Kultusministerkonferenz

Dem im internationalen Vergleich hohen Qualifikationsstand der ehemaligen DDR stand bei der deutschen Wiedervereinigung die Tatsache gegenüber, dass sich die beiden zu vereinigenden Bildungssysteme grundsätzlich voneinander unterschieden. In Gesprächen mit Betroffenen ist erkennbar, dass sie die von ihnen erreichten Schul- und beruflichen Abschlüsse unabhängig davon, dass sie diese in einem diktatorischen System erwarben, als Teil ihrer persönlichen Lebensleistung betrachten. Dadurch erreicht die Akzeptanz von Bildungs- und Berufsabschlüssen innerhalb des deutschen Einigungsprozesses eine Dimension, die über die Verwertbarkeit auf dem Arbeitsmarkt hinausgeht.

Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung:

1. Welche Regelungen traf der Einigungsvertrag hinsichtlich der Anerkennung schulischer und beruflicher Abschlüsse und welche Regelungen sah er für besondere berufliche Felder wie Schule, Rechtspflege und andere sowie staatlich anerkannte Berufe vor?

2. Welche Rolle spielte die Kultusministerkonferenz beim Anerkennungsprozess schulischer und beruflicher Abschlüsse, wie konnten bzw. können die deutschlandweite Gültigkeit durchgesetzt und Ausbildungen mit Regelabweichungen berücksichtigt werden?

3. Welche beruflichen Abschlüsse warfen bzw. werfen bei der Feststellung der Gleichwertigkeit und aus welchen Gründen besondere Probleme auf?

4. Welche Beschlüsse der Kultusministerkonferenz mussten aus welchen Gründen revidiert werden?

5. Zwischen welchen Qualifikationsebenen wird bei der Feststellung der Gleichwertigkeit von beruflichen Abschlüssen unterschieden?

6. In welchem Bereich erfolgten die meisten Anträge auf Feststellung der Gleichwertigkeit? Wie viele sind es in diesem Bereich in Thüringen bisher insgesamt und davon im zurückliegenden Jahr? Welche Zahlen sind vergleichsweise aus anderen neuen Bundesländern bekannt und worauf können dabei zahlenmäßige Unterschiede bei den Ländern zurückgeführt werden?

7. Von welchem Verhältnis zwischen beantragten und abgelehnten Feststellungen auf Gleichwertigkeit ist in Thüringen in etwa auszugehen?

8. Bis zu welchem Zeitpunkt müssen Betroffene Anträge auf Feststellung der Gleichwertigkeit ihres beruflichen Abschlusses gestellt haben?

9. Auf welche Weise können sich Betroffene in Thüringen über die Chancen auf Gleichstellung ihres beruflichen Abschlusses informieren?

10. Wie beurteilt die Landesregierung die Situation hinsichtlich des Rechts, einen Titel nach dem Recht der Bundesrepublik Deutschland zu führen, wenn zwar theoretisch die Voraussetzungen für eine Zuerkennung erfüllt wären, die amtliche Feststellung der Gleichwertigkeit jedoch noch nicht erfolgte?

11. Wie verhält es sich, wenn eine DDR-Fach- oder Ingenieurschulausbildung zwar noch vor dem 3. Oktober 1990 begonnen, aber erst nach dem Beitritt zum Grundgesetz abgeschlossen wurde? Und wie kann Problemen begegnet werden, die daraus für die Feststellung der Gleichwertigkeit mit einem Fachhochschulabschluss erwachsen?

12. Welche Möglichkeiten haben Betroffene, die zur Zeit der DDR einen Fach- oder Ingenieurschulabschluss erwarben und nicht die einschlägige berufliche Tätigkeit von drei Jahren nachweisen können, dennoch die Zuerkennung eines Titels zu erreichen, der dem Grad eines Fachhochschulabschlusses entspricht?

13. Wie beurteilt die Landesregierung die Eignung von zunehmend an Fachhochschulen gegen Studiengebühren angebotenen Zertifikaten als Zusatzqualifikation zur Nachgraduierung zu dienen, wenn sie beispielsweise berufsbegleitend mindestens zwei Semester umfassen und mit einer durch die Fachhochschule abgenommenen Abschlussprüfung abschließen?

Das Thüringer Kultusministerium hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 26. Oktober 2005 wie folgt beantwortet:

Zu 1.: Für abgeschlossene Lehrerausbildungen nach dem Recht der ehemaligen DDR gilt zunächst Artikel 37 Abs. 1 Satz 1 Einigungsvertrag. Danach gelten im Gebiet der ehemaligen DDR erworbene Lehrerabschlüsse und Lehrbefähigungen im Gebiet der neuen Länder einschließlich Berlin (Ost) weiter.

Da nach der föderalen Kompetenzordnung der Bundesrepublik Deutschland das Recht der Lehrerbildung und die Anerkennung der Abschlüsse grundsätzlich in den Zuständigkeitsbereich der Länder fällt, enthält Artikel 37 Abs. 2 Einigungsvertrag für Lehramtsprüfungen die besondere Regelung, dass für die Anerkennung von Lehramtsprüfungen das in der Kultusministerkonferenz (KMK) übliche Anerkennungsverfahren gilt und die Kultusministerkonferenz entsprechende Übergangsregelungen trifft. Dies bedeutet, dass sich insbesondere die laufbahnrechtliche Anerkennung einer DDR-Lehrerausbildung im Gebiet der alten Bundesländer nach den landesrechtlichen Regelungen des jeweiligen Bundeslandes richtet, in dem die Anerkennung beantragt wird.

Zu den übrigen Einzelheiten verweise ich auf Artikel 37 Einigungsvertrag.

Zu 2.: Die Beschlüsse der Kultusministerkonferenz sind Instrumente für eine einheitliche bundesweite Anerkennung und dienen im Berufsbildenden Bereich als Grundlage für die Bescheidung von Anträgen. Zur Gewährleistung einer bundesweit einheitlichen Bewertung von Ausbildungen mit Regelabweichungen kann die Gutachterstelle für Deutsches Schul- und Studienwesen in Berlin genutzt werden.

Für den allgemein bildenden Bereich regeln die Länder die Anerkennungen auf der Grundlage des Einigungsvertrages in eigener Zuständigkeit. Das Thüringer Kultusministerium hat durch Verwaltungsvorschrift die Anerkennung der Gleichwertigkeit von DDR-Zeugnissen, die mit den Bildungsabschlüssen der Regelschule in Thüringen vergleichbar sind, geregelt (GABl. 1993, S. 382, zuletzt geändert durch Verwaltungsvorschrift vom 28. August 2001). Für die Anerkennung von Hochschulzugangsberechtigungen gilt der Beschluss der Kultusministerkonferenz Zulassung von Hochschulzugangsberechtigten aus der DDR an Hochschulen in der Bundesrepublik Deutschland vom 10. Mai 1990.

Zur Regelung der Anerkennung der nach dem Recht der ehemaligen DDR abgeschlossenen Lehrerausbildungen hat die Kultusministerkonferenz mit Beschluss vom 7. Mai 1993 die Vereinbarung über die Anerkennung und Zuordnung der Lehrerausbildungsgänge der ehemaligen DDR zu herkömmlichen Laufbahnen geschlossen. Ergänzt wird dieser Beschluss durch den Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 22. Oktober 1999 über die Gegenseitige Anerkennung von nach dem Recht der ehemaligen DDR erworbenen Lehrbefähigungen. Die landesrechtliche Umsetzung dieser Beschlüsse obliegt den einzelnen Ländern. Sie entscheiden lediglich für das jeweilige Land über das Ob und Wie der Anerkennung nach Maßgabe des jeweils geltenden Landesrechts.

Zu 3.: Bei den DDR-Lehrerausbildungen weist die Anerkennung des Fachschulabschlusses des Lehrers für die unteren Klassen in den alten Bundesländern Probleme auf. Die Grundschullehrerausbildungen und die darauf beruhenden Laufbahnvorschriften in den alten Ländern setzen ein entsprechendes Studium an einer Universität oder gleichgestellten Hochschule voraus. Da die ehemaligen Institute für Lehrerbildung, an denen die Lehrer für die unteren Klassen ausgebildet wurden, vom Rang her nicht als Hochschulen eingestuft werden, erfolgt insoweit keine Gleichwertigkeitsfeststellung. Eine Zulassung zum Vorbereitungsdienst für das Lehramt an Grundschulen ist für Lehrer mit dem Abschluss Lehrer unterer Klassen deshalb nicht möglich.

In einigen alten Ländern werden Lehrer mit Abschluss Lehrer unterer Klassen in den Schuldienst im Angestelltenverhältnis eingestellt und nach den Bestimmungen der Tarifgemeinschaft der deutschen Länder eingruppiert. Eine Verbeamtung erfolgt mit Hinweis auf das jeweils geltende Landeslaufbahnrecht nicht. In einigen alten Ländern ist eine Verbeamtung nach Maßgabe des dort geltenden Laufbahnrechtes möglich.

Im Übrigen sind keine besonderen Probleme bekannt.

Zu 4.: Der Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 7. Mai 1993 in der Fassung vom 9. März 2001

Lehrerausbildungen nach dem Recht der ehemaligen DDR bedürfen in Thüringen keiner besonderen Anerkennung, da deren Anerkennung durch den Einigungsvertrag bereits gesetzlich geregelt ist. Die laufbahnrechtliche und besoldungsrechtliche Zuordnung, die eine Verbeamtung und entsprechende Besoldung ermöglicht, ist durch das Thüringer Besoldungsgesetz einschließlich der Thüringer Besoldungsordnung sowie die Thüringer Schuldienstlaufbahnverordnung auf der Grundlage der bereits erwähnten KMK-Beschlüsse landesrechtlich geregelt.

Zu 5.: Unterschieden wird in berufliche Erstausbildung und berufliche Weiterbildung.

Zu 6.: Die meisten Anträge auf Feststellung der Gleichwertigkeit erfolgten im Bereich der beruflichen Erstausbildung. Im vergangenen Jahr wurden in diesem Bereich zirka 240 Anträge gestellt. Eine statistische Erhebung zur Anzahl der in Thüringen bisher insgesamt gestellten Anträge liegt nicht vor.

Aussagen zu anderen neuen Ländern können nicht getroffen werden; hierzu liegen dem Thüringer Kultusministerium keine Zahlenwerte vor.

Zu 7.: Der Anteil abschlägiger Bescheide liegt bei zirka zehn Prozent.

Zu 8.: Es gibt keine Antragsfristen und Ausschlussfristen im allgemein bildenden und im Berufsbildenden Bereich.

Zu 9.: Informationen können Bürger, Verbände und Arbeitgeber durch mündliche und schriftliche Anfragen beim Kultusministerium erhalten.

Zu 10.: In Artikel 37 Abs. 1 Einigungsvertrag ist geregelt, dass das Recht auf Führung in der ehemaligen DDR erworbener, staatlich anerkannter oder verliehener akademischer Berufsbezeichnungen, Grade und Titel in jedem Fall unberührt bleibt. Ein Rechtsanspruch zur Führung eines anderen, als des ursprünglich durch die Fach- oder Ingenieurschule verliehenen Titels besteht erst ab dem Zeitpunkt und nur in der Form der Urkunde über die staatliche Anerkennung des Diplomgrades mit dem Zusatz (FH), die durch das für das Hochschulwesen zuständige Ministerium ausgestellt wurde.

Für die an den ehemaligen Instituten für Lehrerbildung absolvierten Fachschulausbildungen als Lehrer unterer Klassen, die vor dem 3. Oktober 1991 begonnen wurden, enthielt § 25 der Vorläufigen Verordnung über die Erste Staatsprüfung für das Lehramt an Grundschulen vom 19. September 1991 (GVBI. S. 427) die erforderlichen Übergangsregelungen, die es ermöglichten, die an Instituten für Lehrerbildung in Thüringen absolvierten Ausbildungen in Abhängigkeit von deren Dauer im Rahmen eines Lehramtsstudiengangs für das Lehramt an Grundschulen an der damaligen Pädagogischen Hochschule Erfurt mit dem Abschluss Erste Staatsprüfung für das Lehramt an Grundschulen fortzusetzen.

Zu 11.: Auf der Grundlage des Artikels 37 Abs. 1 Satz 2 Einigungsvertrag, der bestimmt, dass die im Gebiet der DDR und in den anderen Ländern der Bundesrepublik Deutschland einschließlich Berlin (West) abgelegten Prüfungen oder erworbenen Befähigungsnachweise einander gleichstehen und die gleichen Berechtigungen verleihen, wenn sie gleichwertig sind, hat die Kultusministerkonferenz eine Bewertung der in der ehemaligen DDR erworbenen Abschlüsse vorgenommen. Nach dem Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 10./11. Oktober 1991 ist eine unmittelbare Gleichstellung von Fach- und Ingenieurschulabschlüssen mit Fachhochschulabschlüssen nicht möglich. Die Gleichwertigkeit mit einem Fachhochschulabschluss gemäß Artikel 37 Einigungsvertrag kann grundsätzlich nur nach dem Erwerb einer zusätzlichen Qualifikation festgestellt werden.

Bei Absolventen, die ihren Abschluss nach dem 31. Dezember 1990 erworben haben, muss nach der gesetzlichen Regelung in § 130 a Abs. 1a des Vorläufigen Thüringer Hochschulgesetzes dessen Fortgeltung § 136 Thüringer Hochschulgesetz anordnet, eine mindestens einjährige Zusatzausbildung an einer Fachhochschule absolviert werden, um zum Diplomgrad mit dem Zusatz (FH) zu gelangen. Lediglich bei Abschlüssen, die bis zum 31. Dezember 1990 erworben wurden, kann als Ausnahmeregelung eine dreijährige einschlägige berufliche Tätigkeit die geforderte Zusatzqualifikation ersetzen.

In den neunziger Jahren wurden so genannte Fernstudienbrückenkurse speziell für Absolventen der Fachund Ingenieurschulen der DDR angeboten. Die Besonderheit dieser Kurse bestand darin, dass sie in Zusammenarbeit mit den ehemaligen Fach- und Ingenieurschulen entwickelt wurden, keine Prüfung der Zugangsvoraussetzung erforderlich war und bereits erbrachte Studienleistungen berücksichtigt wurden. Die Angebote orientierten sich an der Nachfrage und wurden inzwischen wegen fehlenden Bedarfs eingestellt.

Für betreffende Absolventen, die diese Chance nicht genutzt haben, besteht derzeit nur die Möglichkeit, sich direkt an eine Fachhochschule eigener Wahl zu wenden, die unter Vorlage des erworbenen Abschlusses bereit ist, sie für einen qualifizierenden Studiengang aufzunehmen.

Das Thüringer Kultusministerium ist in Zusammenarbeit mit der Fachhochschule Erfurt sowie der Fachhochschule Jena darum bemüht, Qualifizierungsmöglichkeiten für den Einzelfall anzubieten.

Zu 12.: Absolventen, die einen Fach- oder Ingenieurschulabschluss der ehemaligen DDR erworben haben, aber keine einschlägige berufliche Tätigkeit von mindestens drei Jahren nachweisen können und die Nachdiplomierung anstreben, müssen - wie bereits in der Antwort zu Frage 11 beschrieben - eine mindestens einjährige Zusatzqualifikation, wie im Vorläufigen Thüringer Hochschulgesetz definiert, absolvieren.

Zu 13.: Die Fachhochschulen bieten - wie in der Anfrage zutreffend angegeben - weiterbildende Studien, die mit einem Zertifikat abschließen, gegen Studiengebühren an. Darunter sind auch Weiterbildungsangebote, die zwei und mehr Semester umfassen. Ein Überblick bietet sich unter www.bildungsportal-thueringen.de. Die Zugangsvoraussetzungen sind in § 15 Abs. 2 Satz 1 geregelt: Das weiterbildende Studium steht Bewerbern mit abgeschlossenem Hochschulstudium und solchen Bewerbern offen, die die für die Teilnahme erforderliche Eignung im Beruf oder auf andere Weise erworben haben. Die Hochschule regelt die Voraussetzungen und das Verfahren des Zugangs und der Zulassung zum weiterbildenden Studium. Gemäß § 15 Abs. 3 wird gesichert, dass die Hochschule das Lehrangebot entwickelt und die Prüfungen abnimmt.

In der Verwaltungspraxis hat es bislang noch keinen Antrag auf Nachdiplomierung bzw. keine Anfrage zur Nachdiplomierung im Zusammenhang mit der Absolvierung der vorgenannten Studienangebote gegeben.

Inwieweit diese Studienangebote geeignet sind, die Anforderungen, die an die oben genannte Zusatzqualifikation für die Nachdiplomierung gestellt werden, zu erfüllen, müsste sodann mit Blick auf den jeweiligen Fach- oder Ingenieurschulabschluss vom Kultusministerium - unter Einbeziehung der Archiv- und Gutachterstelle für Deutsches Schul- und Studienwesen Berlin - entschieden werden.