Landesregierung

Das Recht, durch ein Widerspruchsverfahren Verwaltungsentscheidungen überprüfen zu lassen, eröffnet den Empfängern von Bescheiden die Möglichkeit, Verwaltungsentscheidungen zu hinterfragen und dient somit auch der Selbstkontrolle der Verwaltung. Das Widerspruchsverfahren ermöglicht den Bescheidempfängern eine rechtliche Teilhabe im Verwaltungsverfahren ohne die Inanspruchnahme eines Gerichts.

Ich frage die Landesregierung:

1. Welche Gründe sprechen aus der Sicht der Landesregierung für die Abschaffung des Widerspruchsverfahrens in bestimmten Sachgebieten und welche Erfahrungen/Kenntnisse sind Grundlage ihrer diesbezüglichen Einschätzung?

2. Welche Erfahrungen haben andere Bundesländer nach Kenntnis der Landesregierung gemacht, in denen das Widerspruchsverfahren abgeschafft bzw. eingeschränkt wurde?

3. In welchem Umfang und in welcher Art und Weise sind diese Erfahrungen gegebenenfalls in die Entscheidungsfindung der Landesregierung eingeflossen? Mit welchen Vertretern welcher Bundesländer stand die Landesregierung zu diesem Zweck gegebenenfalls in Kontakt?

4. Wie viele Widersprüche sind seit 2008 in den Sachgebieten beim Landesverwaltungsamt eingegangen, in denen durch die vorgesehene Einfügung des § 9 Abs. 1 Thüringer Gesetz zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung das Vorverfahren entfallen soll (bitte einzeln nach Jahren und Sachgebieten auflisten)? Wie vielen dieser Widersprüche hat das Landesverwaltungsamt abgeholfen?

5. Wie viele Widersprüche sind seit 2008 in den Sachgebieten eingegangen, in denen durch die vorgesehene Einfügung des § 9 Abs. 2 Thüringer Gesetz zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung das Vorverfahren entfallen soll (bitte einzeln nach Jahren und Sachgebieten auflisten)?

6. Wie vielen der in Frage 5 erfragten Widersprüche konnte durch die Ausgangsbehörde oder durch die Widerspruchsbehörde im Widerspruchsverfahren abgeholfen werden (bitte einzeln nach Jahren und Sachgebieten auflisten)?

7. Bei wie vielen der in Frage 4 und 5 erfragten Widersprüche wurde nach dem Widerspruchsverfahren durch den Widerspruchsführer noch Klage erhoben (bitte einzeln nach Jahren auflisten)? Wie viele dieser Klagen hatten nach Kenntnis der Landesregierung Erfolg?

8. Wie lange dauert ein Widerspruchsverfahren in den in Frage 4 und 5 erfragten Sachgebieten durchschnittlich (bitte einzeln nach Sachgebieten auflisten)?

9. Wie lange dauerte ab Rechtshängigkeit der Klage ein Gerichtsverfahren in den in Frage 4 und 5 erfragten Sachgebieten durchschnittlich (bitte einzeln nach Sachgebieten auflisten)? 10.Welche Kosten entstehen den Bescheidempfängern in welcher Höhe durch Einlegen eines Widerspruchs in den in Frage 4 und 5 erfragten Sachgebieten durchschnittlich (bitte einzeln nach Sachgebieten auflisten)? 11.Welche Kosten entstehen in welcher Höhe durch Erheben einer Klage in den in Frage 4 und 5 erfragten Sachgebieten durchschnittlich (bitte einzeln nach Sachgebieten auflisten)?

Das Thüringer Innenministerium hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 6. Dezember 2011 wie folgt beantwortet:

Zu 1.: Wegen der Gründe, die aus Sicht der Landesregierung für die Abschaffung des Widerspruchsverfahrens in bestimmten Sachgebieten sprechen, wird auf die Begründung und das Vorblatt zu Artikel 1 (Änderung des Thüringer Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung) des Thüringer Haushaltsbegleitgesetzes 2012 (Drucksache 5/3221) verwiesen.

Grundlage für die Auswahl der in den Gesetzentwurf aufgenommenen Sachgebiete waren zum einen die Ergebnisse einer im durchgeführten Aufgabenkritik. Darüber hinaus wurden bei der Erarbeitung des genannten Gesetzentwurfs die Erfahrungen der Bundesländer, die das Widerspruchsverfahren in bestimmten Sachbereichen bereits abgeschafft haben, einbezogen.

Zu 2.: Der Landesregierung liegen zum einen die veröffentlichten Erfahrungen zur Abschaffung der Widerspruchsverfahren in den Ländern Bayern, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen vor (Abschlussgutachten zum Pilotprojekt des Widerspruchsverfahrens im Regierungsbezirk Mittelfranken aus dem Jahr 2007, Bericht der Landesregierung über die Evaluation zur Modifizierung des Widerspruchsverfahrens in Mecklenburg-Vorpommern durch die §§ 13a, 13b des Gesetzes zur Ausführung des Gerichtsstrukturgesetzes [Landtags-Drucksache 5/4127] und der Zwischenbericht der Gutachter zur Evaluation der Aussetzung von Widerspruchsverfahren in Niedersachsen aus 2007 sowie die abschließende Evaluation zur Aussetzung des gerichtlichen Vorverfahrens in Niedersachsen aus dem Jahre 2009).

Außerdem wird in diesem Zusammenhang auf die umfangreiche Fachliteratur zu der Thematik hingewiesen, so enthält zuletzt die Dissertation von Arne Wöhler (Der bereichsspezifische Wegfall des Vorverfahrens als Projekt verwaltungspolitischer Strukturreformen auf Länderebene, Hamburg 2011) eine umfassende Erfahrungsauswertung (vgl. weiterhin nur beispielhaft: Steinbeiß-Winkelmann, 2009, 686; Meyer, Nds VBl. 2009, 7 ff.; Kallerhoff, NWVBl. 2008, 334 ff.).

Darüber hinaus wurden im Zusammenhang mit der Erarbeitung des Entwurfs eines Thüringer Gesetzes zur Neuordnung der Durchführung von Widerspruchsverfahren der letzten Legislatur (Drucksache 4/3714 vom 16. Januar 2008) die Erfahrungen der Bundesländer durch Länderumfragen auf der Ebene der Innenund Justizministerien erfragt.

Zu 3.: Die in zu Frage 2 geschilderten Erfahrungen der anderen Bundesländer wurden von der Landesregierung ausgewertet und sind umfassend bei der Erarbeitung des Gesetzentwurfs berücksichtigt worden.

Die für Thüringen gewählte sachbereichsspezifische Abschaffung des Widerspruchsverfahrens enthält nur solche Sachbereiche, in denen das Widerspruchsverfahren nach den Erfahrungen anderer Bundesländer sowie der in Thüringen vorliegenden Erfahrungen seine grundlegenden Funktionen (zusätzlicher Rechtsschutz des Betroffenen, Selbstkontrolle der Verwaltung, Entlastung der Verwaltungsgerichtsbarkeit) nicht oder nur unzureichend erfüllt und daher aus Sicht der Landesregierung auf die Durchführung des Vorverfahrens verzichtet werden kann.

Der in der Antwort zu Frage 2 beschriebene Erfahrungsaustausch erfolgte über die von den Behörden benannten Ansprechpartner der Landesregierungen auf Arbeitsebene.

Zu 4.: Auf die in der Anlage beigefügte Übersicht wird verwiesen. Das vorliegende Zahlenmaterial wurde in je vier nach Jahresscheiben unterteilte Übersichten aufgenommen.

Zu 5.: Der Regelungsbereich des § 9 Abs. 2 des Entwurfs eines Thüringer Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung umfasst die sachbereichsspezifische Abschaffung des Widerspruchsverfahrens für ausgewählte Sachbereiche, soweit den Ausgangsbescheid kreisangehörige Gemeinden, Landkreise oder kreisfreie Städte erlassen und die Widerspruchsbehörde die zuständige Rechts- bzw. Fachaufsichtsbehörde ist (i. d. R. das jeweils zuständige Landratsamt oder das § 124 Abhilfe- und Widerspruchsverfahren sowie ein eventuell anschließendes Klageverfahren werden daher in der überwiegenden Zahl der Fälle in den Kommunalbehörden geführt. Das Land führt keine zentrale Statistik über die von den Gebietskörperschaften erlassenen Ausgangsbescheide sowie geführten Widerspruchs- oder Klageverfahren.

Aktuelles Zahlenmaterial seit dem Jahr 2008 liegt der Landesregierung für diese Sachbereiche daher nicht vor. Die für eine Einzelerhebung bei allen Landkreisen und kreisfreien Städten erforderliche Abfrage würde einen unangemessen hohen Erhebungsaufwand für die Kommunen bedeuten. Aus dem o. g. Gesetzgebungsverfahren eines Thüringer Gesetzes zur Neuordnung der Durchführung von Widerspruchsverfahren aus der letzten Legislatur liegen der Landesregierung allerdings Zahlen für den Zeitraum 2004 bis 2007 für die fraglichen Sachbereiche vor.

Daraus ergibt sich, dass sich die Zahl der erhobenen Widersprüche im Verhältnis zur den erlassenen Ausgangsbescheiden zwischen 0,8 Prozent und 6,3 Prozent bewegt. Zwischen 0,1 Prozent und 2,5 Prozent der Ausgangsbescheide wurden aufgrund eines erfolgreich durchgeführten Widerspruchsverfahrens aufgehoben. Bezogen auf die Zahl der Ausgangsbescheide waren nur bis zu 0,1 Prozent der erhobenen Klagen erfolgreich.

Zu 6.: Auf die Beantwortung zu Frage 5 wird verwiesen.

Zu 7.: Hinsichtlich der in Frage 4 erfragten Widersprüche wird auf die Übersichten in der Anlage verwiesen. Im Übrigen wird auf die Beantwortung der Frage 5 verwiesen.

Zu 8.: Hinsichtlich der in Frage 4 erfragten Widersprüche wird auf die Übersichten in der Anlage verwiesen. Im Übrigen wird auf die Beantwortung der Frage 5 verwiesen.

Zu 9.: Entsprechende Daten werden statistisch nicht erhoben und liegen zu der in der Frage 4 angesprochenen Fallgruppe als Ausgangs- und Widerspruchsbehörde) der Landesregierung daher nicht vor. Zu den in Frage 5 angesprochenen Fallgruppen ist Folgendes anzumerken:

Der Geschäftsanfall in der Thüringer Verwaltungsgerichtsbarkeit wird auf der Grundlage der bundesweit einheitlichen Anordnung über die Erhebung von statistischen Daten in der Verwaltungsgerichtsbarkeit erhoben. Die auf dieser Grundlage gewonnen Daten werden vom Thüringer Landesamt für Statistik aufbereitet und die Ergebnisse zu bundesweit einheitlichen Standardauswertungstabellen verarbeitet.

Sonderauswertungen finden daneben nicht statt.