Bis zum 31122008 wurden in Thüringen 7621 Anträge auf die besondere Zuwendung für Haftopfer Opferrente gestellt

In der DDR sollte ihnen die Jugendsünde später den beruflichen Alltag nicht behindern, im Privaten war es zudem oft die Scham vor den Partnern. Den Republikflüchtigen begegnete in der Bundesrepublik nicht selten die Meinung, auch in den Behörden, dass die DDR keinen umsonst inhaftierte.

Bis zum 31.12.2008 wurden in Thüringen 7.621 Anträge auf die besondere Zuwendung für Haftopfer (=Opferrente) gestellt. Es wurden 5.410 davon bewilligt und 37 ablehnende Bescheide erlassen. 1.400 Anträge wurden wegen Nichtzuständigkeit an andere Länder abgegeben oder erledigten sich in sonstiger Weise. Der Bund und der Freistaat Thüringen stellten für die Auszahlung der besonderen Zuwendung für Haftopfer im Jahr 2008 mehr als 18,7 Mio. Euro bereit.

Um Unterstützung bat Frau W. aus Baden Württemberg die Landesbeauftragte, da es im zuständigen Landratsamt Probleme mit ihrer Einkommensermittlung gab. Frau W. hatte im August 2007 formlos den Antrag auf die besondere Zuwendung für Haftopfer gestellt, da sie zuvor arbeitslos geworden war. Nach einem Monat fand sie im September 2007 eine neue Arbeitsstelle, wenn auch mit einem geringeren monatlichen Entgelt. Im Januar 2008 füllte sie den Formantrag zur besonderen Zuwendung für Haftopfer zusammen mit dem Einkommensfragebogen aus. Sie hatte die Verdienste von ihrem Arbeitgeber, bei dem sie seit vier Monaten beschäftigt war, eintragen lassen und die Bescheinigung über das Arbeitslosengeld aus der einmonatigen Arbeitslosigkeit beigefügt. Die Mitarbeiterin im zuständigen Landratsamt weigerte sich den Antrag zu bearbeiten, wenn sie nicht die vorherigen Verdienste (bis zum zwölften Monat vor Antragstellung) von ihrem alten Arbeitgeber offen legt. Durch Vermittlung über das Innenministerium von Baden Württemberg konnte das Problem zur Zufriedenheit von Frau W. gelöst werden.

Zu den Unterstützungsleistungen nach § 18 Häftlingshilfegesetz und § 18 Strafrechtliches Rehabilitierungsgesetz siehe unter Stiftung für ehemalige politische Häftlinge.

Strafrechtliche Rehabilitierung naher Angehöriger

Als Anfang 2007 in den Medien gerade wieder einmal breiter über politische Verfolgung in der SBZ/DDR berichtet wurde, stellte Frau M. auch mit Blick auf den 10. Todestag ihres Vaters den Antrag nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz zur Rehabilitierung zu ihrem Vater.

1958, sie war gerade 10 Jahre, verschwand der Vater für ein Jahr ins Gefängnis. In dieser Zeit starb ihre Mutter. Daraufhin kamen sie und zwei ihrer jüngeren Schwestern ins Kinderheim. Die jüngste Schwester, damals 18 Monate alt, sah sie erst nach 1990 wieder. Sie war zunächst in ein Säuglingsheim gebracht und - was die Familie nicht wusste - zur Adoption frei gegeben worden.

Nach der Haftentlassung kamen die drei ältesten Töchter in den Haushalt des Vaters zurück.

Über die Haft des Vaters und den Verbleib der verschollenen Schwester wurde in der Familie bis 1989 nicht gesprochen. 1990 machte sich Frau M. auf die Suche nach der jüngsten Schwester.

Als sie diese gefunden hatte, freuten sich alle. Die Adoptiveltern wurden von dieser plötzlichen Situation überrascht, denn ihnen war damals gesagt worden, dass sie ein Waisenkind adoptieren würden, das keine Geschwister habe. Das hatten sie ihrer Adoptivtochter frühzeitig so weiter gegeben. Für Frau M. und ihre Schwestern gibt es an dieser Darstellung bis heute auch keine Zweifel.

Kurz vor dem Tode erzählte der Vater, dass er nach Verlust der Heimat zum Kriegsende schlechte Erfahrungen mit den sowjetischen Soldaten gemacht hatte. 1957 habe er im betrunkenen Zustand über die Russen geschimpft und das sei der Grund für seine einjährige Haft gewesen. Er schäme sich, dass er seinen Kindern dies angetan hatte.

Vom zuständigen Landgericht erhielt Frau M. sechs Monate nach Antragstellung auf Rehabilitierung nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz die Stellungnahme der Staatsanwaltschaft zugesandt. Diese schrieb, dass die Entscheidung des Kreisgerichts zur Verurteilung ihres Vaters nicht mehr vorliegt. Der Sachverhalt der Verurteilung würde sich aber aus dem Urteil des Bezirksgerichts ergeben. Das Bezirksgericht habe das Urteil des Kreisgerichts nur im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben. Bei der im Vollrausch begangenen Tat handele es sich um beleidigende Äußerungen. Die Verurteilung habe nicht der politischen Verfolgung gedient und sei auch sonst mit den wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Grundordnung nicht unvereinbar. Die angeordnete Rechtsfolge kann zwar als sehr hart angesehen werden; sie steht jedoch nicht im groben Missverhältnis zum zu Grunde liegenden Strafvorwurf., so die Staatsanwaltschaft weiter. Frau M. war wie gelähmt als sie diese Zeilen las. Sie konnte und wollte darauf nicht reagieren.

Umso überraschter war sie, als sie drei Monate später vom Landgericht den Beschluss erhielt, mit dem das einstige Urteil des Kreisgerichts gegen ihren Vater voll umfänglich aufgehoben wurde, die damalige Entscheidung als rechtsstaatswidrig und die gesamte Haftzeit als Unrecht festgestellt wurde. In der Begründung heißt es: Die aufzuhebende Entscheidung ist mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlich rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbar, weil sie der politischen Verfolgung des Betroffenen gedient hat. Die aus dem Berufungsurteil ersichtlichen Äußerungen des Betroffenen sind größtenteils als Meinungsäußerungen anzuschauen, nicht als Beleidigung. Die im Berufungsurteil des Bezirksgerichts vorgegebenen Leitlinien für eine neue Festsetzung der Strafe enthalten nur politische Erwägungen.

Es liegt somit ein Regelbeispiel für einen politisch motivierten Missbrauch der staatlichen Strafgewalt vor, der nach § 1 Abs. 1 Ziffer 1 zur Aufhebung der Entscheidung führt; Umstände, die eine Ausnahme von diesem Regelfall rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich. Frau M. sagte, dass sie in den ersten Tagen nach Erhalt des Rehabilitierungsbeschlusses einen Drang verspürte, diese Zeilen immer und immer wieder zu lesen. Die Wolken vor dem Bild ihres Vaters seien plötzlich weg.

Strafrechtliche Rehabilitierung? Und nur mit Stasi-Unterlagen?

Veranlasst durch die öffentliche Diskussion um eine Opferrente Anfang des Jahres 2007 kamen bei Herrn K. Erinnerungen an seine Verurteilung und Haft als 18-jähriger im Jahre 1958 hoch. Es ärgerte ihn auch, dass die 10 Monate Freiheitsentziehung in seiner Rentenbiografie eine Fehlstelle darstellen. Seine damalige Verurteilung zu 10 Monaten Gefängnis wegen eines Satzes zu einem FDJ-Sekretär, die er bis zum letzten Tag verbüßen musste, empfand er immer als ungerecht und begann ihn nun wieder zu schmerzen. Die wegen der Schlägerei zugleich mit ihm Angeklagten hatten nur 9 Monate erhalten.

Die Antragstellung an das Bundesarchiv weckte Hoffnungen, die auf Akteneinsicht in die hatte ihn trotz der gewährten Unterstützung Überwindung gekostet. Der Antrag auf Rehabilitierung nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz sollte für ihn nun eine Klärung herbeiführen. Das zuständige Landgericht teilte ihm mit, dass originäre Akten zum Urteil aus dem Jahr 1958 nicht mehr vorlägen. Der Eintrag des Urteils sei in der Entscheidungskartei unter den Stichworten gefährliche Körperverletzung, Staatsverleumdung erfolgt und lasse eine Verurteilung aus politischen Gründen nicht erkennen. Bei Erhalt dieses Schreibens verspürte Herr K. Beklemmungen wie bei der Verurteilung 1958. Er teilte mit, dass er eine innere Unruhe verspüre, die ihn schlecht in den Schlaf kommen lasse. Damals hatte er kein Urteil erhalten, jetzt glaubte man ihm nicht.

Akteneinsicht in Stasi-Unterlagen hatte Herr K. aus Angst vor bösen Überraschungen bis 2006 noch nicht beantragt, obwohl er während der Untersuchungshaft zeitweise bei der Staatssicherheit inhaftiert war.

Im Dezember 2007 erhielt er den Auszug aus der Zentralen Gefangenenkartei der DDR. Der dortige Eintrag unter Straftat wies gef. Körperverletzung aus. Als er im Januar 2008 Kopien von Unterlagen aus Stasi-Akten erhielt, zu denen auch die Kopie des ehemaligen Urteils gehörte, war auf der Urteilskopie aufgestempelt: Eintragung in Entscheidungskartei unter Stichwort: Staatsverleumdung/ Körperverletzung, gefährliche.

Mit Erhalt dieses Urteils fasste er den Mut, das Rehabilitierungsverfahren weiter zu verfolgen.

Das Urteil bestätigt die anfänglichen Angaben von Herrn K. Die zwei Mitangeklagten wurden wegen fortgesetzter gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung (§§ 223, 223a zu je 9 ­ neun - Monaten Gefängnis und Herr K. wegen Staatsverleumdung (§ 20 zu einer Gefängnisstrafe von 10 ­ zehn - Monaten verurteilt. Aus der Urteilsbegründung werden die der Verurteilung zu Grunde liegende Sachverhalte ersichtlich. Auf dem nächtlichen Nachhauseweg aus dem Nachbarort nach einer Tanzveranstaltung, bei der reichlich Alkohol getrunken worden war - für Herrn K. werden 25 Schnäpse und Biere angegeben (2,5 pro mille im Zeitpunkt der Tat) -, erhalten ein FDJ-Sekretär und dessen Bruder einige Faustschläge von den beiden Mitangeklagten von Herrn K., nach dem zuvor der Bruder des FDJ-Sekretärs einem der Mitangeklagten einen Tritt versetzt hatte. Herr K. hatte sich an dieser tätlichen Auseinandersetzung in keiner Weise beteiligt, wie laut Urteil in der Hauptverhandlung festgestellt worden war. Nach Beendigung der Schlägerei äußerte sich Herr K. dahingehend, dass der FDJ-Sekretär die Schläge zu Recht erhalten hätte. Danach gingen alle gemeinsam weiter, wobei sie sich noch über die tätliche Auseinandersetzung unterhielten.

Zum Tatanteil von Herrn K. heißt es im Urteil des Bezirksgerichts: Er hat den Zeugen... nach der tätlichen Auseinandersetzung wegen seiner Funktion als FDJSekretär öffentlich verleumdet. Er hat diesem gegenüber erklärt: Jetzt hast Du FDJ-Bonze endlich das bekommen, was Du schon lange verdient hast. Diese Äußerung stellt eine Verleumdung dar, weil er damit zum Ausdruck gebracht hat, dass der Zeuge... als FDJ-Sekretär nicht die Interessen der Mitglieder der FDJ vertritt. Diese Beschimpfungen sind auch dazu angetan, andere junge Menschen von dem Beitritt zur FDJ abzuhalten.... Der Ausspruch des Angeklagten ist auf der Verkehrsstraße... gefallen, so dass die Voraussetzungen der Öffentlichkeit gegeben sind....

Hinsichtlich der dem Angeklagten K. zur Last gelegten gefährlichen Körperverletzung konnte keine Verurteilung erfolgen. Die Beweisaufnahme hat eindeutig ergeben, dass er an der tätlichen Auseinandersetzung nicht beteiligt war....

Er hat durch seine Äußerung dem Ansehen der FDJ einen nicht geringen Schaden zugefügt.

Des weiteren war sein Verhalten dazu angetan, den Zeugen... von seiner bisherigen aktiven Arbeit in der FDJ abzuhalten. Herr K. übersandte eine Kopie dieses Urteils an das örtlich zuständige Landgericht. Im September 2008 hat ihm das Landgericht die Stellungnahme der Staatsanwaltschaft zu seinem Rehabilitierungsantrag zur Stellungnahme zugesandt. Die Staatsanwaltschaft sieht in dem damaligen Urteil die angeordneten Rechtsfolgen für Herrn K. in grobem Missverhältnis zu der zu Grunde liegenden Tat. Sie hält einen Monat Gefängnis (für den einen geäußerten Satz des damals 18jährigen Herrn K. unter 2,5 pro mille Alkoholeinfluss) für Tat und Schuld angemessen.

In seiner Aufregung versteht Herr K. den Inhalt des Schreibens des Landgerichtes nicht. Er ist der Meinung, dass sein Antrag auf Rehabilitierung durch die Staatsanwaltschaft abgelehnt sei und er nicht rehabilitiert werden könne. Er durchlebt die damalige Verhandlungssituation am Bezirksgericht erneut. Er beruhigt sich erst etwas, als die Landesbeauftragte ihm erläutert, was die Zusendung der Stellungnahme der Staatsanwaltschaft durch das Landgericht bedeutet,