Die Definition Vollgeschoss ist bedeutsam für die Berechnung von Abwasser und Straßenausbaubeiträgen

Mai 2010 hat folgenden Wortlaut:

Nach § 85 Abs. 2 Thüringer Bauordnung gelten, solange § 20 Abs. 1 Baunutzungsverordnung zur Begriffsbestimmung des Vollgeschosses auf Landesrecht verweist, Geschosse als Vollgeschosse, wenn deren Deckenoberkante im Mittel mehr als 1,40 Meter über die Geländeoberfläche hinausragt und sie über mindestens zwei Drittel ihrer Grundfläche eine lichte Höhe von mindestens 2,30 Meter haben. In Wohngebäuden der Gebäudeklasse 1 und 2 gelten Geschosse, die über mindestens zwei Drittel ihrer Grundfläche eine für die Nutzung als Aufenthaltsraum in solchen Gebäuden erforderliche lichte Höhe haben, als Vollgeschosse. Nach § 45 Abs. 1 Satz 2 ist für Aufenthaltsräume in Gebäuden der Gebäudeklassen 1 und 2 keine erforderliche lichte Höhe vorgeschrieben.

Die Definition Vollgeschoss ist bedeutsam für die Berechnung von Abwasser- und Straßenausbaubeiträgen. Über den sogenannten Vollgeschossmaßstab wird das unterschiedliche Maß der Nutzung bei der Beitragsermittlung berücksichtigt.

Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung:

1. Gilt ein Keller- bzw. Dachgeschoss in der benannten Gebäudeklasse demnach dann bereits als Vollgeschoss, wenn sich im Geschoss tatsächlich Aufenthaltsräume befinden und wie wird dies begründet?

Welches Ermessen haben in diesem Zusammenhang die Beitragsgläubiger?

2. Wenn nein, ist es aus Sicht der Landesregierung möglich, dass der zuständige Aufgabenträger der Abwasserentsorgung oder die Gemeinde die bestehenden Rechtsnormen Satzung) in dem in Frage 1 nachgefragten Sinne auslegt und anwendet und wie begründet die Landesregierung ihre diesbezügliche Position?

3. Wie ist aus Sicht der Landesregierung der in § 85 Abs. 2 verwendete Begriff Geländeoberfläche zu definieren bzw. in welcher Art und Weise hat die Ermittlung des Mittels zwischen Geländeoberfläche und Deckenoberkante zu erfolgen? Ist hier von der tatsächlichen bzw. hergestellten Geländeoberfläche oder von einer in der Baugenehmigung bzw. im Bebauungsplan festgelegten auszugehen?

4. Unter welchen Voraussetzungen können kommunale Aufgabenträger der Abwasserentsorgung bzw. Gemeinden in den entsprechenden Beitragssatzungen von der in Verbindung mit der abweichende Regelungen zur Definition des Vollgeschosses treffen? Nach welchen Verfahren erfolgt die beabsichtigte Abweichung von der Definition Vollgeschoss? Welches Ermessen haben dabei die Satzungsgeber und wie wird dieses begründet?

Das Thüringer Innenministerium hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 22. Juni 2010 wie folgt beantwortet:

Zu 1.: § 85 Abs. 2 Satz 2 Thüringer Bauordnung enthält im Verhältnis zu Satz 1 lediglich eine Sonderregelung zur erforderlichen Raumhöhe von Vollgeschossen. Aus Satz 1 ergibt sich, dass nur oberirdische Geschosse Vollgeschosse sein können. Ob sich in einem Geschoss dagegen tatsächlich Aufenthaltsräume befinden, ist irrelevant, da § 85 Abs. 2 Satz 2 Thüringer Bauordnung ausschließlich darauf abstellt, ob eine für Aufenthaltsräume erforderliche Höhe gegeben ist. Es steht im Ermessen der zuständigen Aufgabenträger in der Beitragssatzung die Definition des Vollgeschosses an die Bestimmungen der Thüringer Bauordnung in Verbindung mit der Baunutzungsverordnung anzulehnen oder andere Vollgeschossdefinitionen aufzunehmen.

Zu 2.: Auf die Antwort zu Frage 1 wird verwiesen.

Zu 3.: Für die Ermittlung der mittleren Wandhöhe werden in der baurechtlichen Literatur verschiedene Herangehensweisen diskutiert. Einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung zur Thüringer Bauordnung ist zu entnehmen, dass es vorrangig auf die natürliche Geländeoberfläche ankommt. Nur wenn diese ungeeignet ist oder nicht mehr ermittelt werden kann, kommt eine rechtliche Festlegung in Betracht. Auf die tatsächlich hergestellte Geländeoberfläche kann es dagegen nicht ankommen, da es dann der Bauherr durch entsprechende Geländemodellierung in der Hand hätte, sich der Beitragspflicht zu entziehen oder die in einem Bebauungsplan festgesetzte Nutzbarkeit seines Grundstücks zu erhöhen.

Die Deckenoberkante liegt im Mittel mehr als 1,40 Meter über dem Gelände, wenn die frei liegende Fläche sämtlicher Kelleraußenwände bis zur Deckenoberkante größer ist als eine Vergleichsfläche, die sich aus dem Gebäudeumfang multipliziert mit 1,40 ergibt.

Zu 4.: Unter Berücksichtigung der konkreten örtlichen Verhältnisse im Gemeinde- oder Verbandsgebiet steht es im Ermessen der Aufgabenträger, Regelungen der Thüringer Bauordnung in Verbindung mit der Baunutzungsverordnung anzuwenden oder eigenständige Regelungen zur Definition des Vollgeschosses in ihrer Abwasserbeitragssatzung aufzunehmen, so dass die Beitragserhebung unter Beachtung des Äquivalenzprinzips gewährleistet wird.