Staatshaftungsansprüche

Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil vom 12. Dezember 2002 (AZ: III ZR 201/01) den Leitsatz begründet, dass die Verletzung von Aufsichtspflichten (hier: Genehmigung eines von der Gemeinde abgeschlossenen Rechtsgeschäfts) Amts- oder Staatshaftungsansprüche der Gemeinde gegen die Aufsichtsbehörde auslösen können.

Ich frage die Landesregierung:

1. Wie bewertet die Landesregierung das Urteil in Bezug auf die gesetzlichen Bestimmungen zur Arbeit der kommunalen Aufsichtsbehörden in Thüringen?

2. Welche genehmigungspflichtigen kommunalen Entscheidungen sind von diesem Urteil betroffen?

3. Inwieweit ist das Urteil auch auf welche genehmigungspflichtige Entscheidungen von kommunalen Zweckverbänden anzuwenden?

4. Welche Maßnahmen hält die Landesregierung in der Folge des oben genannten Urteils für erforderlich, und wie sollen diese Maßnahmen konkret umgesetzt werden?

5. Welche Kommunen und kommunalen Zweckverbände haben seit 1. Juli 1994 mit welcher Begründung und in welcher Größenordnung Amts- oder Staatshaftungsansprüche gegen Rechtsaufsichtsbehörden in Thüringen geltend gemacht, und wie wurden diese Ansprüche entschieden (Einzelaufstellung)?

6. Inwieweit haftet eine Rechtsaufsichtsbehörde, wenn durch eine Kreditgenehmigung bzw. Genehmigung kreditähnlicher Rechtsgeschäfte eine Kommune keinen ausgeglichenen Haushalt mehr beschließen kann?

7. Inwieweit haftet eine Rechtsaufsichtsbehörde, wenn mit rechtsaufsichtlicher Genehmigung eine kommunale Einrichtung geschaffen wurde, deren Bewirtschaftung zu dauerhaften Haushaltsdefiziten bei der betreffenden Kommune führt?

8. Inwieweit hat das oben genannte Urteil auf die Problematik Spaßbäder in Thüringen Auswirkungen, und wie wird diese Auffassung begründet?

9. Welche Amts- oder Staatshaftungsansprüche gegen Aufsichtsbehörden können entstehen, wenn bei kommunalen Zweckverbänden der Wasserver- und Abwasserentsorgung so genannte nicht betriebswirtschaftlich notwendige Kosten entstehen, die weder gebühren- noch beitragsfähig sind und somit bisher durch die Mitgliedsgemeinden als Verbandsumlage zu tragen waren?

Das Thüringer Innenministerium hat die namens der Landesregierung mit Schreiben vom 5. Juni 2003 wie folgt beantwortet:

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in seinem Urteil vom 12. Dezember 2002 ein Urteil des Oberlandesgerichts Dresden bestätigt, durch das ein Landkreis als Träger der Kommunalaufsicht zum Schadensersatz verurteilt wurde, weil er eine für die Kommune wirtschaftlich ungünstige Finanzierung zum Bau einer Sporthalle genehmigt hatte.

Zu 1.: Die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs und des Oberlandesgerichts Dresden ergingen auf der Grundlage des sächsischen Kommunalrechts. Sie erlauben insbesondere mit Blick auf das unterschiedliche Kommunalrecht in den Ländern keine dazu, inwieweit Verletzungen der vielgestaltigen kommunalaufsichtlichen Amtspflichten Schadensersatzansprüche von Gemeinden auslösen. Das Thüringer Kommunalrecht unterscheidet sich vom sächsischen Kommunalrecht in wesentlichen Punkten. So hat z. B. der Gesetzgeber in Thüringen bei der letzten Novellierung der Thüringer Kommunalordnung in § 117 Abs. 1 klargestellt, dass die Rechtsaufsicht in Thüringen im staatlichen Interesse erfolgt und dadurch keine Schutzwirkung zugunsten der Kommunen im Sinne des Haftungsrechts entfaltet.

Zu 2.: Es wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen. Bei den Urteilen des Bundesgerichtshofs und des Oberlandesgerichts Dresden handelt es sich um Entscheidungen zu einer speziellen Fallkonstellation.

Zu 3.: Es wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen.

Zu 4.: Die wirksamste Maßnahme ist die Schadensvermeidung an der Quelle. Um dies zu erreichen, wirkt das Thüringer Innenministerium unter anderem permanent auf eine qualitative Verbesserung der Personalstruktur in den Kommunalverwaltungen hin, z. B. durch die konsequente Durchsetzung des Funktionsvorbehalts nach Artikel 33 Abs. 4 des Grundgesetzes.

Des Weiteren wurde das BGH-Urteil vom Dezember 2002 zum Anlass genommen, die Frage der Amtshaftung der Kommunalaufsichtsbehörden grundsätzlich zu prüfen und mit den Innenministerien der Länder zu erörtern. Es ist davon auszugehen, dass die Kommunalaufsicht in Zukunft Genehmigungstatbestände besonders sorgfältig prüft.

Zu 5.: Nach vorliegenden Kenntnissen wurden bzw. werden von Thüringer Kommunen seit dem 1. Juli 1994 folgende Amtsoder Staatshaftungsansprüche wegen Amtspflichtverletzung der Rechtsaufsichtsbehörde geltend gemacht:

a) Die Gemeinde Ettersburg begehrt Schadensersatz, weil die Kommunalaufsicht den früheren Bürgermeister nicht daran gehindert habe, rechtswidrige Verträge abzuschließen. Der Sachverhalt wird derzeit aufgearbeitet.

b) Die Gemeinde Nahetal-Waldau hat Schadensersatz geltend gemacht, weil sie aus einer rechtsaufsichtlich genehmigten Bürgschaft über sechs Millionen Deutsche Mark in Anspruch genommen worden ist.

Der Vorgang wurde durch Vergleich zwischen der Gemeinde Nahetal-Waldau und dem Freistaat Thüringen abgeschlossen, in dem der Freistaat Thüringen eine Teilentschuldung in Höhe von 1 533 870 Euro (3 Millionen Deutsche Mark) vornahm. Die Gemeinde Nahetal-Waldau verpflichtete sich, unabhängig von einem Antrag auf Gewährung einer Bedarfszuweisung, die Voraussetzungen nach Ziffer 1 Nr. 2 der Verwaltungsvorschriften über die Gewährung von Bedarfszuweisungen nach § 24 des Thüringer Finanzausgleichsgesetzes bis zum 30. Juni 2003 zu schaffen. Gleichzeitig verzichtete die Gemeinde Nahetal-Waldau auf die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen den Freistaat Thüringen.

c) Die Stadt Eisfeld wurde als Rechtsnachfolgerin der Gemeinde Waffenrod aus drei rechtsaufsichtlich genehmigten Bürgschaften über 6,6 Millionen Deutsche Mark, 2,5 Millionen Deutsche Mark und 200 000 Deutsche Mark in Anspruch genommen. Die Haftungssumme einschließlich angelaufener Zinsen und Gerichtskosten betrug zirka 13,5 Millionen Deutsche Mark.

Der Vorgang wurde durch Vergleich zwischen dem Freistaat Thüringen und der Stadt Eisfeld abgeschlossen, in dem der Freistaat Thüringen eine Teilentschuldung in Höhe von insgesamt 6 231 770,14 Deutsche Mark vornahm.

Dabei erklärte sich die Stadt Eisfeld bereit, die Voraussetzungen für die Gewährung von Bedarfszuweisungen nach Ziffer 1 Nr. 2 der Verwaltungsvorschriften über die Gewährung von Bedarfszuweisungen nach § 24 bis zum 31. Dezember 1999 zu schaffen. Gleichzeitig verzichtete die Stadt Eisfeld darauf, Schadensersatzansprüche gegen den Freistaat geltend zu machen.

d) Die Verwaltungsgemeinschaft Mittleres Nessetal hat gegen das Land einen Schadensersatzanspruch in Höhe von 149 065,12 Deutsche Mark geltend gemacht. Dem lag folgender Sachverhalt zu Grunde.

Durch das Thüringer Gemeindeneugliederungsgesetz wurde die Verwaltungsgemeinschaft Nessetal zum 1. Januar 1997 aufgelöst. Die Mitgliedsgemeinden der aufgelösten Verwaltungsgemeinschaft Nessetal wurden den Verwaltungsgemeinschaften Mittleres Nessetal und Hörsel zugeordnet.

Das Verwaltungsgericht Weimar hatte einen Bescheid des Landratsamts Gotha vom 28. April 1997, mit dem der ehemalige Gemeinschaftsvorsitzende der aufgelösten Verwaltungsgemeinschaft Nessetal wegen fehlender Verwendungsmöglichkeit in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden sollte, aufgehoben. Das Gericht hatte darauf hingewiesen, dass eine Übernahmeverfügung durch die die übernehmende Körperschaft (Verwaltungsgemeinschaft Mittleres Nessetal oder Verwaltungsgemeinschaft Hörsel) festzusetzen gewesen wäre, fehlte. Des Weiteren sei die aufnehmende Verwaltungsgemeinschaft und nicht das Landratsamt für die Versetzung in den einstweiligen Ruhestand zuständig. Das Urteil des Verwaltungsgerichts wurde durch das Thüringer Oberverwaltungsgericht bestätigt.

Aufgrund der oben genannten Urteile hat die Verwaltungsgemeinschaft Mittleres Nessetal den ehemaligen Gemeinschaftsvorsitzenden der Verwaltungsgemeinschaft Nessetal erst im Juli 1999 zunächst übernommen und dann in den einstweiligen Ruhestand versetzt.

Die Gewährung eines Schadensersatzanspruchs wegen fortbestehender Ansprüche des ehemaligen Gemeinschaftsvorsitzenden auf aktive Bezüge wurde abgelehnt, weil nach § 128 Abs. 2 und § 129 Abs. 3 des Beamtenrechtsrahmengesetzes die Verwaltungsgemeinschaften für den versäumten Erlass der Übernahmeverfügung die Verantwortung tragen.

e) Die Stadt Ronneburg hat in Höhe von rund zehn Millionen Euro Schadensersatzansprüche gegen den Freistaat Thüringen geltend gemacht, weil sie in dieser Höhe aus einer kommunalaufsichtlich genehmigten Bürgschaft in Anspruch genommen wurde. Das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen.

Die Fragen 6 bis 9 werden zusammenhängend beantwortet:

Zu 6. bis 9.: Dies ist vom Einzelfall abhängig. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen.