Auf welche Hilfen in Bezug auf Dyskalkulie können Lehrerinnen und Lehrer in Thüringen

Ich frage die Landesregierung:

1. Was beinhaltet der Begriff?

2. Inwieweit ist er wissenschaftlich bestimmt?

3. Welche Ursachen für Dyskalkulie werden angenommen?

4. Von welchen prozentualen Anteilen Betroffener ist auszugehen?

5. Welche Verfahren und Methoden sind zur Überwindung geeignet?

6. Inwieweit bestehen Chancen zur Überwindung?

7. Welche Möglichkeiten stehen Rat suchenden Erziehungsberechtigten zur Verfügung?

8. Auf welche Hilfen in Bezug auf Dyskalkulie können Lehrerinnen und Lehrer in Thüringen zurückgreifen?

Das Thüringer Kultusministerium hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 8. November 2001 wie folgt beantwortet:

Der Begriff Dyskalkulie (Rechenschwäche) bezeichnet erhebliche und lang andauernde Schwierigkeiten beim Erlernen von mathematischen Grundlagen und Zusammenhängen. Eine Dyskalkulie liegt vor, wenn bei ansonsten durchschnittlichen Leistungen extreme Probleme in Mathematik auftreten (meist im Grundschulalter), die erkennen lassen, dass das Fundament des mathematischen Verstehens gar nicht oder nur geringfügig entwickelt ist. Dyskalkulie ist keine Krankheit.

Die Wissenschaft bestimmt Dyskalkulie als eine besondere Lernschwierigkeit und verwendet dabei auch das Konzept der Teilleistungsschwäche. Grundsätzlich sind als Ursachen für Dyskalkulie Verzögerungen in der kindlichen Entwicklung anzunehmen. Die Forschung nennt genetische, neuropsychologische und neurotisch-psychogene Ursachen sowie solche, die mit soziokulturellen und familiären Bedingungen begründet werden; auch methodogene Verursachung wird nicht ausgeschlossen. Es wird davon ausgegangen, dass die Ursachen für derartige Lernschwierigkeiten im komplexen Zusammenwirken unterschiedlicher Faktoren sowie in den im Bildungs- und Erziehungsprozess gesetzten Bedingungen zu sehen sind. Man spricht deshalb auch von einem polyätiologischen Syndrom.

Je nach Definition lassen sich auffällige Merkmale von Dyskalkulie bei einem bis sechs Prozent der Schülerinnen und Schüler feststellen.

Die Früherkennung von Dyskalkulie noch vor der Einschulung bietet günstige Voraussetzungen für langfristige und erfolgreiche Fördermaßnahmen, z. B. in Frühförderstellen. Hier besteht die Möglichkeit, den besonderen Lernschwierigkeiten bei entwicklungsverzögerten Kindern frühzeitig zu begegnen. Allerdings erweist sich die Diagnostik wegen der noch wenig stichhaltigen verfügbaren Diagnostika häufig als schwierig. Um späteren Persönlichkeitsstörungen durch anhaltende Misserfolge entgegenzuwirken, müssen individuelle und schulische Fördermaßnahmen sinnvoll aufeinander abgestimmt werden.

Um die Persönlichkeitsentwicklung zu unterstützen, kann der Förderplan auch vorsehen, aus pädagogischen Gründen auf eine Leistungsbewertung in Form von Noten in Mathematik und in den von der besonderen Lernschwierigkeit ebenfalls betroffenen Fächern zeitweilig zu verzichten und Leistungsnachweise bzw. Lernfortschritte besonders zu gestalten. Die schulische Hilfestellung ist für Thüringen die Richtlinie vom 30. Juni 1998 zu Fördermaßnahmen für Kinder und Jugendliche mit besonderen Lernschwierigkeiten in den allgemein bildenden Schulen (außer Förderschulen) in Thüringen.

Dort ist vorgesehen, besonderen Lernschwierigkeiten zunächst durch verstärkte Differenzierung im Klassenverband zu begegnen, wenn zweckmäßig mit dem Einsatz einer weiteren Lehrkraft oder eines Erziehers. Zusätzlich kann ab Klasse 2 eine zweite Ergänzungsstunde als Pflichtstunde angeboten werden, um Schüler mit besonderen Lernschwächen im mathematischen Bereich nach einem vom Klassenlehrer in Zusammenarbeit mit dem Beratungslehrer und den Eltern erstellten verbindlichen Förderplan zu unterrichten.

Bei anhaltenden Lernschwierigkeiten prüfen die Mobilen Sonderpädagogischen Dienste, ob eventuell ein sonderpädagogischer Förderbedarf vorliegt, der gegebenenfalls nur durch einen Lernortwechsel zu erfüllen ist. Ab Klassenstufe 3 werden betroffene Kinder von entsprechend fortgebildeten Lehrern mit bis zu zwei zusätzlichen Stunden gefördert.

Alle Maßnahmen haben das Ziel, Lernstrategien und Arbeitstechniken zu vermitteln sowie Verhaltensweisen einzuüben, die das betroffene Kind in die Lage versetzen, vorhandene Fähigkeiten und Fertigkeiten auszuprägen und die gestellten Anforderungen besser bewältigen zu können.

Hierzu wird zunächst auf die Antwort zu Frage 5 verwiesen.

Chancen zur Überwindung von Dyskalkulie bestehen vor allem dann, wenn es durch die genannten Maßnahmen gelingt, den Betroffenen ihre Stärken bewusst zu machen, diese auch kompensierend einzusetzen und ihnen damit Erfolgserlebnisse zu ermöglichen. Wenn diese Förderung in Einzelfällen an Grenzen stößt, müssen Heranwachsende von der Schule Hilfe erhalten, um mit ihren besonderen Lernschwierigkeiten dieser Art im Lebensalltag umgehen zu können. Grundsätzlich sind alle Klassenlehrer, Beratungslehrer und Schulpsychologen darauf vorbereitet, Eltern geeignete Wege zum Umgang mit der Dyskalkulie ihrer Kinder aufzuzeigen. In Einzelfällen kann dazu die Hilfe von Förderinstituten in Anspruch genommen werden. Auch die Mobilen Sonderpädagogischen Dienste sind Ansprechpartner bei dieser Problematik.

Bei schwierigen Formen der Ausprägung dieser besonderen Lernschwierigkeiten kann auch eine seelische Behinderung drohen. Diese Schüler können nach § 35 a des Kinder- und Jugendhilfegesetzes auf Antrag Eingliederungshilfe erhalten, um Einrichtungen, Dienste und Personen helfend in Anspruch zu nehmen. Dazu ist zwischen den Jugendämtern und den Schulämtern ein entsprechendes Antragsverfahren abgesprochen.

Das Thüringer Institut für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien hat eine Konzeption zur Qualifizierung von Schulpsychologen, Beratungslehrern und anderen geeigneten Pädagogen für den Umgang mit be sonderen Lernschwierigkeiten erarbeitet. Die entsprechenden Fortbildungen werden seit 1999 angeboten und finden auf zentraler, regionaler und schulischer Ebene statt. Im Vordergrund standen zunächst die Fragen zu besonderen Lernschwierigkeiten im Schriftspracherwerb, zunehmend gewinnen im Weiteren die in der oben genannten Richtlinie genannten Bereiche an Bedeutung. Schließlich wird derzeit am ein Fortbildungsmodul Dyskalkulie erarbeitet, mit dem für jeden Schulamtsbereich zwei Mobile Sonderpädagogische Dienste speziell ausgebildet werden sollen.