Berücksichtigung von öffentlichen und privaten Belangen bei der Planung und Genehmigung von Windkraftanlagen im Windpark Großenehrich im Kyffhäuserkreis

Im Windpark Großenehrich werden bzw. sollen zu den bereits bestehenden elf Windkraftanlagen elf weitere Anlagen mit einer Höhe von jeweils 140 Meter errichtet werden. Betroffene Anwohner befürchten durch die Errichtung dieser Anlagen gesundheitliche Schäden sowie eine erhebliche Beeinträchtigung besonders geschützter Tierarten, da Abstände zur Wohnbebauung und zu geschützten Biotopen zu gering bemessen seien und zudem vier Anlagen außerhalb des ausgewiesenen Vorranggebiets für die Windkraftnutzung errichtet würden.

Ich frage die Landesregierung:

1. Welche landesplanerischen und sonstigen Vorgaben regeln in Thüringen die Abstände von Windkraftanlagen zu benachbarten Flächen (z. B. Wohnbaugebiete, Naturschutzgebiete)?

2. Inwiefern spielt dabei die Höhe der Windkraftanlagen eine Rolle?

3. Ist die Landesregierung der Auffassung, dass diese Vorschriften ausreichend sind, um Abstände für Anlagen von 140 Meter angemessen zu beurteilen?

4. Ist eine Überarbeitung oder Ergänzung dieser Vorschriften in Thüringen geplant?

5. Werden im Windpark Großenehrich die derzeit geltenden Abstandvorgaben - insbesondere für Wohngebiete und für Fauna-Flora-Habitat(FFH)-Gebiet und sonstige Naturschutzgebiete - eingehalten?

6. Werden bzw. wurden an dem oben genannten Standort Windkraftanlagen zumindest teilweise außerhalb der für die Windkraft vorgesehenen Vorrangfläche errichtet?

7. Welche fachlichen Gesichtspunkte waren nach der allgemeinen Vorprüfung entscheidend, von einer vollständigen Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) für die geplanten elf weiteren Windkraftanlagen abzusehen?

8. Werden die Abstände zwischen den Windkraftanlagen der Vorrangfläche als ausreichend eingeschätzt?

9. Nach welchen Vorgaben wurden diese Abstände zwischen den Anlagen festgelegt?

Ist im Rahmen des Genehmigungsverfahrens eine FFH-Verträglichkeitsprüfung durchgeführt worden?

11. Wenn ja, mit welchem Ergebnis?

12. Inwieweit hat bei dieser FFH-Verträglichkeitsprüfung auch eine Gefährdung streng geschützter Fledermaus- und Vogelarten eine Rolle gespielt?

13. Welche naturschutzfachlichen Untersuchungen im Vorfeld der Genehmigungserteilung lagen der Beurteilung einer möglichen Gefährdung von Fledermaus- und Vogelarten zugrunde?

14. Wie wird der Schutz von Fledermaus- und Vogelarten auf den betroffenen Flächen um- und durchgesetzt?

Das Thüringer Ministerium für Landwirtschaft, Naturschutz und Umwelt hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 20. Oktober 2004 wie folgt beantwortet:

Zu 1.: In den Regionalen Raumordnungsplänen wurden die Vorrang- und Vorbehaltsflächen für Windkraftanlagen im Freistaat Thüringen festgelegt. Die weitere Beantwortung erfolgt am Beispiel des für den Windpark Großenehrich zutreffenden Regionalen Raumordnungsplan Nordthüringen (RROP NT).

Die Kartendarstellung im Maßstab 1:100 000 sowie Ziffer 10.2.4 des RROP NT enthalten Ausschlussbereiche und Pufferzonen im Umkreis von Wohn-, Dorf - und Mischgebieten, sodass in einem Mindestabstand von 500 Meter die Errichtung von Windkraftanlagen nicht erfolgen soll. Bei Naturschutzgebieten ist ein Puffer von 300 Meter vorgesehen.

Diese Abstandswerte sind Orientierungswerte, die im begründeten Einzelfall unterschritten werden können, wenn sich z. B. aufgrund der konkreten Schutzbedürftigkeit einer Nutzung oder aus sonstigen Gründen (z. B. Himmelsrichtung) ergibt, dass die Einhaltung der Abstände nicht erforderlich ist. Im Einzelfall kann sich auch ergeben, dass z. B. aus Immissionsschutzgründen größere Abstände erforderlich sind.

Zu 2.: Bei Aufstellung der Regionalen Raumordnungspläne wurden keine Höhenbegrenzungen in den Vorranggebieten vorgenommen.

Zu 3.: Wie bereits bei Frage 1 ausgeführt, ist die Einhaltung der vorgesehenen Abstände nicht ausschließliches Kriterium für die Genehmigungsfähigkeit einer Windkraftanlage. Darüber hinaus dürfen öffentliche Belange im Sinne des § 35 Baugesetzbuch nicht entgegenstehen, damit eine Windkraftanlage genehmigt werden kann.

Zu 4.: Wie bereits ausgeführt gibt es keine zwingenden regionalplanerischen Vorgaben. Diese sind auch nicht geplant, da sie auch nach der Rechtsprechung eine Einzelfallbeurteilung nicht ersetzen können. Bei der Fortschreibung der Regionalen Raumordnungspläne wird aber geprüft werden, ob aufgrund der heute möglichen größeren Bauhöhen von Windkraftanlagen, aber auch wegen fortgeschrittener naturschutzfachlicher Erkenntnisse, eine Anpassung der Abstandskriterien geboten ist.

Zu 5.: ja.

Zu 6.: Die geplanten elf Windkraftanlagen eines Antragstellers, für welche das Thüringer Landesverwaltungsamt die immissionsschutzrechtliche Genehmigung am 17. Februar 2004 erteilte, befinden sich innerhalb des Vorranggebiets. Die Genehmigung ist noch nicht bestandskräftig, da ein Widerspruch eingelegt wurde. Der Widerspruchsbescheid steht noch aus.

Die am Standort bereits vorhandenen elf Windkraftanlagen wurden mit Baugenehmigung errichtet, welche das Landratsamt des Kyffhäuserkreises am 15. Dezember 1997 erteilte. Zu diesem Zeitpunkt war der RROP NT noch nicht in Kraft (erst 1999), sodass auch noch keine Vorranggebiete für Windkraftanlagen ausgewiesen waren. Aktuell ist festzustellen, dass sich sechs der alten Anlagen im Vorranggebiet befinden.

Zu 7.: Durch die §§ 3 a bis e des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) wird geregelt, welche Form der Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) anzuwenden ist.

Im Falle der Erweiterung einer Windfarm sind bereits bestehende Windkraftanlagen regelmäßig zu berücksichtigen. Davon ausgenommen sind gemäß § 3 b Abs. 3 UVPG Anlagen, die vor der Umsetzungsfrist der entsprechenden EG-Richtlinien (85/337/EWG und 97/11/EG) bereits errichtet waren, sodass die vorhandenen elf Windkraftanlagen bei der UVP nicht zu berücksichtigen waren.

Demgegenüber bestand für die geplanten weiteren elf Windkraftanlagen gemäß § 3 c UVPG die Pflicht einer allgemeinen Vorprüfung des Einzelfalls. Dabei ist unter Berücksichtigung der in Anlage 2 des UVPG aufgeführten Kriterien zu prüfen, ob das Vorhaben erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen hat, die nach § 12 des UVPG zu berücksichtigen wären, insbesondere auch die Auswirkungen des Windparks auf die Bevölkerung durch Lärmimmissionen sowie Licht- und Schatteneffekte und Eisabwurf.

Nach den vorliegenden Gutachten werden beim Windpark Großenehrich die einzuhaltenden Richtwerte bei Lärmimmissionen und Schattenwurf unterschritten und die Oberflächenbeschaffenheit der Anlagen schließt Lichtreflexionen aus. Eisabwurf wird durch eine automatische Abschalteinrichtung verhindert.

Von einer erheblichen Belastung der Anwohner war daher nicht auszugehen und nachteilige Auswirkungen auf Pflanzen, Boden, Wasser, Luft und Klima waren ebenfalls nicht zu befürchten. Die Windkraftanlagen liegen in einem vorrangig ackerbaulich genutzten, relativ strukturarmen Gebiet. Nach den Unterlagen des Thüringer Artenerfassungsprogramms (AEP) besitzt das Planungsgebiet keine herausragende avifaunistische Wertigkeit. Die meisten hier vorfindbaren Vogelarten nutzen in erster Linie die Feld- und Strauchschicht und gewöhnen sich erwiesenermaßen an technische, für sie ungefährliche Großanlagen. Die auf das Vorhaben zurückzuführenden Eingriffe werden weitestgehend durch Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen kompensiert, insbesondere auch der mögliche Lebensraumverlust der Avifauna.

Im Ergebnis der allgemeinen Vorprüfung stellte die Genehmigungsbehörde somit fest, dass für das Vorhaben der zusätzlich geplanten elf Windkraftanlagen keine UVP durchzuführen war, da durch die geplante Windfarm keine erheblichen nachteiligen Umweltauswirkungen auf die in § 2Abs.1 UVPG genannten Schutzgüter zu erwarten sind.

Die Abstände zwischen den Windkraftanlagen ergaben sich für den Vorhabensträger sowohl aus dem Zuschnitt und der Flächen der verfügbaren Grundstücke wie aus gutachterlicher Einzelfallbetrachtung. Zur groben Orientierung diente als Mindestmaß der dreifache Rotordurchmesser.

Zu 10. bis 12.: Nein; erhebliche Beeinträchtigungen der Erhaltungsziele des Fauna-Flora-Habitat(FFH)-Gebiets Nr. 13 Hainleite­Wipperdurchbruch­Kranichholz (hier unter anderem der Frauenschuh und der Hirschkäfer) waren nicht zu besorgen (1. FFH-Einführungserlass des Ministeriums für Landwirtschaft, Naturschutz und Umwelt [TMLNU]; veröffentlicht im Nr. 20/2000 S. 1143 ff.). Fledermaus- und Vogelarten sind nicht als Erhaltungsziel benannt.

Im Rahmen des Bebauungsplan-Verfahrens wurde eine Untersuchung zum Vorkommen von Fledermäusen (Chiroptera) im Windpark Großenehrich bei Kirchengel (Dr. Neumann/Dipl. Biol. G. Mundt; Halle, 7. August 2003) durchgeführt; zudem eine Literaturstudie Einfluss des erweiterten Windparks Großenehrich bei Kirchengel auf die Mortalität von Fledermäusen (Chiroptera) (Dr. Neumann; Halle, 11. Januar 2003).

Im Rahmen des Bebauungsplan-Verfahrens wurde auch das Gutachten Umweltverträglichkeitsstudie für die Erweiterung des Windparks bei Kirchengel: Teilbeitrag Avifauna -Abschlussbericht erstellt (Dr. M. Wallaschek; Halle, 21. September 2002).

Im Bebauungsplan hat die Gemeinde Flächen für Maßnahmen zum Schutz, zur Pflege und zur Entwicklung von Natur und Landschaft nach § 9 Abs. 1 Nr. 20 des Baugesetzbuchs festgesetzt und diesen konkrete Kompensationsmaßnahmen zugeordnet (Anlage von Feldholzhecken, Wiesenansaat, Sukzessionsflächen).

Entsprechend immissionsschutzrechtlichem Genehmigungsbescheid vom 17. Februar 2004 ist zudem ein mindestens dreijähriges Fledermaus-Monitoring und - analog dazu - eine mehrjährige Erfassung und Bewertung des Brut- und Rastvogelbestandes als Erfolgskontrolle für die Wirksamkeit der Kompensationsmaßnahmen durchzuführen.