Gegen wie viele Jugendliche in Thüringen wurde von 1999 bis 30 Juni 2003 Unterbringung in UHaft

Welche Möglichkeiten und Grenzen sieht die Landesregierung in der Unterbringung Jugendlicher in geeigneten Heimen der Jugendhilfe gemäß § 71 Abs. 2 des Jugendgerichtsgesetzes (JGG)?

2. Mit welchen entsprechenden Einrichtungen in Thüringen unterhält die Landesregierung Vereinbarungen zur Kostenerstattung?

3. Gibt es darüber hinaus weitere geeignete Einrichtungen in Thüringen?

4. Gegen wie viele Jugendliche in Thüringen wurde von 1999 bis 30. Juni 2003 Unterbringung in U-Haft angeordnet?

5. Wie viele Jugendliche wurden im gleichen Zeitraum in geeignete Heime der Jugendhilfe gemäß § 71 Abs. 2 JGG eingewiesen?

6. In welcher Form wurden und werden Jugendrichtern und Jugendstaatsanwälten die vorhandenen Einrichtungen und deren Möglichkeiten bekannt gemacht?

Das Thüringer Justizministerium hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 19. Dezember 2003 wie folgt beantwortet:

Zu 1.: Mit Blick auf den Gesamtkontext der Fragestellungen beziehen sich die Ausführungen auf die §§ 71 Abs. 2 und 72 Abs. 4 des Jugendgerichtsgesetzes (JGG): Untersuchungshaft soll gegen einen Jugendlichen nur verhängt werden, wenn ihr Zweck - Gewährleistung der Durchführung eines geordneten Strafverfahrens und Sicherstellung der Vollstreckung eines auf Jugendstrafe oder freiheitsentziehende Sicherungsmaßregel lautenden Urteils - nicht durch andere Maßnahmen erreicht werden kann (§ 72Abs. 1 JGG).Als alternative Maßnahme kommt die Unterbringung in einem Heim der Jugendhilfe in Betracht (§ 72 Abs. 4 JGG).

Das Verfahren zur Anordnung und Durchführung einer Untersuchungshaftvermeidung wird in Thüringen in der Vereinbarung des Justizministeriums und des Ministeriums für Soziales und Gesundheit über Grundsätze der Unterbringung in Einrichtungen der Jugendhilfe gemäß § 71 Abs. 2 und § 72 Abs. 4 Jugendgerichtsgesetz vom 7. September 1993 geregelt (Thüringer Staatsanzeiger 1993, Nr. 40 S. 1695 ff.).

Die Unterbringung gemäß §§ 71, 72 JGG bis zur anstehenden Hauptverhandlung geschieht zunächst mit der Maßgabe, die Jugendlichen vor einer weiteren Gefährdung ihrer Entwicklung zu bewahren und Möglichkeiten und Wege für ein straffreies Leben aufzuzeigen und gemeinsam mit den Jugendlichen anzubahnen. Es werden konkrete Perspektiven für ihren weiteren Lebensweg erarbeitet. Dazu gehören insbesondere auch die schulischen und beruflichen Möglichkeiten. Ziele der U-Haftvermeidung sind u. a. die Vermeidung bzw. Verminderung von Haftschäden, die Einbeziehung von sozialen Bindungen, die Ermittlung des Erziehungs- bzw. Hilfebedarfs im Sinne des Achten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VIII), die aktive Beteiligung des Jugendlichen bzw. Heranwachsenden am Hilfeprozess sowie eine Vorbereitung des Jugendlichen auf die Hauptverhandlung.

Dabei bestimmt jeweils der konkrete Straftatbestand und der individuelle Hilfebedarf der/des Jugendlichen die Geeignetheit und Notwendigkeit einer Maßnahme zur Vermeidung von Untersuchungshaft.

Zu 2.: Die Kosten der einstweiligen Unterbringung in einer Einrichtung der Jugendhilfe nach §§ 71, 72 JGG sind Auslagen des Strafverfahrens (Richtlinien zu § 74 JGG Nr. 4 Anlage 1 Nr. 9011 zu § 11 Abs. 1 Gerichtskostengesetz). Sie sind dem Träger der Jugendhilfeeinrichtung von der Justizverwaltung nach der Vereinbarung des Justizministeriums und des Ministeriums für Soziales, Familie und Gesundheit über Grundsätze der Unterbringung in Einrichtungen der Jugendhilfe gemäß § 71 Abs. 2 und § 72 Abs. 4 JGG vom 7. September 1993 in dem Umfang zu erstatten, wie sie nach Jugendhilferecht als notwendig anerkannt werden.

Die Einrichtungen, welche Leistungen nach §§ 71, 72 JGG anbieten und für welche die oben beschriebenen Vereinbarungen über die Kostenerstattung Anwendung findet, sind unten bei den Ausführungen zu Frage 5 benannt.

Zu 3.: Über die zur Beantwortung der Frage 5 erstellte Aufstellung hinaus bestehen in Thüringen keine weiteren Einrichtungen, welche für Maßnahmen der Vermeidung von Untersuchungshaft geeignet sind und im Rahmen der Betriebserlaubnis über Plätze gemäß §§ 71, 72 JGG verfügen. Zurzeit wird keine Notwendigkeit gesehen, weitere Plätze in anderen Einrichtungen vorzuhalten.

Zu 4.: In der Zeit zwischen dem 1. Januar 1999 und dem 30. Juni 2003 wurde gegen insgesamt 570 Jugendliche Untersuchungshaft angeordnet. Dezember des jeweiligen Jahres) gesetzlich keine Meldepflicht für die Einrichtungen im Zusammenhang mit Maßnahmen der U-Haftvermeidung besteht, können in der Kürze der Zeit keine Angaben für den besagten Zeitraum von 1999 bis 2003 gemacht werden. Die Einrichtungen müssten zur Beantwortung dieser Frage jeweils angeschrieben und um Zusammenstellung der Daten gebeten werden. Mit einer verlässlichen Zusammenstellung der Daten dürfte erst in einigen Monaten zu rechnen sein.

Zur Beantwortung dieser Anfrage wurden die Belegung zum Stichtag 28. November 2003 sowie die Zahl der durch die Jugendrichter eingewiesenen Jugendlichen für das Jahr 2003 vom Landesamt für Soziales und Familie (LASF) fernmündlich ermittelt und in nachstehender Tabelle zusammengestellt (siehe auch Fragen 2 und 3).:

Das Landesamt für Familie und Soziales prüft grundsätzlich jährlich alle genannten Einrichtungen hinsichtlich der zur Verfügung stehenden Kapazitäten für Maßnahmen der U-Haftvermeidung. Neu hinzukommende Einrichtungen werden in die Liste übernommen bzw. Einrichtungen, deren Eignung für Maßnahmen der U-Haftvermeidung aus bestimmten Gründen nicht mehr (fort)bestehen, aus der Liste herausgenommen. Diese aktualisierte Aufstellung wird dem Ministerium für Soziales, Familie und Gesundheit zur Verfügung gestellt, welches seinerseits das Justizministeriums informiert.

Die jährlich aktualisierte Liste der vorhandenen Einrichtungen mit ihrem Leistungsumfang wird den Jugendstaatsanwälten, den Jugendrichtern und auch den Mitarbeitern der Jugendgerichtshilfe in den örtlichen Jugendämtern bekannt gemacht.

Ergänzend hierzu gab es in der Vergangenheit zahlreiche Aktivitäten unter Beteiligung des Landesamts für Familie und Soziales, in deren Rahmen u. a. die U-Haftvermeidung thematisiert wurde. So sind beispielhaft zu nennen eine Kooperationsveranstaltung von Justiz und Jugendhilfe am 28. September 1998 in Hohenleuben, die Beteiligung an der Jahresversammlung der Deutschen Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen e.V. (DVJJ) zur U-Haftvermeidung am 7. November 2001 in Erfurt sowie eine Veranstaltung der DVJJ zur Kooperation von Justiz - Jugendhilfe und Kinder - und Jugendpsychiatrie am 12. November 2003.

Daneben fand zuletzt am 18. November 2003 eine Informationsveranstaltung für Richter und Jugendstaatsanwälte mit Vertretern derjenigen Einrichtungen der Jugendhilfe in Thüringen statt, die für eine Unterbringung geeignet sind und entsprechende Heimplätze vorhalten. Im Rahmen dieser Informationsveranstaltung wurde den Heimen Gelegenheit gegeben, ihre unterschiedlichen Einrichtungen und Konzeptionen vorzustellen, verbunden mit der Möglichkeit, Fragen der staatsanwaltschaftlichen und gerichtlichen Praxis zu beantworten.