Strukturwandel

VI. Verwaltungsmodernisierung durch E-Government

1. E-Government im Kontext der Beratungen der Enquetekommission

Mit E-Government bzw. Electronic Government eröffnet sich grundsätzlich ein erhebliches Potential für Dienstleistungsorientierung, Bürgerbeteiligung, Produktivität und Wirtschaftlichkeit im öffentlichen Bereich.

Es existieren allerdings unterschiedliche Interpretationen des Begriffs E-Government.

Nach der allgemein anerkannten, so genannten Speyerer Definition, wird unter E-Government die Abwicklung geschäftlicher Prozesse im Zusammenhang mit Regieren und Verwalten (Government) mit Hilfe von Informations- und Kommunikationstechnik über elektronische Medien verstanden.

Allerdings geht es nicht (mehr) allein um die auf Interaktion zwischen Verwaltung und Bürger / Wirtschaft gerichtete Außenperspektive der Onlineverfügbarkeit öffentlicher Dienstleistungen, sondern um den Nutzen für eine effektive Ablauf- und Aufbauorganisation der Verwaltung insgesamt.

E-Government kann dabei nicht als technische Modewelle abgetan, sondern muss im Zusammenhang mit der Zielsetzung einer umfassenden Funktionalreform betrachtet werden. Versteht man unter Funktionalreform die Gesamtheit aller Maßnahmen zur Verbesserung und Effizienzsteigerung der Arbeit der öffentlichen Verwaltung in allen Ebenen, vor allem durch eine Neuverteilung der Zuständigkeiten zwischen den Verwaltungsebenen, so liegt der Mehrwert von E-Government gerade in der Nutzung ebenenübergreifender Lösungen, bei der Verwaltungsstrukturen und Verwaltungsverfahren nicht mehr durch Raum, Zeit und Organisation als herkömmliche Determinanten bestimmt werden.

Wolf-Rüdiger Biernert, Kooperation von Kammern, E-Government und die EGDienstleistungsrichtlinie, 2008, S. 417.

Thüringer Landkreistag, Stellungnahme zur Anhörung der Enquetekommission in der Sitzung am 4. November 2008, Zuschrift EK 4/1-68, S. 1; Prof. Dr. Arno Scherzberg, Stellungnahme zur Anhörung der Enquetekommission in der Sitzung am 4. November 2008, Zuschrift EK 4/1-67, S. 1.

Heinrich Reinermann / Jörn v. Lucke, Speyerer Definition von Electronic Government, in: dies. (Hrsg.), Electronic Government in Deutschland, Speyerer Forschungsberichte Nr. 226, 2002, S. 1 (1 ff.); ebenso: Hermann Hill, E-Government - Mode oder Chance zur nachhaltigen Modernisierung der Verwaltung?, 2003, S. 737; Utz Schliesky, E-Government ­ Schlüssel zur Verwaltungsmodernisierung oder Angriff auf bewährte Verwaltungsstrukturen?, LKV 2005, S. 89.

Wolf-Rüdiger Biernert (FN 1), S. 418; Tino Schuppan, Strukturwandel der Verwaltung mit E-Government, 2006, S. 180 (184); Kay Ruge, Verwaltungsmodernisierung durch E-Government, 2008, S. 89.

Vor diesem Hintergrund hat die Enquetekommission auf der Grundlage eines umfangreichen Fragenkatalogs in ihrer 23. Sitzung am 4. November 2008 und ergänzend in der 24. Sitzung am 5. Dezember 2008 im Rahmen einer Anhörung die Anforderungen und Potentiale für E-Government-Anwendungen erörtert. Angehört wurden die Verwaltungswissenschaftler Prof. Dr. Arno Scherzberg (Universität Erfurt) und Prof. Dr. Jörn von Lucke (Frauenhofer Institut für Offene Kommunikationssysteme Berlin), der Leiter des Referats Informationsgesellschaft / E-Government und der Geschäftsstelle Deutschland-Online Ernst Bürger, der Thüringer Rechnungshof, der Dezernent für Wirtschaft und Verwaltungsmanagement der Stadtverwaltung Gera und Koordinator des Projektes Regionale Internetplattform Ostthüringen Harald Schröder sowie der Direktor der Anstalt für kommunale Datenverarbeitung Bayern Rudolf Schleyer und der Geschäftsführer der INFORA Rainer Ullrich.

2. Der Mehrwert des E-Government für Bürger, Wirtschaft und Verwaltung

Für den Bürger ergeben sich wesentliche Nutzpotentiale des E-Governments vor allem aus einer Erhöhung der Dienstleistungsqualität. Mit E-Government können Bürger direkt und unabhängig von Öffnungszeiten Verwaltungsdienstleistungen abrufen und so von einer neuen Qualität von Kunden- und Dienstleistungsorientierung profitieren. Im Rahmen verschiedener Internetangebote können die Bürger bereits jetzt die Vorteile des E-Governments in Anspruch nehmen. Beispielhaft seien hier das Online Mahnverfahren, das elektronische Handels-, Genossenschafts- und Partnerschaftsregister Thüringens, die Informationen zur Zwangsversteigerung, das Schulportal, die Möglichkeit zur Online-Petition und der zentrale Zuständigkeitsfinder erwähnt. Damit kann sich Thüringen im nationalen Vergleich mit anderen Flächenländern messen. In vielen Bereichen ist zudem die symbiotische Unterstützung des klassischen Behördengangs durch Websites der Behörden Realität. Die Bereitstellung von Anfahrtsskizzen, die Angabe von Öffnungszeiten und die vielfältigen Möglichkeiten zum Downloaden und Ausfüllen von Formularen helfen dem Bürger und sparen ihm Zeit.

Neben der neuen Dimension der Bürgernähe kann E-Government auch zu einem Impulsgeber für eine stärkere Bürgerbeteiligung werden. Harald Schröder berichtete

Utz Schliesky (FN 3), S. 90. diesbezüglich von Erfahrungen aus dem Projekt Regionale Internetplattform Ostthüringen der Städte Altenburg, Jena und Gera sowie des Landkreises Altenburg.

Im Interesse eines transparenten Entscheidungsprozesses können öffentliche Vorlagen nicht nur online abgerufen, sondern in einem (moderierten) Chatforum durch interessierte Bürger kommentiert werden. Diese Form aktiver Partizipation bietet sich beispielsweise im Rahmen von Bebauungsplanverfahren oder der Aufstellung so genannter Bürgerhaushalte an.

Um das volle Potential für Dienstleistungsorientierung, Bürgerbeteiligung, Produktivität und Wirtschaftlichkeit im öffentlichen Bereich ausnutzen zu können, ist ein weiterer Ausbau des E-Governments indiziert.

Dabei darf E-Government, als eine an das Konzept des New Public Management anknüpfende und dieses weiterentwickelnde Strategie zur Modernisierung der Verwaltung, nicht lediglich als eine Abbildung vorgefundener Verwaltungsabläufe mit Hilfe von verstanden werden, sondern als effektive und medienbruchfreie Kommunikationsform zwischen Behörde und Bürger. Zudem bietet EGovernment die Möglichkeit zur Etablierung einer über tradierte Organisationsformen hinausgehenden Verwaltungsstruktur, was neue Potentiale für mehr Bürgerfreundlichkeit sowie Bürgernähe eröffnet.

Wie Rudolf Schleyer hervorhebt, schafft die elektronische Kommunikationsform zwar zusätzliche Kontaktpunkte, kann aber die Möglichkeit zum persönlichen Kontakt mit Behörden nicht ersetzen, sondern nur ergänzen.

Nahezu einhellig gehen alle E-Government-Strategien davon aus, dass es auch in Zukunft eine Zweigleisigkeit von Online- und Offline-Verwaltung geben wird, bei der das Amt im Sinne einer realen Existenz erhalten bleibt. Dies ist nicht nur wegen Ressourcenengpässen erforderlich, sondern auch zur Abwehr einer ansonsten drohenden digitalen Spaltung der Gesellschaft.

Gerade älteren Bürgern, die auch in Zukunft den persönlichen Kon6

Harald Schröder, Stellungnahme zur Anhörung der Enquetekommission in der 23. Sitzung am 4. November 2008, Wortprotokoll S. 66.

Hermann Hill, Im Dienste der Bürgerinnen und Bürger, 2008, S. 389 (391).

Thüringer Landkreistag, Stellungnahme zur Anhörung der Enquetekommission in der 23. Sitzung am 4. November 2008, Zuschrift EK 4/1-68, S. 2.

Rudolf Schleyer, Stellungnahme zur Anhörung der Enquetekommission in der 23.

Sitzung am 4. November 2008, Zuschrift EK 4/1-65, S. 6.

Hermann Hill (FN 3), S. 741.