Nichtbefassung des Beratungsgegenstandes
§ 35 Abs. 1 Thüringer Kommunalordnung regelt, dass ein Viertel der gewählten Mitglieder des Gemeinderates schriftlich unter Angabe des Beratungsgegenstandes eine Sondersitzung beantragen können.
Nach § 35 Abs. 4 ist ein Beratungsgegenstand auf die Tagesordnung der nächsten Gemeinderatssitzung zu setzen, wenn es eine Fraktion oder ein Viertel der Mitglieder des Gemeinderates beantragen.
Der Bürgermeister hat in beiden Fällen ein Recht zur Prüfung der Rechtmäßigkeit.
In der Kommentierung zu § 35 (vgl. Kommentierung Erläuterung 10 zu § 35 in: Uckel/Hauth/Hoffmann, Kommunalrecht in Thüringen. Rechtssammlung mit Erläuterungen für die kommunale Praxis) wird die Auffassung vertreten, dass durch Mehrheitsbeschluss des Gemeinderates die Nichtbefassung des Beratungsgegenstandes beschlossen werden kann, selbst wenn es sich um eine Sondersitzung nach § 35 Abs. 1 oder einen Beratungsgegenstand nach § 35 Abs. 4 handelt. Dies führt in der kommunalen Praxis dazu, dass die Rechte einer Gemeinderatsminderheit (hier ein Viertel) oder einer Fraktion durch die Gemeinderatsmehrheit blockiert werden können.
Ich frage die Landesregierung:
1. Auf welcher Rechtsgrundlage und unter welchen Voraussetzungen kann ein Gemeinderat mit Mehrheit die Nichtbefassung eines Beratungsgegenstandes beschließen und wie wird diese Auffassung durch die Landesregierung begründet?
2. Wie wird begründet, dass zwar nach § 35 Abs. 1 ein Viertel der Gemeinderatsmitglieder, also eine Minderheit, zwar eine Sondersitzung des Gemeinderates beantragen kann, der Gemeinderat aber mit Mehrheit die Nichtbefassung beschließen kann?
3. Wie wird begründet, dass zwar nach § 35 Abs. 4 eine Fraktion bzw. ein Viertel der Gemeinderatsmitglieder, also eine Minderheit, zwar einen Beratungsgegenstand für die Tagesordnung der nächsten Gemeinderatssitzung beantragen kann, der Gemeinderat aber mit Mehrheit die Nichtbefassung beschließen kann?
4. Welche Rechtsfolgen entstehen aus einem Beschluss zur Nichtbefassung des Gemeinderates auch mit Blick auf die Regelungen von § 35 Abs. 1 und 4 und wie wird diese Auffassung durch die Landesregierung begründet?
5. Welcher Klarstellungsbedarf besteht nach Auffassung der Landesregierung hinsichtlich der Anwendung von § 35 Abs. 1 und 4 und wie wird diese Auffassung durch die Landesregierung begründet?
Das Thüringer Innenministerium hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 28. Dezember 2009 wie folgt beantwortet:
Zu 1.: Nach § 22 Abs. 3 Satz 1 Thüringer Kommunalordnung beschließt der Gemeinderat über die Aufgaben des eigenen Wirkungskreises der Gemeinde soweit er nicht die Beschlussfassung einem beschließenden Ausschuss übertragen hat (§ 26 Abs. 1 oder der Bürgermeister zuständig ist. Aufgrund der dem Gemeinderat hiernach eingeräumten Befassungskompetenz entscheidet allein er darüber, ob und in welcher Weise er sich mit einer Sache befassen oder auch nicht befassen will (so Thüringer Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 30. November 1999 - 2 EO 790/98).
Zu 2.: In § 35 Abs. 1 Satz 4 ist lediglich bestimmt, dass der Gemeinderat unverzüglich einzuberufen ist, wenn ein Viertel der Gemeinderatsmitglieder es schriftlich des Beratungsgegenstandes verlangt.
Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen.
Zu 3.: In § 35 Abs. 4 Satz 2 ist lediglich geregelt, dass eine Angelegenheit in die Tagesordnung der nächsten Sitzung aufzunehmen ist, wenn es eine Fraktion oder ein Viertel der Gemeinderatsmitglieder schriftlich beantragt.
Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen.
Zu 4.: Welche Rechtsfolgen entstehen, wenn der Gemeinderat beschließt, sich mit einer bestimmten Angelegenheit nicht befassen zu wollen, kann nur anhand des jeweiligen konkreten Sachverhaltes beurteilt werden.
Die Prüfung und Bewertung obliegt der zuständigen Rechtsaufsichtsbehörde.
Zu 5.: Nach Auffassung der Landesregierung besteht zur Anwendung des § 35 Abs. 1 Satz 4 sowie in Abs. 4 Satz 2 kein Klarstellungsbedarf. Der Schutz der Minderheitenrechte von Gemeinderatsmitgliedern bzw. Fraktionen ist gewahrt.