Grundschule

Juni 2010 hat folgenden Wortlaut:

Am 21./22. Juni 2010 fand eine zweitägige Fachtagung der Kultusministerkonferenz zur Umsetzung der Behindertenrechtskonvention in Bremen statt, zu deren Vorbereitung ein gemeinsames Diskussionspapier der Länder erarbeitet wurde.

In Beantwortung der Landesregierung der Kleinen Anfrage 69 in Drucksache 5/248 wurde mitgeteilt, dass die Thüringer Forschungs- und Arbeitsstelle für den Gemeinsamen Unterricht unter Leitung von Frau Prof. Dr. Ada Sasse und Dipl.-Math. Frau Ursula Schulzeck 2008 eine erste Expertise zu Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für das Gelingen des Gemeinsamen Unterrichts an den allgemeinbildenden Schulen in Thüringen erstellte, die jährlich fortgeschrieben wird. Zudem wurde Frau Prof. Dr. Monika A. Vernooij beauftragt, eine Expertise zur Sonderpädagogischen Förderung in Thüringen zu erarbeiten.

Ich frage die Landesregierung:

1. Welcher Vertreter seitens der Landesregierung hat am 21./22. Juni 2010 an der Fachtagung der Kultusministerkonferenz teilgenommen und welcher Beschluss wurde gefasst?

2. Welche Schlussfolgerung zieht die Landesregierung aus den Ergebnissen der Fachtagung der Kultusministerkonferenz und wie will sie diese konkret in landespolitische Maßnahmen umsetzen?

3. Was sind die Kernaussagen der o. g. Expertisen von Frau Prof. Dr. Ada Sasse und Frau Prof. Dr. Monika A. Vernooij?

4. Wo sind beide o. g. Expertisen veröffentlicht?

5. Wie ist der Stand der Umsetzung der genannten Ergebnisse in den o. g. Expertisen in Bezug auf die Ergebnisse der Fachtagung der Kultusministerkonferenz?

Das Thüringer Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 10. August 2010 wie folgt beantwortet:

Zu 1.: Folgende Bedienstete des Thüringer Ministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur nahmen an der Fachtagung der Kultusministerkonferenz am 21./22. Juni 2010 in Bremen teil: Herr Wilfried Hegen, Referatsgruppenleiter, Frau Cordula Engelhardt, Referatsleiterin, Herr Reinhold Godde, Referatsleiter, Frau Carola Förster, Referentin, Frau Eva Morgenroth, Referentin.

Die Tagung diente der aktiven Einbeziehung der Kultusministerkonferenz (KMK) und ihrer relevanten Gremien in die öffentliche Diskussion sowie der politischen und fachlichen Arbeit an der Umsetzung der VNKonvention. Sie unterstützte die Auseinandersetzung mit schulgesetzlichen und praktischen Aspekten des Umgangs mit Vielfalt in der Schule. Als Grundlage für die Fachtagung lag ein abgestimmtes Diskussionspapier der KMK vor, mit dem Ziel, aus Ergebnissen der fünf Fachvorträgen und der sieben Arbeitsforen die Überarbeitung der Empfehlungen der sonderpädagogischen Förderung von 1994 (Beschluss der KMK von 10/08) weiterzuentwickeln.

Beschlüsse wurden nicht gefasst. Das Diskussionspapier sowie die Vorträge und Inputreferate können unter der Internet-Adresse http://www.bildung.bremen.de/sixcms/detail.php?gsid=bremen117.c.23820.de eingesehen werden.

Zu 2.: Das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 13. Dezember 2006 bietet seit 2009 in Deutschland einen bedeutsamen rechtlichen Rahmen für staatliches Handeln bis auf die Ebene der Kommunen.

Schon vor der Ratifizierung der VN-Konvention war im Freistaat Thüringen die Umsetzung von Teilhabe und Aktivität aller Kinder in der allgemein bildenden Schule im Blickfeld: 1997 hat Thüringen mit der veränderten Schuleingangsphase an Grundschulen begonnen, die grundlegende Akzeptanz von Vielfalt und von individuellen Lernbedürfnissen umzusetzen.

Im Jahr 2003 wurde das Thüringer Förderschulgesetz novelliert. Seitdem ist der Vorrang des Gemeinsamen Unterrichts gesetzlich festgeschrieben, der zielgleich und zieldifferenziert erfolgen kann.

Der Koalitionsvertrag zwischen den Koalitionspartnern der 5. Wahlperiode sieht vor, das Förderschulgesetz vor dem Hintergrund der VN-Konvention zu betrachten. Ebenso ist vorgesehen, die Feststellung des Förderbedarfs und die Trägerschaft der Förderung strukturell zu entkoppeln. Für Letzteres wurde mit fünf Schulämtern ein Konzept entwickelt, das diesem Anliegen fachlich und politisch Rechnung trägt und ab dem Schuljahr 2010/2011 praktisch umgesetzt wird.

Ab dem Schuljahr 2011/2012 soll in allen Schulämtern verbindlich nach diesem Konzept gearbeitet werden.

Für die Weiterentwicklung des Thüringer Bildungssystems ist das Vorhaben von hoher Bedeutung, weil es alle Bereiche schulischen Lernens betrifft.

Zu 3.: Gegenstand des Vertrages zwischen dem Thüringer Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur und der Universität Erfurt, vertreten durch die Auftragnehmerin Frau Prof. Dr. A. Sasse, vom 13. Juli 2005 war die Erstellung eines Gutachtens zur zieldifferenten Integration an den Thüringer Grundschulen und dessen Fortschreibung. Grundlage für die inhaltliche Ausgestaltung des Vertrags ist eine Projektbeschreibung vom 5. Juli 2005 zu Inhalt, Umfang und Zielstellung des Gutachtens.

Das Erkenntnisinteresse der Expertise ist auf vier Fragen gerichtet:

1. Welche Wissensbestände über juristische, pädagogische sowie didaktische Grundlagen und welches Verständnis von schulischer Integration/gemeinsamem Unterricht können bei den Akteuren in den Staatlichen Schulämtern (Schulamtsleiter/-innen, Referenten und Referentinnen für Grund- und Sonderschulen) sowie an den Schulen (an Integrationsmaßnahmen beteiligte Grund- und Sonderschullehrer/-innen) vorausgesetzt werden?

2. Welche Strategien und Methoden der Veränderung von Schule und Unterricht sind im Kontext gemeinamen Unterrichts/schulischer Integration in den Schulämtern sowie in den Schulen entwickelt worden (Schaffung von Rahmenbedingungen, Kooperationsformen und Kooperationspartnern, Konfliktbewältigung)?

3. Wie kann das Arbeitsfeld der Berater für den gemeinsamen Unterricht präzisiert werden?

4. Welche Qualität hat der gemeinsame Unterricht/die schulische Integration (pädagogisch positive Berücksichtigung von Heterogenität auf der Basis theoretisch fundierter Lernstandsanalyse/Lernförderung)?

In der ersten Fortschreibung der Expertise Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für das Gelingen des Gemeinsamen Unterrichts an den allgemein bildenden Schulen in Thüringen vom 13. März 2009 von Frau Prof. Dr. A. Sasse und Frau Dipl.-Math. U. Schulzeck wird in der Einleitung die Weiterentwicklung der Förderzentren zu Kompetenz- und Beratungszentren auf Grund der Notwendigkeit, öffentliche Infrastrukturen dem demographischen Wandel in Thüringen anzupassen, beschrieben. Es wird darauf eingegangen, dass sich seit der Novellierung des Thüringer Schulgesetzes im Jahre 2003 der gemeinsame Unterricht in Thüringen entwickelt. Die Notwendigkeit der erforderlichen Umstrukturierung der sonderpädagogischen Infrastrukturen wird anhand der Tatsache verdeutlicht, dass noch immer mehr als 84 Prozent aller Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf an den Förderschulen lernen. Da die am 22. Februar 2008 vorgelegte Expertise zeigt, dass die Werte auf Schulamtsebene deutlich abweichen können von den landesweiten Durchschnittswerten, wurde die Fortschreibung nunmehr auf der Ebene der Stadt- und Landkreise vorgenommen.

Die Beschreibungen sonderpädagogischer Infrastrukturen und der mit ihnen verbundenen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für das Gelingen des gemeinsamen Unterrichts an den allgemein bildenden Schulen in Thüringen beziehen sich auf folgende Schwerpunkte:

· Die Entwicklung der Schülerzahlen

· Die Entwicklung der Förderschulquote

· Die Überweisungsquote an eine Förderschule im Schuljahr 2007/2008

· Die dysfunktionale Nutzung der Schuleingangsphase

· Die Entwicklung der Integrationsquoten

In den oben aufgeführten Bereichen werden die Daten der alten Bundesländer, Thüringens, der einzelnen Schulamtsbereiche, einzelner Landkreise und einzelner Städte gegenübergestellt.

Dazu werden im 2. Teil der Expertise Entwicklungsverläufe in Thüringen dargestellt und diskutiert, die im

3. Teil regional ausdifferenziert werden. Das letzte Kapitel enthält einen Ausblick auf die zweite Fortschreibung der Expertise, die sich auf die Möglichkeiten der Regionalisierung sowie die Wirksamkeit sonderpädagogischer Förderung im Land bezieht.

Grundlage des Gutachtens bilden die vom Thüringer Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur zur Verfügung gestellten Daten für die Schuljahre 2002 bis 2008/2009 sowie aktuelle Daten der Kultusministerkonferenz (KMK 2008).

Es ist festzustellen, dass bei den dargestellten empirischen Daten in den einzelnen Schulamtsbereichen und noch stärker auf der Ebene der Landkreise und kreisfreien Städte erhebliche regionale Disparitäten bestehen.

Gegenstand des Vertrages zwischen dem damaligen Thüringer Kultusministerium und Frau Prof. Dr. M. A. Vernooij vom 12. Februar 2009 war die Erstellung einer wissenschaftlichen Expertise zur Veränderung der staatlichen Förderzentren zu Beratungs- und Kompetenzzentren im Rahmen der bildungspolitischen Schwerpunktsetzung einer deutlichen Stärkung des gemeinsamen Unterrichts von Kindern und Jugendlichen mit und ohne Behinderung in Thüringen. Grundlage der Expertise waren einige Besuche der Auftragnehmerin an Förderzentren, weiterführenden allgemein bildenden Schulen und die Teilnahme an Beratungen der Arbeitsgruppe Förderschulen als Kompetenz- und Beratungszentrum.

Die wissenschaftliche Expertise Zur Situation und Weiterentwicklung der (Sonderpädagogischen) Förderzentren in Thüringen von Frau Prof. Dr. M. A. Vernooij unterstützt grundsätzlich die im Thüringer Förderschulgesetz festgelegte Präferenz des gemeinsamen Unterrichts entsprechend der internationalen als auch nationalen Tendenzen in der Bildungspolitik und in Bezug auf die UN-Behindertenrechtskonvention.

Da Frau Prof. Dr. M.A. Vernooij Förderzentren in Regionen mit des gemeinsamen Unterrichts untersuchte, konnte Steuerungswissen zu den Ursachen für Problemlagen gewonnen werden.

So benennt die wissenschaftliche Expertise auch folgende Problemlagen der Situation der sonderpädagogischen Förderung im Allgemeinen und der Förderzentren bzw. der Umsetzung des gemeinsamen Unterrichts im Speziellen, die die Positionen von den befragten Schulleitern und Lehrkräften der o. g. Regionen verdeutlichen:

· Fehlen eines differenzierten Gesamtkonzeptes zur sonderpädagogischen Förderung

· nur ansatzweise oder gar nicht gegebene notwendige Rahmenbedingungen für ein begabungs- und bedürfnisgerechtes Lernen in der allgemein bildenden Schule

· Trotz vielfältiger Maßnahmen von Seiten des Ministeriums fühlt sich ein großer Teil der Lehrerschaft auf die Durchführung des gemeinsamen Unterrichts nicht genügend vorbereitet.

· Geringe Effektivität der schulvorbereitenden Einrichtungen (SVE) - für einen Teil der Kinder setzt eine systematische Förderung mit Schuleintritt zu spät an.

· Gefahr der Entspezialisierung der Förderzentren

· Problemfelder im Zusammenhang mit der Neugestaltung der Sonderpädagogischen Förderung

Weiterhin werden im Gutachten Möglichkeiten der Veränderung bezüglich folgender Themenbereiche aufgezeigt:

· Struktur eines gestuften Gesamtkonzeptes

· Gestuftes System der (sonder-)pädagogischer Unterstützung je nach dem Grad des individuellen Bedarfs

· Neustrukturierung (Weiterentwicklung) der Sonderpädagogischen Förderzentren

· Grundlegende Aspekte des Unterrichts in heterogenen Gruppen

· Grundlegende Aspekte der Pädagogik bei Lernbeeinträchtigungen

· Grundlegende Aspekte der Pädagogik bei Verhaltensstörungen

Zu 4.: Frau Prof. Dr.A. Sasse hat 2007 erstmals eine empirische Untersuchung zu den Voraussetzungen und Rahmenbedingungen des Gemeinsamen Unterrichts an den allgemeinbildenden Schulen in Thüringen vorgelegt. Erste Ergebnisse wurden im November 2007 auf einer Fachtagung mit Vertretern der Schulämter Thüringens und im Beisein von Herrn Minister a. D. Prof. Dr. Jens Goebel und von Herrn Staatssekretär a. D. Kjell Eberhardt einer breiten Öffentlichkeit präsentiert. Im Jahr 2008 wurden auf Regionalkonferenzen die empirischen Ergebnisse allen Schulämtern unter Beteiligung der Schulaufsicht, Vertretern der Schulen und der schulischen Öffentlichkeit vorgestellt und öffentlich diskutiert. Die Ergebnisse der Fortschreibung der Untersuchung wurden im Jahre 2009 allen Staatlichen Schulämtern zur Kenntnis gegeben. Darüber hinaus fanden in jedem Schulamtsbereich Expertengespräche dazu statt. In jedem Schulamtsbereich liegen die Ergebnisse der empirischen Untersuchung von Frau Prof. Dr. A. Sasse aus den Jahren 2008 und 2009 vor.

Frau Prof. Dr. M. A. Vernooij wurde am 12. Februar 2009 damit beauftragt, ein Gutachten zu den Möglichkeiten der Weiterentwicklung der Förderzentren in Thüringen zu Kompetenz- und Beratungsstellen zu erstellen. Die Expertise Zur Situation und Weiterentwicklung der (Sonderpädagogischen) Förderzentren in Thüringen liegt dem Thüringer Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur seit dem Frühjahr 2010 vor. Es ist nicht vorgesehen, dieses Gutachten zu veröffentlichen. Ziel der Expertise war es, Steuerungswissen bereitzustellen, das in die konzeptionellen Überlegungen des Thüringer Ministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur einfließt.

Zu 5.: Die Expertise von Frau Prof. Dr. A. Sasse und Dipl.-Math. Frau U. Schulzeck ist seit 2008 fortlaufend die Grundlage der Evaluation der Arbeit der Steuergruppen an den Staatlichen Schulämtern Weiterentwicklung der Förderzentren und des Gemeinsamen Unterrichts (WFG) sowie der regionalen Umsetzungskonzepte der Staatlichen Schulämter.

Die Expertise von Frau Prof. M. A. Vernooij findet Eingang in die notwendigen strukturellen Veränderungen bei der Weiterentwicklung der Förderzentren zu Regionalen Kompetenz- und Beratungszentren.

Siehe auch Antworten zu den Fragen 1 und 2.