Wiederzulassung des Totalherbizides Diuron

Durch entsprechende Untersuchungen von Greenpeace wurden in den Jahren 1995/96 schwere Belastungen des Grund- und Oberflächenwassers durch das Herbizid Diuron bekannt. Hauptursache war die Verwendung von Diuron durch die Deutsche Bahn AG und früher durch die Deutsche Bundesbahn zur Vegetationskontrolle auf ihren Gleisanlagen. Die Bahn betreibt aktuell die Wiederzulassung des seit Februar 1996 nicht mehr eingesetzten Pflanzengiftes. Diese Wiederzulassung ist im Bundesrat zustimmungspflichtig.

Vorbemerkung des Ministers für Umwelt, Landwirtschaft und Forsten: Pflanzenwuchs auf Gleisanlagen stellt ein Sicherheitsrisiko im Schienenverkehr dar. Um Schienen, Schwellen, Weichen und Signalanlagen dauerhaft vom Pflanzenaufwuchs freizuhalten, werden so genannte Vegetationskontrollen durchgeführt. Vegetationskontrollen erfolgen im Wesentlichen durch den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln (PSM). Lokal begrenzt kommen jedoch auch andere Methoden, wie z. B. thermische und mechanische Verfahren, zur Vegetationskontrolle zur Verwendung.

PSM-Wirkstoffe werden aber keineswegs nur zur Vegetationskontrolle auf Gleisanlagen angewendet, sondern finden unter anderem auch im Bereich der Landwirtschaft, der Sonderkulturen, auf Straßen und Wegen sowie auf Grünanlagen Anwendung. Nur wenige Wirkstoffe können unmittelbar und ausschließlich bestimmten Anwendungsgebieten zugeordnet werden. Bei dem Wirkstoff Diuron handelt es sich um ein Totalherbizid, das bis 1996 schwerpunktmäßig zur Vegetationskontrolle auf Gleisanlagen eingesetzt wurde. Das schließt allerdings nicht aus, dass der Wirkstoff auch zu anderen Zwecken angewendet wurde und noch weiterhin angewendet wird.

Seit einigen Jahren geben Funde von Diuron in Oberflächengewässern und im Grundwasser zunehmend Anlass zur Sorge. Die Deutsche Bahn AG erklärte daher 1996, freiwillig auf die Anwendung diuronhaltiger Pflanzenschutzmittel auf Gleisanlagen zu verzichten. Unbeschadet dieses freiwilligen Anwendungsverzichts wurde mit der Zweiten Verordnung zur Änderung der Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung vom 24. Januar 1997 die Anwendung von diuronhaltigen PSM auf Gleisanlagen und auf Flächen, bei denen die Gefahr der mittelbaren oder unmittelbaren Abschwemmung besteht, auch förmlich verboten; das Land Hessen hat dieser Änderung im Bundesrat zugestimmt.

Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage im Einvernehmen mit der Sozialministerin und dem Minister für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung wie folgt:

Frage 1. Sind der Landesregierung die Argumente bekannt, die Greenpeace 1995/96 vorgetragen hat, und teilt sie diese?

Greenpeace hat sich im Rahmen seiner Aktion Pestizidfreie Kommunen verstärkt der PSM-Thematik gewidmet. Ausgangspunkt der nach meiner Kenntnis bereits 1994 begonnenen Aktion war eine bundesweite zu Art und Umfang der Grundwasserbelastung mit PSM. Bei der Umfrage ergab sich unter anderem, dass Diuron zunehmend im Grund- und Oberflächenwasser festgestellt wird. Nach den Ergebnissen dieser Umfrage wurde Diuron in 119 Fällen (von 8.710 Grundwasserproben) gefunden, wobei der vergleichsweise herangezogene Trinkwassergrenzwert von 0,1 µg/l insgesamt 25-mal überschritten war. In der Folge setzte sich Greenpeace vehement für ein Anwendungsverbot von Diuron ein.

Das Land Hessen sprach sich ebenfalls frühzeitig für Anwendungsbeschränkungen hinsichtlich Diuron aus. Zwar ging dies primär auf die Ergebnisse der hessischen Grundwasserüberwachung zurück, die hierbei gewonnenen Erkenntnisse stimmten jedoch in wesentlichen Punkten mit den Feststellungen von Greenpeace überein.

Frage 2. Wie schätzt die Landesregierung die Gefährdung des Grund-, Oberflächen- und Trinkwassers durch Diuron ein?

Eine Auswertung der beim Hessischen Landesamt für Umwelt und Geologie geführten Grund- und Rohwasserdatenbank Hessen ergab, dass in den Jahren 1991 bis 1999 Diuron in jeweils rund 2 v.H. aller Messstellen nachgewiesen werden konnte. Damit gehört Diuron zu den PSM-Wirkstoffen, die besonders häufig im Grund- und Rohwasser in Hessen festgestellt wurden. Diuron wurde daher in die hessische Liste der Leitsubstanzen einer Verunreinigung des Grundwassers mit PSM-Wirkstoffen aufgenommen. Diese Liste umfasst 23

Wirkstoffe bzw. deren Abbauprodukte; werden PSM im Grund- oder Rohwasser nachgewiesen, so ist mit einer Wahrscheinlichkeit von ca. 99 v.H. mindestens einer der Stoffe dieser PSM-Liste vorhanden. Auch nach den beim Umweltbundesamt gesammelten Daten der Länder gehört Diuron noch immer zu den am häufigsten nachgewiesenen PSM-Wirkstoffen.

Damit besteht auch für das Trinkwasser eine potenzielle Gefährdung, obgleich durch Verdünnungseffekte und Aufbereitungsmaßnahmen in den Wasserwerken das an den Verbraucher abgegebene Wasser bisher stets den Anforderungen der Trinkwasserverordnung entsprochen hat.

Wie in der Vorbemerkung erwähnt, wurde der Wirkstoff Diuron bis 1996 schwerpunktmäßig zur Vegetationskontrolle auf Gleisanlagen angewendet.

Grundsätzlich kann der Anwendung von PSM auf Gleisanlagen ein erhöhtes Gefährdungspotenzial für das Grund- und Oberflächenwasser unterstellt werden. So werden im Nahbereich von Gleisanlagen relativ häufiger und sofern Belastungen des Grundwassers nachgewiesen werden - insbesondere auch deutlich höhere PSM-Konzentrationen festgestellt. Das hat im Wesentlichen folgende Gründe:

- PSM-Wirkstoffe wurden bzw. werden auf Gleisanlagen wiederholt und in relativ hoher Konzentration angewendet. Es kann daher zu Anreicherungen im Untergrund kommen.

- Beim Aufbau des Schotterkörpers von Bahngleisen wird Mutterboden entfernt, sodass das Rückhaltevermögen des Untergrundes deutlich reduziert ist.

- Dräneinrichtungen im Bereich von Gleisanlagen können die Verlagerung der PSM-Wirkstoffe ins Grundwasser erheblich beschleunigen. Damit wird die Verweilzeit in den aktiven Bodenschichten (in denen ein Abbau von PSM-Wirkstoffen durch Mikroorganismen erfolgen könnte) deutlich verringert.

Es ist davon auszugehen, dass die Vegetationskontrolle auf Gleisanlagen zu den Hauptursachen der Diuron-Belastung des Grundwassers gehört. Dem steht auch nicht entgegen, dass die Belastungen trotz der erwähnten Anwendungsbeschränkungen (noch) nicht nennenswert zurückgegangen sind. Eine vergleichbare Situation ist nämlich auch am Beispiel des PSM-Wirkstoffs Atrazin zu beobachten. Zwar besteht bereits seit März 1991 ein Anwendungsverbot für Atrazin, der Wirkstoff gehört jedoch - zusammen mit seinem Abbauprodukt Desethylatrazin - auch weiterhin zu den am häufigsten im Grundwasser gefundenen PSM.

Natürlich ist nicht auszuschließen, dass auch andere Anwendungsbereiche zu den feststellbaren Diuron-Belastungen beigetragen haben; beispielhaft ist hier die Anwendung im privaten Bereich zu erwähnen. Da Diuron jedoch ebenfalls nicht mehr in Totalherbiziden für den Haus- und Hobbygartenbereich enthalten ist, ist zu erwarten, dass auch eine eventuell dadurch (mit)verursachte Diuronbelastung der Gewässer zumindest langfristig zurückgehen wird. Allerdings können die beim Verbraucher noch vorhandenen Restmengen übergangsweise noch aufgebraucht werden.

Um eine unsachgemäße Anwendung derartiger Mittel zu verhindern, ist es sinnvoll und notwendig, eine verstärkte Information und Aufklärung der Verbraucher zu betreiben. Hierzu leistet die Fachverwaltung, beispielsweise durch entsprechende Beratung, ihren Beitrag.

Frage 3. Welche Gefährdungen des Menschen gehen davon aus?

Pflanzenschutzmittel dürfen in der Bundesrepublik Deutschland nach den Vorschriften des Pflanzenschutzgesetzes nur in den Verkehr gebracht oder eingeführt werden, wenn sie von der Biologischen Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft (BBA) amtlich geprüft und zugelassen sind.

Zurzeit sind 317 PSM-Wirkstoffe in 1.160 Präparaten (Stand: September 2000) zugelassen. Die Entscheidung über die Zulassung erfolgt im Einvernehmen mit dem Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin und dem Umweltbundesamt (UBA).

Für das deutsche Zulassungsverfahren gilt, dass das PSM nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse und der Technik bei bestimmungsgemäßer und sachgerechter Anwendung oder als Folge einer solchen Anwendung unter anderem keine schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit von Mensch und Tier und auf das Grundwasser haben darf. Um dies zu gewährleisten, ist eine Anwendung nur unter Beachtung der in der festgelegten Einschränkungen und/oder der im Rahmen der Zulassung eines PSM erteilten Anwendungsbestimmungen und Auflagen zulässig. Bei neuen Erkenntnissen zu einem zugelassenen PSM, die eine Überprüfung der Zulassung erfordern, kann die BBA vom Zulassungsinhaber als Nachweis, dass die Zulassungsvoraussetzungen weiterhin vorliegen, Angaben, Unterlagen und Proben anfordern.

Diuron ist gefahrstoffrechtlich als gesundheitsschädlich eingestuft. Es reizt z. B. Atmungsorgane, Haut und Augen. Solche Erkenntnisse haben im Zulassungsverfahren unter anderem zur Folge, dass die Anwendung des Wirkstoffs nur mit entsprechenden Schutzmaßnahmen erfolgen darf.

Die Tatsache, dass Diuron wiederholt im Bereich des Trinkwassergrenzwertes nachgewiesen wurde, erlaubt (zunächst) keinen direkten Rückschluss auf den Umfang der Gefährdung der menschlichen Gesundheit. Die von dem Rat der Europäischen Gemeinschaften bereits in der Richtlinie des Rates vom 15. Juli 1980 über die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch (80/778/EWG) festgelegten Höchstkonzentrationen an Pestiziden (0,1 µg/l je Substanz bzw. insgesamt 0,5 µg/l bei Gruppen von Substanzen) liegen nämlich bewusst nahe der Nachweisgrenze und machen damit - als frühe Ausprägung des Vorsorgeprinzips - deutlich, dass PSM im Wasser nicht vorhanden sein sollten. Die Höchstkonzentrationen wurden daher 1986 auch unverändert als Grenzwerte in die bundesdeutsche Trinkwasserverordnung übernommen.

In der Richtlinie 98/83/EG des Rates vom 3. November 1998 über die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch werden die genannten Werte weiterhin beibehalten. Auch nach In-Kraft-Treten der Neufassung der Trinkwasserverordnung zum 1. Januar 2003 wird es daher bei den darin genannten PSM-Grenzwerten bleiben.

Allerdings gibt es zwischenzeitlich noch nicht bestätigte Hinweise, wonach Diuron möglicherweise erbgutverändernd und krebserzeugend für den Menschen ist. Sollten sich diese Hinweise bestätigen, dann würden selbst geringste Konzentrationen im Trinkwasser ein gesundheitliches Risiko darstellen.

Frage 4. Teilt die Landesregierung die Auffassung, der Einsatz von Diuron sollte verboten bleiben?

Frage 5. Teilt die Landesregierung die Auffassung, dass die von der Bahn AG vorgetragenen Argumente für den Einsatz von Diuron nicht stichhaltig sind?

Aus umwelthygienischer Sicht sind zunächst alle Maßnahmen zu begrüßen und zu unterstützen, die zur Vermeidung einer Belastung des Trinkwassers führen.

Die Deutsche Bahn AG begründet die Notwendigkeit der Anwendung von Diuron mit zunehmenden Problemen, ihre Anlagen vom Pflanzenaufwuchs freizuhalten. Zudem hätten neue wissenschaftliche Erkenntnisse gezeigt, dass die Risiken der Anwendung von Diuron auf Gleisanlagen geringer seien als bislang befürchtet.

Grundlage dieser Aussage ist eine Langzeitstudie des Institutes Fresenius, die Ende 1999 fertig gestellt wurde. Im Rahmen dieser Studie war über einen mehrjährigen Zeitraum an fünf Standorten in Deutschland untersucht worden, ob Diuron in das Grundwasser gelangt, wenn es auf Gleisanlagen angewendet wird. Dabei gelangten die Gutachter zu dem Ergebnis, dass zwar im Einzelfall Belastungen des Grundwassers im direkten Umfeld der Messstelle vorhanden waren, dass diese jedoch auf hydraulische Kurzschlüsse zurückzuführen waren; eine Anreicherung in Wasser und Boden sei nicht festgestellt worden. Zudem sei nachgewiesen worden, dass keine horizontale Ausbreitung von Diuron mit dem Grundwasserstrom stattfindet.

Die genannte Studie wurde vielerorts einer umfassenden und kritischen Überprüfung und Diskussion unterzogen. In diesem Zusammenhang wurden insbesondere auch die Ergebnisse der Grundwasserüberwachung der Länder berücksichtigt. Wie bereits zu Frage 2 ausgeführt, ergab die Auswertung der Daten der Grund- und Rohwasserüberwachung in Hessen, dass Diuron zu den am häufigsten nachgewiesenen PSM-Wirkstoffen gehört. Zudem war

- entgegen den Ausführungen in der Studie - in Hessen durchaus eine horizontale Ausbreitung von Diuron im Grundwasser festzustellen. Auch andere Bundesländer haben zwischenzeitlich über Diuron-Funde insbesondere in der Umgebung von Gleisanlagen berichtet.

Es wird deutlich, dass eine abschließende Entscheidung über die Anwendung von Diuron auf Gleisanlagen weitere Untersuchungen sowie eine sorgfältige Abwägung aller damit verbundenen Vor- und Nachteile erfordert. Die Landesregierung teilt daher die Auffassung der Bundesregierung und der für die PSM-Zulassung zuständigen Stellen (BBA und UBA), dass diese Entscheidung zum momentanen Zeitpunkt noch nicht getroffen werden kann.

Frage 6. Wie wird sich die Landesregierung bei der Abstimmung über die Pflanzenschutzmittel Anwendungsverordnung im Bundesrat hinsichtlich der Wiederzulassung von Diuron verhalten?

Der erste Entwurf einer Dritten Verordnung zur Änderung der Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung sah vor, das derzeitige Anwendungsverbot von Diuron auf Gleisanlagen in ein teilweises Anwendungsverbot umzuwandeln. Dieses sollte sich auf bestimmte Flächen, maximale Aufwandmengen und Anwendungshäufigkeiten beschränken, ohne dabei berechtigte Schutzanliegen zu vernachlässigen.

Die zwischenzeitlichen Diskussionen haben verdeutlicht, dass vor einer abschließenden Entscheidung noch verschiedene Punkte geklärt werden müssen. So wurde beispielsweise die Forderung erhoben, die Deutsche Bahn AG müsse zunächst offen legen, welche alternativen Möglichkeiten der Vegetationskontrolle sie geprüft habe und warum gerade Diuron angewendet werden müsse. Natürlich sind in den Entscheidungsprozess auch aktuelle Erkenntnisse, insbesondere über das Umweltverhalten sowie die gesundheitliche Relevanz von Diuron, einzubeziehen.

Eine Aussage über das Verhalten der Landesregierung im Bundesrat wäre daher zum derzeitigen Zeitpunkt als verfrüht anzusehen.