Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf

Für Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf stellt der Übergang von der Schule in eine Ausbildung und das Erwerbsleben eine ganz besondere Herausforderung dar.

Ich frage die Landesregierung:

1. Wie fördert die Schule die Vorbereitung auf Ausbildung und Berufsleben unter Berücksichtigung sonderpädagogischen Förderbedarfs?

2. Auf welche außerhalb der Schule bestehenden Informations- und Beratungsmöglichkeiten zu Ausbildung und Erwerbsleben können Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf sowie ihre Eltern zurückgreifen?

3. Welche Ausbildungsmöglichkeiten bestehen in Thüringen unter Berücksichtigung der Behinderungsart?

4. Welche Bedeutung haben je nach Behinderungsart Angebote in anderen Bundesländern?

5. Wie beurteilt die Landesregierung unter Berücksichtigung der Behinderungsart das Verhältnis von Angebot und Nachfrage bei der Ausbildung?

6. Welche statistischen Erkenntnisse liegen der Landesregierung über die Vermittlung von jungen Menschen mit Behinderungen, die über eine abgeschlossene Berufsausbildung verfügen, in den ersten Arbeitsmarkt vor?

7. Welche Beschäftigungsmöglichkeiten bestehen für junge Menschen, die aufgrund ihrer Behinderung keinen Berufsabschluss bzw. keinen Arbeitsplatz erhalten?

8. Durch welche gesetzlichen Regelungen wird und Beschäftigung junger Menschen mit Behinderungen besonders unterstützt?

9. Welche maßgeblichen Gremien, Einrichtungen bzw. Verbände wirken innerhalb und außerhalb Thüringens am Informationsaustausch bzw. an der inhaltlichen Weiterentwicklung der Problematik mit?

10. Welche Möglichkeiten sieht die Landesregierung für junge Menschen mit Behinderungen, die nicht in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt wurden, ein selbstbestimmtes Leben zu führen sowie am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen?

9. Oktober 2003

Das Thüringer Kultusministerium hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 30. September 2003 wie folgt beantwortet:

Zu 1.: Das Kultusministerium hat im Förderschulbereich Maßnahmen eingeleitet, die die schulische Wirklichkeit verstärkt auf die Unterstützung der Berufswahlvorbereitung durch praktisches Lernen und Handeln richten.

Mit dem Schuljahr 2000/2001 begann der Schulversuch Praktische Berufsorientierung ab Klassenstufe 5, in dem besonders durch veränderte Unterrichtsformen die Eigenständigkeit des Lernens und die gezielte Berufs- und Lebensvorbereitung entwickelt werden sollen. Zehn Förderschulen sind daran beteiligt.

Seit dem Schuljahr 2000/2001 haben 17 Förderschulen im Projekt Berufswahl- und Lebensvorbereitung mit Berufsausbildungszentren, Reha-Einrichtungen, Bildungswerken etc. kooperiert und ermöglicht, dass die Schüler im berufswahlvorbereitenden Unterricht vornehmlich in den Klassenstufen 8 und 9 sich in verschiedenen Berufsfeldern ausprobieren können und somit einer späteren erleichtert wird. Zusätzlich unterstützen die Schulen damit gemeinsam mit den Kooperationspartnern die Diagnose zur beruflichen Reife und Eignung und entlasten somit die Arbeitsverwaltung. Die Förderung erfolgte einmalig durch das Kultusministerium mit insgesamt 150 000 Deutsche Mark.

Die Rückläufe aus den im Projekt geförderten Schulen zeigen, dass dieser Weg für alle Beteiligten von Vorteil ist.

Schüler - lernen Ausbildungsstätten kennen

- lernen verschiedene Berufsfelder kennen

- erfahren Eignung für Berufsfelder

- verinnerlichen Werte durch veränderte soziale Einbindung Schule - kooperiert mit der Arbeitswelt

- verändert Methoden des Lernens durch praktisches Handeln

- entwickelt sich durch Projekt- und Teamarbeit Berufseinrichtungen - lernen spätere Auszubildende kennen

- erfahren Anspruch und Qualität der Schule

- bekommen motivierte und geeignete Auszubildende (Abbrecherquote wird sinken) Aktivitäten weiterer Förderschulen:

- acht Schulen verlagern wöchentlich einmal den berufswahlvorbereitenden Unterricht in Berufsausbildungseinrichtungen als Praxistage oder in Praxis erleben (Maßnahme der Jugendberufshilfe),

- sechs Schulen kooperieren mit Partnern der Wirtschaft,

- vier Schulen führen Schnupperkurse in Berufsausbildungseinrichtungen durch,

- eine Schule ist im Projekt Suche nach Berufswegen im vereinten Deutschland,

- eine Schule ist im Projekt Berufsvorbereitendes Betriebspraktikum (BVBP 2001) mit Übernahme in ein betriebliches Ausbildungsverhältnis.

Im Bereich der praxisorientierten Berufswahlvorbereitung werden ab dem Schuljahr 2003/2004 auf der Grundlage der Richtlinie für die Gewährung von Zuwendungen aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds und/oder des Freistaats Thüringen zur Förderung von Maßnahmen der praxisorientierten Berufswahlvorbereitung, der Stärkung der Ausbildungsfähigkeit und zur Förderung von Maßnahmen des lebenslangen Lernens vom 28. April 2003 die Klassenstufen 8 und 9 fast aller Förderschulen mit den Bildungsgängen Lernförderung und Regelschule in Kooperation mit Trägern von Berufsbildungseinrichtungen 30 bzw. 20 Praxistage verteilt auf das gesamte Schuljahr beim Träger verschiedene Berufsfelder durchlaufen. Ergänzt durch das Betriebspraktikum im favorisierten Berufsfeld sollen die Jugendlichen realistische Berufsbilder entwickeln. Ein zielgenauer Übergang von der Förderschule in die Berufsausbildung ist das Ziel dieser Maßnahme.

Zu 2.: Auf folgende außerhalb der Schule bestehende Informations- und Beratungsmöglichkeiten zu Ausbildung und Erwerbsleben können Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf sowie deren Eltern zurückgreifen:

- Arbeitsamt, hier besonders das Berufsinformationszentrum

Für Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf steht ein Rehabilitationsberater zur Verfügung. Jede Förderschule hat im Arbeitsamt einen festen Berufsberater, der Ansprechpartner, Berater und Unterstützer für Schüler, Eltern und Lehrer ist.

- Staatliches Schulamt, Referat Förderschule und Berufsbildende Schule

- Berufsbildungszentren in freier Trägerschaft

- Servicestellen für Rehabilitation

- Internet (Berufsbildungswerke [www.bagbbw.de], Rehabilitation [www.rehadat.de], Bundesarbeitsgemeinschaft der Wohnortnahen Beruflichen Rehabilitation [www.bag-wbr.de])

- Beratung der Eltern durch die einzelnen Rehabilitationsträger nach §§ 13 bis 15 des Ersten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB I)

- Frühförderstellen des Freistaats Thüringen (Anzahl 37)

- Sozialpädiatrische Zentren (SPZ, Anzahl 4)

- Familienentlastende Dienste (FED)

- Beratungsstellen für Menschen mit Behinderungen

Zu 3.: Für behinderte Jugendliche gemäß § 19 des Dritten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB III) bzw. § 2 Abs. 1 des Neunten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB IX) stehen grundsätzlich alle Schulformen der berufsbildenden Schulen offen.An jeder Berufsschule im Freistaat Thüringen besteht die Möglichkeit, nach Prüfung der personellen und sächlichen Gegebenheiten, behinderte Jugendliche entsprechend ihren Fähigkeiten und Neigungen unter Berücksichtigung des Ausbildungsprofils der Berufsschule auszubilden. Je nach Art und Schwere der Behinderung gelten entweder die regulären Ausbildungsordnungen für anerkannte Ausbildungsberufe (§§ 25 Berufsbildungsgesetz oder die besonderen Ausbildungsregelungen für Behinderte (§ 48 42b Jugendliche und junge Erwachsene mit sonderpädagogischem Förderbedarf werden je nach Art und Schwere ihrer Beeinträchtigung in eigenen Fachklassen - Förderberufsschulklassen - oder in Regelberufsschulklassen unterrichtet. Sind Betriebe und Berufsschulen jedoch nicht in der Lage, behinderte Jugendliche so auszubilden und entsprechend individuell zu betreuen, dass die Berufsausbildung erfolgreich abgeschlossen werden kann und die Stabilisierung der Persönlichkeit des Behinderten und seine soziale/gesellschaftliche Integration gelingt, bestehen je nach Art und Schwere der Behinderung Berufsausbildungsmöglichkeiten in den Berufsbildungswerken bzw. Berufsförderungswerken.

Bei den Berufsbildungswerken handelt es sich um überregionale Einrichtungen. Entfernt wohnende Jugendliche werden in einem angegliederten Internat untergebracht.

Bundesweit stehen rund fünfzig Berufsbildungswerke für behinderte Jugendliche zur Verfügung. Berufsbildungswerke für Blinde und Sehbehinderte befinden sich in Chemnitz, Soest und Stuttgart. Jedes Berufsbildungswerk bietet unterschiedliche Berufsfelder und Berufe an.

Die Berufsbildungswerke sind auf junge Menschen mit Lernbehinderungen, Sinnesbehinderungen, Körperbehinderungen, psychischen Behinderungen und Mehrfachbehinderungen vorbereitet und bilden in insgesamt über 190 Berufen aus.

In Thüringen befindet sich in Gera das CJD Berufsbildungswerk Gera Ausgebildet wird in Gera in den Berufsfeldern Agrarwirtschaft, Bautechnik, Elektrotechnik, Ernährung und Hauswirtschaft, Farbtechnik und Raumgestaltung, Holztechnik, Metalltechnik, Wirtschaft und Verwaltung in 30 Berufen.

Das CJD Berufsbildungswerk Gera ist auf Lernbehinderte, Körperbehinderte und psychisch Behinderte eingestellt.

Weitere Einrichtungen für eine Ausbildung Jugendlicher mit Behinderung sind in Thüringen:

- Sondershäuser Bildungsverein e. V.,

- FöBi - Verein zur Förderung und Bildung lernbehinderter Jugendlicher e. V. Gotha,

- Jugendförderungswerk Erfurt - Bildungszentrum Saalfeld - Sachgebiet Reha-Ausbildung,

- Bildungs-Center Südthüringen e. V. Zella-Mehlis.

Das Förderschulgesetz Thüringens, die Schulordnung für die Berufsschule sowie die Verwaltungsvorschrift für das jeweilige Schuljahr berücksichtigen die berufliche Bildung behinderter Jugendlicher in Förderberufsschulen besonders:

a) Bildung von Klassenverbänden von sechs bis elf Schülern,

b) im Rahmen der wöchentlichen Pflichtstunden zwei Stunden Förder-/Ergänzungsunterricht,

c) Bildung von gegebenenfalls klassenübergreifenden Lerngruppen mit einer Schülermindestzahl von sechs. Ausgehend von dem Grundsatz Integration vor Separation und den in der neuen Förderschulordnung definierten Rahmenbedingungen zur Verbesserung der Integration behinderter Kinder in der Schule soll der Unterricht für behinderte Jugendliche einschließlich der sonderpädagogischen Fördermaßnahmen grundsätzlich auch an berufsbildenden Schulen gemeinsam mit Nichtbehinderten erfolgen. Bevor eine Ausbildung nach besonderen Regelungen für Behinderte ins Auge gefasst wird, ist stets zu prüfen, ob - mit entsprechender Ausstattung (Technische Hilfen), ausbildungsbegleitenden Hilfen Prüfungsmodifikationen, Ausbildungserleichterungen (z. B.Verlängerung - eine Ausbildung nach der regulären Ausbildungsordnung möglich ist.

Zu 4.: Die geringe Schülerzahl bei einigen Behinderungsarten macht es erforderlich, besondere Einrichtungen zur beruflichen Bildung zu schaffen oder weiterzuführen, die mehrere Länder oder das ganze Bundesgebiet zum Einzugsgebiet haben (gemäß Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 20. Juni 1997 Empfehlungen zur beruflichen Bildung Behinderter einschließlich der Liste Einrichtungen [länderübergreifende], die speziell der beruflichen Bildung Behinderter dienen, in den Ländern in der Bundesrepublik Deutschland). Die genannte Liste der Einrichtungen der Länder wird alle zwei Jahre fortgeschrieben und sichert Behinderte Jugendliche in Thüringen können diese länderübergreifenden Einrichtungen nutzen. So existieren z. B. das Berufsbildungswerk Leipzig für Hör- und Sprachgeschädigte, das Berufsbildungswerk Chemnitz für Blinde und Sehgeschädigte und das Ausbildungszentrum Essen für Gehörlose.

Zu 5.: Für behinderte Jugendliche gibt es nach unseren Erkenntnissen ein Die Arbeitsämter schreiben jährlich bedarfsorientiert entsprechende Maßnahmen aus.

Zu 6.: Daten, die der Fragestellung vollständig entsprechen, werden nicht erhoben.

Für die Berufsbildungswerke, die den größten Teil der jungen behinderten Menschen ausbilden, wurde 2000 eine (nach Berufsfeldern unterschiedliche) Eingliederungsquote zwischen 62 Prozent und 85 Prozent festgestellt.

Vom Abgangsjahrgang 2001 waren zum Zeitpunkt der Erhebung mehr als zwei Drittel der rund 2 500 Absolventen berufstätig. Die anderen besuchten eine weiterführende Schule, leisteten Wehr- oder Zivildienst oder waren im eigenen Haushalt tätig.

Zu 7.: Jugendliche und junge Erwachsene mit sonderpädagogischem Förderbedarf in der geistigen Entwicklung können in der Regel aufgrund ihrer geistigen und körperlichen Behinderung keine Berufsausbildung aufnehmen. Diese jungen Menschen wechseln nach Erfüllung ihrer zwölfjährigen Schulpflicht in die Werkstatt für Behinderte, wo sie eine dem Leistungsvermögen entsprechende Beschäftigung erhalten.

In Thüringen stehen hierfür 30 Werkstätten mit weiteren angegliederten Betriebsstätten. Das Netz dieser Einrichtungen ist dicht geknüpft, in jedem Landkreis bzw. jeder kreisfreien Stadt wird diese Einrichtungsart vorgehalten.

Zu 8.: Rechtsgrundlage ist das Neunte Buch Sozialgesetzbuch Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen und der § 48 bzw. § 42b Zu 9.: Maßgebliche Gremien, Einrichtungen bzw. Verbände sind zum Beispiel:

- der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen,

- die Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für Behinderte,

- die Bundesarbeitsgemeinschaft der Berufsbildungswerke,

- das Bundesinstitut für Berufsbildung mit dem Ausschuss für Fragen behinderter Menschen,

- die Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation,

- die Hessisch-Thüringische Arbeitsgemeinschaft der Einrichtungen zur beruflichen Rehabilitation.