Berufsbildungsgesetz

März 2011 hat folgenden Wortlaut: Presseberichten zufolge könnte eine größere Zahl der in Thüringen abgeschlossenen Ausbildungsverträge aufgrund von weit untertariflichen Vergütungen anfechtbar sein. Aktuelle Urteile von Arbeitsgerichten richten sich gegen die Praxis von Unternehmen, Vergütungen deutlich unter Tarif abzuschließen.

Laut § 35 Abs. 1 Nr. 1 Berufsbildungsgesetz dürfen die Kammern Ausbildungsverträge nur dann eintragen und damit deren Gültigkeit anerkennen, wenn der Ausbildungsvertrag diesem Gesetz und der Ausbildungsordnung entspricht.

Ich frage die Landesregierung:

1. Entspricht ein Ausbildungsvertrag, der den Anspruch an eine angemessene Vergütung gemäß § 17 Abs. 1 (grundsätzlich mindestens 80 Prozent der tariflichen Vergütung, vgl. etwa BAG vom 8. Mai 2003 - 6 AZR 191/02 - und BAG vom 9. Februar 2008 - 9 AZR 1091/06) nicht erfüllt, nach Auffassung der Landesregierung den Vorgaben des Berufsbildungsgesetzes?

2. Ist die Schlussfolgerung zutreffend, dass Ausbildungsverträge, die die Vorgaben einer angemessenen Bezahlung nicht erfüllen, Rechtsmängel aufweisen, die die Gültigkeit bedrohen, und die zu finanziellen Nachforderungen führen können?

3. Wie will die Landesregierung tätig werden, um solche Rechtsmängel in möglichst kurzer Zeit zu beheben und - zugunsten besserer Angebote an junge Fachkräfte - die Gültigkeit der in Thüringen abgeschlossenen Ausbildungsverträge zu gewährleisten?

4. Gehört die Überwachung der in Ausbildungsverträgen festgelegten Vergütungen zu den Aufgaben der Kammern, die sich aus dem Berufsbildungsgesetz ergeben? Wenn ja, wie sind die Thüringer Kammern dieser Aufgabe bisher nachgekommen? Wenn nein, bei welcher Institution ist diese Aufgabe angesiedelt?

Das Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Technologie hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 11. Mai 2011 wie folgt beantwortet:

Zu 1.: Ein Ausbildungsvertrag, der keine angemessene Vergütung gemäß § 17 Abs. 1 beinhaltet, erfüllt nach Auffassung der Landesregierung die Vorgaben des Berufsbildungsgesetzes nicht.

Zu 2.: Es kann als Rechtsmangel angesehen werden, wenn ein Ausbildungsvertrag keine angemessene Vergütung beinhaltet.

Ist eine nicht angemessene Vergütung im Ausbildungsvertrag vereinbart worden, kann der Auszubildende die Differenz zur angemessenen Vergütung rechtlich geltend machen. Den Vertragspartner treffen dann finanzielle Nachforderungen. Es ist ein - lediglich ihm zustehendes - individuelles Recht des Auszubildenden, die Zahlung der Differenz einzufordern bzw. durchzusetzen.

Die Gültigkeit des Ausbildungsvertrages ist bei Vereinbarung einer nicht angemessenen Vergütung nicht aufgehoben oder bedroht. Der Berufsausbildungsvertrag ist in seinem rechtlichen Bestand unabhängig von der Einhaltung der angemessenen Ausbildungsvergütung. Dies wird dadurch belegt, dass die Arbeitsgerichtsbarkeit bei der Verurteilung zur Nachzahlung der angemessenen Vergütung als Anspruchsgrundlage den jeweiligen Ausbildungsvertrag in Verbindung mit dem zugrunde legt.

Zu 3.: Es entzieht sich der Kenntnis der Landesregierung, ob und wenn ja wie viele abgeschlossene Ausbildungsverträge mit einer nicht angemessenen Vergütung abgeschlossen worden sind. Bis auf den der Entscheidung des Arbeitsgerichts Suhl vom 16. Dezember 2010 (5 Ca 1543/10) und den Pressemeldungen vom zugrunde liegenden einzelnen Fall ist dem zuständigen Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Technologie in der jüngeren Vergangenheit kein weiterer gleichgelagerter Sachverhalt bekannt geworden.

Nach einer Auskunft des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 27. April 2011 ist bei den Arbeitsgerichten in Thüringen keine Häufung von Verfahren betreffend zu verzeichnen und stellt das Verfahren vor dem Arbeitsgericht Suhl das einzige insoweit bekannte Verfahren dar.

Sollten tatsächlich solche Verträge existieren, dann liegt es ausschließlich in der Befugnis des einzelnen Auszubildenden, den rechtskonformen Zustand herzustellen. Den sich daraus gegebenenfalls ergebenden Streit zwischen zwei Vertragsparteien haben die unabhängigen Gerichte der Arbeitsgerichtsbarkeit zu entscheiden.

Die Gültigkeit des Ausbildungsvertrages ist bei Vereinbarung einer nicht angemessenen Vergütung nicht aufgehoben oder bedroht. Auf die Antwort zu Frage 2 wird verwiesen.

Die Rechtsaufsicht über die Handwerkskammern sowie Industrie- und Handelskammern führt das Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Technologie. Wenn Hinweise auf die Eintragung von Ausbildungsverträgen mit unangemessener Vergütung in die entsprechenden Verzeichnisse an das Ministerium herangetragen werden, nimmt es sich des Sachverhalts unter Nutzung der gesetzlichen Aufsichtsmittel an.

Zu 4.: Nur Berufsausbildungsverträge, die den gesetzlichen Vorschriften entsprechen, sind von den Handwerkskammern gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. §§ 34, 35 in die Lehrlingsrolle einzutragen. Dies setzt nach der Rechtsprechung auch die Vereinbarung einer angemessenen Ausbildungsvergütung voraus (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 29.09.2009, OVG 1 N 74.08, NZA-RR 2010, 260; Sächsisches LAG, Urteil vom 16.11.2010, 7 Sa 254/10 in juris). Gleiches gilt gemäß § 1 Abs. 4 i.V.m. § 34, 35 auch für die Eintragung in die Verzeichnisse durch die Industrie- und Handelskammern.

Alle Kammern haben gegenüber dem Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Technologie aktuell ausdrücklich bestätigt, dass sie Ausbildungsverträge auf die Einhaltung der angemessenen Vergütung prüfen und Verträge mit im Sinne der Rechtsprechung unangemessenen Vergütungen nicht in die Verzeichnisse eintragen.