Das ist aus mehreren Gründen ein unhaltbarer Zustand

8. Tätigkeitsbericht 2008-2009

Thüringer Landesbeauftragter für den Datenschutz

Justizzahlstellenverfahren speichert längst erledigte Forderungen

Aufgrund einer Beschwerde wurde der auf einen Mangel in dem von der Justizzahlstelle in Gera betriebenen automatisierten Kosteneinziehungsverfahren aufmerksam. Der Beschwerdeführer sah sich bei einer Vollstreckungsankündigung durch den Gerichtsvollzieher einer ganzen Liste von Forderungen gegenüber, die in den letzten 12 Jahren angefallen, jedoch zum größten Teil bereits beglichen waren. An erster Stelle befand sich eine Forderung aus dem Jahr 1996, die ebenfalls längst bezahlt worden war. Bei einer aktualisierten Aufstellung ein halbes Jahr später tauchte bei dieser Forderung plötzlich ein erhöhter Betrag an Nebenkosten auf sowie eine daraus resultierende offene Restforderung. Der Beschwerdeführer konnte sich nicht erklären, weshalb nun plötzlich eine seit vielen Jahren beglichene Forderung wieder offen sein sollte. Durch die falsche Zuordnung war es ihm auch nicht möglich nachzuvollziehen, um welche Forderung es sich handelte. Eine Nachfrage bei der Landesfinanzdirektion angesiedelten Justizzahlstelle ergab Erstaunliches. Das eingesetzte System sei in zweierlei Hinsicht Mängel behaftet. Eine Löschung der ersten eingetragenen Forderung nach der gesetzlichen Frist von 10 Jahren sei systembedingt nicht möglich, weil zu diesen Datensätzen ein führendes Kassenzeichen vergeben werde und zur ordnungsgemäßen Aufgabenerledigung erforderlich sei, da andernfalls z. B. Verbindungen zwischen Forderungen und Erstattungen nicht mehr möglich seien. Zudem sehe das System keine gesonderte Möglichkeit vor, Nebenkosten, die durch die Vollstreckung verursacht wurden, gesondert zu verbuchen. Deshalb hat man kurzerhand diese Nebenkosten, ohne dies für den Betroffenen zu erläutern, immer wieder der bereits beglichenen ersten Forderung (im vorliegenden Fall aus dem Jahr 1996!) zugeordnet.

Das ist aus mehreren Gründen ein unhaltbarer Zustand. Zunächst sind die gesetzlichen Löschfristen umzusetzen und können nicht mit der willkürlichen Begründung verlängert werden, dass ein automatisiertes Verfahren sonst nicht mehr ordentlich funktionieren würde. Würde man sich dieser Argumentation anschließen, dann könnte man bewusst schlecht programmierte Software anschaffen, um gesetzliche Löschfristen zu umgehen. Zudem sind nach § 14 personenbezogene Daten zu berichtigen, wenn sie unrichtig sind. Daraus ergibt sich aber auch, dass die Verwaltung nicht bewusst unrichtige Daten in automatisierten Verfahren erzeugen darf. Aber als solches muss die erneute Zuspeicherung von Nebenkosten zu Aktenzeichen verstanden werden, die längst beglichen worden sind, ohne dies zu erläutern. Die Justizzahlstelle hat allerdings erst nach dem Eingreifen des eingesehen, dass hier die Technik dem Datenschutzrecht angepasst werden muss und nicht umgekehrt. So wurde die Absicht geäußert, dass ein neues Kosteneinziehungsverfahren angeschafft werden soll, das die beschriebenen Mängel nicht mehr hat. Als erste Maßnahmen wurden in einem Löschlauf die alten Forderungen entfernt. Allerdings nicht die Datensätze zum führenden Kassenzeichen, da ansonsten ein Zugriff auf die Personenkonten nicht mehr möglich wäre. Es wurde veranlasst, dass der Gerichtsvollzieher und auch der Schuldner in der Übersicht nicht mehr die beglichenen Forderungen, die Angabe der Gläubiger sowie die alten Aktenzeichen vorgelegt bekommen. Vielmehr wird nur noch das führende Kassenzeichen angegeben. Weil nach wie vor kein gesonderter Datensatz für die Nebenkosten angelegt werden kann, sollen diese künftig nicht mehr beim führenden Kassenzeichen, sondern bei einer der auslösenden Forderungen verbucht und mit einer erklärenden Fußnote versehen werden. Diese Maßnahmen können allerdings nur übergangsweise geduldet werden. Von der zuständigen Landesfinanzdirektion war zu hören, dass sich die angestrebte Einführung des neuen Verfahrens aus haushaltsrechtlichen Gründen verzögern könnte.

Wenn der Staat aufgrund seines Gewaltmonopols gegen den Bürger Forderungen zwangsweise vollstrecken kann, dann müsste es eine Selbstverständlichkeit sein, dass ein Verfahren verwendet wird, in dem dieser einfach und transparent nachvollziehen kann, welche Summe in welchem Verfahren von ihm verlangt wird. Das ist im derzeitigen Verfahren nicht gewährleistet. Hier ist dringend eine Technik einzusetzen, die den rechtlichen Anforderungen entspricht.

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Thüringer Landesbeauftragter für den Datenschutz

11. Gesundheits- und Sozialdatenschutz

Arbeitshilfe Außendienst der Bundesagentur für Arbeit § 7 Abs. 3a SGB II stellt die gesetzliche Vermutung an, dass Partner, die länger als ein Jahr oder mit einem Kind zusammenleben oder sich Vermögensverfügungsbefugnisse eingeräumt haben, als sog. Bedarfsgemeinschaft zu qualifizieren sind (7. TB, 11.1). Folge ist, dass Partner einer solchen Bedarfsgemeinschaft füreinander einzustehen haben, insbesondere in finanzieller Hinsicht. Diese Regelung stellt beispielsweise bloße Wohngemeinschaften vor große Probleme, diese gesetzliche Vermutung zu widerlegen, also zu beweisen, dass eine Bedarfsgemeinschaft nicht besteht. In der Praxis werden insbesondere nach der Verweigerung einer Wohnungsbesichtigung die Leistungen mit der zuvor meist angedrohten Begründung eingeschränkt bzw. eingestellt, der Sachverhalt könne nicht weiter aufgeklärt werden. Dabei erfolgt die Leistungsbeschränkung gerade auch in denjenigen Fällen, in denen die Voraussetzungen für die gesetzliche Vermutung des Bestehens einer Bedarfs-/Einstehens-/ Verantwortungsgemeinschaft im Sinne von § 7 Abs. 3a SGB II noch nicht vorliegen, also insbesondere im zeitlichen Vorfeld der gesetzlichen Fiktion. Die Arbeitshilfe Außendienst der Bundesagentur für Arbeit, die auch von den ARGEn als Handlungsgrundlage herangezogen wird, führt hierzu unter 2.1, Absatz 8 aus: Wegen der Verweigerung des Zutritts zur Wohnung als solcher ist es nicht möglich, einen Leistungsanspruch nach § 66 SGB I zu versagen, da für Hausbesuche keine Mitwirkungspflicht im Rahmen des § 60 SGB I besteht. Es ist allenfalls möglich, die beantragte Leistung abzulehnen, wenn der Sachverhalt nicht anderweitig aufgeklärt werden kann. Während in älteren Arbeitshilfen noch von einer zwingenden Leistungseinstellung nach Ausschöpfung der Möglichkeiten der Sachverhaltsaufklärung die Rede war, wird nunmehr zu Recht auf die fehlende Mitwirkungspflicht des Betroffenen bei Hausbesuchen hingewiesen. Allerdings wird weiterhin betont, es sei möglich, die Leistungen einzustellen, wenn der Sachverhalt nicht anderweitig aufgeklärt werden könne. Diese Sichtweise fußt auf dem Gedankengang, dass der Antragsteller das Vorliegen der anspruchsbegründenden Tatsachen (Anspruchsvoraussetzungen) nachzuweisen hat. Gelingt ihm dieses nicht, geht das zu seinen Lasten. Die beantragte Leistung wird also verweigert. Vor dem Hintergrund neuerer Rechtsprechung erscheint diese Auffassung aus folgenden Erwägungen nicht mehr differenziert genug: