Hochwasserschutzkonzept

Die Große Anfrage beantwortet der Minister für Umwelt, Landwirtschaft und Forsten im Namen der Landesregierung wie folgt:

Frage 1. Grundsätzlich gibt es verschiedene Konzepte zur Abwehr der Hochwassergefahren.

a) Welche Konzeption hat die Landesregierung entwickelt?

Das Hochwasserschutzkonzept in Hessen basiert auf einer Vielzahl von Einzelmaßnahmen und Projekten, die in ihrer strategischen Ausrichtung den grundlegenden Säulen "vorbeugender Hochwasserschutz", "baulicher Hochwasserschutz" sowie "Eigenvorsorge der Betroffenen" zugeordnet werden können:

- An Rhein und Main liegt der Schwerpunkt der Aktivitäten auf der weiteren zügigen Sanierung der Winterdeiche sowie der kontinuierlichen Vo rbereitung auf den Ernstfall durch die Schulung der Deichverteidigungskräfte und auf der Durchführung von regelmäßigen Katastrophenschutzübungen. Darüber hinaus wird im nächsten Jahr wegen des Zustandes der alten Deiche ein Sofortprogramm zur Deichsicherheit umg esetzt werden.

- Die Freihaltung der Überschwemmungsgebiete wird durch rechtlich verbindliche Festsetzung gewährleistet.

- Das Retentionskataster Hessen wird zusammen mit der Umsetzung der vorgeschlagenen Maßnahmen fortgeführt. Für das Projekt werden bis zu seinem Abschluss im Jahr 2006 voraussichtlich mehr als 25 Mio. alleine für die Erfassung der Retentionsräume aufzuwenden sein. Daneben sind für die Umsetzung der aus dem Kataster abgeleiteten Vorschläge weitere Mittel erforderlich.

- Ein Schwerpunkt des Konzeptes zum Hochwasserschutz ist der Bau von kommunalen örtlichen Hochwasserschutzeinrichtungen. Hierbei handelt es sich um ein zentrales Element zur Entschärfung von Hochwassergefahren in den Städten und Gemeinden. Dabei werden in der finanziellen Förderung Anreize geschaffen, diejenigen Maßnahmen stärker zu begünstigen, die überörtlich wirksam werdende Rückhalteeffekte beinhalten.

- Grundlage für die zentralen und dezentralen Hochwasserdienstordnungen sowie für die Hochwasservorhersage ist ein modernes und verlässliches Niederschlags- und Abflussmessnetz. Derzeit wird in Hessen mit Hochdruck an der Modernisierung dieses Messnetzes und der Verbesserung der Hochwasservorhersagemodelle gearbeitet.

- Die Beteiligung bei der Errichtung der Oberrheinpolder im Rahmen der Solidargemeinschaft zwischen Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Hessen unter Beteiligung des Bundes ist als weiterer wichtiger Punkt zu nennen. Hessen hat hier trotz der erheblichen finanziellen Belastungen seinen anteiligen Beitrag zur Verbesserung des Hochwasserschutzes am Eingegangen am 3. Dezember 2002 · Ausgegeben am 9. Januar 2003

Rhein geleistet.

b) Welche vorbeugenden Methoden werden eingesetzt?

Flächenvorsorge

Eine wesentliche Maßnahme des vorbeugenden Hochwasserschutzes sind die dauerhafte Sicherung und Freihaltung der Überschwemmungsflächen durch rechtliche Festsetzung. Insgesamt sind in Hessen an 5.500 km Gewässerstrecken Überschwemmungsgebiete rechtlich zu sichern. Davon waren 4.750 km im Rahmen eines mehrjährigen Programms neu zu bearbeiten oder zu überarbeiten. Bis zum Ende des Jahres 2002 werden 3.800 km gesichert sein. Das Programm soll in 2003 mit der Sicherung von weiteren 400 km Gewässerstrecke pro Jahr fortgesetzt werden und bis Ende 2006 abgeschlossen sein.

Angesichts der Schadenspotenziale bei Hochwasserereignissen ist neben der dauerhaften rechtlichen Sicherung der Überflutungsgebiete entlang der Gewässerstrecken eine zusätzliche Hochwasserrückhaltung an geeigneten Gewässerstellen von erheblicher Bedeutung. Dort soll die Ausuferung nicht nur zugelassen, sondern das bei Hochwasser im Überschwemmungsgebiet vorhandene Wasservolumen durch kleinere wasserwirtschaftliche Maßnahmen zusätzlich erhöht werden.

Die Nutzung dieses natürlichen Retentionsraumpotenzials in den Talauen durch bauliche Maßnahmen hat begonnen und wird durch die Wasserverbände mit Bezuschussung des Landes im Rahmen der Haushaltsmittel bzw. im Rahmen der Finanzierung kommunaler Hochwasserschutzmaßnahmen fortgeführt.

Bauvorsorge

Im Rahmen der Novellierung des Hessischen Wassergesetzes ist in § 69 Abs. 4 eine Kennzeichnungspflicht für Überschwemmungsgebiete und Gebiete, die bei Versagen eines Deiches überschwemmt werden, in Raumordnungs- und Bauleitplänen aufgenommen worden. In diesen Gebieten sind als Maßnahme der Bauvorsorge bei Sanierung und bei Neubau geeignete bautechnische Maßnahmen vorzunehmen, um den Eintrag von wassergefährdenden Stoffen bei Überschwemmungen zu verhindern. Durch die Novellierung des Gesetzes konnte somit eine wichtige Maßnahme im Sinne des Vorsorgegedankens neu aufgenommen werden.

Verhaltensvorsorge

Die vom Hochwasser Betroffenen sind ebenfalls aufgefordert, Vorsorge zu betreiben. Gemeint sind damit sowohl die Kommunen als auch die Grundstücksnutzer: Den Kommunen obliegt es, eine Flächenvorsorge mit dem Ziel zu betreiben, Bauland nicht in überschwemmungsgefährdeten Gebieten auszuweisen. An die Grundstücksnutzer richtet sich die Aufforderung, sich der Hochwassergefahr immer bewusst zu sein, damit im Hochwasserfall Eigenvorsorge wirksam werden kann. Zu der Eigenvorsorge gehört beispielsweise die Bauvorsorge, die dem Ziel dient, durch möglichst hochwasserkompatible Bauweise Schäden zu vermeiden oder zu vermindern. Auch die Verhaltensvorsorge erweist sich bei Hochwasserereignissen häufig als problematisch:

Der Zeitraum zwischen Hochwasserwarnung und Überflutung wird oft mangels Hochwasserbewusstseins nicht optimal genutzt. Schlüssel zu einer Ve rbesserung der Verhaltensvorsorge ist eine Steigerung des Hochwasserbewusstseins. Hierzu wird eine umfangreiche Öffentlichkeitsarbeit betrieben, wie z. B. die Veranstaltung der Fachkonferenz "Neue Wege im Hochwasserschutz - Hochwasserschutz in Hessen" am 17. Oktober 2002 in Idstein oder die Herausgabe der gleichnamigen Broschüre.

Risikovorsorge

Dass in den allermeisten Fällen nur eine unzureichende Risikovorsorge betrieben wird, war den Presseberichten zum diesjährigen Hochwasser in Ostdeutschland zu entnehmen: Einen breiten Raum in der Berichterstattung nahm die Tatsache ein, dass für die überwiegende Mehrzahl der geschädigten Anwesen eine Elementarschadenversicherung nicht abgeschlossen worden war.

Dabei dient die Risikovorsorge der finanziellen Vorsorge für den Fall, dass es trotz der ergriffenen Hochwasserschutzstrategien zum Hochwasserschaden gekommen ist. Da es sich bei diesem Punkt um ein zentrales Element der Eigenvorsorge zum Hochwasserschutz handelt, wird diesem Thema im Rahmen der Stärkung des allgemeinen Hochwasserbewusstseins ein besonderes Gewicht beigemessen.

c) Wie unterscheiden sich diese Methoden?

Flächenvorsorge

Die Flächenvorsorge stellt das Grundgerüst zur Steuerung des Schadenpotenzials dar. Sie kann das Maß und die Art der baulichen Nutzung steuern. Die Wirksamkeit dieses Instrumentes entfaltet sich bei konsequenter Anwendung über eine längere Zeitdauer.

Die Vermeidung von Bebauung stellt die wirksamste Maßnahme zur Begrenzung möglicher Schäden dar. Nimmt in hochwassergefährdeten Gebieten die bebaute Fläche stetig zu, so wird das Schadensausmaß weiterhin wachsen, selbst wenn die Neubebauung angepasst an die Gefährdung erfolgt.

Die Freihaltung hat neben der Schadenvermeidung folgende Zwecke:

- als Retentionsraum,

- für die Hochwasserableitung.

Bauvorsorge

Durch die Bauvorsorge soll mittels angepasster Gebäudenutzung und -ausstattung (nasse Vorsorge) oder mittels Maßnahmen der Abdichtung, Ve rstärkung und Abschirmung (trockene Vorsorge) erreicht werden, die Schäden zu minimieren.

Die angepasste Nutzung der gefährdeten Räume vermag das Schadenspotenzial um 30 bis 40 v.H zu reduzieren. Die Verwendung von wasserunempfindlichen Materialien für Gebäude und Einbauten erlaubt, das Schadenspotenzial um 15 bis 35 v.H. zu reduzieren.

Verhaltensvorsorge Information, Ausbildung und Vorbereitung sind Vorbedingungen für Schaden minderndes Verhalten im Notfall.

Die Basis der Verhaltensvorsorge sind Informationen:

- Lange vor dem Ereignis sind durch gezielte Information und Ausbildung die Möglichkeiten der Schadensbegrenzung darzulegen. Dieses Wissen muss periodisch an die verschiedenen Akteure vermittelt werden.

- Bei auflaufendem Hochwasser ermöglichen Hochwasserwarnungen und vorhersagen den nötigen zeitlichen Vorlauf, um die gewählten Vorsorgemaßnahmen durchzuführen.

Risikovorsorge Ziel der Risikovorsorge ist es, das Schadensausmaß und die Schadenslast bei sehr seltenen Hochwasserereignissen zu begrenzen. Hierzu dienen die Gefahrenabwehr, der Katastrophenschutz und - wenn staatliche Unterstützungen fehlen - die Versicherungen. Eine gut strukturierte Notfallorganisation ist eine zentrale Voraussetzung zur Bewältigung von Hochwassernotlagen.

d) Welche Rolle spielen Hochwasserrückhaltebecken in dieser Hinsicht?

Der Hochwasservorsorge kommt eine große Bedeutung für den Schutz der Bevölkerung und die räumliche Entwicklung in Hessen zu. Verstärkt wurden der vorbeugende Hochwasserschutz sowie die weitergehende Hochwasservorsorge.

Hochwasserschutz durch Talsperren und Hochwasserrückhaltebecken ist eine außerordentlich wirksame Maßnahme und dient durch Speicherung des Hochwassers und der zeitversetzten, verzögerten Abgabe auch der überörtlich wirksam werdenden Retention. So erzeugte im Einzugsgebiet der Lahn ein Hochwasser im Jahr 1984 Schäden in Höhe von über 140 Mio. DM. Nachdem dort inzwischen sieben Hochwasserrückhaltebecken vorhanden sind, werden heute Schäden in dieser Größenordnung deutlich verringert. Darüber hinaus konnte mit den 1984 im Lahneinzugsgebiet bereits vorhandenen Hochwasserrückhaltebecken eine Reduzierung der Hochwasserspitze um 7 cm in Köln nachgewiesen werden, wobei das damalige Retentionsvolumen der Hochwasserrückhaltebecken und Talsperren ca. 15 Mio. m³ betrug; heute sind es etwa 21 Mio. m³. Talsperren und Hochwasserrückhaltebecken als Maßnahmen des Hochwasserschutzes stehen zwar manchmal im Konflikt mit Belangen des Naturschutzes, allerdings ist ihre Wirksamkeit gerade unter dem Eindruck des jüngsten Ereignisse unbestritten: Inzwischen beabsichtigt selbst die Bundes