Umsetzung der Gebärdensprache

Am 10. Dezember 1998 hat der Hessische Landtag den Antrag Anerkennung der Gebärdensprache als Kommunikationsmittel Gehörloser - Drucks. 14/3638 - bis auf die Ziff. 2 einstimmig beschlossen.

Diese Vorbemerkung der Fragestellerin vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage im Einvernehmen mit der Ministerin für Wissenschaft und Kunst und der Kultusministerin wie folgt:

Frage 1. Wie hat die Landesregierung den einstimmigen Beschluss des Landtags, dass es für die Integration von Gehörlosen von großer Bedeutung ist, in beiden Sprachen - der Lautsprache und der Gebärdensprache - je nach den Erfordernissen der konkreten Situation kommunizieren zu können, umgesetzt?

Seitdem der Landtag den Beschluss zur Förderung der Gebärdensprache am 10. Dezember 1998 gefasst hat, arbeiten die zuständigen Ministerien an dessen Umsetzung. Dazu gehören insbesondere die Qualifikation von Fachkräften in der Frühförderung hörgeschädigter Kinder und Sonderschullehrkräften mit der Fachrichtung Hörgeschädigtenpädagogik in der Gebärdenkommunikation, die Einrichtung des Wahlpflichtfaches Gebärdensprachkompetenz an zwei Schulen für Hörgeschädigte in Hessen ab der Klasse 5 und das zurzeit an den Universitätskliniken in Frankfurt am Main und Marburg durchgeführte Untersuchungsverfahren zur Einführung eines generellen Neugeborenen-Hörscreenings.

In den Richtlinien für Unterricht und Erziehung hörgeschädigter Schülerinnen und Schüler vom 28. Juni 2000 (Abl. 8/2000) wird an mehreren Stellen die Bedeutung der Sprache und der Kommunikation bei der Entwicklung insbesondere eines hörgeschädigten Kindes oder Jugendlichen hervorgehoben.

So heißt es z. B. in Abschnitt 1.2 (Aufgaben und Ziele): Ziel der schulischen Bildung Hörgeschädigter ist es, den Schülerinnen und Schülern möglichst umfassende Kompetenzen in Laut-, Schrift- und Gebärdensprache gemäß ihren individuellen Fähigkeiten und Bedürfnissen zu vermitteln.

Frage 2. Wie wird in Hessen sichergestellt, dass gehörlosen Menschen bei Bedarf Gebärdensprachdolmetscher zur Verfügung stehen?

Gehörlose Menschen können bei Bedarf Gebärdensprachdolmetscher über Gebärdensprachdolmetscher-Vermittlungsdienste für sich in Anspruch nehmen. Hier seien zum einen die Hilfsdienste für Gehörlose in Hessen - Dolmetscherzentrale - in Bad Nauheim und die in Wiesbaden genannt.

Im Rahmen der Begleitenden Hilfen im Arbeits- und Berufsleben nach dem Schwerbehindertengesetz kann die Hauptfürsorgestelle des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen Gebärdensprachdolmetscherinnen und -dolmetscher vermitteln und die Kosten hierfür nach § 31 Abs. 3 Nr. 1g in Verb. mit § 25 Schwerbehinderten-Ausgleichsabgabeverordnung übernehmen. Wird ein Gebärdensprachdolmetscher bei Betriebsoder Schwerbehindertenversammlungen, inner- oder außerbetrieblichen Fortbildungsmaßnahmen, Einarbeitung an einem neuen Arbeitsplatz oder Arbeitsbesprechungen erforderlich, stellt der Arbeitgeber bei der Hauptfürsorgestelle einen Antrag auf Kostenübernahme eines Gebärdensprachdolmetschers. Dieser wird von der Hauptfürsorgestelle vermittelt und der Einsatz von ihr finanziert.

Um das Angebot an Gebärdensprachdolmetscherinnen und -dolmetschern in Hessen zu verbessern, sind von der Hessischen Landesregierung zwei Initiativen zur Ausbildung von Gebärdensprachdolmetscherinnen und -dolmetschern unterstützt worden.

Das weiterbildende Studium zur Gebärdensprachdolmetscherin/zum Gebärdensprachdolmetscher wird von der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität und der Fachhochschule in Frankfurt am Main seit dem 1. November 1999 durchgeführt.

Ebenso hat die Euro-Schule in Wiesbaden zum 1. Oktober 1999 mit der Ausbildung zur Gebärdensprachdolmetscherin und zum -dolmetscher begonnen.

Frage 3. Wie viele Gehörlosendolmetscher stehen für Gehörlose in Hessen zur Verfügung?

In Hessen stehen derzeit drei hauptberufliche und 15 nebenamtliche Gebärdensprachdolmetscherinnen und -dolmetscher zur Verfügung.

Frage 4. Wie hat die Landesregierung die flächendeckende Früherkennung und -versorgung von hörgeschädigten Neugeborenen umgesetzt?

Die Hessische Landesregierung ist durch den Landtagsbeschluss gehalten, sich für eine flächendeckende Früherkennung und -versorgung von hörgeschädigten Neugeborenen einzusetzen, die sich am medizinischen Fortschritt in diesen Bereichen orientiert, und führt in diesem Zusammenhang entsprechende Verhandlungen mit den Landesverbänden der Krankenkassen.

Das Hessische Sozialministerium hat die Fachabteilungen der Unikliniken Frankfurt am Main und Marburg beauftragt, ein Verfahren für ein generelles Neugeborenen-Hörscreening in Hessen ab Juli 2000 zu erproben.

Innerhalb von acht Monaten soll die Hörfähigkeit von ca. 1.000 Neugeborenen untersucht werden. Zur Messung wird eine vereinfachte Technik verwandt, die auf der Messung von Hirnstammpotenzialen basiert (so genanntes BERA). Sowohl das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst als auch Vertreterinnen und Vertreter der Krankenkassen sind über das Verfahren informiert worden.

Im Haushalt 2000 stehen bei Kap. 08 22 - 684 01 Mittel für eine modellhafte Untersuchung eines Screening-Verfahrens sowie für verbesserte Aufklärungsarbeit zur Verfügung. Es sollen bei den Eltern die Akzeptanz eines generellen Hörscreenings und eine Sensibilisierung für die Notwendigkeit einer Früherkennung und Behandlung kindlicher Hörstörungen erzielt werden.

Frage 5. Welche Rolle spielt für die Landesregierung bei hörgeschädigten und gehörlosen Kindern die Früherkennung?

Der Früherkennung bei hörgeschädigten und gehörlosen Kindern wird besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Die intensiven Gespräche mit den Fachärzten für Pädaudiologie hinsichtlich des Neugeborenen-Hörscreenings (s. Antwort zu Frage 4) und die aus dem Rahmen der bisherigen Fortbildung der Frühförderkräfte herausragende Qualifizierungsoffensive belegen dies.

Um den Einsatz von Gebärdensprache in der Frühförderung hörgeschädigter Kinder zu gewährleisten, wird eine Fortbildungsreihe für die in der Frühförderung tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in diesem und im nächsten Jahr durchgeführt.

Im Zusammenhang mit der Diskussion über den Einsatz von Gebärden wurde deutlich, dass für die Fachkräfte in der Frühförderung hörgeschädigter Kinder ein erhöhter Fortbildungsbedarf besteht, der über den bisher zur Verfügung stehenden Rahmen hinausgeht. Deshalb finanziert das Land Gebärdenkurse für einen Teil der Frühförderkräfte, um gegebenenfalls Kinder mit Gebärden fördern zu können bzw. mit der weitaus höheren Zahl gehörloser Eltern kommunizieren zu können.

Erheblich höher als der Bedarf an Fortbildung in der Gebärdensprache ist die Anpassungsfortbildung aller Frühförderkräfte im Hörgeschädigtenbereich.

Die bei der Fortbildung erworbenen Kenntnisse über die neueste medizinische (Cochlea-Implants) und technische Entwicklung (digitale Hörtechnik) helfen den Frühförderkräften, effizienter zu beraten bzw. die hörgeschädigten Kinder qualifizierter zu begleiten.

Frage 6. Welche konkreten Schritte wurden unternommen, um die Vermittlung von Gebärdensprachkompetenz zum verbindlichen Teil der Ausbildung von Hörgeschädigtenpädagogen zu machen?

Wie bekannt ist, gibt es in Hessen keine Ausbildung zur Sonderschullehrkraft für Hörgeschädigte.

Hessen ist daher auf Abgänger außerhessischer Universitäten - wie München, Heidelberg, Dortmund, Hamburg oder Berlin - angewiesen. Die hessischen Lehrerinnen und Lehrer, die ein viersemestriges Zusatzstudium in Heidelberg absolvieren wollen, können zu diesem Zusatzstudium beurlaubt werden.

Gespräche mit Vertretern der Länder, die entsprechende Studiengänge haben, fanden statt. Die Ausbildungs- und Studienordnung in München wurde z. B. entsprechend geändert.

Um hessische Sonderschullehrkräfte mit der Fachrichtung Hörgeschädigtenpädagogik, die an hessischen Schulen für Hörgeschädigte oder im gemeinsamen Unterricht hörgeschädigte Schülerinnen und Schüler unterrichten, entsprechend fortzubilden, ist im Schuljahr 2000/2001 ein einjähriger Weiterbildungskurs eingerichtet worden. Die Zahl der Teilnehmenden ist auf 30

Personen begrenzt.

Eine Einführungsveranstaltung fand am 9. August 2000 statt.

Frage 7. Wie ist der Stand der Bundesratsinitiative für eine bundesweit geregelte Anerkennung des Berufsbildes der Gebärdensprachdolmetscherinnen und -dolmetscher?

Zur Bestimmung des Inhalts und des Umfanges einer Bundesratsinitiative wird das Ergebnis eines Rechtsgutachtens abgewartet, das vom Bundesland Nordrhein-Westfalen in Auftrag gegeben worden ist. Dieses soll vor allem Aussagen dazu treffen, in welcher Form eine Anerkennung der Gebärdensprache erfolgen sollte und welche rechtlichen Folgewirkungen sich aus einer Anerkennung für den Bundes- oder Landesgesetzgeber ergeben.

Das Bundesland Hessen ist das erste Bundesland, das bereits eine Verordnung über die Prüfung für Gebärdensprachdolmetscherinnen und Gebärdensprachdolmetscher vom 26.03.1999 (ABL HKM 5/99 S. 453 ff.) erlassen hat, die mit dem Tag der Verkündigung in Kraft getreten ist. Auf diese Verordnung ist im ASMK-Bericht bereits hingewiesen worden.

Frage 8. Wie viele gehörlose Studenten studieren an hessischen Hochschulen?

Es gibt keine Verpflichtungen für behinderte Menschen, ihre Behinderung der Hochschule bekannt zu geben, auch wird das Kriterium Behinderung aus datenschutzrechtlichen Gründen bei der Einschreibung nicht erfasst; die Frage 8 kann daher nicht zuverlässig beantwortet werden.

Der Technischen Universität Darmstadt sind zwei gehörlose Studierende, der Philipps-Universität Marburg vier Studierende mit einer an Taubheit grenzenden Hörschädigung bekannt, hinzu kommen ca. 25 erheblich hörbehinderte Studierende; es wird davon ausgegangen, dass die tatsächliche Anzahl hörgeschädigter Studierender höher angesetzt werden muss. Von allen anderen Hochschulen des Landes Hessen wurden keine Zahlen zu gehörlosen Studierenden genannt.

Frage 9. An welchen Schulen für Hörgeschädigte ist das Wahlpflichtfach Vermittlung von Gebärdensprachkompetenz ab Klasse 5 eingeführt?

Von den vier Schulen für Hörgeschädigte in Hessen ist an der in Bad Camberg und an der Hermann-Schafft-Schule in Homberg seit dem Schuljahresbeginn 1999/2000 ein Angebot zur Vermittlung von Gebärdensprachkompetenz ab Klasse 5 eingerichtet.

Frage 10. Welche Ausbildung haben die dieses Wahlpflichtfach unterrichtenden Lehrerinnen und Lehrer?

Die unterrichtenden Lehrkräfte sind Sonderpädagogen und verfügen aufgrund persönlicher Weiterbildung über Gebärdensprachkompetenz.

Frage 11. Wie viele Kinder nehmen an diesem Wahlpflichtfachunterricht teil?

An den Angeboten zur Vermittlung von Gebärdensprachkompetenz nehmen zurzeit 20 Schülerinnen und Schüler teil.

Frage 12. Wie stellt die Landesregierung sicher, dass für Kinder, die über die Aktivierung des Resthörvermögens keine Lautsprachkompetenz erwerben können, frühzeitig Gebärdensprache zur Förderung der Kommunikationsfähigkeit und zum Wissenserwerb eingesetzt wird?

Der frühzeitige Aufbau einer Gebärdensprachkompetenz muss innerhalb der Frühförderung hörgeschädigter Kinder ermöglicht werden.

Damit die Frühförderstellen das Angebot der Vermittlung von Gebärde vorhalten können, wird derzeit für einen Teil der Frühförderkräfte eine Qualifizierungsoffensive durchgeführt, die diesen Kenntnisse über die Gebärdensprache vermittelt. Die in diesem und im nächsten Jahr durchzuführende Fortbildungsreihe soll die Frühförderkräfte befähigen, Kinder unter Einsatz von Gebärden zu fördern und mit der größeren Zahl von gehörlosen Eltern zu kommunizieren.