Man sieht leicht was diese Überlegungen für die Politik der keynesianischen Konjunkturglättung bedeuten

Zur Entwicklung des Thüringer Staatshaushalts 30 individuell völlig rationale Verhalten des Bürgers, für sich selbst oder die eigene Gruppe Ansprüche an den Staat zu stellen, und die ebenso rationale Neigung von Politikern, diese Ansprüche im Sinne ihres Wahlkalküls zu befriedigen, führen in der Summe zur kollektiven Irrationalität, dass künftige Bedürfnisse um so weniger befriedigt werden können.

Man sieht leicht, was diese Überlegungen für die Politik der keynesianischen Konjunkturglättung bedeuten. Der erste Teil des Programms, die Konjunkturstimulation, ist in der Regel politisch leicht durchsetzbar, bedeutet er doch das Verteilen von Wohltaten in vielfacher Form. Der zweite Teil, der auf das Still-Legen vorhandener und jedermann bekannter öffentlicher Kaufkraft hinausläuft, stößt mit Warnungen vor dem sogenannten Kaputtsparen gewöhnlich auf erbitterten Widerstand. Die Statistiken mit ihrer rasanten Zunahme der öffentlichen Verschuldung, die zum Teil auf Konjunkturprogramme zurückgeht, sprechen hierzu eine beredte Sprache.

Was bedeuten diese Überlegungen für den Thüringer Landeshaushalt? Die ständigen (konjunkturunabhängigen) Anreize zur Haushaltsausweitung, notfalls über Verschuldung, sind fraglos auch hier gegeben. Was eine Politik der Konjunkturstimulation angeht, ist der Freistaat in den größeren Verbund der Bundesrepublik und der Europäischen Union eingebunden.

Eine davon unabhängige Thüringer Konjunktur gibt es nicht. Das bedeutet, dass das Land im Gleichklang mit entsprechenden Vorhaben des Bundes und der übrigen Länder gefordert ist.

Die beiden Hauptargumente für staatliche Verschuldung erweisen sich also bei näherer Analyse als wenig stichhaltig.

Damit zu ausdrücklich der staatlichen Verschuldung widersprechenden Überlegungen. Dass wir auf Kosten unserer Kinder lebten, die die Folgen der überbordenden Staatsverschuldung zu schultern hätten, ist eines der hier geläufigen Argumente. Ist es begründet?

Hier sind zwei Fälle zu unterscheiden, Inlands- und Auslandsverschuldung. Für die Inlandsverschuldung wurde klassisch argumentiert, dass in einer geschlossenen Volkswirtschaft, von Veränderungen der Lagerhaltung und des Kapitalstocks abgesehen, in einer Periode nur verbraucht werden könne, was in ebendieser Periode erzeugt werde. So gesehen sei die Behauptung einer Belastung künftiger Generationen substanzlos. Neuere Überlegungen vergleichen den Nutzenverlust derjenigen, die das Kapital zunächst aufbringen, und den der Steuerzahler, die die späteren Zahlungen für Zinsen und Tilgung zu leisten haben. Soweit die erste Gruppe aus Vermögenden besteht, dürfte ihre Nutzeneinbuße durch die zeitweilige Hergabe ihres Kapitals geringer sein als bei den im Durchschnitt weniger wohlhabenden Steuerzahlern. Damit steht im Ergebnis ein kleiner Nutzenverlust in der Gegenwart einem größeren in der Zukunft gegenüber. Hiernach lebten wir durch Staatsverschuldung in der Tat auf Kosten künftiger Generationen. Das gilt besonders dann, wenn die Schulden zur Finanzierung von Staatskonsum genutzt werden, späteren Generationen also nicht einmal der Ertrag einer Investition zufließt.

Noch deutlicher als bei Verschuldung im Inland ist die Belastung künftiger Generationen beim zweiten Fall, der Verschuldung im Ausland. Sie bedeutet ja, dass ausländische Gläubiger im Ausgleich für einen gegenwärtigen Kaufkrafttransfer ins Inland einen Anspruch auf einen zukünftigen umgekehrten (und wegen der Zinsen sogar höheren) Transfer erwerben.

Das bedeutet, dass ein Teil der künftigen Wirtschaftsleistung des Inlandes an das Ausland übertragen wird. Das belastet die dann lebende Generation unmittelbar. Hier liegt noch deutlicher als beim ersten Fall ein Leben der gegenwärtigen Generation auf Kosten ihrer Kinder

Zur Entwicklung des Thüringer Staatshaushalts 31 und Enkel vor ­ schwerlich mit den Forderungen nach Gerechtigkeit zwischen den Generationen sowie Nachhaltigkeit vereinbar.

Verschuldung wirft darüber hinaus auch Gerechtigkeitsfragen beim Verhältnis von Menschen unterschiedlichen Wohlstandes auf. Wie eben bereits erörtert, werden staatliche Anleihen schwerpunktmäßig direkt oder indirekt von Kapitaleigentümern gekauft, Rückzahlung und Zinsen sind von den Steuerzahlern insgesamt aufzubringen, die im Durchschnitt weniger wohlhabend sind. Dadurch kann es per saldo in Höhe der Zinszahlung zu einer Umverteilung von unten nach oben kommen, mindestens zu einer Abmilderung (im Extremfall sogar einer Umkehr) der Steuerprogression und damit zu einem Ergebnis, das der politisch gewollten größeren Angleichung der Einkommen geradewegs zuwiderläuft.

Eine weitere Überlegung zur Bewertung der Verschuldung fragt nach der Funktionsfähigkeit gesellschaftlicher Einrichtungen, voran, aber nicht ausschließlich, des Staates. Begreift man als dessen Hauptaufgabe die Produktion öffentlicher Güter, oder sieht man ihn selbst als eine Art öffentliches Gut an, dann bedeutet der Schuldendienst notwendig eine Beeinträchtigung dieser Rolle: Seine Handlungsspielräume werden bei wachsender Verschuldung enger, bis hin zur völligen fiskalischen Bewegungsunfähigkeit oder gar zum Staatsbankrott. Das vorangegangene Unterkapitel enthält hierzu ja einige Warnzeichen, von zunehmenden Zinszahlungen bis zu wachsenden Pensionslasten für Landesbeamte. 12

Auch die Angabe, dass bereits heute nur zwei Prozent der Thüringer Haushaltssumme frei disponibel sind, lässt erschrecken. (Zinszahlungen, zum Vergleich, sieben Prozent; anders: die frei verfügbaren Einnahmen wären ohne Zinszahlungen viereinhalbmal so hoch.) Der Zustand der Bewegungsunfähigkeit des Landes in Haushaltsangelegenheiten wäre danach bereits erreicht, wenn auch nur zum kleineren Teil durch Verschuldung verursacht. Damit kann auch die staatliche Legitimation unter Druck geraten: Gemeinwesen rechtfertigen sich in den Augen der Bürger nicht nur ­ und wohl nicht einmal in erster Linie ­ durch ordnungsgemäße Verfahren oder die Einhaltung demokratischer Grundsätze, sondern auch durch positive Ergebnisse staatlicher Politik. Diese werden durch eine finanzielle Blockade bedroht.

Wenn wir nach den vorausgegangenen Überlegungen Steuererhöhungen und weitere Verschuldung (und zusätzlich Staatsbankrott und galoppierende Inflation als Mittel der Schuldentilgung) ausschließen, ergibt sich als Schlussfolgerung: Am Sparen im altmodisch-bürgerlichen Sinne und an der zugrundeliegenden Verringerung der Ansprüche der Thüringer an die öffentlichen Leistungen führt kein Weg vorbei. Sparen bedeutet für Bürger wie Fachökonomen, Geld, das man hat, teilweise nicht auszugeben (es also etwa zur Schuldentilgung zu verwenden), nicht etwa nur geringere Schulden zu machen als ursprünglich geplant ­ eine solche Politik verdiente das beliebte Etikett Sparen nicht. Wie sich zeigen wird, ist die Mehrheit der Thüringer bei den Optionen zur Haushaltskonsolidierung ­ zumindest grundsätzlich ­ der gleichen Meinung.

11 Nach einer bekannten Definition der Weltbank bedeutet Nachhaltigkeit, dass jede Generation sich so verhält, dass künftigen Generationen ein Leben auf mindestens gleichem Niveau ermöglicht wird. Vgl. World Bank 1992; Norgaard 1992.

12 Diese können als implizite Verschuldung betrachtet werden. Siehe unten Kapitel IV.2.4.

IV. Staatsaufgaben und Staatsausgaben im Urteil der Thüringer

Wer die Akzeptanz mehr oder minder einschneidender Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung ermitteln will, muss die Meinung der Bevölkerung zu den einzelnen in der Diskussion befindlichen Optionen der Haushaltsgestaltung erfassen. Dabei wird man jedoch nicht umhin können, auch die Maßstäbe mit in den Blick zu nehmen, die bei der Bewertung von Haushaltsentscheidungen eine Rolle spielen. Denn Entscheidungen über Einnahmen und Ausgaben setzen Vorstellungen über Art und Umfang der Aufgaben voraus, deren Erfüllung vom Staat erwartet wird. Und schließlich sind Vorstellungen über Staatsaufgaben und über die Rollenverteilung zwischen Staat und Bürgern ihrerseits abhängig von generellen Wertpräferenzen, die die Lebensgestaltung des Einzelnen prägen.

Deshalb nähert sich dieses Kapitel seinem Gegenstand in zwei Schritten. Im ersten Abschnitt werden, ausgehend von grundlegenden Wertpräferenzen, die Vorstellungen der Thüringer von den Aufgaben des Staates und von dessen Grenzen untersucht, wobei der Rolle des Staates in der Wirtschaft besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird. Der zweite Abschnitt analysiert das Maß an Zustimmung oder Ablehnung, das die Thüringer (bzw. einzelne Gruppen unter ihnen) bestimmten Optionen der Haushaltsgestaltung entgegenbringen.

1. Aufgaben und Reichweite des Staates

Grundlegende Wertpräferenzen

Zwei unterschiedliche Dimensionen grundlegender Werte sind für den THÜRINGEN-MONITOR 2011 untersucht worden: (1) die Präferenz für den Demokratien konstituierenden Wert der Freiheit13 im Spannungsfeld zu Gleichheit und Sicherheit auf der einen Seite; (2) die Präferenz für einen der drei die persönliche Lebensgestaltung wesentlich mitbestimmenden Werte Pflichtbewusstsein ­ Entfaltung der eigenen Fähigkeiten ­ Lebensgenuss auf der anderen Seite.

(1) Freiheit ­ Gleichheit ­ Sicherheit

Die Wichtigkeit der Antworten auf die Fragen nach den Präferenzen für Freiheit gegenüber Gleichheit und für Freiheit gegenüber Sicherheit ergibt sich aus der gut begründeten Annahme, dass sich auf diese Präferenzen Grundmuster der Bewertung gesellschaftlicher und staatlicher Strukturen sowie von Entwicklungen allgemein zurückführen lassen (vgl. TM 2004, S. 36). So vertreten beispielsweise führende Mitarbeiter des Instituts für Demoskopie Allensbach (Noelle-Neumann / Köcher 2002, S. 602f.; Institut für Demoskopie 2004) nachdrücklich die These eines in dieser Hinsicht deutlichen Unterschiedes zwischen alten und neuen Bundesländern und interpretieren die in zahlreichen Befragungen ermittelte stärkere Betonung der Gleichheit in Ostdeutschland als Hypothek einer Sozialisation im vormund13 Freiheit (oder Freiheiten) mag es außerhalb von Demokratien geben, aber Unfreiheit schließt Demokratie begrifflich aus. Auch eine Tyrannei der Mehrheit verträgt sich nicht mit Demokratie im modernen Verständnis.