Thüringer Landesverwaltungsamt widerspricht beabsichtigter Abfallgebührenregelung im Ilm-Kreis

Der Ilm-Kreis erstellt zurzeit eine neue Kalkulation der Abfallgebühren, die ab 1. Januar 2006 gelten sollen.

Der Entwurf der Satzung und der Kalkulation wurde dem Thüringer Landesverwaltungsamt zur Vorabprüfung vorgelegt.

Das Thüringer Landesverwaltungsamt hat dabei die beabsichtigte Regelung, dass bei Familien ab dem dritten Kind die Abfallgebühr erlassen wird, beanstandet.

Eine vergleichbare Regelung gilt bereits gegenwärtig. Gegenwärtig gibt es im Ilm-Kreis 420 Familien mit drei und mehr Kindern.

Der bisherige Erlass der Abfallgebühren für Familien ab dem dritten Kind entspricht einer Summe von 36 000 EUR im Jahr. Dies sind rund 0,3 Prozent des gesamten Jahresabfallgebührenaufkommens des Das Landesverwaltungsamt meint, die dargestellte Teilerlassregelung sei bei öffentlichen Einrichtungen, für die der Kostendeckungsgrundsatz gilt, unzulässig.

Eine Gebührenstaffelung nach sozialen Aspekten verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz.

Der Ilm-Kreis hat die dargestellte Teilerlassregelung nicht als eine Gebührenstaffelung nach sozialen Aspekten bewertet. Vielmehr wurde bei dieser Entscheidung unterstellt, dass in Mehrpersonenhaushalten das Abfallaufkommen degressiv ansteigt und insofern ab dem dritten Kind ein Gebührenerlass gerechtfertigt ist.

Wir fragen die Landesregierung:

1. Wie begründet das Thüringer Landesverwaltungsamt die Auffassung, dass die dargestellte Abfallgebührenregelung im Ilm-Kreis gegen den Gleichheitsgrundsatz verstößt?

2. In welchem Rahmen sind die Kommunen berechtigt, bei der Festsetzung von Gebühren, Abgaben und Entgelten soziale Aspekte zu berücksichtigen und wie wird diese Auffassung begründet? Welche sozialen Aspekte können dabei berücksichtigt werden? In welchen Bereichen ist es den Kommunen aus welchen Gründen untersagt, eine Gebühren-, Abgaben- und Entgeltstaffelung nach sozialen Aspekten vorzunehmen?

3. Unter welchen Voraussetzungen sind die Kommunen berechtigt, im Abfallbereich eine degressive Gebührenregelung anzuwenden? Ist ein degressives Abfallaufkommen in einem Mehrpersonenhaushalt eine hinreichende Voraussetzung für eine degressive Gebührengestaltung und wie wird diese Auffassung begründet? Ist die im Ilm-Kreis praktizierte Regelung zum Teilerlass der Abfallgebühr ab dem dritten Kind als eine degressive Gebührengestaltung zu bewerten und wie wird diese Auffassung begründet?

4. Welche Abfallgebührensysteme haben die Landkreise und kreisfreien Städte in Thüringen (bitte Einzelaufstellung)? Welche Landkreise und kreisfreien Städte gewähren dabei welche Teilgebührenerlasse und inwieweit werden dabei welche sozialen Aspekte berücksichtigt (bitte Einzelaufstellung)? Welche Veränderungen in den nachgefragten Gebührensystemen müssen aus Sicht der Landesregierung mit welcher Begründung vorgenommen werden?

Das Thüringer Innenministerium hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 1. November 2005 wie folgt beantwortet:

Zu 1.: Das Landesverwaltungsamt begründet seine Auffassung zusammenfassend wie folgt: nach dem Thüringer Kommunalabgabengesetz ist der Gleichheitssatz des Artikels 3

Grundgesetz (GG) zu beachten, wonach im Wesentlichem gleiche Sachverhalte nicht ohne sachlichen Grund ungleich behandelt werden dürfen.

Dem Landesverwaltungsamt ist kein sachlicher Grund genannt worden, der es rechtfertigen könnte, dass eine Familie mit drei und mehr Kindern ab dem dritten Kind für das dritte und jedes weitere Kind keine Abfallgebühren mehr zahlen muss.

Zu 2.: Das Landesverwaltungsamt legt folgende Erwägung zu Grunde:

Bei der Gebührenbemessung können neben dem nutzungsbezogenen Gebührenmaßstab zusätzlich sonstige Merkmale berücksichtigt werden, sofern öffentliche Belange dies rechtfertigen.

Solche öffentliche Belange sind zum Beispiel das öffentliche Interesse an einer optimalen Ausnutzung der mit hohen Investitionskosten geschaffenen und mit erheblichen Betriebskosten unterhaltenen öffentlichen Einrichtungen oder das öffentliche Interesse daran, einzelnen Personengruppen, die ohne soziale Gebührenstaffelung aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht dazu in der Lage wären, die Inanspruchnahme öffentlicher Einrichtungen zu ermöglichen.

Eine Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte - wie etwa Einkommen, Kinderzahl, Lebensalter, Ausbildungsstand oder Behinderung - in Form von Gebührenermäßigungen oder -befreiungen kommt jedoch regelmäßig nur bei solchen Einrichtungen in Betracht, die dem Sozialstaatsprinzip (Artikel 20 Abs. 1 GG) besonders dienen (z.B. Volkshochschulen, Musikschulen, Büchereien). Bei kostendeckenden Einrichtungen (z.B. Wasserversorgung, Abwasserbeseitigung, Abfallentsorgung, Straßenreinigung) können sie keine Berücksichtigung finden.

Eine Gebührenstaffelung nach sozialen Gesichtspunkten würde hier sowohl dem Äquivalenzprinzip als auch dem Gleichheitssatz widersprechen. Die Gebührenregelung muss in solchen Fällen so ausgestaltet sein, dass bei gleicher Inanspruchnahme der öffentlichen Einrichtung etwa gleichhohe Gebühren und bei unterschiedlicher Benutzung auch unterschiedlich Gebühren zu entrichten sind. Eventuell bestehende Härten sind durch Anwendung der entsprechenden Vorschriften der Abgabenordnung (Stundung, Erlass, Niederschlagung) abzumildern.

Auch wenn öffentliche Belange vorliegen, sind der sozialen Gebührenstaffelung rechtliche Grenzen gesetzt.

Sie darf u. a. nicht willkürlich erfolgen, da dies einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz (Artikel 3 GG) darstellen würde. Sozialpolitisch bedingte Gebührenermäßigungen dürfen auch nicht den übrigen Gebührenschuldnern aufgebürdet werden, sondern müssen vielmehr von den kommunalen Körperschaften selbst aus allgemeinen Deckungsmitteln finanziert werden.

Zu 3.: Nach der Auffassung des Landesverwaltungsamtes liegt eine degressive Gebührenstaffelung im Bereich der Abfallentsorgung dann vor, wenn mit ansteigender Abfallmenge bzw. zunehmender Abfallbehältergröße die Abfallgebühren verhältnismäßig geringer werden. Eine solche Degression ist dann zulässig, wenn der öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger anhand einer Gebührenkalkulation nachweist, dass die Ursache der Degression darin zu sehen ist, dass die durch die Abfallentsorgung entstehenden Kosten mit zunehmender Abfallmenge geringer werden. Hier wird in der Rechtsprechung z. B. der Schüttdichtefaktor anerkannt, wonach das Abfallraumgewicht im Behälter (gemessen in Tonnen pro Kubikmeter) mit steigender Behältergröße deutlich abnimmt, d.h., in kleinen Abfallgefäßen tritt der Abfall komprimierter auf als in großen Abfallgefäßen.

Die im Ilm-Kreis praktizierte Regelung zum Erlass bzw. Teilerlass der Abfallgebühren ab dem dritten Kind stellt jedoch keine derartige degressive Gebührenstaffelung dar, da im Fall des Ilm-Kreises generell ab dem dritten Kind keine Abfallgebühren mehr für das dritte und jedes weitere Kind erhoben werden. Hier wurde nicht auf eine Kostenminderung mit zunehmender Gefäßgröße, sondern ein soziales Kriterium abgestellt.

Zu 4.: Bezüglich der Teilfragen 1 und 2 wird auf die als Anlage 1 beigefügte Übersicht verwiesen. Soweit soziale Gebührenstaffelungen enthalten sind, gelten die vorstehenden Ausführungen. Das Thüringer Landesverwaltungsamt befindet sich insoweit in laufenden Verfahren.