Wie ist derzeit der Bereitschafts

November 2010 hat folgenden Wortlaut:

Immer wieder ist in den vergangenen Jahren - meist verbunden mit konkreten Einzelfällen - Kritik laut geworden an der Organisation bzw. Zugänglichkeit des gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen Notfall- bzw. Bereitschaftsdienstes in Thüringen - so z. B. von Bürgern, die bei Demos gegen bzw. zum Thema Rechtsextremismus nicht rechtzeitig den Notdienst erreichen konnten. Im Monatsmagazin der Gewerkschaft (Deutsche Polizei) vom August 2010 findet sich unter dem Titel Personelle Misere bei der Justiz erschwert polizeiliche Arbeit ein Bericht, in dem Bedenken geäußert werden hinsichtlich der Leistungsfähigkeit des gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen Notdienstes in Thüringen - insbesondere mit Blick auf die Frage des Richtervorbehalts bei Blutentnahmen. Ständige Erreichbarkeit von Gerichten und Staatsanwaltschaften ist eine unverzichtbare Voraussetzung, um Bürgerinnen und Bürger vor dem Verlust von Rechten und Ansprüchen, aber auch ungerechtfertigten Klagebegehren und Vollstreckungsmaßnahmen zu schützen sowie ihre Sicherheit zu gewährleisten.

Ich frage die Landesregierung:

1. Wie ist derzeit der Bereitschafts- bzw. Notfalldienst der Gerichte und Staatsanwaltschaften in Thüringen personell, strukturell sowie mit Blick auf seine jederzeitige Erreichbarkeit hin an den einzelnen Gerichtsund Behördenstandorten organisiert?

2. Inwiefern ist der Bereitschaftsdienst in Thüringen auf mögliche Veränderungen eingestellt, die sich aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Stärkung des Richtervorbehalts bei Blutentnahmen ergeben?

3. Welche rechtlichen bzw. gerichtlichen sowie verwaltungsinternen Festlegungen hinsichtlich personeller Ausstattung, Erreichbarkeit usw. gibt es zur Absicherung eines angemessenen Bereitschaftsdienstes auf Bundes- bzw. Landesebene?

4. Inwiefern sind der Landesregierung Beschwerden bzw. Klagen bekannt mit Blick auf den gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen Bereitschafts- und Notfalldienst, insbesondere hinsichtlich der Erreichbarkeit für Personen ohne anwaltliche Vertretung oder an Feiertagen?

Das Thüringer Justizministerium hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 18. November 2010 wie folgt beantwortet:

Zu 1.: Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts muss zur Wahrnehmung unaufschiebbarer richterlicher Handlungen bei an allen Tagen, jedenfalls zur Tageszeit, die Erreichbarkeit eines zuständigen Richters gewährleistet sein. Danach verlangt die Sicherung der Grundrechte, dass bei grundrechtsrelevanten Eingriffen der verfassungsrechtlich (z. B. Artikel 13 Abs. 2 [Grundgesetz], Unverletzlichkeit der Wohnung) vorgesehene Richtervorbehalt tatsächlich auch wirksam werden kann. Demnach sind die Gerichte und die Strafverfolgungsbehörden angehalten, tatsächliche und rechtliche Vorkehrungen zu treffen, damit die in der Verfassung vorgesehene Regelzuständigkeit des Richters gewahrt bleibt.

Da es sich hierbei um originär richterliche Aufgaben handelt, kann es keinen Zweifel darüber geben, dass die der Sicherung des Richtervorbehalts dienende Ausgestaltung der Geschäftsverteilung eine Aufgabe des jeweils zuständigen Präsidiums und nicht der Justizverwaltung ist (§ 21 EGVG, Kissel in GVG, Kommentar,

5. Auflage, Rn. 136, § 21 e; BGH in NJW 1987, 1198 ff.). Somit besteht die verfassungsrechtliche Verpflichtung der Präsidien, im Rahmen des Geschäftsverteilungsplans einen Eil-, Not- oder Bereitschaftsdienst (im Folgenden: Bereitschaftsdienst) zu organisieren und damit die Erreichbarkeit des Richters auch außerhalb der normalen Geschäftszeiten zu gewährleisten. Entscheidend für Ausmaß und Art der Regelung des Bereitschaftsdienstes ist dabei das pflichtgemäße Ermessen des Präsidiums, das die Verteilung der richterlichen Aufgaben in richterlicher Unabhängigkeit im Rahmen der Gesetze und der Verfassung vorzunehmen hat. Nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts ist ein sogenannter 24-Stunden-Bereitschaftdienst nur dann einzurichten, wenn ein praktisches, nicht nur auf Ausnahmefälle beschränktes Bedürfnis hierfür besteht (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 10. Dezember 2003, 2 1481/02).

Zum Bereitschaftsdienst gehört in der Regel die uneingeschränkte Erreichbarkeit des Richters zur Tageszeit. Mit anderen Worten sind die Präsidien verpflichtet, von früh morgens bis in die Abendstunden sowohl während der Woche als auch an anderen Tagen die Erreichbarkeit eines Richters sicherzustellen.

Sowohl die Polizei als auch die Staatsanwaltschaft ist tags- und nachtsüber erreichbar, zumindest durch entsprechende Rufbereitschaft.

Der Bereitschaftsdienst der Richter in Thüringen über die normalen Geschäftszeiten hinaus ist bedarfsabhängig regional unterschiedlich ausgestaltet. So ist z. B. bei dem Amtsgericht Erfurt der werktägliche Bereitschaftsdienst bis 19.00 Uhr durch das Präsidium angeordnet, der Bereitschaftsdienst an Samstagen, Sonntagen und Feiertagen bis mindestens 18.00 Uhr. Bei dem Amtsgericht Gera besteht eine durchgehend nächtliche Rufbereitschaft der dort tätigen Ermittlungsrichter, die sich den Bereitschaftsdienst teilen und dafür von dem Präsidium entsprechend entlastet werden.

Generell bestimmen die Präsidien in Thüringen, dass der Bereitschaftsdienst an Samstagen, Sonntagen und Feiertagen zwischen den Richterinnen und Richtern wechselt, damit diese in gleichem Maße mit den Aufgaben des Bereitschaftsdienstes belastet werden.

Die Bereitschaftsrichter sind mit einem Diensthandy ausgestattet, die Telefonnummer ist jeweils den Staatsanwaltschaften und der Polizei bekannt, ebenso den sozialen Diensten (für den Fall der zwangsweisen Einweisung in die Psychiatrie).

An diesem richterlichen Bereitschaftsdienst ist auch der nachgeordnete Dienst, nämlich sowohl der Gerichtsvollzieherdienst als auch der Schreibdienst im Wege der Rufbereitschaft beteiligt.

Zu 2.: Offensichtlich bezieht sich die Frage auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Februar 2007, Az.: 2 273/06, in der ausdrücklich die Anordnung der Blutentnahme grundsätzlich dem Richter vorbehalten wurde.

Im Wesentlichen wird zur Beantwortung dieser Frage auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen.

Die Mehrzahl der Oberlandesgerichte vertritt ebenso wie das Thüringer Oberlandesgericht die Auffassung, dass die Einrichtung einer ständigen Bereitschaft, d. h. auch zur Nachtzeit, weder von Rechts wegen noch von Verfassungs wegen geboten sei. Die Vorhaltung einer Bereitschaft nur zwischen 6.00 Uhr und

21.00 Uhr sei nicht zu beanstanden. Insbesondere verfassungsrechtlich nicht gebotene Richtervorbehalte wie in § 81 a Strafprozessordnung gehörten in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht zum rechtsstaatlichen Mindeststandard, so dass diese Fälle generell einen ständigen Bereitschaftsdienst nicht erforderlich machen.

Andere Maßstäbe könnten nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur bei grundgesetzlich geforderten Richtervorbehalten - also bei Wohnungsdurchsuchungen und Freiheitsentziehungen - gelten, wobei auch in diesen Fällen die Notwendigkeit eines ständigen Bereitschaftsdienstes von den konkreten Besonderheiten des Falles und den regionalen Bedürfnissen abhängig und keinesfalls generell geboten sei.

Insoweit muss die weitere Rechtsprechung der Obergerichte und auch des Bundesverfassungsgerichts abgewartet werden, um die Pflicht der Einrichtung eines nächtlichen Bereitschaftsdiensts annehmen zu können.

Darüber hinaus hat der Thüringer Generalstaatsanwalt mit Rundverfügung vom 9. Juni 2009, die der Staatsanwaltschaft und der Polizei bekanntgegeben worden ist, darauf hingewiesen, dass bei Einholung des Einverständnisses des Beschuldigten zur Entnahme der Blutprobe ein Antrag des Staatsanwalts und eine richterliche Entscheidung nicht notwendig sind. Aufgrund dieser Rundverfügung ist die erhebliche Mehrbelastung des staatsanwaltschaftlichen Bereitschaftsdienstes auch aufgrund der polizeilichen Praxis auf Einholung des Einverständnisses zur Blutentnahme zurückgegangen. Dies führte wiederum zu einer geringeren Beanspruchung des richterlichen Bereitschaftsdienstes.

Darüber hinaus ist es ständige Rechtsprechung, dass sowohl die Polizei als auch die Staatsanwaltschaft die näheren Umstände des Ermittlungsvorgangs dokumentieren müssen, insbesondere auch die Umstände der Erreichbarkeit eines Richters.

Nach Rücksprache mit der richterlichen Praxis werden entsprechende Änderungen bezüglich der obergerichtlichen Rechtsprechung sowie des Bundesverfassungsgerichts beobachtet, ebenso ein etwa entstehendes Bedürfnis der Einrichtung eines nächtlichen richterlichen Bereitschaftsdienstes.

Zu 3.: Mit seinen maßgebenden Entscheidungen (so auch durch Beschluss vom 13. Dezember 2005, Az.: 2 447/05) hat sich das Bundesverfassungsgericht zum Erfordernis eines richterlichen Bereitschaftsdienstes und seiner Ausgestaltung zur Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit des Richtervorbehalts geäußert.

Danach verlangt die Sicherung der Grundrechte, dass bei grundrechtsrelevanten Eingriffen der verfassungsrechtlich vorgesehene Richtervorbehalt tatsächlich auch wirksam werden kann. Demnach ist das Präsidium des jeweiligen Gerichts gemäß § 21 e Gerichtsverfassungsgesetz verpflichtet, die notwendigen Maßnahmen zu treffen.

Es ist Aufgabe der Justizverwaltung, den jeweiligen Bedarf für den Bereitschaftsdienst zu ermitteln.

Aus Artikel 104 Abs. 2 GG folgt für den Staat die Verpflichtung, dem zuständigen Richter, also auch dem Bereitschaftsrichter, eine sachangemessene Wahrnehmung seiner Aufgaben zu ermöglichen (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 15. Mai 2002, 2 2292/00). Daher stellt der Freistaat Thüringen den Richtern sowie den Ermittlungsbehörden die notwendigen Hilfsmittel für eine sachgemäße Wahrnehmung ihrer Aufgaben zur Verfügung.

Der Bundesgesetzgeber hat durch die Neufassung des § 22 c Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) die Landesregierungen ermächtigt, durch Rechtsverordnung zu bestimmen, dass für mehrere Amtsgerichte eines Landgerichtsbezirks ein gemeinsamer Bereitschaftsdienstplan aufgestellt wird oder ein Amtsgericht die Geschäfte des Bereitschaftsdienstes ganz oder teilweise wahrnimmt, wenn dies zur Sicherstellung einer gleichmäßigen Belastung der Richter angezeigt ist. Neben den Richtern des Amtsgerichts können auch die Richter der Landgerichte zu dem Bereitschaftsdienst herangezogen werden.

In Thüringen wurde der Bereitschaftsdienst im Rahmen der Thüringer Verordnung über gerichtliche Zuständigkeiten in der ordentlichen Gerichtsbarkeit vom 12. August 1993 in der aktuell gültigen Fassung geregelt. Die dem zugrunde liegende Ermächtigung folgt aus der Anlage I Kap. III Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Buchst. n Abs. 1 Satz 1 zum Einigungsvertrag. Danach sind die Landesregierungen ermächtigt, einem Gericht für die Bezirke mehrerer Gerichte Sachen aller Art ganz oder teilweise zuzuweisen, wenn dies für eine sachdienliche Erledigung der Sache zweckmäßig ist. Die Befugnis wurde durch die Thüringer Ermächtigungsübertragungsverordnung Justiz vom 25. Oktober 2004 (GVBl. S. 846) in der aktuell gültigen Fassung auf den Justizminister übertragen. Dieser hat mit § 10 Abs. 1 Nr. 3 Gerichtszuständigkeitsverordnung eine Regelung für den Bereitschaftsdienst getroffen. Die Geschäfte des Bereitschaftsdienstes an dienstfreien Tagen wurden auf bestimmte Amtsgerichte konzentriert. Von der Ermächtigung des neugefassten § 22 c GVG wurde in Thüringen bislang kein Gebrauch gemacht.

So nehmen z. B. das Amtsgericht (AG) Erfurt und das AG Sömmerda sowie das AG Weimar und das AG Apolda den Bereitschaftsdienst gemeinsam wahr.

Zur Klärung von auch in der Fragestellung aufgeworfenen Themen der anstehenden Fragen hat die Justizverwaltung eine Arbeitsgruppe Bereitschaftsdienst in der ordentlichen Gerichtsbarkeit im Thüringer Justizministerium eingesetzt. Diese hat die Praxis befragt, ob die bestehenden Rahmenbedingungen ausreichend sind, um einen verfassungskonformen Bereitschaftsdienst für unaufschiebbare richterliche Handlungen organisieren zu können. Die Mitteilungen aus der staatsanwaltlichen und richterlichen Praxis ergaben, dass in den Landgerichtsbezirken Gera und Meiningen kein Bedarf zu einer Neuorganisierung besteht, da die bisher bestehenden Strukturen ausreichend seien. Die Arbeitsgruppe prüft derzeit, ob bezüglich der Landgerichtsbezirke Erfurt und Mühlhausen die Bedingungen für eine Konzentrationslösung unter Einbeziehung der Richter am Landgericht zu ändern sind. Das vollständige Ergebnis dieser Prüfung, die auch die Frage einschließen wird, wie groß die Entfernungen der jeweiligen Bereitschaftsdienstgerichte zu den geschlossenen Abteilungen der jeweiligen Krankenhäuser sein werden, bleibt noch abzuwarten.

Zu 4.: Der Landesregierung sind keine Klagen bekannt.

Sofern zwischen Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht Probleme entstehen, werden diese bilateral besprochen und gelöst.

Die Frage der anwaltlichen Vertretung im richterlichen Bereitschaftsdienst stellt sich dann, wenn für den Beschuldigten Freiheitsentzug durch Haftbefehl droht. Für diesen Umstand liegen dem Bereitschaftsrichter in der Regel Listen vor, aus denen sich Namen und Anschriften von Rechtsanwälten ergeben, die auch bereit sind, im richterlichen Bereitschaftsdienst für Beschuldigte tätig zu werden. Insoweit ist es Pflicht des jeweiligen Richters, die Vorgeführten zu befragen, ob sie sich anwaltlicher Hilfe bedienen wollen oder nicht.

Die Leistungsfähigkeit des gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen Bereitschaftsdienstes in Thüringen ist gewährleistet und wird auch in Zukunft sowohl durch die Behördenvorsteher als auch die Justizverwaltung weiterhin im Auge behalten werden.