Baugenehmigungsbehörden

In nicht unwesentlichem Umfang sind baurechtliche Nachbarschaftsstreitigkeiten Anlass von anhängigen Verfahren bei den unterschiedlichen Behörden und den Verwaltungsgerichten.

Ich frage die Landesregierung:

1. Inwieweit kann ein beteiligter Nachbar nach § 68 Thüringer Bauordnung bei den durch das zuständige Bauamt übermittelten Unterlagen eines Bauwilligen davon ausgehen, dass die darin enthaltenen textlichen und zeichnerischen Inhalte korrekt sind?

2. Inwieweit kann der beteiligte Nachbar darauf vertrauen, dass diese textlichen und zeichnerischen Inhalte nicht ohne weitere Beteiligung des Nachbarn nach Unterschriftsleistung verändert werden können?

Unter welchen Voraussetzungen können diese textlichen und zeichnerischen Festlegungen auch nach Unterschriftsleistung des Nachbarn ohne weitere Beteiligung des Nachbarn verändert werden und welche Rechtsfolgen können eintreten, sollte eine solche nachträgliche Änderung ohne wiederholte Beteiligung des Nachbarn erfolgen? Wie begründet die Landesregierung ihre Aussagen?

3. Inwieweit sind die zuständigen Baugenehmigungsbehörden bei der Prüfung des Bauantrags verpflichtet, die durch den beteiligten Nachbarn unterzeichneten Unterlagen mit den eingereichten Bauunterlagen des Bauantrags auf Abweichungen zu prüfen? Welche Folgen entstehen, sollte dabei die zuständige Behörde Abweichungen feststellen? Unter welchen Voraussetzungen können gegebenenfalls festgestellte Abweichungen im Verfahren oder nachträglich geheilt werden? Welche Rechtsfolgen treten ein, sollten gegebenenfalls bestehende Abweichungen nicht geheilt werden? Wie begründet die Landesregierung ihre Aussagen?

4. Inwieweit sind die zuständigen Bauaufsichtsbehörden nach Bewilligung eines Bauantrags berechtigt und verpflichtet, die Bauausführung durch den Bauherrn zu überwachen und über welches Ermessen verfügen dabei die zuständigen Bauaufsichtsbehörden? Inwieweit sind die zuständigen Bauaufsichtsbehörden berechtigt und verpflichtet, beim Erkennen von Abweichungen zwischen Baugenehmigung und Bauausführung, mit welchen behördlichen Maßnahmen einzugreifen und über welches Ermessen verfügen dabei die zuständigen Bauaufsichtsbehörden? Welche Anforderungen an die Bauüberwachung bestehen dabei hinsichtlich der Feststellung von Abweichungen durch Inaugenscheinnahme und der objektiven Feststellung von Abweichungen durch konkretes Nachmessen?

Das Thüringer Ministerium für Bau, Landesentwicklung und Verkehr hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 29. März 2010 wie folgt beantwortet: Vorbemerkungen:

Eine Nachbarbeteiligung ist nach § 68 nicht generell sondern nur dann erforderlich, wenn Abweichungen oder Befreiungen zugelassen werden sollen und dadurch öffentlich-rechtlich geschützte nachbarliche Belange berührt werden können.

Die Nachbarbeteiligung verschafft dem Nachbarn keine Rechte, sondern soll im Interesse des Bauherrn frühzeitig Probleme erkennen lassen und es dem Bauherrn ermöglichen, auf den Nachbarn zuzugehen. Wenn eine Abweichung oder Befreiung zugelassen werden soll, erleichtert die Nachbarbeteiligung die nach § 63 e erforderliche Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange.

Stimmt ein Nachbar einem Bauvorhaben nicht zu, muss nach § 70 Abs. 1 gleichwohl die Baugenehmigung erteilt werden, wenn dem Bauvorhaben keine (materiellen) öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Verfahren zu prüfen sind.

Zu 1.: Da der Nachbar die Unterlagen erhält, die die Bauaufsichtsbehörde vom Antragsteller erhalten hat, kann er in gleicher Weise wie die Bauaufsichtsbehörde darauf vertrauen, dass diese Unterlagen korrekt sind.

Zu 2.: Die Zustimmung eines Nachbarn beschränkt sich auf das Bauvorhaben, wie es sich aus den ihm vorgelegten Unterlagen ergibt. Wird dieses Vorhaben im Hinblick auf öffentlich-rechtlich geschützte nachbarliche Belange geändert, ist eine erneute Beteiligung erforderlich. Auf diese kann verzichtet werden, wenn durch die Änderungen keine öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange berührt werden. Unterbleibt eine erforderliche erneute Beteiligung, leben die Rechtsschutzmöglichkeiten des Nachbarn wieder auf.

Zu 3.: Bauantragsteller haben Bauvorlagen doppelt bzw. dreifach einzureichen. Die Nachbarunterschrift wird üblicherweise auf einem dieser Exemplare geleistet. Daher stellt sich der der Frage zugrunde liegende angenommene Sachverhalt als eher theoretisches Problem dar.

Baugenehmigungsbehörden sind nach § 70 Abs. 1 verpflichtet, die Bauantragsunterlagen hinsichtlich ihrer Übereinstimmung mit den im jeweiligen Verfahren zu prüfenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften zu überprüfen.

Würde eine Abweichung zwischen den eingereichten Unterlagen und den dem Nachbarn vorgelegten Unterlagen festgestellt, kann die Bauaufsichtsbehörde den Nachbarn erneut beteiligen. Dies setzt aber voraus, dass nach § 68 Abs. 2 überhaupt eine Nachbarbeteiligung erforderlich ist.

Bleibt die Abweichung bestehen, hat das keinerlei Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit einer Baugenehmigung, sondern führt nur dazu, dass Rechtsbehelfe des Nachbarn wieder zulässig werden können. Sie sind aber nur erfolgreich, wenn das Bauvorhaben gegen nachbarschützende materiell-rechtliche Vorschriften verstößt. Daher ist eine Heilung für die Rechtmäßigkeit einer Baugenehmigung nicht erforderlich.

Zu 4.: Nach § 78 Abs. 1 können die Bauaufsichtsbehörden die Einhaltung der öffentlich-rechtlichen Vorschriften und Anforderungen und die ordnungsgemäße Erfüllung der Pflichten der am Bau Beteiligten überprüfen. Nr. 78.1 der Bekanntmachung zum Vollzug der Thüringer Bauordnung vom 13. Juli 2004 Nr. 32/2004 S. 1971) führt hierzu aus: Ob und Wie der Bauüberwachung sind in das Ermessen der Bauaufsichtsbehörde gestellt. Daher richtet sich die Erforderlichkeit im Einzelfall nach der Notwendigkeit der Überwachung überhaupt, die auch den Umfang bestimmt. Maßgeblich für das Ob und die Reichweite der Bauüberwachung ist die Schwierigkeit der Bauausführung im Einzelfall unter Berücksichtigung möglicher Folgen, die sich aus der Nichtbeachtung von Bauvorschriften ergeben können.

Werden bei der Bauüberwachung Abweichungen von der Baugenehmigung festgestellt, können die Bauaufsichtsbehörden nach § 76 die Einstellung der Arbeiten anordnen und erforderlichenfalls die Baustelle versiegeln oder die an der Baustelle vorhandenen Bauprodukte, Geräte, Maschinen und Bauhilfsmittel in amtlichen Gewahrsam nehmen. Ist eine Anpassung des begonnenen Bauvorhabens an die Baugenehmigung oder eine nachträgliche Genehmigung der Bauausführung nicht möglich, kann nach § 77 die teilweise oder vollständige Beseitigung der Anlagen anordnet werden.

Werden Rechtsverstöße festgestellt, besteht nach der Rechtsprechung des Thüringer Oberverwaltungsgerichts ein intendiertes Ermessen. Das bedeutet, dass grundsätzlich eine Pflicht zum Einschreiten besteht.

Das behördliche Ermessen wird durch die Norm nur eröffnet, um in Ausnahmefällen zu ermöglichen, von dem an sich gebotenen Einschreiten abzusehen, wenn dies nach den konkreten Umständen opportun ist (Thüringer Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 27. Juni 1996, 1 EO 425/95, 1997, 16).