsorientierten Unterstützungen des Staates.

Abbildung 43: Anteil der Nettotransferempfänger im Altersquerschnitt 1998

Definition: Nettotransferempfänger = Haushalt, dessen Steuerzahlungen (Einkommensteuer incl. Solidaritätszuschlag) geringer sind als die steuerfinanzierten Transfers, die er erhält.

Quelle: Eigene Berechnungen aus EVS 1998 empirica

In Thüringen gibt es gut 40% mehr Nettotransferempfänger als im früheren Bundesgebiet. In ganz Deutschland sind bei 22% aller Haushalte die steuerfinanzierten Transfers höher als die persönlichen Steuerzahlungen.

Diese Haushalte werden als Nettotransferempfänger bezeichnet. Dabei fällt im früheren Bundesgebiet mit 21% etwa jeder fünfte Haushalt in diese Kategorie, in Thüringen mit 29% dagegen fast jeder Dritte bzw. 42% mehr als im früheren Bundesgebiet. Die höchsten Quoten der Nettotransferempfänger sind bei den Haushalten mit 30- bis 39-jähriger Bezugsperson und damit bei den Familien zu finden (vgl. Abbildung 43). Haushalte mit über 50-jähriger Bezugsperson gehören dagegen sehr selten zu den Nettotransferempfängern.

40 Die höheren Arbeitslosenhilfezahlungen an kinderreiche Familien in den neuen Ländern müssen im Zusammenhang mit der historisch bedingt höheren Erwerbsorientierung ostdeutscher Mütter gesehen werden (vgl. Kapitel III.3). 41 Betrachtet werden Einkommensteuer inkl. Solidaritätszuschlag.

Materialband zum 3. Thüringer Sozialbericht64

Charakteristika der Einkommensstrukturen einer Übergangsgesellschaft

Höhere Einkommensmobilität als im früheren Bundesgebiet ­ Armut geht vorüber

Im Übergang zur Marktwirtschaft hohe Einkommensmobilität in der unteren Einkommensschicht. Eine Analyse der Einkommensmobilität deutscher Haushalte ist im Rahmen der vorliegenden Daten leider nicht möglich. Dazu sind Paneldaten notwendig wie sie in Deutschland ausschließlich im Rahmen des Sozioökonomischen Panels (SOEP) in halbwegs ausreichender Form zur Verfügung stehen. Hanesch et al. (2000) haben die im SOEP erfassten Haushalte untersucht und stellten eine recht hohe Einkommensmobilität selbst bei den unteren Einkommensschichten fest (vgl. Tabelle 19). Dazu wurden alle Haushalte in fünf Klassen eingeteilt, wobei in der ersten Klasse die 20% einkommensschwächsten, in der zweiten Klasse die weniger einkommensschwachen usw. und in der obersten Klasse die 20% einkommensstärksten Haushalte eingeordnet wurden. Innerhalb von nur 12 Monaten hat dann mit 35% immerhin ein gutes Drittel der Haushalte aus der untersten Einkommensklasse ­ die einkommensärmsten 20% aller Haushalte ­ seine Position verbessert: die meisten davon (21%) sind zwar nur eine Klasse höher gestiegen, aber mehr als jeder zehnte aus der untersten Klasse hat einen Sprung um mindestens zwei Klassen in das dritte Quintil oder höher geschafft.

Am Ende der Umbruchphase rückläufige Einkommensmobilität. Insbesondere für die neuen Länder stellen Hanesch et al. (2000) eine sehr ausgeprägte Einkommensdynamik fest. Zwar hat sich diese bis Mitte der 90er Jahre erwartungsgemäß verringert, und der dauerhafte Verbleib im jeweiligen Quintil nimmt zu, dennoch wird eine erstaunlich hohe Mobilität für das unterste Quintil konstatiert, wo der dauerhafte Verbleib in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts sogar zurückgeht (vgl. Tabelle 20). Zu ähnlichen Ergebnissen kommen Wagner und Krause (2001), wobei hier stärker die Zunahme der Stabilität im unteren und mittleren Einkommensbereich und das gestiegene Risiko aus einer höheren Einkommensposition permanent zurückzufallen betont wird.

Auf- und Abstieg in der Einkommenshierarchie werden durch den Erwerbsstatus bestimmt. Die größte Bedeutung für die Einkommensmobilität haben Änderungen der Erwerbskarrieren einzelner Haushaltsmitglieder, Änderungen beim Bezug von Transfers und Änderungen des haushaltsspezifischen Bedarfs. Analysen auf Basis des Niedrigeinkommenspanels (NIEP) zeigen, dass für eine verbesserte Einkommenssituation in erster Linie die Ausweitung oder die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit relevant ist.42 Umgekehrt werden im Zeitablauf fallende Einkommen durch Wegfall von Bezügen aus einer Erwerbstätigkeit verursacht, die dann durch Sozialleistungen nicht vollständig kompensiert werden können.

42 Vgl. Kortmann und Sopp (2001). Materialband zum 3. Thüringer Sozialbericht 65

Geringere Lohnspreizung im früheren Bundesgebiet ­ es fehlen die Reichen Mangel an höherwertigen Arbeitsplätzen belastet das Einkommensniveau in Thüringen. In den neuen Ländern ­ und damit auch in Thüringen ­ streuen die Einkommen weniger stark als im früheren Bundesgebiet (vgl. Abschnitt 4.1.1). Eine nahe liegende Erklärung für diese Beobachtung stützt sich auf die hohe Arbeitslosigkeit und damit auf das reichlich vorhandenen Potential an Fachkräften. Das DIW stellte bei der Auswertung der Verdienststatistik aber einen weiteren erstaunlichen Befund fest. Demnach ist der Grad der Anpassung an das westdeutsche Gehaltsniveau zumindest innerhalb der Leistungsgruppen der Angestellten einiger Branchen höher als bei der Gesamtheit der Angestellten.43 Diese Beobachtung wird darauf zurückgeführt, dass die Beschäftigungsstruktur in den neuen Ländern stark von der im früheren Bundesgebiet abweicht ­ und zwar in der Weise, dass einfache Tätigkeiten weitaus stärker vertreten sind und dispositive Tätigkeiten in den neuen Ländern eine vergleichsweise geringe Bedeutung haben. Die Muttergesellschaften haben ihren Hauptsitz dagegen meist im früheren Bundesgebiet oder im Ausland. Den Betrieben in den neuen Ländern sind zu einem großen Teil nur ausführende, nachgelagerte Funktionen zugefallen; die Headquarter-Funktionen (Management, Marketing, Forschung und Entwicklung) der Unternehmen werden größtenteils im früheren Bundesgebiet ausgeübt. Damit ist der Lohnrückstand in den neuen Ländern nicht (nur) auf ein niedrigeres Lohnniveau, sondern (auch) auf einen Rückstand bei den höherwertigen und gut bezahlten Arbeitsplätzen zurückzuführen.

Geringere Einkommen in Thüringen hauptsächlich wegen fehlender Spitzenverdiener. Das Statistische Bundesamt weist nach einer Analyse des Sozioökonomischen Panels (SOEP) darauf hin, dass die Einkommen im unteren Einkommensbereich in den neuen Ländern und im früheren Bundesgebiet etwa gleichauf liegen und die im Mittel geringeren Einkommen in den neuen Ländern vor allem auf einer schwächeren Besetzung der höheren Einkommenspositionen beruhen (Datenreport 1999). Diesen Zusammenhang kann man auch auf eine andere Weise darstellen (vgl. Abbildung 44). Dazu werden sukzessive nur diejenigen Haushalte betrachtet, die ein bestimmtes monatliches Nettoeinkommen nicht überschreiten. Die jeweils resultierenden (abgeschnittenen) Einkommensverteilungen werden dann für Thüringen und für das frühere Bundesgebiet miteinander verglichen. Lesebeispiel (neue Länder; erste, fünfte und zehnte Zeile): 66% aller Haushalte in den neuen Ländern waren in den Jahren 1991­1994 nie im obersten Quartil, 19% waren in einem oder zwei Jahre dort und 15% in drei oder in allen vier betrachteten Jahren. Nur 13% aller Haushalte aus den neuen Ländern waren Anfang der 90er die allermeiste Zeit (3 oder 4 Jahre) im untersten Quartil, Ende der 90er Jahre sogar nur noch 11%; d.h., die meisten haben es geschafft, zumindest zeitweise in eine höhere Einkommensschicht vorzudringen.