Fortbildung

In einem Gymnasium bekommen Schüler, die z. B. in naturwissenschaftlichen Fächern ihre Aufgabenstellung zu 100 % erfüllt haben, ein sehr gut. 99 % der Aufgaben gelöst zu haben bedeutet dort die Zensur gut. In anderen Gymnasien wird die Note sehr gut auch für die korrekte Bearbeitung von 92 % der gestellten Aufgaben erteilt.

Ähnliche Unterschiede bestehen für die gesamte Notengebung. Schüler, die für ihr gewünschtes Studienfach einen guten Notendurchschnitt benötigen, sind durch diese ungleiche Notengebung stark benachteiligt.

Ich frage die Landesregierung:

1. Was gedenkt sie zu tun, um gleiche Bewertungsmaßstäbe in Thüringer Schulen durchzusetzen?

2. Was gedenkt sie zu tun, um die Chancengleichheit, die durch die unterschiedliche Zensurengebung gefährdet ist, durchzusetzen?

Das Thüringer Kultusministerium hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 21. November 1991 wie folgt beantwortet:

Zu 1.: Gleiche Bewertungsmaßstäbe bei der Zensurengebung sind nach Ansicht der Landesregierung durch verbindliche Prozentvorgaben nicht zu erreichen. Die Bewertung von Schülerleistungen hängt ab von Art, Umfang und Schwierigkeitsgrad der Lernkontrollen sowie von den konkreten Lernbedingungen der Klasse. Diese Faktoren können nur vom Lehrer vor Ort im Rahmen seiner pädagogischen Freiheit und Verantwortung beurteilt werden.

Eine für alle Schularten und -stufen, alle Fächer und alle Prüfungsarten gültige einheitliche Notengebung würde weder dem Schüler noch der jeweiligen Situation gerecht.

Um die Anforderungen dennoch vergleichbar zu halten, verpflichtet die Landesregierung die Fachkonferenzen jeder Schule zu einer intensiven und fortlaufenden Diskussion und Abstimmung. Dabei werden z. B. auch Fragen der Umsetzung der Lehrplanhinweise und der Arbeit mit den Schulbüchern einbezogen. Darüber hinaus wird das Thema über die Einzelschule hinaus erörtert, z. B. im Rahmen der Lehrerfortbildung, um die Einheitlichkeit der Anforderungen zwischen den Schulen zu sichern.

In der Anlage befindet sich eine Ausarbeitung, in der einige Gedanken zur Bewertung formuliert sind. Dieses Papier ist allen Schulen Thüringens über die Schulämter zugegangen, und es ist Grundlage für die Diskussion zum Thema Bewertung in den Fachgruppen und Schularten.

Zu 2.: Chancengleichheit ist nach Auffassung der Landesregierung nicht durch gleiche Prozentwerte bei der Notengebung zu erreichen, sondern durch Angleichung der Anforderungen. Die gegenwärtigen Unsicherheiten mancher Lehrer bei der Notengebung resultieren aus dem Übergang auf die sechsstufige Notenskala gemäß Kultusministerkonferenz-Vereinbarung sowie aus Unsicherheiten im Umgang mit den vorläufigen Lehrplanhinweisen und den neuen Schulbüchern.

Damit die Chancengleichheit gewahrt bleibt und zudem verhindert wird, dass den Schülern Nachteile entstehen, berücksichtigt die Landesregierung die geschilderten Sachverhalte. Sie hat sichergestellt, dass die Schüler sachgerecht und vergleichbar in die Kurse der Regelschule eingestuft werden und dass der Übertritt zwischen den Schularten nach einheitlichen Kriterien erfolgt.

Für das Abitur sind die Einheitlichen Prüfungsanforderungen für die Abiturprüfung (EPA) der Rahmen, der durch die Kultusministerkonferenz abgesteckt ist. Wie bei allen Thüringer Abschlüssen wird darüber hinaus Vergleichbarkeit durch eine landeseinheitliche Aufgabenstellung bei der Abschlußprüfung erreicht.

Lieberknecht Minister Anlage

Anlage Hinweise zur Transparenz der Notengebung

1. Datenschutz

Die in einer Klasse erbrachten Leistungen sind innerhalb der Lerngruppe öffentlich. Hierbei kann einem erklärten abweichenden Elternwillen Rechnung getragen werden. Gegenüber den anderen Lehrern einer bestimmten Klasse gibt es keinen Grund für Geheimhaltung von Noten. Vielmehr ist es häufig sinnvoll oder sogar erforderlich, sich gegenseitig über den Leistungsstand und das Leistungsverhalten der Schüler zu informieren.

Auch die Eltern haben das Recht auf Auskunft über den Leistungsstand ihres Kindes. Dabei wird der Lehrer die vorgenommenen Bewertungen nicht nur nennen, sondern - falls erforderlich - auch begründen, um beratende Anregungen zu vermitteln. Auskünfte über volljährige Schüler dürfen an Eltern nur mit Zustimmung der Schüler erteilt werden.

Auskünfte des Lehrers gegenüber Dritten oder Außenstehenden unterliegen dem Datenschutz.

2. Bewertungsmaßstäbe Schulordnungen und Lehrplanhinweise legen bewußt keine starren Bewertungsmaßstäbe fest. Die Bewertungsvorgaben für den Sportunterricht, die in den Vorläufigen Lehrplanhinweisen enthalten sind, werden außer Kraft gesetzt. Die danach bereits vergebenen Noten müssen vom Fachlehrer entsprechend neu gewichtet werden. Die Bewertung einer Schülerleistung unterliegt der pädagogischen Freiheit des Lehrers. Nur er kennt den konkreten Unterricht. Er kann die Lernbedingungen der Klasse am besten einschätzen und berücksichtigen.

Bewertungsmaßstäbe werden also verschieden sein, sowohl qualitativ als auch qantitativ. Dies beruht auf der Unterschiedlichkeit der Unterrichtsfächer, den ungleichen Unterrichts- und Lernbedingungen und den verschiedenartigen Methoden der Leistungsmessung.

Über die Bewertung von Schülerleistungen einigt sich im wesentlichen die jeweilige Fachkonferenz einer Schule.

Der Schulleiter trägt Sorge für die Koordinierung der Bewertungsmaßstäbe und ist verantwortlich für eine gewisse Einheitlichkeit der Notengebung an seiner Schule. Er wacht darüber, dass die jeweilige Bewertung von einem angemessenen Anspruchsniveau ausgeht, dass der Notenspiegel den Eltern bekannt gemacht wird, und er hat die Befugnis, durch Schüler und Eltern zu Recht angefochtene Noten aufzuheben.

Zur Transparenz der Notengebung ist es unabdingbar, dass jeder Lehrer nach einer schriftlichen Leistungsüberprüfung den von ihm angewendeten Bewertungsmaßstab den Schülern bekannt gibt. Alle Noten für schriftliche, mündliche oder praktische Leistungen müssen gegebenenfalls begründet werden können. Um diese Anforderungen vergleichbar zu halten, ist eine intensive und fortlaufende Diskussion in den Fachkonferenzen, auch über die Einzelschule hinaus und im Rahmen der Lehrerfortbildung, notwendig.

Bei der Bewertung von Schülerleistungen sollten auch äußere Bedingungen beachtet werden. So ist den Schülern in neu zusammengestellten Klassen, in neuer Umgebung und mit neuen Lehrern eine gewisse Zeit der Anpassung zu gewähren, in der Leistungsbewertungen nur mit größtem pädagogischem Feingefühl erfolgen oder ganz wegfallen sollten. Das gilt in besonderem Maße in diesem Schuljahr, hat aber auch zukünftig in bestimmten Klassenstufen (z. B. in Klasse 5) Bedeutung.

Auf der Seite 5 befinden sich Beispiele für Bewertungsmaßstäbe, die als Anregungen gedacht sind.

Entscheidend ist, dass die jeweilige Punkteskala den Schülern im Verlauf der Besprechung eines Leistungsnachweises mitgeteilt wird, damit sie selbst das Zustandekommen der Note nachvollziehen können.

3. Bekanntgabe der Einzelnoten

Alle erteilten Noten müssen dem Schüler bekannt sein.

Schriftliche Leistungen sind umgehend zu korrigieren und mit Zensur zurückzugeben. Dabei ist auf Vergleichbarkeit und Gleichbehandlung zu achten. Bei der Korrektur sind Schwächen und Fehler so zu markieren, daß sie für den Schüler verständlich und nachvollziehbar sind. Nur so können einerseits die Anforderungen verdeutlicht werden und andererseits die Schüler lernen, ihre eigene Leistung einzuschätzen. Bei manchen Arbeiten ist dazu auch ein bewertender Wortkommentar erforderlich (z. B. bei einem Deutschaufsatz).

Andere Leistungen können entweder punktuell (z. B. beim Abhören) oder epochal (z. B. die mündliche Leistung eines Schülers in einer überschaubaren Unterrichtseinheit von etwa 4 bis 8 Stunden) bewertet werden.