Budgetverordnung

Auf die Leistungsform Persönliches Budget besteht seit dem 1. Januar 2008 ein verbindlicher Rechtsanspruch. Mit dieser Leistungsform können Menschen mit Behinderung auf Antrag anstelle von Dienst- und Sachleistungen eine Geldleistung oder Gutscheine erhalten, um sich die für die selbstbestimmte Teilhabe erforderlichen Assistenzleistungen selbst zu organisieren. Fast zwei Jahre nach Einführung dieses Rechtsanspruchs gibt es noch immer ganz erhebliche Umsetzungsdefizite in der Praxis. Zwar ist die Nachfrage von Leistungen für Menschen mit Behinderungen gestiegen, die Antrags- und Bewilligungsverfahren gehen aber häufig nur schleppend voran. Von Betroffenen wird auch über Informationsdefizite bei den zuständigen Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeitern berichtet.

Laut Budgetverordnung geben die bei einem Antragsverfahren beteiligten Leistungsträger innerhalb von zwei Wochen ihre Stellungnahmen ab, anschließend folgen ein Bedarfsfeststellungsverfahren und dann der Abschluss einer Zielvereinbarung.

Ich frage die Landesregierung:

1. Wie hat sich die Umsetzung des Persönlichen Budgets seit 1. Januar 2008 bis zum 31. Dezember 2009 entwickelt?

2. Wie viele Anträge wurden vom 1. Januar bis 31. Dezember 2009 gestellt (auch von Dritten) und bewilligt bzw. abgelehnt (bitte auflisten nach Landkreisen und kreisfreien Städten)?

3. Welche Gründe gab es für Ablehnungen?

4. Gibt es für die Ausführung des Persönlichen Budgets entwickelte Handlungsempfehlungen für die Träger der Sozialhilfe und für die Integrationsämter?

5. Innerhalb welcher Frist muss über einen Antrag auf ein Persönliches Budget entschieden worden sein, gerechnet ab Antragseingang, vor dem Hintergrund, dass laut Budgetverordnung die bei einem Antragsverfahren beteiligten Leistungsträger innerhalb von zwei Wochen ihre Stellungnahmen abgeben und anschließend eine Bedarfsfeststellung und dann der Abschluss einer Zielvereinbarung erfolgen?

6. Liegen der Landesregierung Erkenntnisse darüber vor, dass bei der Feststellung des Bedarfs regional und bei den unterschiedlichen Leistungsträgern unterschiedlich verfahren wird?

Welche Unterschiede im Bedarfsfeststellungsverfahren sind der Landesregierung bekannt?

7. Sieht die Landesregierung die Möglichkeit, dass unterschiedliche Bedarfsfeststellungsverfahren zu unterschiedlichen Bescheiden (Bewilligungen/Ablehnungen) bei gleichem Hilfebedarf führen können?

Wenn nein, warum hält die Landesregierung das für ausgeschlossen?

8. Was unternimmt die Landesregierung konkret, das in der 86. Arbeits- und Sozialministerkonferenz 2009 gebildete Bund-Länder-Begleitobjekt zur Vereinheitlichung des Bedarfsfeststellungsverfahrens umzusetzen?

Das Thüringer Ministerium für Soziales, Familie und Gesundheit hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 1. März 2010 wie folgt beantwortet:

Vorbemerkung:

Als Leistungserbringer eines Persönlichen Budgets kommen nach § 17 Abs. 2 Satz 2 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) in Verbindung mit § 6 SGB IX die nachfolgenden Träger in Betracht:

· gesetzliche Krankenkassen,

· Bundesagentur für Arbeit,

· Träger der gesetzlichen Unfallversicherung,

· Träger der gesetzlichen Rentenversicherung,

· Träger der Alterssicherung der Landwirte,

· Träger der Kriegsopferversorgung und die Träger der Kriegsopferfürsorge im Rahmen des Rechts der sozialen Entschädigung bei Gesundheitsschäden,

· Träger der öffentlichen Jugendhilfe,

· Träger der Sozialhilfe,

· Pflegekassen und

· Integrationsämter.

Aufgrund der fehlenden eigenen Vollzugszuständigkeit der Landesregierung wurden die o. g. Rehabilitationsträger im Rahmen der Beantwortung der Kleinen Anfrage beteiligt. Die Beantwortung der Fragen 1 bis 3 beruht auf den erhaltenen Auskünften.

Zu 1.: In Auswertung der vorliegenden Antworten der Rehabilitationsträger in Thüringen kann zusammengefasst festgestellt werden, dass die Inanspruchnahme des persönlichen Budgets als neue Form der Leistungsgewährung in Thüringen eher verhalten erfolgt. Gleichwohl wird von einem Teil der örtlichen Sozialhilfeträger ein leichter Anstieg der Anträge bzw. der gewährten persönlichen Budgets verzeichnet.

Überwiegend handelt es sich bei den gewährten persönlichen Budgets um Leistungen des örtlichen Sozialhilfeträgers im Rahmen der Eingliederungshilfe. Trägerübergreifende persönliche Budgets wurden bisher kaum ausgereicht.

Zu 2. und 3.: Hinsichtlich der Fragen 2 und 3 wird auf die als Anlage beigefügte tabellarische Übersicht der eingegangenen Antworten der beteiligten Rehabilitationsträger verwiesen.

Zu 4.: Auf Ebene der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR) wurde unter Beteiligung von Vertretern der Verbände behinderter Menschen, der Leistungserbringer, der privaten und sozialen Pflegeversicherung, der Rehabilitationsträger, insbesondere der Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe und der Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen die Handlungsempfehlung Trägerübergreifende Aspekte bei der Ausführung von Leistungen durch ein Persönliches Budget vom 1. April 2009 erarbeitet.

Zu 5.: Grundsätzlich hat der erstangegangene Rehabilitationsträger nach § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IX innerhalb von höchstens zwei Wochen nach Antragseingang zu klären, ob er zuständig ist. Wird der Antrag nicht weitergeleitet, stellt der Rehabilitationsträger den Rehabilitationsbedarf unverzüglich fest. Dies muss spätestens drei Wochen nach Antragseingang (§ 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IX) erfolgt sein.

Ist ein Gutachten erforderlich, ist dieses spätestens zwei Wochen nach Auftragserteilung zu erstellen (§ 14 Abs. 5 Satz 5 SGB IX). Die Entscheidung ist dann innerhalb von zwei Wochen nach Vorliegen des Gutachtens zu treffen (§ 14 Abs. 2 Satz 4 SGB IX).

Demnach ist die Bedarfsfeststellung innerhalb von drei Wochen vorzunehmen, soweit kein Gutachten erforderlich ist, und innerhalb von maximal sieben Wochen, soweit ein Gutachten erforderlich ist.

Sind mehrere Träger am Budget beteiligt, holt der beauftragte Rehabilitationsträger unverzüglich von den beteiligten Leistungsträgern Stellungnahmen ein. Diese Stellungnahmen sollen innerhalb von zwei Wochen abgegeben werden (§ 3 Abs. 1 Satz 2 Budgetverordnung). Auf der Grundlage der Ergebnisse des Bedarfsfeststellungsverfahrens stellen die beteiligten Leistungsträger das auf sie entfallende Teilbudget innerhalb einer Woche nach Abschluss des Verfahrens fest (§ 3 Abs. 4 Budgetverordnung).

Zu 6. und 7.: Die hier in Rede stehenden Leistungen werden personenzentriert gewährt, d. h., der Bedarf wird individuell festgestellt. Der Leistungsträger hat im Rahmen seines pflichtgemäßen Ermessens über Art und Umfang der Leistung zu entscheiden. Insofern sind unterschiedliche Leistungen den unterschiedlichen Bedarfen und den jeweiligen Vorraussetzungen zur Bedarfsdeckung geschuldet.

In der Bundesrepublik existieren eine Vielzahl unterschiedlicher Verfahren zur Bedarfsermittlung bzw. -feststellung im stationären und ambulanten Bereich.

Bei der Bedarfsermittlung gibt es für die jeweiligen Leistungsträger (Krankenkassen, Bundesagentur für Arbeit, Unfallversicherungsträger, Rentenversicherungsträger, Träger der Alterssicherung der Landwirte, Träger der Kriegsopferversorgung und -fürsorge, Träger der öffentlichen Jugendhilfe, Träger der Sozialhilfe, Pflegekassen) unterschiedliche Verfahren. Ursache dafür sind die kraft gesetzlichen Auftrags unterschiedlichen Rehabilitationsziele der jeweiligen Leistungsträger, die sich entsprechend in den Verfahren zur Bedarfsermittlung widerspiegeln müssen.

Auch in Thüringen werden insofern verschiedene Verfahren angewandt.

Zu 8.: Die Arbeits- und Sozialministerkonferenz hat sich im Jahr 2009 im Rahmen der Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen auch mit der Vereinheitlichung der Bedarfsermittlung befasst. Sie hat beschlossen, die Fragestellung Entwicklung von Maßstäben für praktikable, möglichst bundesweit vergleichbare und auf Partizipation beruhende Verfahren der Bedarfsermittlung und des Teilhabemanagements in einem Bund-Länder-Begleitprojekt zu bearbeiten.

Die Arbeitsgruppe zu diesem Begleitprojekt hat unter Beteiligung Thüringens erstmalig am 8. Februar 2010 getagt.

Darüber hinaus hat die Gemeinsame Kommission nach dem Thüringer Landesrahmenvertrag am 17. März 2009 die Bildung einer Arbeitsgruppe Hilfebedarfsfeststellungsverfahren beschlossen, die mit Vertretern der LIGA der freien Wohlfahrtspflege in Thüringen e.V. (LIGA), der Kommunen und des Landes besetzt ist.

Diese hat sich die Aufgabe gestellt, für Thüringen eine Empfehlung für ein einheitliches Hilfeplanverfahren für die örtlichen Sozialhilfeträger zu entwickeln.

Maßstab sollen dabei die Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e.V. vom 17. Juni 2009 zur Bedarfsermittlung und Hilfeplanung in der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen sein, an der Thüringen ebenfalls im Rahmen einer Expertengruppe mitgewirkt hat.

Am 8. Juli 2009 wurde zunächst eine Fachkonferenz unter Einbeziehung der örtlichen Sozialhilfeträger und der Vertreter der freien Wohlfahrtspflege durchgeführt.