Wie definiert die Landesregierung Schulpflicht

Thüringer Landtag - 4. des Thüringer Schulgesetzes besteht in der Regel für die Dauer von zwölf Jahren Vollzeitschulpflicht und Berufsschulpflicht. In den Antragsunterlagen auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) werden Betroffene nach der möglichen Erwerbsfähigkeit für die im Haushalt lebenden Kinder ab dem vollendeten 15. Lebensjahr befragt (Abschnitt III der Antragsunterlagen). Nach Aussagen von Betroffenen reiche ein Verweis auf die Schulpflicht zur Verneinung der Erwerbsfähigkeit nicht aus.

Ich frage die Landesregierung:

1. Wie definiert die Landesregierung Schulpflicht bzw. welche Rechte und Pflichten sind für Schülerinnen und Schüler damit verbunden?

2. Inwieweit entbindet die Schulpflicht im Hinblick auf das Zweite Buch Sozialgesetzbuch von einer möglichen Erwerbstätigkeit ab dem vollendeten 15. Lebensjahr als Beitrag zur Bedarfsgemeinschaft?

3. Wie interpretiert die Landesregierung die angeführte Nachfrage nach der möglichen Erwerbsfähigkeit bzw. welche Folgen erwartet die Landesregierung für Betroffene bei einer Verneinung der Erwerbsfähigkeit für Personen ab vollendetem 15. Lebensjahr unter Hinweis auf die Schulpflicht?

4. Sieht die Landesregierung Kollisionen zwischen den Regelungen im Thüringer Schulgesetz zur Schulpflicht und der angeführten Nachfrage aus dem Antragsbogen?

5. Inwieweit sieht die Landesregierung die Notwendigkeit, Betroffene über die Schulpflicht im Zusammenhang mit dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch durch entsprechende öffentlichkeitswirksame Maßnahmen (Faltblatt, Zusatzblatt etc.) zu informieren?

Das Thüringer Kultusministerium hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 8. Oktober 2004 wie folgt beantwortet:

Zu 1.: Gemäß § 17 Abs. 1 des Thüringer Schulgesetzes unterliegen Kinder und Jugendliche mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt in Thüringen bzw. Ausbildungs- oder Arbeitsverhältnis der Schulpflicht. Die Schulpflicht besteht in der Regel für die Dauer von zwölf Jahren und gliedert sich in eine Vollzeitschulpflicht und eine Berufsschulpflicht (§ 17 Abs. 2 19. Oktober 2004

Die Vollzeitschulpflicht beginnt im Regelfall gemäß § 18 Abs. 1 mit Vollendung des sechsten Lebensjahrs und dauert in der Regel neun Schuljahre (§ 19 Abs. 1 Daran schließt sich nach § 21 Abs. 1 die Berufsschulpflicht an, die in der Regel

- mit dem Abschluss einer anerkannten Berufsausbildung,

- nach erfolgreichem Besuch eines Berufsvorbereitungsjahrs, eines Berufsgrundbildungsjahrs, eines Vollzeitjahrs an einer staatlichen Berufsfachschule oder eines einjährigen berufsvorbereitenden Vollzeitlehrgangs der Bundesanstalt für Arbeit bzw. einer gleichwertigen Maßnahme der Jugend- und Sozialhilfe,

- mit Erreichen des Realschulabschlusses oder eines gleichwertigen Abschlusses bzw. - bei Erfüllen der Versetzungsbestimmungen am Ende der Klassenstufe 10 der Regelschule oder des Gymnasiums, spätestens jedoch zum Ende des Schuljahres, in dem das 21. Lebensjahr vollendet wird, endet (§ 21 Abs. 2 Satz 2 und § 21a Abs. 4 Satz 1 Für die Schulpflichtigen ergibt sich hieraus das Recht und die Pflicht, regelmäßig am Unterricht teilzunehmen und die übrigen, als verbindlich erklärten schulischen Veranstaltungen zu besuchen (§ 23 Abs. 1 und § 30 Abs. 1 sowie § 3 Abs. 1 Satz 2 der Thüringer Schulordnung. Die Schulpflicht hat auch zur Folge, dass der Schulpflichtige, soweit er dieser Verpflichtung ohne berechtigten Grund nicht nachkommt, der Schule nach § 24 Abs. 1 auch zwangsweise zugeführt werden kann, wenn andere pädagogische Mittel ohne Erfolg geblieben sind.

Zu 2. und 3.: Die im Abschnitt III des Antragsformulars für Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) gestellte Frage nach der Erwerbsfähigkeit weiterer, im Haushalt des Antragstellers lebender Personen ab dem vollendeten 15. Lebensjahr zielt auf eine prinzipielle Erwerbsfähigkeit ab. Diese ist nur zu verneinen, wenn es sich um schwer kranke oder behinderte, erwerbsunfähige Personen handelt (§ 8 Abs. 1 SGB II).

Laut Gesetzesbegründung zu § 8 SGB II sind bei der Prüfung der Erwerbsfähigkeit außerdem bestehende rechtliche Einschränkungen zu berücksichtigen. Vollzeitschulpflichtige Jugendliche dürfen gemäß § 2Abs. 3 und § 5 Abs. 3 Satz 3 des Jugendarbeitsschutzgesetzes grundsätzlich nicht mehr als zwei Stunden täglich arbeiten und erreichen damit nicht die in § 8 SGB II geforderten drei Stunden täglich. Vollzeitschulpflichtige Jugendliche sind damit nicht erwerbsfähig im Sinne des SGB II. Hingegen ist gemäß § 8 ff. des Jugendarbeitsschutzgesetzes bei nicht vollzeitschulpflichtigen Jugendlichen, insbesondere also den berufsschulpflichtigen Jugendlichen, grundsätzlich Erwerbsfähigkeit anzunehmen.

Die prinzipielle Erwerbsfähigkeit berufsschulpflichtiger Jugendlicher verpflichtet nach den Leistungsgrundsätzen des SGB II nicht zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit. Insoweit dürfen Erwerbsfähigkeit und Pflicht zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nicht gleichgesetzt werden. In Bezug auf schulpflichtige Jugendliche ist die prinzipielle Erwerbsfähigkeit nach § 8 SGB II deshalb lediglich Abgrenzungskriterium dafür, ob ein eigener Anspruch auf Arbeitslosengeld II gemäß § 19 SGB II oder bei fehlender Erwerbsfähigkeit lediglich ein Anspruch auf Sozialgeld nach § 28 SGB II besteht.

Die im Abschnitt III des oben genannten Antragsformulars gestellte Frage nach der Erwerbsfähigkeit der im Haushalt des Antragstellers lebenden Personen über dem vollendeten 15. Lebensjahr dient daher lediglich der Unterscheidung der Anspruchsgrundlagen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch.

Zu 4.: Kollisionen zwischen Schulpflicht und der im oben genannten Antragsformular gestellten Frage nach der Erwerbsfähigkeit der im Haushalt des Antragstellers lebenden Personen ab dem vollendeten 15. Lebensjahr werden aus den unter zu Fragen 2 und 3 genannten Gründen nicht gesehen.

Zu 5.: Eine zusätzliche Information Betroffener in Bezug auf Schulpflicht und der Regelungen des Zweiten Buchs Sozialgesetzbuch durch öffentlichkeitswirksame Maßnahmen (Faltblatt, Zusatzblatt o.ä.) wird nicht für notwendig erachtet.