Zu 1 und 2 Klassenwiederholungen sind fester Bestandteil im Thüringer Schulsystem

Thüringer Schulgesetz entsprechende Regelungen zu schaffen, um unfreiwillige Klassenwiederholungen (Sitzenbleiben) in allen Klassen und allen Schularten bis zum Schuljahr 2012/2013 vollständig abzuschaffen und den Schulen in Thüringen die Möglichkeit einzuräumen, bereits früher Schule ohne Sitzenbleiben zu sein;

2. allen Schulen, die auf unfreiwillige Klassenwiederholungen verzichten, entsprechende Fortbildungs- und Beratungsangebote für Eltern, Lehrerinnen und Lehrer zur Verfügung zu stellen; diesen Schulen sind Budgets für notwendige Förderangebote zur individuellen Förderung von Schülerinnen und Schülern zur Verfügung zu stellen, die in Eigenverantwortung der einzelnen Schule eingesetzt werden;

3. im Thüringer Schulgesetz entsprechende Regelungen zu schaffen, die es ermöglichen, dass alle Schulen in Thüringen in die Lage versetzt werden, ihre spezifischen pädagogischen Aufgaben in Selbstverwaltung und Eigenverantwortung zu lösen, ein eigenes Programm zur Profilbildung zu entwickeln und ihre Arbeit kontinuierlich zu verbessern;

4. sicherzustellen, dass jede Schule ihr eigenes Schulprofil und ihr Schulprogramm entwickelt, Personalentwicklung betreibt und gemeinsam mit dem für das Schulwesen zuständigen Ministerium Fortbildungskonzepte entwickeln soll; jede Schule entscheidet über ihren Haushalt im Rahmen des ihr zugedachten Budgets; sie evaluiert ihre eigene Arbeit, entwickelt dafür Kriterien und legt jährlich einen Schulbericht vor;

5. sicherzustellen, dass über die inhaltliche, organisatorische und räumliche Gestaltung der Schule von der Schulkonferenz im Einvernehmen mit dem Schulträger entschieden wird; die Schulleiter und Schulleiterinnen sollen alle fünf Jahre von der Schulkonferenz gewählt werden können;

6. entsprechende rechtliche Regelungen zu schaffen, um sicherzustellen, dass alle Schularten für die Klassenstufen bis zum Ende der Sekundarstufe 1 ganztägige Bildungs- und Betreuungsangebote schaffen; die Finanzierung dafür ist vom Land sicherzustellen;

7. entsprechende Regelungen im Thüringer Schulgesetz zu schaffen, die festlegen, dass für je 2 500 Schülerinnen und Schüler in Thüringen mindestens eine Vollbeschäftigteneinheit für den Einsatz von Schulpsychologinnen und Schulpsychologen zur Verfügung steht;

8. entsprechende Regelungen im Thüringer Schulgesetz zu schaffen, die die Kooperation von Schule und Jugendhilfe verbindlich festlegen und sicherstellen, dass an jeder Schule dem Bedarf entsprechende Maßnahmen von Schulsozialarbeit angeboten werden.

Begründung: Klassenwiederholungen sind fester Bestandteil im Thüringer Schulsystem. Der Glaube, dass Klassenwiederholung bzw. Sitzenbleiben eine sinnvolle erzieherische Maßnahme ist und dass Nichtversetzung für mehr Leistung wirkt und daher bei dem Repetenten zu besseren Lernerfolgen führt, ist durch eine Vielzahl von wissenschaftlichen Studien widerlegt worden. Klassenwiederholungen führen weder bei den sitzengebliebenen Schülerinnen und Schülern zu einer Verbesserung ihrer kognitiven Entwicklung, noch profitieren die im ursprünglichen Klassenverband verbliebenen Schülerinnen und Schüler. Klassenwiederholungen sind daher als unwirksame und zudem teure Maßnahme in den deutschen Schulsystemen anzusehen.

Die Pisa-Studien aus den Jahren 2000, 2003 und 2006 zeigen, dass Länder, die weniger auf Sitzenbleiben, dafür mehr auf individuelle Förderung setzen, deutlich bessere Lernergebnisse erzielen. Die finanziellen Mittel für Klassenwiederholungen in Thüringen belaufen sich Schätzungen zufolge auf ca. 23 Millionen Euro pro Jahr. Bei einer landesweiten Abschaffung sollen diese Mittel zur individuellen Förderung der Schülerinnen und Schüler verwendet werden.

Zu 3., 4. und 5.: Selbständigkeit von Schule ist wesentliche Voraussetzung, um schulische Qualität weiterzuentwickeln. Beispiele aus Südtirol und den Niederlanden zeigen viele Wege auf, wie mehr Schulautonomie entwickelt werden kann. Die Ergebnisse aus internationalen Studien machen deutlich, dass selbständigere Schulen bessere Leistungen bringen. Schulen müssen die Zuständigkeit für die Auswahl ihres Lehrpersonals erhalten. Eine Schule entwickelt ihr Profil auch dadurch, dass sie Personen mit spezifischen Qualifikationen anwirbt, wie beispielsweise Lehrer und Lehrerinnen mit spezieller Ausbildung im reformpädagogischen Bereich oder aber auch die Hinzuziehung von Künstlern oder Handwerkern, um Kinder und Jugendliche auch fächer- und unterrichtsübergreifend zu bilden.Alle Verwaltungsaufgaben, wie Personalmanagement, Beförderungen und auch die Einstellung von Referendar(inn)en, sollen nach unserer Auffassung direkt in den Schulen erledigt werden. Dazu braucht jede Schule finanzielle Mittel für Schulentwicklung, Fortbildung und Beratung. Die Schulleiter/-innen sollen alle fünf Jahre von der Schulkonferenz gewählt werden können

Zu 6.: Die Ganztagsschule kann und soll den Rückhalt in der Familie nicht ersetzen. Aber Ganztagsschulen werden der Erkenntnis Bildung braucht Zeit gerecht. Deshalb braucht es in Thüringen den Ausbau eines flächendeckenden Ganztagsschulangebots mit unterschiedlichen Konzepten und Schulprogrammen in einem gesunden Wettbewerb.

Unsere Grundschulen bieten mit ihren Horten dafür gute Voraussetzungen, die auszubauen sind. Dazu gehört jedoch auch, dass diese Ganztagsangebote nicht durch die Eltern finanziert werden. Hier ist das Land in der Pflicht, ganztägige Bildungs- und Betreuungsangebote auch über die Grundschulzeit hinaus zu ermöglichen und für Transparenz in der Mittelverteilung und Mittelverwendung zu sorgen.

Zu 7. und 8.: In Thüringen beträgt die Betreuungsrelation je Schulpsychologen ca. 14 800 Schülerinnen und Schüler. Damit belegt Thüringen in der Rangliste der deutschen Bundesländer den drittletzten Platz, nur Schleswig Holstein und Niedersachsen haben noch schlechtere Betreuungsrelationen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt seit langem, dass für je 2 500 Schülerinnen und Schüler jeweils ein Schulpsychologe/eine Schulpsychologin zur Verfügung stehen soll und bereits 1973 hat die Kultusministerkonferenz beschlossen, dass ein Schulpsychologe für 5 000 Schülerinnen und Schüler zuständig sein sollte. In Thüringen sind des Berufsverbandes Deutscher Psychologinnen und Psychologen insgesamt nur 17 Schulpsychologinnen und Schulpsychologen tätig. Nur das Land Bremen hat mit 16 Schulpsychologen- und Schulpsychologinnenstellen noch weniger Stellen.

Für die Fraktion: Rothe-Beinlich