Im Idealfall ergänzen sich einladende und aufsuchende Elternarbeit

Welche Möglichkeit sieht die Landesregierung eine einladende Elternarbeit in den Thüringer Bildungseinrichtungen durch eine aufsuchende zu ergänzen?

Im Idealfall ergänzen sich einladende und aufsuchende Elternarbeit. Beide Formen der Elternarbeit setzen aktives Engagement sowohl auf Seiten der Eltern als auch der Erzieher und Lehrkräfte voraus.

Grundsätzlich sehen die rechtlichen Grundlagen zur Elternarbeit keine Präferenz einer einladenden gegenüber einer aufsuchenden Elternarbeit vor. Beide Formen der Elternarbeit sind nützlich und dienen dazu, Bildungseinrichtung und Elternhaus besser miteinander zu vernetzen und frühzeitig Probleme zu identifizieren. Die nicht unbelastete aufsuchende Elternarbeit vor der Neugründung des Freistaats Thüringen hat in der Folgezeit dazu geführt, dass die aufsuchende Elternarbeit eher selten praktiziert wird. Aufsuchende Familienarbeit wird vorrangig im frühkindlichen Bereich durch Hebammen und durch Frühförderstellen gewährleistet, perspektivisch durch Familienhebammen. Darüber hinaus leistet Familienpflege als aufsuchende Maßnahme Hilfe und Unterstützung für Familien.

Die Analyse der Entwurfsfassung des Bildungsplans für Kinder bis 10 Jahre zeigt aber, dass mit diesem Steuerungsinstrument versucht wird, an ganz verschiedenen Stellen beide Formen der Elternarbeit zu betonen und deren grundsätzliche Bedeutung herauszustellen.

Aus der Entwurfsfassung seien die folgenden Stellen zitiert: Die Entwicklung von Resilienz [das heißt Widerstandsfähigkeit] setzt daher die genaue Kenntnis der Lebensumstände jedes Kindes voraus;..., Für die Qualität der privaten und der öffentlichen Erziehung ist von großer Bedeutung, wie sich das Verhältnis zwischen der Familie und den öffentlichen Institutionen kindlicher Bildung gestaltet, Öffnung auf Seiten der Familie bedeutet aber auch, dass die Eltern über das Verhalten des Kindes in der Familie, über besondere Erlebnisse sowie über die Erziehungsziele und Erziehungsmethoden sprechen. Auf Seiten der Institutionen geht es darum, den Alltag in der Bildungsinstitution für die Familien transparent zu machen., Während für Eltern der Grundsatz der freiwilligen Zusammenarbeit gilt, gehört für Erzieher und Lehrer Zusammenarbeit zum professionellen Verständnis ihrer qualifizierten Arbeit., Das oftmals vorausgesetzte Vertrauen und eine gegenseitige Wertschätzung entwickeln sich erst in einem längeren Prozess auf der Basis gemeinsamer Erfahrungen. Es ist die Aufgabe der Professionellen, diese gemeinsamen Erfahrungen zu initiieren. Ebenso ist es die Aufgabe von Professionellen, Informationswege und -gelegenheiten zu arrangieren., Eltern können Erzieherinnen und Lehrern einen Einblick in die Familiensituation und den Lebensalltag der Kinder außerhalb der Tagesstätte beispielsweise in informellen oder formellen Gesprächen geben. Sinnvoll ist es, dass die Professionellen jährlich einen Hausbesuch machen und dass sich Eltern, andere Bezugspersonen und Professionelle über den Entwicklungsstand des Kindes regelmäßig austauschen.

Besonders effektiv ist eine aufsuchende Elternarbeit im ersten Lebensjahr dann, wenn die Lebensbedingungen und -umstände erwarten lassen, dass die liebende und wertschätzende Annahme des Kindes nicht so deutlich gelingt, damit ein Urvertrauen als Voraussetzung für altersgerechte Entwicklungsprozesse und späteres Lernen ohne Hilfe entstehen kann. Da der Bildungsplan für Kinder bis 10 Jahre Gültigkeit hat, werden diese Aussagen auch für Kinder im Grundschulalter Bedeutung gewinnen. Wenn von frühester Kindheit an auch über die Grundschule die aufsuchende Elternarbeit als hilfreich erlebt wird, sollte sie auch bedarfsgerecht ihren Platz in weiterführenden Schulen finden. Beide Formen der Elternarbeit, die aufsuchende wie die einladende, haben ihre Berechtigung.

6.10Welche Notwendigkeit sieht die Landesregierung in der Errichtung bzw. dem Ausbau von Kindertageseinrichtungen als Anlaufpunkte und Unterstützungsservice für Eltern?

Auch hierzu gibt der Bildungsplan für Kinder bis 10 Jahre Auskunft, wie diese Zitate belegen:

- Viele schützende Faktoren, die zur Resilienz beitragen, lassen sich in pädagogischen Kontexten wirkungsvoll unterstützen.... Ein wichtiger schützender Faktor ist außerdem eine erwachsene Bezugsperson außerhalb der Herkunftsfamilie, die an der Entwicklung des Kindes und an seinem Wohlbehalten langfristig und verbindlich interessiert ist. Diese Person kann beispielsweise die Tagesmutter, die Kindergärtnerin oder die Lehrerin sein.

- Es sind alle Personen (Nachbarn, Verwandte, Schule, Kindergarten usw.) aufgefordert, darauf zu achten, dass Kindern eine Erziehung widerfährt, die auch tatsächlich ihrem Wohl dient.

- Die Eltern möchten wissen, wie normalerweise ein Tag abläuft, welche Bildungsziele, -vorstellungen und -praktiken die Professionellen haben, wie sie sich in schwierigen Situationen (zum Beispiel gegenüber einem trotzenden oder aggressiven Kind) verhalten. Auch wollen sie von dem entwicklungspsychologischen und pädagogischen Fachwissen und den Erfahrungen der Erzieherinnen und Lehrer profitieren. Vor allem aber wünschen sie Informationen darüber, wie sich ihr Kind in der Gruppe verhält, wie es sich entwickelt, welchen Lernfortschritt es macht und ob es Schwierigkeiten hat.

- Die Familie und die Institution kindlicher Bildung versuchen, ihre Bildungs- und Erziehungsziele, -methoden und -bemühungen aufeinander abzustimmen, den Bildungs- und Erziehungsprozess gemeinsam zu gestalten, sich wechselseitig zu ergänzen und zu unterstützen...

- Grundsätzlich sind alle Formen der gelungenen Erziehungspartnerschaft und insbesondere die Elternbildung als ein bedeutsamer Resilienzfaktor für die kindliche Entwicklung anzusehen.

Das Thüringer Kindertagesstättengesetz schreibt in § 6 Abs. 2 eine ganzheitliche Eltern- und Familienbildungsarbeit als Aufgabe von Kindertageseinrichtungen fest.

Kindertageseinrichtungen sind familienbegleitende Einrichtungen, keine Familienberatungsstellen. Sie arbeiten jedoch mit den Beratungsstellen und dem Jugendamt eng zusammen. Die Landesregierung erachtet es für wichtig, dass in Kindertageseinrichtungen zwischen den Eltern und den Erzieherinnen eine Kooperation, eine so genannte Erziehungspartnerschaft im Hinblick auf die Qualität der privaten und der öffentlichen Erziehung, gestaltet wird. Aus diesem Grunde sollen Erzieherinnen und Eltern in gleicher Weise in die Evaluation und Qualitätsentwicklung in den Kindertageseinrichtungen einbezogen werden. Erziehungspartnerschaft bedeutet nicht nur den Austausch von Informationen über das Verhalten, die Bildung und Erziehung des Kindes, sondern geht einen entscheidenden Schritt weiter. Die Eltern und die Institution kindlicher Bildung versuchen, ihre Bildungs- und Erziehungsziele, -methoden und -bemühungen aufeinander abzustimmen, den Bildungs- und Erziehungsprozess gemeinsam zu gestalten, sich wechselseitig zu ergänzen und zu unterstützen.

Vom und vom Landesjugendamt werden entsprechende Fortbildungen im Bereich Kindertageseinrichtungen für Erzieher und Eltern angeboten.

6.11Welche Erfahrungen liegen mit dem Landesbündnis für Familie, dessen Vernetzung mit der kommunalen Ebene und dem in diesem Rahmen vorgesehenen jährlichen Aktionstag zur Darstellung der Eltern- und Familienarbeit vor?

Eine beträchtliche Zahl Thüringer Kommunen ist neben maßgeblichen Thüringer Institutionen, Vereinigungen und Verbänden Mitglied im Landesbündnis für Familie. Das Landesbündnis für Familie greift landesweit bedeutsame familienpolitische Themen auf, um Veränderungen voranzubringen. So hat es maßgeblich die Gründung und Begleitung der Lokalen Bündnisse für Familien in Thüringen angestoßen. Anliegen der lokalen Bündnisse ist es, konkrete Verbesserungen für die Familien vor Ort zu erreichen. Die hierzu beim Thüringer Arbeitskreis für Familienverbände eingerichtete Projekt- und Koordinierungsstelle des Landes begleitet Initiativen zur Gründung oder Fortführung eines lokalen Bündnisses für Familien.

Mit den im Landesbündnis für Familie aufgegriffenen Themen wurde ein wesentlicher Impuls für die Erarbeitung des umfassenden Reformkonzeptes des Thüringer Familienfördergesetzes gesetzt. Die 7. Sitzung des Landesbündnisses am 16. Februar 2007 diente der Auswertung des durch dieses Gesetz bislang erreichten Standes.

Auf die Initiative des Ministerpräsidenten und von Verbänden wurde eine Monitoringgruppe zur Umsetzung des Thüringer Familienfördergesetzes eingerichtet, die auch Impulse der lokalen Ebenen aufgreift. Die Thüringer Landesregierung erhofft sich hieraus weiteren Nutzen und Akzeptanz bei der Umsetzung der Familienoffensive.

Prof. Dr. Goebel Minister.