Rente

Strafrechtliche Rehabilitierung und Leistungen nach den SEDUnrechtsbereinigungsgesetzen

Mit dem Dritten Gesetz zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR wurde die Besondere Zuwendung für Haftopfer (Opferrente) eingeführt, die ehemalige politische Häftlinge der SBZ/ DDR seit September 2007 erhalten können. Bereits zur Anhörung zum Gesetzentwurf im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestag am 7. Mai 2007 (59. Sitzung) hatte die Landesbeauftragte darauf hingewiesen, dass der Gesetzentwurf ein weiteres Mal die besonders beeinträchtigte wirtschaftliche Lage der Rehabilitierten neu definiert, nach der Leistungen nach den Rehabilitierungsgesetzen erhalten werden können, wodurch es zu nicht gerechtfertigten Leistungsausschließungen für bestimmte Gruppen gleichen politischen Eingriffs kommen wird. Der Gesetzgeber sah keine Notwendigkeit einer Änderung des Gesetzentwurfes.

Nach in Kraft treten des Gesetzes im August 2007 ergab sich so, dass für die seitdem alternativ möglichen Leistungen nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz:

a) Besondere Zuwendung für Haftopfer nach § 17a und

b) Unterstützungsleistungen bei der Stiftung für ehemalige politische Häftlinge (§ 18 siehe 1.8.), die wirtschaftlich beeinträchtigte Lage eines Haftopfers unterschiedlich bestimmt ist. Im Zweifelsfall führt das dazu, dass ein strafrechtlich Rehabilitierter auf Grund seiner besonders beeinträchtigten wirtschaftlichen Lage zwar Leistungen bei der Stiftung für ehemalige politische Häftlinge nicht erhält, weil er mehr als sechs Monate in Haft war und deswegen dort nicht mehr antragsberechtigt ist. Opferrente kann er jedoch auch nicht erhalten, weil hier die besonders beeinträchtigte wirtschaftliche Lage für seinen Fall schlechter definiert ist (siehe 1.7.). Bei der Einkommensermittlung zur Opferrente wird das Kindergeld dem Anspruchsberechtigten zugerechnet und lediglich zwei Einkommensgrenzen berücksichtigt (alleinstehend und verheiratet bzw. Lebenspartnerschaft), wobei das Einkommen des Ehe-/ Lebenspartners unberücksichtigt bleibt, der Kindesunterhalt jedoch nicht berücksichtigt wird.

Das Problem wurde wenige Monate später in den Bundesländern erkannt. In den Bundesrat wurde von den Ländern Niedersachsen und Sachsen ein Antrag zur Änderung des eingebracht, der am 15. Mai 2009 mit weiteren Änderungen verabschiedet wurde. Er sieht u. a. vor, das Kindergeld wie im Sozialrecht üblich, dem jeweiligen Kind zuzurechnen und für jedes kindergeldberechtigte Kind einen Freibetrag einzuführen.

Der Gesetzentwurf des Bundesrates wurde dem Deutschen Bundestag am 24.06.2009 zugeleitet. Die Bundesregierung gab in ihrer Stellungnahme zum Gesetzentwurf des Bundesrates zu erkennen, dass sie einen so weiten Änderungsbedarf wie die Bundesländer nicht sieht, jedoch bezüglich der Konkretisierung der Mindesthaftdauer und der Zuordnung von Kindergeld prüfen möchte. Bis zum Ende der 16. Legislaturperiode kam es zu keiner Entscheidung über den Gesetzentwurf zur Änderung des (Drs. 16/13560).

Bis zum 31.12.2009 wurden in Thüringen 8.024 Anträge auf die besondere Zuwendung für Haftopfer (=Opferrente) gestellt. Es wurden 5.810 Bescheide bewilligt und 70 ablehnende Bescheide erlassen. Zum Jahresende 2009 gab es noch 428 offene Vorgänge. 1.716 Anträge wurden wegen Nichtzuständigkeit an andere Länder abgegeben oder haben sich in sonstiger Weise erledigt. Durch den Bund und den Freistaat Thüringen wurden im Jahr 2009 ca. 16,9 Mio. Euro als besondere Zuwendung für Haftopfer ausgezahlt.

Teil-Rehabilitierung nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz

Im Frühjahr 1961 erklärte sich der damals 19-jährige Herr S. bereit den Organen der Landesverteidigung beizutreten, nach dem ihm trotz Desinteressiertheit... von Funktionären des Betriebes die Notwendigkeit eines wirksamen Schutzes unserer Republik erläutert worden war (Zitat aus dem Urteil des Militärgerichtes Erfurt vom 17.09.1963, im Folgenden MG Erfurt). Im Herbst 1961 erfolgte die Einstellung von Herrn S. in die Grenztruppen. Er wurde während seines Urlaubs im Frühjahr 1963 von einem Freund angesprochen, ihm bei der Republikflucht behilflich zu sein. S. erklärte sich bereit und im Gegenzug sollte er das Motorrad des Freundes zu einem günstigen Preis erhalten. Sie fertigten einen formlosen, von beiden unterschriebenen Kaufvertrag und Herr S. fuhr danach seinen Freund mit dem Motorrad in seinen Grenzbereich und erläuterte ihm zusätzlich mittels einer Skizze, wie er unbeschadet die Grenze überwinden könnte.

Ein Problem tat sich auf, als Herr S. das Motorrad bei der Volkspolizei unter Vorlage des formlosen Kaufvertrags anmelden wollte. Die Volkspolizei verlangte eine bestätigte auf deren Rückseite ein Kaufvertrag auszufüllen war. Da sein Freund, der Verkäufer des Motorrades, für ihn unerreichbar war, machte er auf dem Kaufvertrag dessen Unterschrift nach. Während der Aufklärung zu den Umständen der Republikflucht des Freundes von Herrn S., erhielten die Sicherheitsorgane Kenntnis von dem Kaufvertrag/Schätzurkunde, auf dem der Republikflüchtige seine Unterschrift nach Verlassen der DDR abgegeben haben sollte.

Herr S. wurde im Juli 1963 zunächst drei Tage in seiner Diensteinheit arrestiert, danach dem überstellt. Der Ablauf der Republikflucht wurde durch die folgenden Verhöre beim bekannt. Die Verhandlung vor dem MG Erfurt erfolgte im vollbesetzten Kinosaal seiner Grenzeinheit. Herr S. wurde wegen fortgesetzter Preisgabe militärischer Geheimnisse (1 Jahr 8 Monate), Beihilfe zum illegalen Verlassen der DDR (9 Monaten) und Urkundenfälschung (5 Monate) zu einer Gesamtstrafe von 2 Jahren 8 Monaten Gefängnis verurteilt. Ende Februar 1965 wurde er vorzeitig aus der Haft entlassen, die Reststrafe im März 1967 durch Beschluss erlassen.

Im Februar 2007 stellte Herr S. den Antrag nach dem. In der Stellungnahme der Staatsanwaltschaft wurde eine strafrechtliche Rehabilitierung nur insoweit gesehen, wie eine Verurteilung wegen Beihilfe zum illegalen Verlassen der DDR erfolgt ist. Die fortgesetzte Preisgabe militärischer Geheimnisse, wurde von ihr nicht im Zusammenhang mit der Beihilfe zum illegalen Verlassen der DDR gesehen. Im damaligen Urteil waren die Preisgabe seines Standortes, die Angaben zu Waffen- und Fahrzeugtyp der Grenzeinheiten und die Fahnenflucht eines Armeeangehörigen auch gegenüber anderen Bekannten von Herrn S. als fortgesetzte Preisgabe militärischer Geheimnisse aufgeführt.

Herr S. empfand diese Stellungnahme wie eine zweite Verurteilung. Er hatte nach Einführung der Wehrpflicht im Januar 1962 erlebt, wie Schüler zum Tag der NVA seine Diensteinheit besuchten und Fahrzeuge und Waffen vorgeführt bekamen. Der Standort seiner Diensteinheit war allgemein in seinem Betrieb und seinem Sportverein bekannt gewesen. Er konnte nicht verstehen, wie er ohne Weitergabe von Informationen aus seinem Dienstbereich zum Grenzregime einer Person hätte behilflich sein können, das schier unüberwindbare Grenzsystem der DDR unbeschadet an Leib und Leben zu überwinden. Warum wurde das Urteil so einseitig gesehen und die in der Begründung angeführten ideologischen Unklarheiten des Angeklagten, den Einfluß der Sendungen westlicher Fernsehstationen und seine Einkäufe von Waren zum Schwindelkurs von 1959 bis 1961 insgesamt 3mal in Westberlin nicht als Teil des Schauprozesses im Kinosaal gesehen, fragte Herr S. in seiner Stellungnahme das Landgericht.

Im März 2009 erhielt Herr S. den Rehabilitierungsbeschluss. Die Rehabilitierungskammer hielt anders als die Staatsanwaltschaft auch die Verurteilung wegen der Preisgabe von militärischen Geheimnissen für rehabilitierungswürdig. Sie sah aus dem Urteil einen Zusammenhang zwischen der Beihilfe zum illegalen Verlassen der DDR und der Preisgabe militärischer Geheimnisse. Die Rehabilitierungskammer rehabilitierte Herrn S. auch wegen des Vorwurfs des Geheim8 nisverrats. Dass Urkundenfälschung nicht rehabilitierungsfähig ist, war Herrn S. bereits bei der Antragstellung klar gewesen.

Strafrechtliche Rehabilitierung für Dienst in der NVADisziplinareinheit Herr M. wurde mit 29 Jahren, im Mai 1986, zum 18-monatigen Grundwehrdienst zu einer Diensteinheit in einer Unteroffiziersschule eingezogen. Er war überrascht. Nach § 29 Abs. 2 Wehrdienstgesetz der DDR - Die Wehrpflichtigen können vom vollendeten 18. Lebensjahr bis zum 31. Dezember des Jahres, in dem sie das 26. Lebensjahr vollenden, zum Grundwehrdienst einberufen werden. - schien ihm das unmöglich, wenngleich ihm bekannt war, dass auch Wehrpflichtige schon vor Vollendung des 18. Lebensjahres zur NVA einberufen wurden.

Während seines Grundwehrdienstes war Herr M. nach dem Ausgang einige Male mit dem Wachoffizier aneinander geraten. Daraufhin wurde gegen ihn die Disziplinarmaßnahme Dienst in der Disziplinareinheit für zwei Monate nach den geltenden disziplinarischen Vorschriften per Befehl verhängt, die er im Zeitraum vom 28.07. bis 26.09.1987 in der Disziplinareinheit Schwedt verbüßte. Die Disziplinarstrafe Dienst in der Disziplinareinheit wurde 1982 in die Dienstvorschrift - DV 10/0/006 (Disziplinarbefugnisse und disziplinarische Verantwortlichkeit) - aufgenommen und in Zuständigkeit des Ministeriums für Nationale Verteidigung vollzogen.

Danach konnten Regimentskommandeure bis 2 Monate, Divisionskommandeure bis 3 Monate Dienst in der Disziplinareinheit ohne militärgerichtliches Verfahren per Befehl aussprechen.

Der Dienst in einer Disziplinareinheit wurde NVA-intern als Abkommandierung betrachtet. Die Disziplinierten waren in Schwedt getrennt von den verurteilten Militärangehörigen untergebracht.

Sie galten danach nicht als vorbestraft. Die Zeit in der Disziplinareinheit war ganz oder teilweise nachzudienen.

Herr M. stellte im August 2007 den Antrag auf strafrechtliche Rehabilitierung. Das örtlich zuständige Landgericht begründete die Ablehnung des Antrages damit, dass § 1 Abs. 1 nicht anwendbar sei, da gegen den Antragsteller eine Disziplinarmaßnahme wegen des Verstoßes gegen Disziplinvorschriften nach der DV 10/0/006 verhängt wurde. Eine Straftat von Armeeangehörigen wäre nach dieser Dienstvorschrift nach den für Straftaten entsprechenden Rechtsvorschriften zu ahnden gewesen. Auch eine Rehabilitierung nach § 2 Abs. 1 (behördliche Anordnung zur Freiheitsentziehung, wenn diese der politischen Verfolgung oder sonst sachfremden Zwecken gedient hat) sei nicht erkennbar, da nur die Tatsache, dass die Disziplinarmaßnahme nicht durch ein Gericht angeordnet wurde, nicht zur Rehabilitierung zwingt, da sie in einem vorgesehenen Disziplinarverfahren der Armee verhängt wurde.

Auf die Beschwerde von Herrn M. entschied das zuständige Oberlandesgericht, dass die gegen ihn ergangene Anordnung der Disziplinarmaßnahme Dienst in der Disziplinareinheit für rechtsstaatswidrig erklärt und aufgehoben wird. Gleichzeitig wurde festgestellt, dass seine Zeit in der Disziplinareinheit Schwedt eine zu Unrecht erlittene Freiheitsentziehung ist. Das Oberlandesgericht begründete seine Entscheidung damit, dass es keine schriftlichen Dokumente in Archiven über den zugrundeliegenden Sachverhalt und keine Hinweise auf Disziplinarverstöße gab, außer den verbalen Auseinanderstetzungen mit dem Wachoffizier (nach Angaben von Herrn M.).

Aus einer anderen Rehabilitierung von Herrn M. war bekannt, dass er gegenüber Repräsentanten des DDR-Systems seine kritische Einstellung formulierte. 1981 war er auf Grund seiner Äußerungen in rechtsstaatswidriger Weise wegen öffentlicher Herabwürdigung verurteilt worden.

Da die Disziplinarstrafe Dienst in der Disziplinareinheit nach der maßgeblichen Dienstvorschrift grundsätzlich an strenge formale Voraussetzungen geknüpft war (mindestens dreimalige, zum Teil fünfmalige disziplinarische Vorahndung), die im Fall von Herrn M. nicht vorlagen, konnte die Anordnung der verhängten Disziplinarstrafe nach rechtsstaatlichen Maßstäben keinen Bestand haben, begründete das Oberlandesgericht.