Zur Situation der Zwangsausgesiedelten in Thüringen

Bei den zwangsausgesiedelten Bürgern der ehemaligen DDR handelt es sich um Personen, die aus dem Bereich der früheren Demarkationslinie gegen ihren Willen weggebracht und in andere Gebiete des Landes ausgesiedelt wurden. Man untersagte ihnen, in ihre Heimatregion - und sei es auch nur besuchsweise zurückzukehren.

Diese Maßnahmen fanden schwerpunktmäßig in den Jahren 1952 und 1961 statt, wobei die Betroffenen im Rahmen von groß angelegten Aktionen massenweise deportiert wurden. Zwangsausgesiedlungen einzelner Personen wurden auch noch danach, insbesondere in den 70er Jahren, durchgeführt.

Die Aussiedlung war in der Regel verbunden mit dem Verlust von Beruf und - abgesehen von der beweglichen Habe - Besitz und Eigentum. Für Grundbesitz und Immobilien wurde ein unter deren tatsächlichem Wert liegender Kaufpreis angeboten. Es sind Fälle zu verzeichnen, bei denen keine Entschädigung gezahlt wurde, was mit möglicherweise abgegebenen Verzichtserklärungen zusammenhängen kann (siehe unten 1.2.1).

Die Zwangsaussiedlung im Jahre 1952 erfolgte aufgrund der Verordnung über Maßnahmen an der Demarkationslinie zwischen der DDR und den westlichen Besatzungszonen Deutschlands vom 26. Mai 1952 (GBl. Nr. 65), mit der das Ministerium für Staatssicherheit beauftragt wurde, unverzüglich strenge Maßnahmen zu treffen für die Verstärkung der Bewachung der Demarkationslinie zwischen der DDR und den westlichen Besatzungszonen, um ein weiteres Eindringen von Diversanten, Spionen, Terroristen und Schädlingen in das Gebiet der DDR zu verhindern.

Diese Verordnung wurde u.a. um eine Strafbestimmung ergänzt, nämlich durch die Verordnung über weitere Maßnahmen zum Schutz der Deutschen Demokratischen Republik vom 9. Juni 1952 (GBl. S. 451) und durch die vom Ministerium für Staatssicherheit erlassene

Polizeiverordnung über die Einführung einer besonderen Ordnung an der Demarkationslinie vom 27. Mai 1952 konkretisiert.

Letztlich faßbar wurde der in der Verordnung über Maßnahmen an der Demarkationslinie zwischen der DDR und den westlichen Besatzungszonen Deutschlands vom 26. Mai 1952 erteilte Auftrag erst durch den Befehl Nr. 38/52 des Ministeriums des Innern, Haupverwaltung Deutsche Volkspolizei, vom 26. Mai 1952, der erstmals den Kreis der Betroffenen konkretisierte, nämlich Ausländer und Staatenlose, Personen, die nicht polizeilich gemeldet sind, Kriminelle sowie Personen, die wegen ihrer Stellung in und zu der Gesellschaft eine Gefährdung der antifaschistisch-demokratischen Ordnung darstellen, und auch erstmals klarstellte, in welcher Form der generell erteilte Grenzsicherungsauftrag verwirklicht werden sollte, nämlich durch Zwangsaussiedlung der Betroffenen aus dem Grenzgebiet.

Durch die Verordnung zur Sicherung von Vermögenswerten vom 17. Juli 1952 (GBl. S. 615) wurde bestimmt, dass das unbewegliche Vermögen der Eigentümer landwirtschaftlicher Betriebe, die aufgrund der Verordnung vom 26. Mai 1952 aus der Sperrzone umgesiedelt wurden, nach den Vorschriften über die Durchführung der demokratischen Bodenreform behandelt werden sollte.

(Die Bodenreform - eine Maßnahme aus den Jahren 1945/46 - erfaßte das landwirtschaftliche Vermögen. Sie war auf die Liquidierung des Großgrundbesitzes der Junker, Feudalherren, Fürsten und Grundbesitzer in Deutschland gerichtet. Der gesamte Grundbesitz über 100 ha wurde entschädigungslos enteignet und in einen Bodenfonds überführt.)

Demnach war das betreffende unbewegliche Vermögen beim jeweiligen Rat des Kreises in den Bodenfondsakten besonders zu führen (§ 3 der Verordnung vom 17. Juli 1952).

Dem bisherigen Eigentümer sollte am neuen Wohnort auf Antrag wieder Grundeigentum bis zur Größe des bisherigen landwirtschaftlichen Betriebes zugewiesen werden.

Das neue Grundeigentum war aus dem Bodenfonds nicht besetzter Neubauernstellen und sonstiger Flächen zuzuteilen und sollte in das Eigentum übergehen (§ 4 Abs.1 der Verordnung vom 17. Juli 1952).

Die grundbuchlichen Änderungen waren durch den Rat des Kreises zu veranlassen.

Standen an dem neuen Wohnort keine landwirtschaftlichen Gebäude als Austausch zur Verfügung, sollte eine Entschädigung für das Gebäude in Geld gezahlt werden (§ 4 Abs. 2 der Verordnung vom 17. Juli 1952). Wurde kein Antrag auf Landzuweisung gestellt, sollte der Eigentümer eine Verzichtserklärung auf seinen Grundbesitz abgeben.

Diese bedeutete aber keinen endgültigen Verlust des Entschädigungsanspruchs.

Der spätere Beschluß des Präsidiums des Ministerrates über die Regelung der vermögensrechtlichen und damit im Zusammenhang stehenden finanziellen Fragen aus der Durchführung von Maßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit an der Staatsgrenze West vom 9. November 1961 sah dazu unter Ziffer I 2

Buchstabe e folgendes vor: Wird von einem Bürger, dessen Eigentum an landwirtschaftlichen

Grundstücken und Gebäuden bei der Durchführung der Maßnahmen an der Demarkationslinie 1952 entschädigungslos in den Bodenfonds überführt worden ist und wofür dieser Bürger, der bereits eine Verzichtserklärung abgegeben hat, jetzt einen Antrag auf Entschädigung stellt, so ist dieser Antrag zu prüfen. Durch den zuständigen Rat des Kreises kann in diesem Falle die Zahlung einer Entschädigung beschlossen werden, wenn das Verhältnis des betreffenden Bürgers zur Arbeiter- und Bauernmacht dies rechtfertigt. Eine Benachrichtigung bzw. Aufforderung der betreffenden Bürger zur Stellung eines solchen Antrags hat nicht zu erfolgen. Für die Durchführung des Kaufs bzw. Inanspruchnahme und der Entschädigung gelten die Bestimmungen der Ziffer 2. Buchstabe d (d.h. Kauf bzw. Inanspruchnahme hatten sich nach § 10 des Gesetzes zur Verteidigung der Deutschen Demokratischen Republik (Verteidigungsgesetz) vom 20. September 1961 zu richten.

An dieser Stelle wird deutlich, dass den Betroffenen grundsätzliche Regelungen in bezug auf einzelne Vermögensfragen zwar zugänglich waren (Veröffentlichungen im Gesetzblatt - im Bericht durch Angabe der Quelle gekennzeichnet), gleichwohl aber interne und vertrauliche Beschlüsse deren Auslegung regelten, was den Bürgern offiziell nicht bekannt gegeben wurde. Dies, obwohl Auslegungsfragen oft von großem Gewicht für den Betroffenen waren (Wahrnehmung von intern eingeräumten Möglichkeiten).

Bei landwirtschaftlichen Betrieben wurde im übrigen bis Mitte 1953 auch die Verordnung vom 20. März 1952 über devestierte landwirtschaftliche Betriebe (GBl. S. 226) sowie die Verordnung zur Sicherung der landwirtschaftlichen Produktion und der Versorgung der Bevölkerung vom 18. Februar 1953 (GBl. S. 329) angewandt. Beide Verordnungen hatten den Entzug der Bewirtschaftung durch die Eigentümer zum Inhalt, wenn die Erfüllung der landwirtschaftlichen Produktion nicht erbracht wurde. Zum Teil handelte es sich auch um landwirtschaftliche Betriebe, die von ihrem Eigentümer aus den unterschiedlichsten Gründen, z.B. Zwangsmaßnahmen und Zwangssiedlungen, verlassen wurden. Die Verordnung sah eine Verwaltung, jedoch keinen Entzug der Vermögenswerte vor. Aufgrund der Verordnung über die Aufhebung der Verordnung zur Sicherung der landwirtschaftlichen Produktion und der Versorgung der Bevölkerung vom 11. Juni 1953

(GBl. S. 806) sollte die Verwaltung und Eigenbewirtschaftung der landwirtschaftlichen Betriebe an die Eigentümer zurückgegeben werden.

Zurückgelassenes bewegliches Vermögen (lebendes oder totes Inventar) sollte dem Eigentümer oder seinem gesetzlichen Vertreter zurückgegeben werden. Mit Einverständnis des Eigentümers sollte es bei der Unmöglichkeit der Rückgabe in natura oder in Geld ersetzt werden (§ 5 der Verordnung vom 17. Juli 1952). Entschädigungen sollten gezahlt werden:

a) für zurückgelassenes und lebendes landwirtschaftliches Inventar,

b) für den steuerlichen Zeitwert der zurückgelassenen Gebäude, die im Zusammenhang mit der Landwirtschaft standen, wenn auf der Ersatzlandwirtschaft keine oder nicht entsprechende Gebäude vorhanden waren.

Durch den Rat des Kreises sollte aufgrund der Verordnung vom 26. Mai 1952 eine Schätzkommission gebildet werden, die die Höhe der Entschädigungssumme festzusetzen hatte. Gegen die Höhe der Entschädigung konnte beim Kreisrat des Innern Einspruch eingelegt werden. Dieser sollte in Zusammenarbeit mit dem Kreisrat für Landwirtschaft und dem Kreisrat für Finanzen endgültig über die Höhe der Entschädigung entscheiden.

Ausweislich der Richtlinien des Ministeriums des Innern, Staatssekretariat für Innere Angelegenheiten und des Ministeriums der Finanzen betreffend die Behandlung von Entschädigungsforderungen von Personen.