Der Vor oder Nachteil muss sich unmittelbar aus dem Beschluss ergeben
Durch die Regelung in § 38 sollen Interessenkollisionen der zur Teilnahme und zur gewissenhaften Wahrnehmung ihres Ehrenamtes verpflichteten Mitglieder des Gemeinderats bei einzelnen Entscheidungen des Gemeinderates vermieden und eine unbefangene Mitwirkung gewährleistet werden. Das Mitwirkungsverbot dient vor allem auch dazu, das Vertrauen der Einwohner in die Objektivität des Handelns des Gemeinderates zu erhalten und den Gemeinderatsmitgliedern persönliche Konfliktsituationen zu ersparen.
Der Vor- oder Nachteil muss sich unmittelbar aus dem Beschluss ergeben. Das ist aber nicht wörtlich zu nehmen. Denn dann würde das Mitwirkungsverbot so gut wie nie zum Tragen kommen, weil jeder Gemeinderatsbeschluss in der Regel erst durch einen Vollzugsakt umgesetzt wird. Zum Beispiel könnte ein Mitglied des Gemeinderats über den Verkauf eines Grundstücks der Gemeinde an sich selbst mitentscheiden, weil sich der unmittelbare Vor- oder Nachteil erst durch den Vollzug, also den Abschluss des notariellen Vertrags, ergeben würde. Eine so enge Auslegung entspricht nicht dem Sinn des Gesetzes.
Deshalb ist die Unmittelbarkeit auch dann zu bejahen, wenn sich der Vor- oder Nachteil erst durch die Vollzugshandlung ergibt.
Ein unmittelbarer Vor- oder Nachteil führt jedoch nur dann zu einem Mitwirkungsverbot und damit zum Ausschluss von der Beratung und Abstimmung, wenn ein Sonderinteresse (Individualinteresse) besteht, wie z. B. beim Beschluss über einen Vorhaben- und Erschließungsplan für ein einzelnes Grundstück oder bei der Vergabe eines Auftrages. Das Mitwirkungsverbot besteht gemäß § 38 Abs. 1 S. 2 dagegen nicht, wenn der Beschluss zu einem unmittelbaren Vor- oder Nachteil einer Berufs- oder Bevölkerungsgruppe führt, der das Mitglied des Gemeinderats angehört (Gruppeninteresse). Die Frage, ob ein Gruppeninteresse vorliegt, muss im Einzelfall entschieden werden.
Bei der Berufs- oder Bevölkerungsgruppe muss es sich um einen größeren Kreis von Personen handeln, deren gemeinsame Interessen berührt werden.Von einer Berufs- oder Bevölkerungsgruppe kann in der Regel nicht gesprochen werden, wenn nur eine kleine Gruppe in der Regel gegeben, wenn über die Festsetzung der Realsteuerhebesätze, über eine Abgabesatzung (Hundesteuer, Gebühren und Beiträge) oder eine Benutzungssatzung mit Anschluss- und Benutzungszwang entschieden wird.
Nach den dem Petitionsausschuss zur Verfügung stehenden Informationen verfügte die Gemeinde über mehrere Jagdbezirke,in denen mehrere Jagdpächter wohnen.Daher ist der Petitionsausschuss davon ausgegangen, dass ein Gruppeninteresse nicht auszuschließen ist. Entscheidend war letztlich, dass der Beschluss über die Jagdsteuersatzung nach § 38 Abs. 4 Satz 2 als wirksam anzusehen ist,weil niemand innerhalb von drei Monaten nach dem Beschluss die Befangenheit des Gemeinderatsmitgliedes geltend gemacht hat.
Landwirtschaft, Naturschutz und Umwelt
Ausgleich zwischen Wohnnutzung und Tierhaltung notwendig
Die Nutzung eines Nachbargrundstücks als Rinderweide beanstandete der Eigentümer eines Wohnhauses, das im Jahr 2000 am Rande eines neuen Wohngebiets errichtet wurde.
Nach den Festsetzungen des Bebauungsplanes handelt es sich um ein (§ 4 Baunutzungsverordnung). Das Grundstück des Petenten befindet sich am Rand des Wohngebiets, das dort durch einen Feldweg begrenzt wird. Jenseits des Feldwegs befinden sich Wiesen, die im Jahr 2000 an einen Landwirt verpachtet wurden. Dieser nutzt die Grundstücke hauptsächlich in den Herbstmonaten als Rinderweide.
In dem Bebauungsplanverfahren für das Wohngebiet wurden die Wiesen im Bestandsund Bewertungsplan zur Grünordnung als Ackerbrache gekennzeichnet.
Die mit den Kühen auftretenden Fliegen und anderen Insekten stören den Petenten. Da er davon ausging, dass die Insekten die Gesundheit seiner Familie beeinträchtigen können, wandte er sich an das Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsamt sowie das Gesundheitsamt. Das Gesundheitsamt teilte ihm mit,dass es dem Ordnungsamt empfohlen habe, die Nutzung auf die Futtergewinnung zu beschränken,da eine gesundheitliche Gefährdung der Anwohner bei einem dauerhaften Weidebetrieb nicht ausgeschlossen werden könne.
Die Ordnungsbehörde sollte daher überprüfen, ob eine einvernehmliche Lösung mit dem Nutzer der Weidefläche möglich sei oder ob eine ordnungsrechtliche Anordnung durch die Behörde erfolgen müsse. Das Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsamt teilte dem Petenten dagegen mit, dass eine direkte gesundheitliche Gefährdung von Menschen durch die mehrmonatige Haltung von ca. 40 Kühen in unmittelbarer Nachbarschaft der Wohnbebauung als gering einzuschätzen sei. Doch stelle die Beweidung in den Sommermonaten eine deutliche Belästigung durch Fliegen und Gerüche dar. Deshalb werde empfohlen, mit dem Landwirt eine Weidehaltung abzustimmen, die auf Frühjahr und Herbst beschränkt ist und eine bestimmte Entfernung zur Wohnbebauung einhält.
Eine einvernehmliche Regelung kam nicht zu Stande.
Nach einer vom Thüringer Landesamt für Lebensmittelsicherheit und Verbraucherschutz veranlassten Untersuchung des Instituts für Parasitologie der Universität Leipzig wurden verschiedene Schmeißfliegenarten, Stubenfliegen, Schwebfliegen sowie eine nicht näher bestimmbare Fliegenart, eine Wespen- und eine Wanzenart festgestellt. Die Insekten stammten aus dem Haus des Petenten. Eine Gesundheitsgefährdung durch die Insekten wurde nicht festgestellt.
Der Petent hat die Auffassung vertreten, dass die Tierhaltung in unmittelbarer Nähe zur Wohnbebauung unzulässig sei. Er hat deshalb ein entsprechendes ordnungsbehördliches Einschreiten verlangt. Aus umweltrechtlicher und gesundheitlicher Sicht sei zu entschei64 den,ob die Landwirtschaft mit der Tierhaltung oder Vorrang habe. Die Nutzung der Wiesen als Rinderweide sei nach § 4 und § 15 Abs. 1 Baunutzungsverordnung unzulässig. Anwohner eines allgemeinen Wohngebietes hätten grundsätzlich das Recht auf Unterlassung, wenn von angrenzenden Grundstücken Belästigungen oder Störungen ausgingen, die eine Benutzung ihrer Grundstücke wesentlich beeinträchtigten bzw. nach der Eigenart des Baugebietes unzumutbar seien.
Die Konstellation in diesem Fall ist vergleichbar mit der an einen im Außenbereich liegenden landwirtschaftlichen Betrieb heranrückenden Wohnbebauung infolge eines Bebauungsplanes. Die von Rechtsprechung und Literatur hierfür entwickelten Grundsätze zur Konfliktbewältigung lassen sich daher übertragen.
Nach diesen Grundsätzen folgt aus dem bauplanungsrechtlichen Gebot der Rücksichtnahme im Sinne von § 35 Abs. 1 Baugesetzbuch dass zwischen der im Außenbereich privilegierten landwirtschaftlichen Nutzung und der Wohnnutzung im angrenzenden Plangebiet eine Abwägung vorzunehmen ist. Dabei sind die Auswirkungen der landwirtschaftlichen Nutzung gegen die Interessen des Bauherrn und das, was beiden Seiten billigerweise zumutbar oder unzumutbar ist, gegeneinander abzuwägen.
Diese Interessenabwägung soll situationsbedingt erfolgen. Das heißt, dass der betroffene Bauherr ein dem Außenbereich angemessenes Immissionsniveau hinnehmen muss, da die heranrückende Wohnbebauung nur einen Schutz vor Immissionen in Anspruch nehmen kann, der der bestehenden landwirtschaftlichen Nutzung entspricht. Deshalb ist die landwirtschaftliche Nutzung zur Minderung, die Wohnnutzung zu erhöhter Hinnahme von Immissionen entsprechend der Vorbelastung des Gebietes verpflichtet. Dabei soll nicht auf die subjektiv erhöhte Empfindlichkeit des betroffenen Nachbarn, sondern auf das Empfinden einesverständigen Durchschnittsmenschen abgestellt werden (Bundesverwaltungsgericht, in: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 1992, S. 884 und Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 1991, S. 886).
Das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme führt zur Bildung von Mittelwerten oder mangels solcher zu einem Interessenausgleich nach den dargestellten allgemeinen Grundsätzen. Der Vorschlag des Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsamtes dürfte bereits eine geeignete Grundlage für einen angemessenen Interessenausgleich bieten.
Dieses hatte vorgeschlagen, die Weidehaltung mit dem Landwirt so abzustimmen, dass sie auf Frühjahr und Herbst beschränkt ist und einen bestimmten Abstand zur Wohnbebauung einhält. Diese Regelung erschien dem Petenten zwar als nicht ausreichend. Gleichwohl hat der Petitionsausschuss darauf hingewiesen, dass der bestehende Konflikt nur durch eine einvernehmliche Regelung beigelegt werden kann. Denn eine der dem Landwirt untersagt werden könnte, ist nicht ersichtlich.
Möglicherweise kann der Petent zivilrechtliche Abwehransprüche gegen die Weidenutzung aus den §§ 906, 1004 Bürgerliches Gesetzbuch geltend machen. Hierfür besitzt der Petitionsausschuss jedoch keine Prüfungskompetenz.