Notstandskonzept 2000 und Notstandswarte für das AKW Biblis

Die Bundesregierung hält die Risiken der Atomenergie auf Dauer nicht für verantwortbar. Sie hat sich dazu entschieden, die Nutzung der Atomkraft in der BRD durch das Atomausstiegsgesetz geordnet zu beenden. Für Biblis Block A wäre damit das Ende der Regellaufzeit am 26. Februar 2007 und für Biblis B am 31. Januar 2009 erreicht.

Vorbemerkung des Ministers für Umwelt, Landwirtschaft und Forsten:

Die Landesregierung vertritt die Auffassung, dass zurzeit aus ökologischen, ökonomischen, industrie- und entwicklungspolitischen Gründen auf die friedliche Nutzung der Kernenergie nicht verzichtet werden kann, wobei die Sicherheitsfrage absoluten Vorrang genießt. Der so bezeichnete Konsens zwischen der Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen wird dieser Zielsetzung nicht gerecht. Die Landesregierung sieht einen Energiemix aus fossilen Energieträgern, aus Kernenergie und aus erneuerbaren Energien unter Ausschöpfung aller Energieeinsparmöglichkeiten als den sinnvolleren Weg an. Diese Überzeugung korrespondiert mit der Auffassung der Energieversorgungsunternehmen. Das Vorgehen der Bundesregierung vernachlässigt in unverantwortlicher Weise, dass ein Ausstieg aus der Kernenergie nicht nur gravierende Auswirkungen für den Immissions- und Klimaschutz, sondern auch für die wirtschaftliche und technologische Entwicklung in unserem Land hat.

Sie hat insbesondere bis heute kein Konzept für einen klimaneutralen Ausstieg aus der Kernenergie entwickelt.

Im Hinblick auf die Preisentwicklung werden zwar kurzfristig keine gravierenden negativen Auswirkungen für die industriellen Abnehmer und damit letztlich für den einzelnen Verbraucher in Hessen gesehen, da die Vereinbarungen zwischen dem Bund und den Energieversorgungsunternehmen zunächst den Weiterbetrieb der Anlagen vorsehen. Langfristig sind aber Kostenfolgen auf die deutschen Stromerzeuger und damit auch auf die Stromverbraucher wahrscheinlich, da die Kernenergie im Grundlastbereich unverändert ein kostengünstiger Energieträger ist.

In dem Gesetzentwurf der Bundesregierung wird einerseits festgestellt, dass die deutschen Kernkraftwerke einen international gesehen hohen Sicherheitsstandard aufweisen, andererseits wird zur Begründung für die Beendigung der Kernenergienutzung auf eine Neubewertung ihrer Risiken verwiesen. Die entsprechenden Maßstäbe und Kriterien dieser Neubewertung werden jedoch weder genannt noch sind sie ersichtlich. Dieser Widerspruch ist nicht nachvollziehbar. Die Bundesregierung weicht damit bei der Bewertung des Risikos der Kernenergienutzung grundsätzlich von der Bewertung in anderen Länder wie z. B. USA, Frankreich oder Japan ab. Es liegen keine Anhaltspunkte vor, die Zweifel an der Betriebssicherheit der deutschen Kernkraftwerke begründen könnten. Der Betrieb der Kernkraftwerke ist auch nach Auffassung international renommierter Experten verantwortbar.

Im Hinblick auf die konkreten Fragestellungen zum Notstandssystem für das Kernkraftwerk Biblis ist über die allgemeine Vorbemerkung hinaus Folgendes voranzustellen:

Das Kernkraftwerk Biblis verfügt bereits seit Inbetriebnahme des Blockes B über ein Notstandssystem. Ein seit 1989 eingeleitetes Genehmigungsverfahren über die Errichtung von neuen Notstandssystemen (im Folgenden Notstandssystem 1989 genannt) für die Blöcke A und B konnte, insbesondere wegen der verfahrensmäßigen Behandlung durch die rot-grüne Vorgängerregierung, innerhalb von zwei Legislaturperioden nicht zum Abschluss gebracht werden.

Selbst wenn die Genehmigung kurzfristig erteilt werden könnte, würde das System frühestens in sechs Jahren zur Verfügung stehen. Vor diesem Hintergrund war es erforderlich zu prüfen, ob nicht die gleiche Sicherheit durch andere Maßnahmen der Sicherheitsebene 41 in einem erheblich kürzeren Zeitraum erreicht werden kann. In jedem Fall musste geprüft werden, ob nicht unabhängig von der Errichtung des beantragten Notstandssystems (A5/89) schon aufgrund der langen Bauzeit ergänzende sicherheitsverbessernde Maßnahmen in diesem Bereich erforderlich werden.

Mit Schreiben vom 12. Mai 1999 hat die RWE Power AG einen Antrag (A 23/99) auf Errichtung und Betrieb von Ergänzungen der bestehenden Notstandseinrichtungen nach § 7 des Atomgesetzes für die Blöcke A und B gestellt. Die RWE Power AG betrachtet diesen Antrag in Verbindung mit weiteren Ertüchtigungsmaßnahmen insbesondere auch vor dem Hintergrund eines begrenzten Weiterbetriebes der Anlagen als Ersatzmaßnahme zum Notstandssystem 1989 für die Blöcke A und B.

Im Hinblick auf die schnellstmögliche Verbesserung des Sicherheitsniveaus beim Kernkraftwerk Biblis wurde die RWE Power AG deshalb aufgefordert, ergänzend zu dem oben genannten Antrag A 23/99 zur Nachrüstung einer Notstandsnachkühlkette für die Blöcke A und B ein Alternativkonzept vorzulegen, aus dem hervorgehen muss, auf welche Weise die mit dem bisherigen Verfahren vorgesehenen sicherheitstechnischen Verbesserungen der Notstandsfunktionen erreicht werden sollen. Dieses Konzept (Notstandskonzept 2000) wurde mit Schreiben vom 4. August 1999 eingereicht.

Die Landesregierung will fortlaufend das jeweils bestmögliche, realisierbare Sicherheitsniveau der Anlagen erreichen. Aus diesem Grund war die Eignung der mit Schreiben vom 12. Mai 1999 beantragten Maßnahmen zur Erreichung der Zielsetzung uneingeschränkt und sorgfältig zu prüfen. Im Ergebnis ist die Gleichwertigkeit hinsichtlich der Notstandsfunktionen festgestellt.

Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt:

Frage 1. Ist die Landesregierung der Auffassung, dass das zurzeit in der Umsetzung befindliche Notstandskonzept 2000 bei einem unbegrenzten Weiterbetrieb die gleiche Sicherheit bietet wie die ursprünglich vorgesehene verbunkerte Notstandswarte?

Im Rahmen der Konzeptbewertung des Notstandskonzepts 2000 für die Blöcke A und B wurde geprüft, ob die erforderlichen Notstandsfunktionen entsprechend dem heutigen Stand von Wissenschaft und Technik unter Berücksichtigung des vorhandenen Anlagenschutzkonzeptes erfüllt werden. Der Gutachter kommt zusammengefasst zu folgenden wesentlichen Ergebnissen:

1. Das Notstandssystem 2000 ist bei dem unterstellten Störfallszenario geeignet, die Anforderungen der Leitlinien der Reaktorsicherheitskommission, die an Notstandssysteme zu stellen sind, zu erfüllen.

2. Das Notstandskonzept 2000 stellt eine wesentliche Verbesserung gegenüber dem derzeitigen Zustand dar, insbesondere durch die Automatisierung der zusätzlichen Dampferzeugerbespeisung RZ und durch die zusätzlichen Notstandsnachkühlketten in den Blöcken A und B.

Die Sicherheitsebene 4 umfasst spezielle Ereignisse und Zustände, die aufgrund ihrer Eintrittshäufigkeit nicht den auslegungsbestimmenden Störfällen zugerechnet werden.

3. Die beim Eintritt eines Notstandsfalls während des Leistungsbetriebes kurzfristig erforderlichen Maßnahmen, z. B. Reaktorschnellabschaltung, Frischdampfabgabe und Dampferzeugerbespeisung, sind bzw. werden mit dem Notstandskonzept 2000 automatisiert und ermöglichen den geforderten mindestens zehnstündigen Betrieb ohne Handmaßnahmen.

4. Die erst zu einem späteren Zeitpunkt benötigten Maßnahmen zum Abfahren, Borieren, Leckageergänzung und Nachkühlen des Reaktorkühlkreislaufes und des Brennelementlagerbeckens sind Bestandteil des Notstandskonzeptes 2000. Für die Einleitung dieser Funktionen sind Handmaßnahmen erforderlich und aufgrund der Karenzzeiten entsprechend den Leitlinien der Reaktorsicherheitskommission auch zulässig.

Sowohl mit dem Notstandssystem 1989 als auch mit dem Notstandssystem 2000 werden unter Berücksichtigung des bestehenden Schutzkonzeptes der Blöcke A und B die Anforderungen des kerntechnischen Regelwerkes erfüllt.

Im Hinblick auf die Notstandsfunktionen bietet das Notstandskonzept 2000 gegenüber dem Notstandssystem 1989 praktisch eine vergleichbare Sicherheit. Dies wurde auch durch ergänzende probabilistische Untersuchungen bestätigt. Die Gutachter haben festgestellt, dass bei den zu unterstellenden auslösenden Ereignissen der Anteil des Speisewassersystems an der Summe der erwarteten Schadenszustandshäufigkeiten dominant ist. Insofern ist vorrangig die Automatisierung der sekundärseitigen Dampferzeuger-Bespeisung nachzurüsten. Die in diesem Zusammenhang von der Anlagenbetreiberin vorgesehenen Maßnahmen (A 28/97) sollen in der Revision 2002 umgesetzt werden.

Zur Beurteilung der Gleichwertigkeit sind weitere Gesichtspunkte von Bedeutung. Dies betrifft die Bereiche Anlagensicherung und bestehende Sicherheitssysteme der Sicherheitsebene .

Zum Bereich Anlagensicherung ist festzustellen, dass sowohl das Notstandssystem 1989 als auch das Notstandskonzept 2000 in das Sicherungskonzept der Anlagen eingebunden ist. In beiden Fällen wird das Sicherungskonzept an den heutigen Stand angepasst, sodass auch in diesem Bereich keine gravierenden sicherungstechnischen Unterschiede bestehen.

Die bei der Errichtung des Notstandssystems 1989 vorgesehene Ertüchtigung bestehender Sicherheitssysteme, insbesondere des Reaktorschutzsystems, wird mit dem Notstandskonzept 2000 nicht weiterverfolgt. Inwieweit gleichwohl weitere Verbesserungsmaßnahmen an bestehenden Sicherheitssystemen erforderlich werden, wird derzeit im Rahmen von Sicherheitsanalysen für die Blöcke A und B geprüft und ermittelt.

Frage 2. Wenn nein, welche Maßnahmen müssen zusätzlich ergriffen werden, um vom Notstandskonzept 2000 ausgehend die gleiche Sicherheit wie durch eine verbunkerte Notstandswarte zu erreichen?

Im Notstandsfall gewährleistet das Notstandskonzept 2000 eine vergleichbare Sicherheit wie die Notstandswarte 1989. Im Übrigen wird auf die Antwort zu

Frage 1 verwiesen.

Frage 3. Was hat die Landesregierung bisher getan, um über ihre atomaufsichtliche Funktion dies gegenüber dem Betreiber durchzusetzen?

Zur Erhöhung der Anlagensicherheit werden in unterschiedlichen Bereichen der Anlagen Verbesserungsmaßnahmen realisiert bzw. derzeit in entsprechenden Verwaltungsverfahren geprüft. Als Stichwort ist insbesondere das vereinbarte Nachrüstpaket zu nennen, welches in der Revision 2002 des Blockes A umgesetzt werden soll. In diesem Nachrüstpaket sind auch die Maßnahmen enthalten, die im Rahmen des Notstandskonzeptes 2000 realisiert werden sollen. Inwieweit weitere Verbesserungsmaßnahmen erforderlich werden, hängt insbesondere von dem Ergebnis der derzeit laufenden Sicherheitsanalysen für die Blöcke A und B ab. Soweit die Betreiberin erforderlichen Verbesserungsmaßnahmen nicht auf freiwilliger Basis nachkommt, werden diese mit den bestehenden verwaltungsrechtlichen Möglichkeiten durchgesetzt.

Der Sicherheitsebene 3 sind Ereignisabläufe zuzuordnen, bei deren Eintreten der Betrieb oder die Tätigkeit aus sicherheitstechnischen Gründen nicht fortgeführt werden kann und für den die Anlage ausgelegt ist oder für die bei der Tätigkeit vorsorglich Schutzvorkehrungen vorgesehen sind.

Frage 4. Ist dieses Konzept als Ersatz einer verbunkerten Notstandswarte vor allem dann ausreichend, wenn beide Reaktoren beschädigt sind?

Sowohl beim Notstandssystem 1989 als auch beim Notstandskonzept 2000 wird davon ausgegangen, dass in einem Notstandsfall z. B. das Reaktorgebäude und auch die in diesen Gebäuden befindlichen sicherheitstechnisch wichtigen Systeme (insbesondere der Primärkühlkreislauf) nicht beschädigt werden.

Beide Konzepte können nur unter diesen Randbedingungen ihre sicherheitstechnischen Aufgaben erfüllen. Insofern ist die Unverfügbarkeit der Warte mit dem Ausfall des Schaltanlagengebäudes und als Folge dem Ausfall der Stromund Speisewasserversorgung das Ausgangsszenario für beide Konzepte. Darüber hinausgehende weiträumige Zerstörungen werden nicht unterstellt. Unter diesen Randbedingungen ist das Notstandskonzept 2000 ein vergleichbarer Ersatz zum Notstandssystem 1989.

Frage 5. Welche Elemente des Notstandskonzeptes sind bereits umgesetzt worden und welche Elemente werden in den beiden Blöcken in den jeweils nächsten Revisionen umgesetzt?

Das Notstandskonzept 2000 für die Blöcke A und B des Kernkraftwerkes Biblis besteht systemtechnisch aus den vorhandenen Systemen Notstandssystem RX und zusätzliches Sekundäreinspeisesystem RZ sowie aus den Anträgen Automatisierung des Starts des RZ-Systems (A 28/97) und Errichtung von Notstandsnachkühlketten in den Blöcken A und B des Kernkraftwerkes Biblis (Änderungsantrag A 23/99). Dabei werden Teile der bestehenden Sicherheitssysteme, z. B. Reaktorschnellabschaltung, Frischdampfabgabe, Primär- und Sekundärkreisabschluss, genutzt. Ergänzend dazu ist aus dem Bereich Anlagensicherung mit dem Antrag A 26/99 die Errichtung einer Umschließung des RZ-Systems in Barrierenqualität beantragt.

Die Errichtung und Inbetriebnahme der mit den Anträgen A 28/97 und A 23/99 beantragten Maßnahmen ist in den jeweiligen Revisionen 2002 der Blöcke A und B vorgesehen, wobei vorbereitende Maßnahmen auch schon vorher umgesetzt werden. Die Genehmigung zur Automatisierung des Starts des RZ-Systems (A 28/97) ist am 17. Januar 2002 erteilt worden. Für die Errichtung und den Betrieb von Notstandsnachkühlketten in den Blöcken A und B sind vier Genehmigungen erforderlich. Die 1. Teilerrichtungsgenehmigung für die Notstandsnachkühlkette des Blockes A wurde am 28. September 2001 erteilt. Aus heutiger Sicht können die weiteren für die Notstandsnachkühlketten erforderlichen Genehmigungen rechtzeitig vor dem jeweiligen Revisionsbeginn erteilt werden.

Die Errichtung einer Umschließung des RZ-Systems in Barrierenqualität (Antrag A 26/99) ist ebenfalls für 2002 geplant.

Frage 6. Wie weit ist der Verfahrensstand hinsichtlich der dann noch fehlenden Elemente gediehen?

Hier wird auf die Antwort zu Frage 5. verwiesen.