Untersuchungshaft-Recht

Zu den am 1. Januar 2010 in Kraft getretenen Neuerungen im Untersuchungshaft-Recht gehört auch die Neuregelung in § 140 Abs. 1 Nr. 4 Danach ist jetzt dem Beschuldigten, gegen den Untersuchungshaft vollstreckt wird, ein Pflichtverteidiger beizuordnen, und zwar nach § 141 Abs. 3 Satz 4 unverzüglich.

Ich frage die Landesregierung:

1. Was bedeutet unverzüglich? Welcher genaue zeitliche Rahmen muss hierfür eingehalten werden und wie wird die Einhaltung gewährleistet?

2. Wie will die Strafverfolgungsbehörde eine geeignete Auswahl an Verteidigern sicherstellen?

3. Welche Informationsgrundlage wird hierfür verwendet und bis zu welchem Zeitpunkt ist diese dem Beschuldigten spätestens auszuhändigen?

4. Welche Möglichkeiten werden angeboten, um sich mit einer Vertrauensperson über die Wahl eines Pflichtverteidigers zu beraten?

5. Nach welchen Kriterien erfolgt die Auswahl eines Pflichtverteidigers von Amts wegen?

6. In manchen Fällen kommt es vor, dass zwischen dem Beschuldigten und dem ihm beigeordneten Anwalt kein Vertrauensverhältnis zustande kommt. Auf welche Weise kann der Inhaftierte einen Pflichtverteidiger wechseln? Was muss dieser genau unternehmen?

Das Thüringer Justizministerium hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 11. März 2010 wie folgt beantwortet:

Zu 1.: Unverzüglich bedeutet ohne schuldhaftes Zögern (vgl. § 121 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch). Dem Gericht muss nach Verkündung des Haftbefehls ein gewisser zeitlicher Spielraum bis zur Bestellung zugebilligt werden. Nicht immer wird ein von dem Beschuldigten gewünschter, bestimmter Verteidiger unmittelbar erreichbar und bereit sein, die Verteidigung zu übernehmen. Insbesondere bei einer Haftbefehlsverkündung am Wochenende wird zudem häufiger nicht sofort ein Verteidiger zu finden sein (vgl. Bundestagsdrucksache 16/13097 vom 20. Mai 2009).

Der Zeitrahmen für die Bestellung des Pflichtverteidigers hängt vom Einzelfall ab. Teilweise wird der Verteidiger bereits bei Haftbefehlseröffnung durch den Haftrichter beigeordnet werden können, teilweise kann bis zur Bestellung auch ein Zeitraum von mehr als einer Woche vergehen, z. B. wenn der Beschuldigte eine ihm gewährte Wochenfrist zur Bezeichnung eines Verteidigers seiner Wahl (§ 142 Abs. 1 ohne Äußerung verstreichen lässt. Nach den Gemeinsamen Empfehlungen der Strafverteidigervereinigungen zur Praxis der Beiordnung von notwendigen Verteidigern ab dem 1. Januar 2010 soll dem Beschuldigten sogar eine Regelfrist von zwei Wochen eingeräumt werden, einen Verteidiger oder eine Verteidigerin seiner Wahl zu bezeichnen (vgl. Zeitschrift Strafverteidiger 2010, S. 109).

Zu 2.: Der Pflichtverteidiger wird durch den Vorsitzenden des für das Hauptverfahren zuständigen Gerichts oder des Gerichts bei dem das Verfahren anhängig ist, bestellt (§ 141 Abs. 4 Gerichte und Strafverfolgungsbehörden halten sich dabei zurück, dem Beschuldigten einen bestimmten Verteidiger zu empfehlen, um bereits nicht den Anschein der Absicht der Verfahrensbeeinflussung entstehen zu lassen. Die Rechtsanwaltskammern führen Pflichtverteidigerlisten, die im Internet abrufbar sind (in Thüringen http://www.rakthueringen.de, hier Link: Rechtsanwaltsregister).

Zu 3.: Der verhaftete Beschuldigte ist unverzüglich und schriftlich u. a. darüber zu belehren, dass er jederzeit, auch schon vor seiner Vernehmung, einen von ihm zu wählenden Verteidiger befragen kann (§ 114b Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Es ist nicht Aufgabe des Gerichts oder der Staatsanwaltschaft, diesbezüglich Empfehlungen abzugeben. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 2 verwiesen.

Zu 4.: Soweit nicht Beschränkungen zur Sicherung des Zwecks der Untersuchungshaft nach § 119 Abs. 1 oder zur Aufrechterhaltung der Ordnung in der Justizvollzugsanstalt nach § 32 ff. Thüringer Untersuchungshaftvollzugsgesetz entgegenstehen, steht es dem Beschuldigten frei, sich mit Personen seines Vertrauens persönlich, brieflich oder auch fernmündlich über die Wahl eines Pflichtverteidigers zu beraten. Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten werden zur Anbahnung eines Mandatsverhältnisses Einzelsprechscheine für Verteidiger erteilt.

Zu 5.: Der Vorsitzende bestellt den vom Beschuldigten gewählten Verteidiger, wenn dem kein wichtiger Grund entgegensteht (§ 142 Abs. 1 Im Rahmen seiner Auswahlentscheidung überprüft das Gericht auch, ob der Bestellung rechtliche Hindernisse entgegenstehen, z. B. weil der Rechtsanwalt keine Gewähr für eine sachgerechte und ordnungsgemäße Verteidigung des Angeklagten bietet oder zu befürchten ist, dass er nicht zur Verteidigung des Beschuldigten wirken, sondern verfahrensfremde Zwecke verfolgen wird. Weitere Hindernisse sind das Verbot der Mehrfachverteidigung (§ 146 oder die Weigerung des Rechtsanwalts, die Verteidigung zu übernehmen (Meyer-Goßner, 52. Auflage, § 142 Rn. 3, 13). Insbesondere das Vertrauensverhältnis zwischen Beschuldigtem und Verteidiger ist ein wichtiges Kriterium für die Bestellung.

Zu 6.: Der Beschuldigte kann die Beiordnung eines anderen Verteidigers beantragen. Der Vorsitzende des Gerichts wird dann prüfen, ob ein Verteidigerwechsel geboten ist. Wenn der Beschuldigte der Auffassung ist, dass ein Verteidigerwechsel zu Unrecht abgelehnt wurde, kann er dagegen bei dem Gericht, von dessen Vorsitzendem die angefochtene Entscheidung erlassen worden ist, zu Protokoll der Geschäftsstelle oder schriftlich Beschwerde einlegen (§ 304 Abs. 1, § 306 Abs. 1 Soweit der Beschwerde nicht abgeholfen wird, entscheidet das Beschwerdegericht (§ 306 Abs. 2, § 309 Dr. Poppenhäger Minister.