Die Landesbeauftragte rät Gemeinderäten im Überprüfungsbeschluss auch das Überprüfungsverfahren mit zu regeln

Selbst eine nach Thüringer Kommunalwahlgesetz bis zur Kommunalwahl im Jahr 2004 zur Prüfung der Wählbarkeit vorgesehene Überprüfung von Stadträten und Gemeinderäten ist nach Informationen der Thüringer Allgemeinen vom 14. April 2004 nur von 14 der 23 Thüringer Kreistage und Stadträte kreisfreier Städte vorgenommen worden. Hintergrund für das Nichtfassen von Überprüfungsbeschlüssen bildete eine schriftliche Verfügung des Landesverwaltungsamtes vom August 2000, die die Stasi-Überprüfung durch eigene Kommissionen der Kreistage und Gemeinderäte untersagte. Mit Rundschreiben des Thüringer Innenministeriums vom 22. Dezember 2004 gilt dies so nicht mehr (siehe auch Tätigkeitsbericht für das Jahr 2005). Aus den zahlreichen Anfragen von Gemeindevertretungen an die Landesbeauftragte zum Überprüfungsverfahren im Jahr 2006 kann geschlossen werden, dass weiterhin großes Interesse besteht, sich kritisch mit der DDR-Vergangenheit auseinander zu setzen. Die Überprüfung trägt dazu bei, das Vertrauen der Bürger in die Integrität der öffentlichen und nichtöffentlichen Stellen zu stärken und bietet gleichzeitig Schutz vor Gerüchten und falschen Verdächtigungen.

Die Landesbeauftragte rät Gemeinderäten im Überprüfungsbeschluss auch das Überprüfungsverfahren mit zu regeln. Dabei sollten folgende Punkte berücksichtigt werden:

a) Bildung eines Überprüfungsausschusses, jede Fraktion/Gruppierung sollte durch eine Person vertreten sein. Da keine Entscheidungen zu treffen sind, erübrigt sich die paritätische Besetzung.

b) Die Mitglieder des Überprüfungsausschusses sind zur Geheimhaltung verpflichtet.

c) Festlegung, wer berechtigt ist die entgegen zu nehmen? Die sollte verschlossen und sicher verwahrt werden.

d) Die Öffnung der sollte nur bei Anwesenheit aller Mitglieder des Überprüfungsausschusses erfolgen.

e) Eine Weitergabe der muss grundsätzlich ausgeschlossen sein.

f) Die Anhörung des durch die belasteten Gemeinderatsmitgliedes und die Gelegenheit, am Kommissionsergebnis mitzuwirken, müssen gewährleistet sein.

g) Das Gemeinderatsmitglied muss selbst darüber entscheiden, ob es sein Mandat aufgibt.

h) Der Gemeinderat wird in nichtöffentlicher Sitzung über das Überprüfungsergebnis informiert.

Die Thematik Tätigkeit für die Staatssicherheit erscheint wellenartig immer wieder vom Blick der Öffentlichkeit erfasst zu werden. Arbeiten zum Thema Sport und Doping in der DDR, das Bekannt werden von unwahren Angaben eines Bewerbers vor der Wahl um das Amt eines politisch Verantwortlichen oder die im vergangenen Jahr ganz besonders dreisten Auftritte und Geschichtsklitterungen von Personen der einstigen politischen Elite der SED in der DDR zeigen, dass das Thema Staatssicherheit auch in der Bevölkerung noch lange nicht abgeschlossen ist. Häufig ist Anlass der öffentlichen Empörung nicht nur der Fakt, dass eine heute aus eigenem Antrieb in die Öffentlichkeit drängende Person ehemals mit dem zusammenarbeitete und dies leugnete, sondern die Art und Weise, wie die Person nach dem Öffentlichwerden der einstigen heute mit seinem damaligen Tun umgeht. Mit Bitternis nehmen die ehemals zum Opfer Gewordenen Verharmlosung wahr.

Die Opfer werden ermahnt, endlich Ruhe zu geben. Sie würden nerven und alles sei doch schon so lange her. Ein Wort der Entschuldigung hören sie nicht.

Bürgerberatung und psychosoziale Betreuung

Zum gesetzlichen Auftrag der Landesbeauftragten gehört die Beratung, psycho-soziale Betreuung und die Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger bei allen Fragestellungen um das Stasi-Unterlagen-Gesetz. Nach Informationen der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik gingen im Jahr 2006 etwa 97.000 Anfragen auf Einsicht in Unterlagen des früheren Ministeriums für Staatssicherheit ein. Das sind 20 % mehr Anträge als im Vorjahr. Seit 1992 wurden in Summe 2,3 Millionen Anfragen an die Bundesbeauftragte gestellt. An den Zahlen gemessen ist die Nachfrage nach wie vor ungebrochen. Das entspricht der Erfahrung der Landesbeauftragten im Berichtszeitraum zu den Anfragen und Nachfragen. Filme wie

Das Leben der Anderen und Jeder schweigt von etwas anderem wühlen die Menschen auf.

Die scheinbar vergessene Vergangenheit ist wieder ganz nah. Sie lässt sich so einfach nicht verdrängen, will nicht vergehen. Auf der Suche nach dem Leben mit der Vergangenheit folgen einem ersten, mitunter zunächst abtastenden Gespräch weitere, auch telefonisch.

Wie in den vergangenen Jahren wurden auch in 2006 Beratungsgespräche am Amtssitz der Landesbeauftragten in Erfurt und deren Außenstellen in Gera und Suhl in der Regel auf Voranmeldung durchgeführt.

Die Vor-Ort-Beratungen der Landesbeauftragten werden als Bürgersprechstunden in Landratsämtern, den Außenstellen der Landratsämter und in Stadtverwaltungen angeboten.

Diese Vor-Ort-Beratungsangebote können ohne Voranmeldung von den Bürgern genutzt werden. Auch im Jahr 2006 wurden die Vor-Ort-Beratungen der Landesbeauftragten durch die Beratungsinitiative unterstützt. Ermöglicht wurde das Projekt Beratungsinitiative durch das Thüringer Ministerium für Soziales, Familie und Gesundheit und die Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur in Berlin, die die Finanzierung übernahmen.

Als Träger des Projektes konnten erneut das Bürgerkomitee des Landes Thüringen e. V. und der Caritasverband für das Bistum Erfurt e. V gewonnen werden. Die Fachaufsicht über das Projekt Beratungsinitiative wird von der Landesbeauftragten wahrgenommen. Das Beratungsangebot im St. Franziskushaus Saalfeld der Caritas Regionalstelle Weimar-Jena durch einen Mitarbeiter der Beratungsinitiative (jeweils montags) konnte aufrecht erhalten werden. Zur Statistik der Beratungsgespräche Vor-Ort siehe weiter unten. Eine Statistik zu Beratungen in den Dienststellen der Landesbeauftragten - sowohl zu persönlichen Vorsprachen als auch zur telefonischen Beratung - wurde nicht geführt.

Das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport organisierte in Göttingen zwei Beratungstage für ehemalige Verfolgte des SBZ/DDR-Regimes. Der Anfrage Niedersachsens um Einbringung der bei der Thüringer Landesbeauftragten vorhandenen Fachkompetenz durch einen Mitarbeiter an diesen Tagen wurde entsprochen. Im Nachgang zu diesen Beratungstagen meldeten sich einige ehemalige politische Häftlinge der SBZ/DDR telefonisch aus Niedersachsen in der Erfurter Dienststelle der Landesbeauftragten mit Fragen zu den SED-Unrechtsbereinigungsgesetzen und zu Rehabilitierungsmöglichkeiten.

Im Sommer 2006 wurde das Projekt EINSCHLUSS II in Fortführung des Projektes des Jahres 2005 in der Erfurter Untersuchungs-Haftanstalt des in der Andreasstraße durchgeführt. Neben regelmäßige Führungen mit Informationen zur Haftanstalt und zum Ministerium für Staatssicherheit wurden auch Fragen zur Rehabilitierung und Wiedergutmachung beantwortet bzw. Gesprächstermine zur weiteren individuellen Beratung und Unterstützung in der Dienststelle vereinbart.

Leistungen nach dem Beruflichen Rehabilitierungsgesetz

Nach der Wiedervereinigung war dem gesamtdeutschen Gesetzgeber klar, dass die Mehrheit der Bevölkerung in der DDR (im Vergleich zu den West-Deutschen) beruflich benachteiligt war. Ausbildungsangebote wurden in der DDR am Bedarf geplant, so dass es für eine Mehrzahl keine freie Berufswahl gab. Der Zugang zu Abitur und Hochschulausbildung war zusätzlich ideologisch motivierten Reglementierungen unterworfen. Ebenso unterlag der berufliche Aufstieg oft vorrangig Anforderungen, die unabhängig von dem im Berufsleben nachgewiesenen Können des Bewerbers waren.

Für eine Wiedergutmachung des im Beruf erlittenen Unrechts sah der Gesetzgeber enge finanzielle Grenzen, da der wirtschaftliche Aufbau in den jungen Ländern und damit einhergehend die Angleichung der Lebensverhältnisse in einem überschaubaren Zeitraum erreicht werden sollten. Leitlinie beim Beruflichen Rehabilitierungsgesetz war für den Gesetzgeber, Ausgleichsleistungen für die Opfer individueller Verfolgung bereit zu stellen. Berufliche Benachteiligungen, die systembedingt allgemeines DDR-Schicksal waren, können daher nicht zu Ausgleichsleistungen führen. Das der Gesetzgeber bei der Bemessung von Wiedergutmachungsleistungen Rücksicht darauf nehmen darf, welche finanziellen Möglichkeiten er unter Berücksichtigung der sonstigen Staatsaufgaben hat., entschied das Bundesverfassungsgericht bereits mit seinem Urteil vom 23.04.1991 84,90). Kern des Beruflichen Rehabilitierungsgesetzes bildet der Ausgleich von heute noch fortwirkenden Nachteilen in der Rentenversicherung, die durch Eingriffe aus politischen Gründen in den Beruf oder die berufsbezogene Ausbildung erfolgt sind. Darüber hinaus sieht das Berufliche Rehabilitierungsgesetze unter bestimmten Voraussetzungen Ausgleichsleistungen für Verfolgungsopfer vor, die in Ihrer wirtschaftlichen Lage besonders beeinträchtigt sind.

Für verfolgte Schüler (§ 3 sieht das Berufliche Rehabilitierungsgesetz Hilfe zur Selbsthilfe (bevorzugte Förderung von Fortbildung, Umschulung und Studium) vor. Diese Regelung für verfolgte Schüler konnte objektiv (Alter) und persönlich (familiäre Situation) nur von einem kleinen Kreis der Betroffenen in Anspruch genommen werden.

Durch den mit Artikel 7 des Gesetzes vom 27.07.2001 (BGBl I 2001 S. 1943) korrigierten Widerspruch im Beruflichen Rehabilitierungsgesetz (§§ 3 und 12 regelten bis dahin die Anrechnung von Ausbildungszeiten für verfolgte Schüler widersprüchlich), waren auch für verfolgte Schüler deren Schul- oder Hochschulausbildung durch eine Verfolgungsmaßnahme unterbrochen, jedoch später wieder aufgenommen wurde, Ausbildungszeiten als Anrechnungszeiten bis zum Doppelten der allgemein geltenden Höchstdauer anzuerkennen.

Durch das Gesetz zur Sicherung der nachhaltigen Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung (BGBL I 2004 S. 1791) mit dem schulische und akademische Ausbildungszeiten einer geänderten rentenrechtlichen Bewertung unterliegen (sie werden seit 01.01.2005 mit 0 Entgeltpunkten bewertet) ist auch die Aufhebung des Rentennachteils für verfolgte Schüler auf Grund eines verfolgungsbedingten Eingriffs in die Schul- bzw. Hochschulausbildung dahin. Die durch die Verfolgungsmaßnahme bedingten längeren Ausbildungszeiten werden fiskalisch in der Rente nicht mehr wirksam. De facto bleibt einer überwiegenden Mehrheit verfolgter Schüler heute nur die moralische Rehabilitierung, da sie von weiteren Leistungen ausgeschlossen sind.