Freyberger über seine Forschungen zu den psychischen Folgen des Holocaust für die Überlebenden

Am Nachmittag des zweiten Tages moderierte Siv Stippekohl vom Norddeutschen Rundfunk ein Podium zum Tagungsthema. Dr. Knut Nevermann, Ministerialdirektor der Beauftragten für Kultur und Medien im Bundeskanzleramt, Heiki Ahonen, Okkupationsmuseum Tallin und Geschäftsführer der Kistler-Ritso-Foundation, Prof. Dr. Harald J. Freyberger, Greifswald ­ Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, und Dr. Jörg Morre, Gedenkstätte Bautzen diskutierten 60 Jahre nach Kriegsende über die Problematik der doppelten Diktaturerfahrung in Ostdeutschland. Der NDR hatte die Medienpartnerschaft für diesen Veranstaltungspunkt übernommen. Das Podiumsgespräch wurde am 13.06.2005 von 20.15 ­ 21.00 Uhr im NDR1 Radio MV gesendet.

Zu Beginn berichtete Prof. Freyberger über seine Forschungen zu den psychischen Folgen des Holocaust für die Überlebenden. Kurz nach dem Krieg habe es kaum Verständnis für dieses Problem gegeben. Die Folge: Anträge der Opfer auf Entschädigung wurden meist abgelehnt. Dieses Drama habe sich nach 1990 bei der Anerkennung von psychischen Haftfolgeschäden bei DDR-Verfolgten wiederholt. Dabei sei es gar nicht entscheidend, ob ein politisch Verfolgter im KZ war, in der Illegalität oder aber im Stasi-Knast. Entscheidend ginge es darum: Wie war die Dauer der Verfolgung? Wie schwer ist ein Mensch beeinträchtigt worden? Hat er nacheinander mehrere Verfolgungsphasen erlebt? Wie groß war die interpersonelle Brutalität, der er ausgesetzt war? Traumatisierungen, die zwischen Menschen stattfinden, wirken sich viel stärker auf die Gesundheit aus, als beispielsweise Naturkatastrophen. Gab es therapeutisch beratende Hilfe für die Betroffenen? Lebten sie in zwischenmenschlichen Kontexten, in denen ihr Verfolgungsschicksal überhaupt thematisierbar war? Dabei unterscheiden sich die gesundheitlichen Folgen von Zersetzungsopfern kaum von denen, die inhaftiert waren. Auch Zersetzung sei ein dramatischer Verfolgungstatbestand, der nicht weniger zu schweren gesundheitlichen Schäden führt, als Haft.

Die Ablehnung eines Rehabilitierungsantrages oder eine andere Nichtanerkennung des erlebten Schicksals können das ursprüngliche traumatisierende Erlebnis quasi wiederholen und die Verfolgten erneut verletzen, retraumatisieren. Diese zweite Verfolgung der Verfolgten, kann eine schlechtere Prognose der gesundheitlichen Ausstattung in psychischer und somatischer Hinsicht zur Folge haben, was Betroffene dann oftmals an der Durchsetzung ihrer Entschädigungsansprüche hindert.

In der weiteren Folge erlebten die Kongressteilnehmer wie auch die Zuhörer des Norddeutschen Rundfunks eine ebenso heftige wie spannende Auseinandersetzung zwischen Staatssekretär Dr. Knut Nevermann und Prof. Freyberger über das Thema der deutschen Erinnerungspolitik mit der doppelten Vergangenheit von Konzentrations- und Internierungslagern, Nationalsozialismus und DDR-Sozialismus, den Umgang mit Tätern und Opfern nach Kriegsende und heute im vereinten Deutschland. Die Argumentation von Prof. Freiberger entsprach dem Empfinden der am Kongress beteiligten Verfolgten. Sie würde den Rahmen dieses Kurzberichts sprengen und sollte unbedingt im Wortlaut nachgelesen werden. Staatssekretär Nevermann erhielt mit seiner These, dass es einen Unterschied macht, ob ich gegenüber dem jüdischen Volk über Entschädigung nachdenke oder über die Opfer in der DDR... heftigen Widerspruch. Er meinte, das sei das kleine Einmaleins der politischen Kultur in der Bundesrepublik, dass man dort Unterschiede macht.

Am Abend wurde der Film über das sowjetische Speziallager Nr. 9 uraufgeführt. Dr Rita Lüdtke, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Fünfeichen sprach zur Geschichte des Lagers und über die Tätigkeit ihrer Arbeitsgruppe. Sie gab damit eine Einführung in den Film Schicksal Fünfeichen. Ein anschließendes Gespräch mit dem Filmautor Rainer Burmeister und ehemaligen Häftlingen des Speziallagers beendeten den zweiten Tag.

Seinen Abschluss fand der Kongress am Sonntag mit einer Gedenkveranstaltung in der Mahn- und Gedenkstätte Fünfeichen bei Neubrandenburg. Auf dem Gelände befand sich zunächst ein Kriegsgefangenenlager, das 1945 in das sowjetische Speziallager Nr. 9 umgewandelt wurde. In drei Jahren wurden in Fünfeichen 15.396 Menschen interniert, 525 Frauen, 1.400 Jugendliche, die Jüngsten zwischen 13 und 14, die Ältesten zwischen 75 und 76

Jahren, fast jeder Dritte, etwa 4.900 Menschen, starben in dieser Zeit. Dr. Paul Krüger, Oberbürgermeister der Stadt Neubrandenburg beendete seine Ansprache mit den Worten Leid ist immer konkret. Und besonders hier im Angesicht der Opfer dürfen wir nicht vergessen, dass es dort, wo Opfer sind, immer auch Täter und Systeme gibt, die hinter ihnen stehen, die sie nicht nur dulden, sondern auch fördern und fordern. Den Tätern können wir vergeben. Die Systeme müssen wir verhindern! Für Ihren Beitrag dazu danke ich Ihnen.

Die Veranstaltungen in Thüringen ­ chronologisch geordnet:

Im Januar hielt Baldur Haase einen Vortrag zur Eröffnung der Ausstellung Orwells Bücher und wie sie Orwells Leser in der DDR ins Zuchthaus führten im Staatlichen Gymnasium Sonneberg.

Im Januar wurde im Rathaus der Stadt Gera dem 15. Jahrestag der Besetzung der Geraer Staatssicherheit durch eine Ausstellungseröffnung und mehrere Erinnerungsreden gedacht.

Im Februar war die Landesbeauftragte Mitveranstalterin einer Podiumsdiskussion in Gera unter dem Titel Erinnern für Heute ­ die Ereignisse der friedlichen Revolution 1989/90.

Im Februar fand unter dem Titel Störfaktor Literatur eine Tagung gemeinsam mit dem Lesezeichen e. V. und der Landeszentrale für politische Bildung statt, in der über den politischen Gehalt literarischer Experimente in den 70er Jahren, über Wirkung und Konsequenzen dieser Literatur und die Abwehrreaktionen von SED und Staatssicherheit gesprochen wurde. Beteiligt waren namhafte Schriftsteller wie Lutz Rathenow, Freya Klier, Udo Scheer, Martin Straub und auch internationale Gäste wie Karin Clark und Xu Pei. Am Abend gab es literarische Lesungen alter und junger Texte und ein Forum für junge Autoren in der Jungen Gemeinde Stadtmitte.

Im Februar stellte Baldur Haase die Orwell-Ausstellung mit einem Vortrag und Zeitzeugengespräch im Gymnasium Großengottern vor.

Im März organisierte die Behörde mehrere öffentliche Buchlesungen mit dem Berliner Schriftsteller Jürgen K. Hultenreich zu seinem Buch. Die Schillergruft in Gera, Saalfeld, Eisenach, Erfurt und Mühlhausen. Anlass war das Schillerjubiläum 2005. Hultenreich las und erzählte über das Schicksal eines jungen Mannes, der in den 60er Jahren in Erfurt in politische Haft, vor Gericht und zu einem Gutachten in die Psychiatrie Mühlhausen geriet und der sich manchmal durch Schiller-Gedichte in schwierigen Situationen retten konnte.

Im Februar, April, Mai und Juni luden die Geschichtswerkstatt und die Landesbeauftragte zu einer Themenreihe mit Referenten der Bundesbeauftragten für die Stasiunterlagen und Vorträgen über Inoffizielle Mitarbeiter, den Tag der Befreiung, Frauen bei der Staatssicherheit und über Stasi-Grenz-Aufgaben in die Rathausdiele Jena ein.

Im Kunstprojekt EINSCHLUSS vom 15. Juni bis 15. September organisierte die Landesbeauftragte die wöchentlichen Donnerstagsveranstaltungen. (Siehe Abschnitt 2.2.1.)

Im Juni wurde die in der Behörde erarbeitete Quellenedition Archivierter Mord, SED-Staat und Euthanasie-Verbrechen in Stadtroda in Jena in einer Buchpräsentation vorgestellt.

Ende August / Anfang September beteiligte sich die Landesbeauftragte an einer kleinen Veranstaltungsreihe im Augustinerkloster, in denen die Unterzeichnung des 2+4-Vertrages und des Vertrages über die Deutsche Einheit im Jahr 1990 thematisiert wurden.

Im September gab es unter dem Stichwort Krieg und Frieden mehrere Erfurter der Behörde zum bundesweiten Tag des offenen Denkmals.

Im Oktober fand im Rathaus der Stadt Nordhausen die öffentliche Buchvorstellung der Lebenslänglich ­ Freiheit gewonnen und Freiheit verloren mit Helmut Pfeiffer statt.

Im Oktober hielt Herbert Mesch im Rathaus von Suhl einen Vortrag mit Diskussionsrunde unter dem Titel Streng geheim über Agrarflug und Pflanzenschutz in den Südthüringer Grenzgebieten während der DDR-Zeit.

Im Oktober wurde der Vortragsbesuch der Psychologen Hans-Eberhard Zahn nach Jena organisiert. Er berichtete über Haftbedingungen und Geständnisproduktion in den Im Oktober luden die Geschichtswerkstatt Jena e. V. und die Landesbeauftragte in Jena Herrn Dr. Otto Wenzel zur Vorstellung seiner Studien und seines Buches zum Thema Kriegsbereit ­ Der Nationale Verteidigungsrat der DDR 1960-89 ein.

Im November 2004 organisierte und leitete die Landesbeauftragte ein ausführliches Pressegespräch unter dem Titel: Wie weiter mit der Aufarbeitung der Thüringer Sportgeschichte?, für das Ines Geipel und Henner Misersky als Gesprächspartner und die Mitglieder der Sportkommission sowie bundesweit Fachjournalisten geladen waren. (Pkt. 2.1)

Im November wurde in der Erfurter Andreaskirche ein großes Zeitzeugen-Treffen organisiert, an dem ehemalige politische Gefangene und unterstützungsbereite Ausstellungsbesucher teilnahmen und sich für die Einrichtung einer Gedenkstätte Andreasstraße aussprachen und teilweise auch für die aktive Mitarbeit an deren Vorbereitung. (Pkt 2.2.1)

Im November war die Behörde an einzelnen Vorbereitungsarbeiten der großen Eröffnungsveranstaltung der Gedenkstätte Amthordurchgang in Gera beteiligt.

Buchreihe über Thüringer Staatssicherheit, Politik und Bevölkerung während der SBZ- und DDR-Zeit

Die konnte auch im Jahr 2005 mit Neuerscheinungen zu Themen der Thüringer Zeitgeschichte und der Staatssicherheit fortgeführt werden.

Rudolf Butters/Herwart Metzel, Jedem das Seine? Als Jugendliche von Pößneck über Saalfeld nach Buchenwald und Karaganda 1945-49

Beide Autoren sind seit längerem für die politische, demokratische Bildung und Aufarbeitung tätig und unterstützen auch die Gedenkstätte Buchenwald. Rudolf Butters und Herwarth Metzel beschreiben die Gegebenheiten ihrer gemeinsamen, unverschuldeten Odyssee durch die NKWD-Gefängnisse und Lager nach Kriegsende. Wie andere Jugendliche aus ganz Thüringen wurden sie mit dem ­ längst als hanebüchen klargestellten ­ Strafvorwurf einer Werwolf-Tätigkeit gegen die sowjetische Besatzung inhaftiert. Beide stammen aus Pößneck und wurden dort kurz nacheinander im Januar 1946 festgenommen, um im bekannten Saalfelder Stadtgefängnis Hutschachtel gewalttätig von NKWD-Offizieren verhört zu werden. Sie beschreiben das Gefängnisinnere ebenso wie einen Fluchtversuch und die Arbeitsweise des NKWD. Ohne Gerichtsprozess wurden sie ein halbes Jahr später ins NKWD-Speziallager Buchenwald verbracht, blieben dort ein weiteres halbes Jahr in einer Haftbaracke und erlebten den typischen Lageralltag. Ende 1946 wurde ihnen ihre jugendliche Gesundheit zum Verhängnis, als sie für die Arbeit in einem Haftlagerarbeitslager im kirgisischen GULag ausgewählt wurden und mit dem be