Sozialfahnder

Der 3. Senat des Thüringer Oberverwaltungsgerichts hat am 25. November 2010 in zweiter Instanz die verdeckte Datenerhebung durch einen Außendienstmitarbeiter der Stadt Eisenach (Sozialdetektiv) für rechtswidrig erklärt (vgl. Urteil Az.: 3 KO 527/08). Geklagt hatte eine zweifache Mutter, der aufgrund der Nachforschungen eines Sozialfahnders die Kindertagesstättenbeiträge für ihre älteste Tochter gestrichen wurden, da die Klägerin angeblich mit dem Vater der Kinder in einer eheähnlichen Gemeinschaft lebte.

In seiner mündlichen Urteilsbegründung hat der Senatsvorsitzende ausgeführt, die verdeckten Ermittlungen des Außendienstmitarbeiters verletzten die Klägerin in ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung, da sie von keiner gesetzlichen Grundlage gedeckt gewesen seien. Nach der einschlägigen Regelung der Datenerhebung in § 62 Abs. 3 Achtes Buch Sozialgesetzbuch dürften Sozialdaten nur unter ganz eingeschränkten Voraussetzungen ohne Mitwirkung des Betroffenen erhoben werden.

Ich frage die Landesregierung:

1. Wie viele Sozialfahnder bzw. Sozialdetektive sind in Thüringen unterwegs (bitte aufgeschlüsselt auf die einzelnen ARGEn)?

2. Wie ist in den einzelnen ARGEn die Quote der Sozialfahnder pro Leistungsempfänger?

3. Wie hoch sind die Kosten der Sozialfahnder in den einzelnen ARGEn und wie viele Kontrollen wurden durchgeführt (bitte auf die ARGEn aufgeschlüsselt)?

4. Wie viele Mißbrauchsfälle wurden aufgedeckt und wie viel Geld zurückgefordert bzw. nicht ausgezahlt.

5. Sind weitere Fälle von mutmaßlichem Rechtsbruch wie der zuletzt verhandelte bekannt?

6. Wie wird sichergestellt, dass sich ähnliche Vorgänge nicht wiederholen?

Das Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Technologie hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 4. März 2011 wie folgt beantwortet:

Vorbemerkung:

Im Vorfeld der Beantwortung erachte ich es zunächst für erforderlich, folgende Klarstellung vorzunehmen:

In der Einleitung der Kleinen Anfrage wird das Urteil des Thüringer Oberverwaltungsgerichts vom 25. November 2010 (3 KO 527/08) zitiert. Streitgegenstand im Feststellungsklageverfahren der 2. Instanz beim waren verdeckte Ermittlungen durch einen Außendienstmitarbeiter (Sozialdetektiv) einer kommunalen Behörde. Diese erfolgten im Zusammenhang mit dem Bezug von Leistungen der Jugendhilfe und Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz im Jahr 2002.

Das Thüringer Oberverwaltungsgericht hat in dem o. g. Urteil festgestellt, dass die verdeckten Ermittlungen des Außendienstmitarbeiters über die Lebensführung der Beklagten rechtswidrig waren. Da es sich vorliegend um Leistungen nach dem Achten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) handelte und die Datenbeschaffung bereichsspezifisch für die Kinder- und Jugendhilfe im SGB VIII geregelt ist, hat sich das Gericht in der Begründung auf die spezialgesetzlichen Regelungen des SGB VIII gestützt. Vom Gericht wurden die Voraussetzungen des § 62 Abs. 3 Nr. 2 SGB VIII geprüft, nach dem eine Fremderhebung von Sozialdaten nur ausnahmsweise zulässig ist, wenn die Erhebung bei dem Betroffenen selbst nicht möglich ist oder die jeweilige Aufgabe ihrer Art nach eine Erhebung bei anderen erfordert.

Die Fragestellungen beziehen sich auf (ARGEn) von Bundesagentur und Kommunen. Seit 1. Januar 2011 führen die gemeinsamen Einrichtungen (ehemalige ARGEn) von Bundesagentur für Arbeit und jeweiligem Landkreis bzw. kreisfreier Stadt nach § 44b in Verbindung mit § 6d Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) die Bezeichnung Jobcenter.

In den gemeinsamen Einrichtungen werden die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II durch die vorgenannten Träger erbracht.

In den Kreisen Schmalkalden-Meiningen und Altenburger Land erfolgt die Leistungsgewährung nach dem SGB II gegenwärtig nicht in einem Jobcenter als gemeinsame Einrichtung nach § 44b SGB II, sondern in getrennter Aufgabenwahrnehmung.

Der Landkreis Eichsfeld und die Stadt Jena nehmen die Aufgaben nach dem SGB II in alleiniger Trägerschaft wahr, da diese beiden Kommunen nach § 6a SGB II in Verbindung mit der Kommunalträger-Zulassungsverordnung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 24. September 2004 (BGBl. I S. 2349) in der geänderten Fassung vom 1. Dezember 2010 (BGBl. I S. 1758) zugelassen wurden, die Aufgaben der Bundesagentur für Arbeit nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II zu übernehmen.

Nach § 6 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 SGB II sollen die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende einen Außendienst zur Bekämpfung von Leistungsmissbrauch einrichten. Die Außendiensttätigkeit der Jobcenter findet ihre rechtliche Grundlage insbesondere in den §§ 20, 21, 67a Zehntes Buch Sozialgesetzbuch.

Im Hinblick auf die Außendiensttätigkeit im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende hat die Bundesagentur für Arbeit zahlreiche Hinweise erlassen, die auch allen kommunalen Trägern zugänglich sind. Danach war bereits vor der o. g. Urteilsverkündung klar: Die Durchführung von Observationen ist unzulässig. Außerdem bringen die o. g. Hinweise deutlich zum Ausdruck: Die Grenzen der Ermittlungstätigkeit des Außendienstes sind in der verfassungsmäßig geschützten Persönlichkeitssphäre zu sehen.

Die Beantwortung der Fragen 1 bis 4 stellt daher auf die rechtlich zulässige Außendiensttätigkeit der Träger im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II ab.

Zu 1.: Nachfolgend ist eine Übersicht beigefügt, aus der die Vollzeitäquivalente der bei der Agentur für Arbeit bzw. dem jeweiligen Landkreis oder der kreisfreien Stadt tätigen Mitarbeiter im Aufgabengebiet Außendienst der Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende ersichtlich sind.

Die Außendiensttätigkeit im Rahmen des SGB II fällt als organisatorische und personalwirtschaftliche Angelegenheit bei den gemeinsamen Einrichtungen nach § 44b SGB II in den Zuständigkeitsbereich der Trägerversammlung gemäß § 44c SGB II. Die Rechtsaufsicht über die Trägerversammlung liegt nach § 47 Abs. 3 SGB II federführend beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS). Das BMAS hat die bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) verfügbaren Daten übermittelt.

Aus der Datenbasis der BA waren für einige Landkreise des Freistaats Thüringen (Nordhausen, Kyffhäuserkreis, Unstrut-Hainich-Kreis, Hildburghausen, Sonneberg) und die kreisfreie Stadt Eisenach leider keine Informationen zu entnehmen. Dies wurde damit begründet, dass die jeweiligen Jobcenter entweder den Landkreis mit der Wahrnehmung des Außendienstes beauftragt haben oder die Datenbasis der BA keine näheren Informationen zu den Mitarbeitern im Außendienst enthält. Werden beispielsweise außendienstliche Tätigkeiten von Beschäftigten wahrgenommen, die einen anderen Dienstposten als den des Fachassistenten im Außendienst innehaben (z. B. Fachassistent Markt & Integration), kann dies nicht abgebildet werden, da im EDV-System keine Kennzeichnung mit Außendienst hinterlegt ist. Da die anteilige Aufgabenwahrnehmung EDV-systematisch nicht erfasst wird, kann hierzu keine Aussage getroffen werden.

Aus der Beantwortung der Frage 3 lässt sich für die o. g. kommunalen Gebiete jedoch allgemein ableiten, dass auch dort personelle Kapazitäten für die Außendiensttätigkeit im Rahmen des SGB II vorgehalten werden.

Die Begründung zur fehlenden Datenlage gilt auch für die Landkreise und kreisfreien Städte, bei denen in nachfolgender Tabelle keine Angabe (k. A.) vermerkt ist.

Der Landesregierung liegen keine über die u. g. Informationen hinausgehenden Kenntnisse vor. Dezember 2010 mit der Agentur für Arbeit eine gemeinsame Einrichtung bildeten.

Die Zahlenangaben stammen vom Landkreis Altenburger Land.

Die Informationen beruhen auf Angaben der kommunalen Träger. Der Landkreis Eichsfeld und die kreisfreie Stadt Jena nehmen die Aufgaben nach dem SGB II in eigener Zuständigkeit wahr. Daher ist in diesen kommunalen Gebieten für den Bereich des SGB II kein Personal der Agentur für Arbeit beschäftigt.

Die Gesamtzahl ist mangels vollständiger Datenbasis nur eingeschränkt aussagefähig.