Auch in Thüringen gibt es derartige Einrichtungen

Februar 2010 hat folgenden Wortlaut: Mutmaßliche Straftäter, die für die Untersuchungshaft zu jung sind, werden seit Jahren zum Teil in dafür vorgesehenen Heimen sozialpädagogisch betreut. Um den Jugendlichen die oft schwierigen Erfahrungen der Untersuchungshaft zu ersparen, werden diese bis zum Beginn ihres Prozesses oft in abgelegenen Heimen untergebracht und betreut.

Auch in Thüringen gibt es derartige Einrichtungen. So befindet sich etwa eines in Röttersdorf im Thüringer Wald, welches vom Evangelischen Jugendfürsorgewerk (EJF) betrieben wird.

Wir fragen die Landesregierung:

1. Wo gibt es solche Einrichtungen im Gebiet des Freistaats Thüringen? In welchem Umfang wird die Einrichtung in Röttersdorf außer durch das Land Berlin auch durch den Freistaat Thüringen genutzt? Werden gegebenenfalls weitere Einrichtungen entsprechend durch den Freistaat Thüringen genutzt? Falls ja, welche?

2. Wie und aus welchen Mitteln werden diese Einrichtungen finanziert (bitte genau aufschlüsseln)? Seit wann finanziert der Freistaat gegebenenfalls diese Betreuungseinrichtungen?

3. Wie viele Jugendliche sind derzeit insgesamt in solchen Heimen in Thüringen untergebracht (bitte konkret für jede Einrichtung angeben)? Für welche Belegung sind die jeweiligen Heime ausgelegt? Wie sind die veranschlagten und tatsächlichen Betreuungsschlüssel für die Jugendlichen?

4. Inwieweit werden in den Heimen sozialtherapeutisch betreute Jugendliche gemeinsam mit den zur Untersuchungshaftvermeidung Untergebrachten betreut (bitte nach Einrichtungen aufschlüsseln)? In welcher Weise werden beide Gruppen wirksam voneinander getrennt (bitte nach Einrichtungen aufschlüsseln)? Wie begründet sich die gemeinsame Unterbringung pädagogisch?

5. Haben die Jugendlichen die Möglichkeit, sich während ihres Aufenthaltes außerhalb des Heimes gesellschaftlich zu engagieren? Falls ja, in welcher Form?

6. Sind der Landesregierung aus der Vergangenheit Übergriffe der zu Betreuenden oder sonstige Vorfälle bekannt? Falls ja, bitte genau aufführen. Falls ja, wurden solche Vorfälle durch die Verantwortlichen ordnungsgemäß angezeigt und bewertet? Falls ja, wurden seitens der Landesregierung Maßnahmen ergriffen? Falls ja, in welcher Weise? Falls nein, warum nicht?

7. Hat bislang eine Evaluation des Gesamtkonzeptes dieser Unterbringung zur Untersuchungshaftvermeidung und Sozialtherapie von Jugendlichen stattgefunden? Falls ja, mit welchem Inhalt? Falls nein, warum nicht? Ist eine solche Evaluation geplant? Falls nein, warum nicht?

Das Thüringer Ministerium für Soziales, Familie und Gesundheit hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 27. April 2010 wie folgt beantwortet:

Zu 1.: Untersuchungshaftvermeidung kann in Thüringen in den in der Anlage aufgelisteten Einrichtungen durchgeführt werden.

Durchschnittlich zehn Prozent bis 20 Prozent der Plätze der Jugendhilfeeinrichtung Am Schiefergrund, Röttersdorf 58a, 07349 Lehesten, werden für Jugendliche aus Thüringen genutzt.

Zu 2.: Die Kosten der einstweiligen Unterbringung Jugendlicher nach § 71 Abs. 2 und § 72 Abs. 4 Jugendgerichtsgesetz in Einrichtungen der Jugendhilfe sind Auslagen des Strafverfahrens.

Entsprechend der Vereinbarung des Justizministeriums und des Ministeriums für Soziales, Familie und Gesundheit über Grundsätze der Unterbringung in Einrichtungen der Jugendhilfe gemäß § 71 Abs. 2 und § 72 Abs. 4 Jugendgerichtsgesetz vom 7. September 1993 und deren Neufassung vom 22. Dezember 2003

Nr. 9/2004, S. 617 - 620) wurden bzw. werden die Kosten der einstweiligen Unterbringung dem Träger der Jugendhilfeeinrichtung von der Justizverwaltung in dem Umfang erstattet, wie sie nach Jugendhilferecht als notwendig anerkannt werden.

Demzufolge werden die Kosten zeitabhängig nach der Dauer der Unterbringung ersetzt. Die Tagessätze differieren je nach Einrichtung zwischen etwa 200 und 230 Euro. Ausgabemittel sind bei Kapitel 0504 Titel 536 14 veranschlagt.

Zu 3.: Zur Beantwortung der Frage verweise ich auf die Anlage.

Zu 4.: In den für die Untersuchungshaftvermeidung geeigneten Thüringer Einrichtungen werden neben den zwecks Untersuchungshaftvermeidung untergebrachten Jugendlichen grundsätzlich auch Jugendliche im Rahmen von erzieherischen Hilfen betreut, wobei die Unterbringung in der Jugendhilfeeinrichtung Am Schiefergrund und in der Präzeptorei Schönberg in unterschiedlichen Wohngruppen erfolgt. Die Untersuchungshaftvermeidung in einer Einrichtung der Jugendhilfe verfolgt dabei das Ziel, den Jugendlichen die Chance zu eröffnen, mit Hilfe der pädagogischen und therapeutischen Möglichkeiten ihre Taten zu reflektieren und eventuell neue Perspektiven für ihr Leben zu erkennen. Insoweit geht es nicht um Wegschließen, sondern um soziale Integration und soziales Lernen. In diesem Sinne sieht Ziffer 2.3 der in der Antwort zu Frage 2 genannten Vereinbarung vor, dass das Entweichen im Rahmen der pädagogischen Zielrichtung der Einrichtung durch pädagogische Kontrollmaßnahmen und nicht durch zusätzliche bauliche Sicherungen verhindert werden soll.

Zu 5.: Die zwecks Untersuchungshaftvermeidung untergebrachten Jugendlichen verlassen nur in Begleitung von Betreuern die Einrichtung. Auch die Beschulung erfolgt in der Einrichtung. Es wird aber durch die Einrichtung angestrebt, die Jugendlichen zu motivieren, sich für die Gemeinschaft zu engagieren. Dies geschieht z. B. in der Jugendhilfeeinrichtung Am Schiefergrund durch Zimmern von Tischen und Bänken in der Tischlerei der Einrichtung (Arbeitsprojekte), die dann an Wanderwegen aufgestellt werden.

Zu 6.: Der Landesregierung sind in der Vergangenheit drei schwere besondere Vorkommnisse bekannt geworden, und zwar in der Jugendhilfeeinrichtung Am Schiefergrund: 2004: Zwei Mitarbeiterinnen wurde von vier Jugendlichen der Autoschlüssel abgenommen, sie wurden eingeschlossen und das Auto entwendet.

2008: Ein zwecks Untersuchungshaftvermeidung untergebrachter Jugendlicher wurde von zwei Mitbewohnern misshandelt.

2009: Eine Mitarbeiterin wurde von zwei Jugendlichen im Zimmer der Jugendlichen angegriffen und schwer verletzt.

Das Vorkommnis im Jahr 2008 wurde zwar nicht bei dem für die Heimaufsicht zuständigen Landesjugendamt angezeigt; die Einrichtung hatte jedoch die involvierten Justizbehörden in Erfurt und Berlin informiert.

Die beiden anderen Vorfälle wurden dem Landesjugendamt unverzüglich als besonderes Vorkommnis gemeldet. Das Landesjugendamt hat im Rahmen seines staatlichen Wächteramtes die Einrichtung überprüft.

Es wurden örtliche Prüfungen durchgeführt, zuletzt im März 2010 unangemeldet. Kontrolliert wurden dabei u. a. die jeweiligen Belegungen und Dienstpläne. In diesem Zusammenhang hat das Landesjugendamt personelle Konsequenzen (für die Sicherheit der Jugendlichen und der Fachkräfte) u. a. in Form von ständiger Doppelbesetzung gefordert, was von der Einrichtung auch umgesetzt wird.

Zu 7.: Die Landesregierung hat - auch wegen der geringen Fallzahlen - bisher keine Evaluation im Sinne der Fragestellung in Auftrag gegeben. Jedoch ist dem Landesjugendamt bekannt, dass der Träger der Jugendhilfeeinrichtung Am Schiefergrund mit der Universität Potsdam in Verhandlung steht und voraussichtlich ab Mai 2010 eine wissenschaftliche Begleitung der Untersuchungshaftvermeidung in Röttersdorf beginnen will.

Taubert Ministerin Anlage Hinweis: