Verhältnismäßigkeit

§ 4 beinhaltet den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Vorschrift ist übereinstimmend mit § 2 Musterentwurf formuliert.

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hat als Ausfluß des Rechtsstaatsprinzips Verfassungsrang, wodurch sich auch seine besondere Stellung am Anfang der allgemeinen Vorschriften rechtfertigt. § 4 gilt für den gesamten Entwurf, also auch für die Anwendung unmittelbaren Zwanges.

Absatz 1 beinhaltet den Grundsatz des geringstmöglichen Eingriffs, Absatz 2 hält das Prinzip der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne fest, Absatz 3 bringt die zeitliche Begrenzung polizeilicher Maßnahmen zu Ausdruck.

Zu § 5:

Die Vorschrift stimmt mit § 3 Musterentwurf überein.

Absatz 1 beschreibt das für die Gefahrenabwehr geltende Opportunitätsprinzip. Eine präzisere Festlegung, wo dessen Grenzen zu markieren sind - insbesondere im Hinblick auf eine Pflicht vom Einschreiten der Polizei - erscheint im Gesetz nicht möglich, da es jeweils entscheidend auf die Umstände des Einzelfalls ankommt.

Absatz 2 bringt den Grundsatz zum Ausdruck, die Handlungsfreiheit des Staatsbürgers nur in dem unbedingt notwendigen Ausmaß einzuschränken. Zu beachten ist jedoch, dass das jeweilige Austauschmittel nicht zu einer stärkeren Beeinträchtigung der Allgemeinheit führen darf.

Zu § 6: § 6 regelt die Legitimationspflicht des Polizeibeamten. Eine derartige gesetzliche Normierung ist - mit Ausnahme Bayerns, vgl. dort Artikel 6 bay. PAG - bisher noch in keinem Bundesland getroffen worden. Mit der Aufnahme in das Gesetz soll die besondere Verantwortung des Polizeibeamten gegenüber Betroffenen herausgestellt werden.

Darüber hinaus wurde jedoch eine Regelung des Inhalts, dass beim Einsatz von Polizei als geschlossene Einheiten jeder Polizeibeamte eine Dienstnummer zu tragen hat, nicht getroffen. Dies ist zunächst damit zu begründen, dass durch eine Numerierung von Polizeibeamten deren Persönlichkeitsrechte betroffen werden. Das Bundesverfassungsgericht hat in ständiger Rechtssprechung festgestellt (vgl. 65, 1 ff.), dass eine Einschränkung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung nur dann möglich ist, wenn diese zum Schutz eines verfassungsrechtlich legitimierten Rechtsgutes geeignet, erforderlich und zumutbar ist. Das Postulat, Dienstnummern zu tragen, ist jedoch schon ungeeignet, um die Identität von Polizeibeamten nachträglich festzustellen. Ablesefehler sind nämlich geradezu vorprogrammiert. Aus diesem Grunde wurde auch in Frankreich, Dänemark und Schweden die Numerierung bei Großeinsätzen abgeschafft.

Der Ad-hoc-Ausschuß Recht der Polizei (Arbeitsgemeinschaft der Innenministerien der Bundesländer) hat in seiner Sitzung vom 19. November 1990 zudem den neuen Bundesländern dringend empfohlen, auf eine derartige Normierung zu verzichten.

Dies wurde über die genannten Argumente hinaus damit begründet, dass auf diese Weise die polizeiliche Unterstützung durch die alten Bundesländer erschwert oder unmöglich gemacht würde. Die neuen Bundesländer seien nämlich nicht in der Lage, Polizeibeamte anderer Länder im Einsatz in ihren Territorien mit Dienstnummern auszustatten. Dies sei auch nicht Aufgabe der entsendenden Bundesländer.

Der Ad-hoc-Ausschuß brachte zum Ausdruck, dass die bereits bestehenden Anweisungen, sich durch Dienstkleidung, Dienstmarke, Dienstausweis oder gegebenenfalls Visitenkarte auszuweisen, ausreichend seien. Das Land Thüringen hebt diese Pflicht sogar auf die Gesetzesebene.

Zu § 7: § 7 enthält keine Befugnisgrundlage, sondern bestimmt lediglich, gegen wen Maßnahmen gerichtet werden dürfen.

Absatz 1 enthält den Grundsatz der sogenannten Verhaltens- oder Handlungshaftung im Unterschied zur sogenannten Zustandshaftung (§ 8). Absatz 2 beschreibt den Kreis der zur Aufsicht Verpflichteten als mögliche Handlungsstörer. Die Altersgrenze (14 Jahre) entspricht dabei der Strafmündigkeit (§ 19 und stimmt mit § 4 Abs. 2 Musterentwurf überein. Der Begriff unter

Betreuung ist an die Stelle der Entmündigungsregelungen getreten (Betreuungsgesetz - vom 12.09.1990, BGBl. I S. 2002). Absatz 3 ist § 831 BGB nachgebildet. Die Verantwortlichkeit des Geschäftsherrn besteht nur für Handlungen des Gehilfen in Ausführung, nicht bei Gelegenheit einer Verrichtung.

Absatz 4 stellt klar, dass die Grundsätze des § 7 dann nicht anzuwenden sind, wenn die typisierten Befugnisse der §§ 12 ff. selbst bestimmen, gegen wen Maßnahmen zu richten sind.

Zu § 8: § 8 regelt die Verantwortlichkeit für den Zustand von Sachen (sogenannte Zustandshaftung) oder das Verhalten von Tieren.

Die Vorschrift stimmt in den Absätzen 1 bis 3 im wesentlichen mit § 5 Musterentwurf überein.

Absatz 1 bestimmt den Inhaber der tatsächlichen Gewalt als Verantwortlichen für Gefahren, die von einer Sache oder einem Tier ausgehen. Der Inhaber der tatsächlichen Gewalt soll deshalb primärer Adressat polizeilicher Maßnahmen sein, da er am ehesten die von einer Sache oder einem Tier ausgehenden Gefahren beherrschen kann und im Einzelfall die Ermittlung des jeweiligen Eigentümers Schwierigkeiten bereiten könnte.

Durch Absatz 2 Satz 1 wird die Möglichkeit eröffnet, nach pflichtgemäßem Ermessen (Auswahlermessen) Maßnahmen auch gegen den Eigentümer oder einer anderen Berechtigten zu richten. Andere Berechtigte können Nießbraucher, Mieter oder Pächter sein.

Absatz 2 Satz 2 legt fest, dass Maßnahmen ausschließlich gegen den Inhaber der tatsächlichen Gewalt zu richten sind, wenn dieser ohne Willen des Eigentümers oder Berechtigten die tatsächliche Gewalt ausübt. In diesem Fall ist nämlich der Eigentümer tatsächlich nicht in der Lage, auf die Sache oder das Tier ausreichend einzuwirken.

Absatz 3 eröffnet die Zustandshaftung für den Fall, dass ein Eigentümer das Eigentum an der Sache oder an dem Tier durch Dereliktion aufgibt. Oftmals wird neben dieser Haftung die Verhaltensverantwortlichkeit nach § 7 für den früheren Eigentümer gleichzeitig bestehen.

Bezüglich Absatz 4 wird auf die Begründung zu § 7 Abs. 4 verwiesen.

Zu § 9: § 9 entspricht fast wörtlich § 5 a Musterentwurf.

Absatz 1 eröffnet der Polizei die Möglichkeit, durch unmittelbare Tatmaßnahmen selbst oder durch Beauftrage Gefahren abzuwehren, wenn diese aus Sicht des Polizeibeamten durch den Verantwortlichen nicht oder nicht rechtzeitig beseitigt werden würden.

In Betracht kommt dies z. B. dann, wenn der Verantwortliche nicht erreichbar ist oder nicht in der Lage bzw. nicht willens ist, die Gefahr rechtzeitig abzuwehren.

Sobald die Polizei nach Absatz 1 für den Verantwortlichen handelt, ist es gerechtfertigt, eine Erstattungspflicht hinsichtlich der Kosten zu normieren. Dies geschieht durch Absatz 2.

Zu § 10: § 10 Abs. 1 und 2 stimmen mit § 6 Abs. 1 und 2 Musterentwurf überein. Zusätzlich angefügt wurde Absatz 3.

Inhaltlich regelt § 10 die Zulässigkeit von Maßnahmen gegen Nichtverantwortliche: Absatz 1 formuliert in vier Nummern sehr enge Voraussetzungen: Nummer 1 setzt dabei eine gegenwärtige und erhebliche Gefahr voraus. Diese liegt dann vor, wenn die Einwirkung des schädigenden Ereignisses bereits begonnen hat oder unmittelbar oder in allernächster Zeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bevorsteht und die Gefahr einem bedeutsamen Rechtsgut droht.

Die Voraussetzungen der Nummer 2 liegen insbesondere vor, wenn entweder Verantwortliche gar nicht vorhanden sind, z. B. bei Naturkatastrophen, oder wenn sie nicht oder nicht schnell genug greifbar sind.

Nummer 3 fordert zudem, dass die Polizei die Gefahr nicht oder nicht rechtzeitig selbst oder durch Beauftragte beseitigen kann.

Eine erhebliche eigene Gefährdung im Sinne der Nummer 4 ist insbesondere dann gegeben, wenn durch die Maßnahme gegen den Nichtverantwortlichen dessen Leben oder Gesundheit gefährdet würde.

Absatz 2 beschränkt die zulässigen Maßnahmen auf das zeitlich unbedingt Notwendige. Es handelt sich dabei um eine Ausformung des Verhältnismäßigkeitsprinzips.

Bezüglich Absatz 3 wird auf die Begründung zu § 7 Abs. 4 verwiesen.

Zu § 11: § 11 entspricht dem Zitiergebot nach Artikel 19 Abs. 1 Satz 2 GG. Die Vorschrift stimmt mit § 7 Musterentwurf überein.

Das Grundrecht auf Eigentum braucht nicht erwähnt zu werden [vgl. z. B. 24, 376 (396)]. Der Entwurf enthält insoweit nur inhaltliche Beschränkungen des Eigentums im Sinne von Artikel 14 Abs. 1 Satz 2 GG. Zweiter Abschnitt Befugnisse der Polizei Erster Unterabschnitt Allgemeine und besondere Befugnisse

Zu § 12: Absatz 1, der mit § 8 Abs. 1 Musterentwurf übereinstimmt, enthält die sogenannte polizeiliche Generalklausel. Die Befugnis gilt jedoch nicht für Maßnahmen, die ihrer Art nach typisiert sind (vgl. §§ 13 bis 47 des Entwurfs). Auf § 12 darf daher nur zurückgegriffen werden, soweit keine besondere Befugnis besteht.

Anwendungsvoraussetzung ist das Vorliegen einer im einzelnen Falle bestehenden, also konkreten Gefahr. Diese ist nach der Rechtsprechung gegeben, wenn nach den Umständen in naher Zukunft eine Störung der öffentlichen Sicherheit zu befürchten ist (vgl. NJW 1970 S.1890). Absatz 2 enthält eine Befugnisumschreibung im Sinne einer Klarstellung zur Auslegung des Begriffs der Gefahrenabwehr.

Durch die beispielhafte Aufzählung, welche den Begriff der Gefahrenabwehr praktisch abdeckt, wird dem das Gesetz anwendenden Polizeibeamten Handhabungshilfe geleistet.

Absatz 3 enthält die Befugnisregelung für die Aufgaben nach § 2 Abs. 4. Andere spezielle Gesetze sind z. B. Regelungen des Straßenverkehrsrechts. Absatz 3 stimmt mit § 8 Abs. 2 Musterentwurf überein.

Zu § 13:

Die Vorschrift regelt in Absatz 1 das Recht der Polizei, jede Person zu befragen, wenn aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte anzunehmen ist, dass sie sachdienliche Angaben zur Erfüllung einer bestimmten polizeilichen Aufgabe (z. B. Gefahrenabwehr) machen kann. Zu diesem Zweck kann der Betroffene angehalten werden. Eine Mitnahme zur Polizeidienststelle ist jedoch nur im Rahmen einer Identitätsfeststellung (§ 14) möglich.

Durch Absatz 2 Satz 1 wird festgelegt, zu welchen Auskünften der Befragte gegenüber der Polizei verpflichtet ist. Als gesetzliche Handlungspflichten im Sinne von Satz 2 kommen z. B. § 138 (Nichtanzeige geplanter Straftaten) oder § 323 c (unterlassene Hilfeleistung) in Betracht.

Zu § 14: § 14 regelt die Befugnis der Polizei zur Identitätsfeststellung. Darunter ist die Vergewisserung, welche Personalien eine bestimmte Person hat, zu verstehen. Die Bestimmungen dieses Entwurfs stimmen dabei bezüglich Absatz 1 Nr. 1 bis 4 und Absatz 2 wörtlich mit dem Musterentwurf überein (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 bis 4, Abs. 2). Absatz 1 Nr. 1 setzt eine konkrete Gefahr im Sinne von § 12 Abs. 1 voraus. Eine willkürliche Identitätsfeststellung ist also nicht möglich.