Wohngeld

Bürgerbüro beschränkt sich dabei nicht nur auf die Leistungsabgabe selbst, sondern kann die Ausführung weiterer Prozessschritte umfassen, sofern hierdurch eine ganzheitliche Arbeitsbewältigung aus Bürgersicht unterstützt wird. Hierzu ergänzend kann über elektronische Front Offices ­ wie Bürgerportale ­ beispielsweise die Antragsannahme, die Vereinbarung eines Termins, die Personenidentifikation, die Abwicklung von Bezahlvorgängen oder die Bescheiderteilung erfolgen. Die elektronische Aktenführung bietet noch einen weiteren essentiellen Vorteil: Konnten Rückfragen bislang nur von denjenigen Bearbeiter sachgerecht beantwortet werden, der die Akte führte, kann sich der Ansprechpartner im Bürgerbüro künftig durch Einsichtnahme in die elektronische Akte direkt und unabhängig von der Erreichbarkeit des Sachbearbeiters über den Sachstand der Bearbeitung informieren und allgemeine Auskünfte erteilen.

Die Aufteilung der einzelnen Funktionen auf Front Office und Back Office im Rahmen einer Leistungserstellung kann dabei unterschiedlich gestaltet werden, um Anforderungen des jeweiligen Sachgebiets (z.B. soziale Angelegenheiten) gerecht zu werden. Dabei kann es auch eine Rolle spielen, ob das Front Office örtlich präsent ist oder sich als Call-Center bzw. Internetportal präsentiert. Ein personell besetztes Front-Office ist insbesondere dann erforderlich, wenn nicht digitalisierte oder nicht digitalisierbare Teilstücke eines Bearbeitungsprozesses abgegeben bzw. entgegengenommen werden müssen oder wenn die Leistungserbringung einen hohen Grad an persönlicher Interaktion voraussetzt, wie beispielsweise bei einem individuellen Beratungsgespräch. Für ein Flächenland wie Thüringen sind physische Bürgerbüros allerdings ein zentraler Baustein in einer E-Government-Mehrkanal-Strategie, um den von vielen Bürgern auch in Zukunft gewünschten persönlichen Kontakt zur Verwaltung vor Ort vorzuhalten und gleichmäßig zu verteilen. Wenn mit IT physische Zugangskanäle ausgebaut werden, wird auch der Hinweis auf Nicht-Internetnutzer, die beim E-Government benachteiligt sein können, obsolet.

Da die Gemeinden und Kreise die geborenen Front-Office-Träger für bürgernahe Dienstleistungen sind, liegt es darüber hinaus nahe, über physische Bürgerbüros einen einheitlicher Zugang zu allen öffentlichen Leistungen auf örtlicher Ebene zu ermöglichen. Der kommunale Sachbearbeiter könnte auf diese Weise über so genannte Mittlerportale im Bürgerservice-Center Zugang zu Leistungen für andere staatliche Ebenen eröffnen und/oder eine integrierte Bearbeitung bzw. Rundumsachbearbeitung koordinieren. Für den Ausbau des Bürgerbüros als zentraler Kontaktstelle und Servicecenter vor Ort kommt es besonders darauf an, den Sachbearbeiter im kommunalen Bürgerbüro technisch entsprechend zu unterstützen. So kann die Unterstützung mit qualitätsgerechten Datenbankinhalten, Prozesswissen, Fachanwendungen oder sonstigen (IT-)Komponenten erfolgen.

5. Die Potentiale von E-Government als Determinanten einer Gebietsreform

Die aus Modernisierungssicht wohl wichtigste Implikation, die sich durch die aufgezeigten E-Government-Potentiale ergibt, ist die Möglichkeit, den äußeren Verwaltungsaufbau zu verändern. Insbesondere stellt sich die Frage nach der Größe einer kommunalen Gebietsreform neu. Es kann heute davon ausgegangen werden, dass die Vernetzung von Gebietskörperschaften durch den Aufbau von Shared Services und Front-/Back-Office-Strukturen deutlich wirksamer ist, als aufwändig Verwaltungsgebiete zu vergrößern, um eine angemessene Betriebsgröße zu erreichen. Bei der Informatisierung und Virtualisierung von Leistungsstrukturen ist es vielmehr entscheidend, Prozesse neu zu gestalten und Ressourcen vernetzt zu teilen, anstatt die institutionelle Hülle einer Verwaltung aufwändig zu verändern, deren Wirkung auch schon bisher vielfach in Fachkreisen angezweifelt wird. Denn liegt eine ­ wie auch immer ausgeformte ­ vernetzte Leistungsstruktur vor, ist es möglich, dass Gemeinden und Kreise öffentliche Leistungen für ihre Bürger erbringen, die sie bisher aufgrund ihrer geringen Gebietsgröße nicht erbringen konnten. Damit ist das Kriterium der Wirtschaftlichkeit der Aufgabenwahrnehmung anders zu beurteilen als bisher. Denn Gebietskörperschaften können jetzt im Verbund mit anderen Verwaltungseinheiten Aufgaben oder besser bestimmte Front-Office-Funktionen wahrnehmen, die bisher für sie als unwirtschaftlich galten.

Mit den aufgezeigten Vernetzungsmöglichkeiten kann die Nachfrage im Back Officebzw. im Shared Service Center gesteigert werden. Das ist innerhalb einer Gebietskörperschaft nicht möglich, da hier die Einwohnerzahlen und damit die Nachfrage begrenzt sind. Es kommt also weniger auf eine reale Betriebsgröße, gemessen an der Einwohnerzahl im Verwaltungsbezirk an, sondern auf die virtuelle Größe, die sich aus einer Vernetzung mit anderen Behörden ergibt. Hierfür lässt sich ein einfaches Einzelbeispiel aus Brandenburg aufzeigen, das schon langjährige Praxis in einer Kommune ist: Das Amt Schlieben (6000 Einwohner) in Brandenburg erbringt Wohngeld, was sonst nur im Regelfall Landkreisen, kreisfreien Städten und Städten mit mehr als 20.000 Einwohnern obliegt. Die Entscheidungen erfolgen dezentral. Die Auszahlung und andere Aufgaben werden durch den zentralen Brandenburgischen IT-Dienstleister erledigt. Traditionelle Einwohnerschwellenwerte sind damit zunehmend obsolet und sagen nur noch wenig über die Möglichkeiten der Leistungserbringung durch eine Gebietskörperschaft aus.

Auch die kreisliche Gebietsgröße lässt sich zunehmend von Effizienz- bzw. Kostenfragen entkoppeln, wenngleich mitunter die Vorstellung besteht, große Kreisverwaltungen zu schaffen, die dann als entsprechendes Back Office gegenüber den Gemeinden wirken können. Empirische Erfahrungen zeigen jedoch immer wieder, dass große Organisationen starke Bürokratisierungstendenzen aufweisen, so dass die erhofften Einsparungseffekte ausbleiben. Denn Großbehörden mit mehr als 800 bis 1.000 Mitarbeiter zeigen sich häufig als wenig steuer- und veränderbar. Hinzu kommt, dass die Durchführung von Gebietsreformen selbst auch mit erheblichen Kosten verbunden ist, so dass im Ergebnis eher anzuzweifeln ist, dass die erhofften Kosteneinsparungen erreicht werden. Denkbar ist jedoch, dass Kreise auch im Back Office Bereich kooperieren und ggf. Shared Services aufbauen. So muss nicht jeder Kreis in Thüringen eine eigene Kfz-Zulassungsbehörde haben. Ein Kreis könnte sich zum Kompetenzzentrum Kfz entwickeln, während ein anderer Kreis ein Kompetenzzentrum Soziales bildet. Durch die Möglichkeit einer behörden- und sektorübergreifenden Neugestaltung von Verwaltungsprozessen unter Ausnutzung von IT können Gebietsreformen nicht mehr ohne weiteres mit Kostenargument begründet werden, da es mit E-Government eine ganze Reihe erweiterter Möglichkeiten gibt, Kosten zu sparen.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Potentiale von E-Government zu einem Überdenken der einer Verwaltungsreform (Funktional- und Gebietsreform) zugrunde liegenden Kriterien führen. Die bisherigen Kriterien gelten dabei nur bedingt weiter und sind insbesondere weiter zu operationalisieren bzw. auf eine prozessbezogene Arbeitsteilung und den Vernetzungsmöglichkeiten zu projizieren. Was beispielsweise publikumsintensive Prozessteile sind, ist neu zu beurteilen.