Wie wird in Thüringen mit dem Problem vergiftete Böden an Straßen

Juni 1992 hat folgenden Wortlaut:

Der Straßenverkehr ist eine der Hauptursachen für die Zerstörung der Lebensgrundlagen in diesem Staat. Die zerstörerischen Aspekte sind vielfältig. Mich beschäftigt dabei unter anderem zur Zeit die Diskussion in zum Umgang mit Bodenaushub bei Bauarbeiten an Straßen. Die Böden der Straßenränder sind durch Abgase, Abriebe und Undichtigkeiten vergiftet, zum Teil in einem Maße, dass sie bei redlicher Betrachtung als Sondermüll einzustufen sind. In Thüringen werden in größtem Umfang Straßen erneuert, verbreitert und verlegt.

Das wirft Fragen auf.

Ich frage die Landesregierung:

1. Wie wird in Thüringen mit dem Problem vergiftete Böden an Straßen umgegangen?

2. Liegen Erkenntnisse über die Belastungen der Böden von Thüringer Straßenrändern und Mittelstreifen vor?

3. Werden vor Arbeiten, die diese Böden betreffen, Belastungen ermittelt? Wenn ja, wie werden welche Belastungen ermittelt, insbesondere in Abhängigkeit der Entfernung vom Straßenrand und des Tiefenprofils?

4. Wird eine Durchmischung von besonders belastetem Boden mit weniger oder unbelastetem Boden vermieden sowohl bei dem Wiedereinbau als auch bei der Entsorgung?

5. Was geschieht mit Bodenaushub von Straßenrändern und Mittelstreifen?

6. Was geschieht mit belasteten Flächen, wenn Straßenabschnitte bei neuer Linienführung von Straßen stillgelegt werden?

7. Werden belastete Böden getrennt erfaßt und entsorgt? Wenn ja, wo und wie werden diese Böden entsorgt?

8. Welche Kriterien führen in Thüringen zu einer Einstufung solcher Böden als Sondermüll?

9. Welche Mengen an Bodenaushub fallen im Zusammenhang mit Arbeiten an Straßen in Thüringen an?

10. Wie steht die Landesregierung zu einer vorsorglichen Vermeidung und Begrenzung der Bodenvergiftung durch Straßenverkehr über Immissionsbegrenzung durch Lebendverbauung, z. B. durch Strauch- und Baumgürtel in einer Breite von 70 m an Autobahnen und 10 bis 50 m an Bundes- und Landesstraßen?

11. Zur Zeit werden fahrlässigerweise die Belastungen durch Vermischung landwirtschaftlicher Produkte unter die Grenzwerte bzw. Richtwerte gemogelt. Wie steht die Landesregierung dazu, landwirtschaftlich genutzte Flächen an Straßenrändern (z.B. 100 m bei Autobahnen und 50 m bei Bundes- und Landesstraßen) stillzulegen, um eine Vergiftung der Bevölkerung zu vermeiden?

Das Thüringer Ministerium für Umwelt und Landesplanung hat im Einvernehmen mit dem Thüringer Ministerium für Wirtschaft und Verkehr,dem Thüringer Ministerium für Landwirtschaft und Forsten sowie dem Thüringer Ministerium für Soziales und Gesundheit die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 23. Juli 1992 wie folgt beantwortet:

Zu 1.: Zur Zeit haben die Behörden noch nicht die personelle Sollstärke erreicht. Das bedingt eine Konzentration auf punktuelle Schwerpunkte bei der Bearbeitung schadstoffrelevanter Bodenkontaminationen. Nach Besetzung der übrigen Planstellen können problematische Sachstände auch raumgreifend für das Land Thüringen bearbeitet werden.

In Thüringen wird in ernstzunehmender Weise mit dem von Ihnen bezeichneten Problem umgegangen.

Zu 2.: Dem Thüringer Ministerium für Umwelt und Landesplanung (TMUL) liegen wissenschaftliche Veröffentlichungen vor, in denen sich mit Schwermetallgehalten an Straßenrändern, insbesondere auf Mittelstreifen bei Autobahnen, auseinandergesetzt wird. Daraus ist u.a. zu entnehmen, dass eine Blei-Kontamination in einer Entfernung bis maximal 10 m vom Straßenrand entfernt zu erwarten ist.

Allgemeine Erkenntnisse sind daraus auch für das Land Thüringen ableitbar, da derzeit noch keine gezielten Messungen von Bodenaushub an Straßen vorliegen. Jedoch lassen sich drei Hauptemissionsquellen für Thüringen nennen: % bleihaltiges Benzin, % Metallverhüttung und -verarbeitung sowie % Kohleverbrennung.

Nach dem Benzinbleigesetz wird der Bleigehalt in an Tankstellen vertriebenen Ottomotorkraftstoffen auf 13 mg Blei (Pb) im Liter begrenzt. In zunehmendem Maße verringert sich der Anteil des Vertriebs von verbleiten Vergaserkraftstoffen. Er beträgt zur Zeit weniger als 15 %. Trotz des zunehmenden Straßenverkehrs wird damit in den kommenden Jahren der Bleigehalt in Böden an Verkehrswegen verringert.

Zu 3.: Die obere Abfallbehörde führt im erforderlichen Umfang Maßnahmen zur Untersuchung von Art, Umfang und Ausmaß der Verunreinigungen durch, die von altlastenverdächtigen Flächen ausgehen können.

Orientierende Kenntnissse zu Bleikontaminationen von Böden an Straßenrändern sind vorhanden. Danach wurden Bodenproben 10 m vom Rand befahrener Straßen bzw. Autobahnen untersucht. Die Probenahmetiefe betrug auf Ackerland 0 bis 20 cm, auf Grünland 0 bis 10 cm. Es ist zu konstatieren, dass von über 200 entnommenen Proben aus verkehrsnahen Flächen 93,0 % Pb-Gehalte unterhalb von 50 mg/100 kg Boden,

4,5 % Pb-Gehalte zwischen 50 und

An Straßen lassen sich drei Belastungsbereiche mit unterschiedlichen Schadstoffkonzentrationen unterscheiden:

1. Bereich bis 2 m Entfernung vom Fahrbahnrand: stärkere Belastung durch Versickern von Fahrbahnabfluß

2. 10 m breiter Bereich: Kontamination durch Spritzwasser

3. 50 bis 100 m breiter Bereich: Ablagerung der vom Wind verfrachteten Stoffe

Das Ausmaß der Bodenbelastung ist jedoch zusätzlich abhängig von der Verkehrsstärke und vor allem von der geogenen Grundbelastung der angrenzenden Böden.

Zu 4.: Werden diese Probleme im Rahmen von Sanierungen bekannt, wird verfahren wie in analogen Fällen bei kontaminierten Böden, d.h., es werden zuerst Untersuchungen durchgeführt. Werden Böden als belastet eingestuft, gilt ein Vermischungsverbot von belasteten mit unbelasteten Böden.

Zu 5.: Dieser Boden wird in der Regel auf zugewiesene Deponien zur Deponieabdeckung oder als Zwischendeckschicht verbracht.

Zu 6.: Das Problem der Stillegung von Straßenabschnitten bei neuer Linienführung ist in Thüringen bisher nicht relevant.

Vom Grundsatz her ist der Straßenbaulastträger, sofern die Fläche nicht weiterhin als Verkehrsfläche genutz wird (z.B. bei Kurvenbegradigung als Parkfläche), verpflichtet, die ungenutzten Straßenabschnitte zu rekultivieren.

Entsprechende Festlegungen werden dann im Rahmen landschaftspflegerischer Begleitplanungen getroffen.

Zur Konkretisierung der Frage ist anzumerken, dass es sich im Sinne des Thüringer Abfallwirtschafts- und Altlastengesetzes bei belasteten Flächen um Altlastenverdachtsflächen handeln kann. Ist dies der Fall, werden sie entsprechend erfaßt und die obere Abfallbehörde führt laut im erforderlichen Umfang Erstuntersuchungen durch.

Zu 7.: Im Rahmen der Planung von Bauvorhaben wird durch die zuständigen Behörden, z. B. obere Wasserbehörde, obere Abfallbehörde, obere Straßenbaubehörde über die weitere Verfahrensweise der anfallenden Böden befunden. Grundsätzlich wird eine Wiederverwertung der Bodenaushubmaterialien am jeweiligen Standort, d.h. an Ort und Stelle, angestrebt.

Böden, deren Belastung eine Wiederverwertung ohne vorherige Behandlung an der Baustelle oder auch für andere Zwecke nicht zuläßt, sind als Sonderabfall der Thüringer Sonderabfall Gesellschaft (TSA) anzudienen und werden von dieser entsorgt.

Zu 8.: Zur Entscheidungsfindung der Behörden werden verschiedene Richtwerte aus bekannten Orientierungsdaten herangezogen, wie z. B. Hollandliste, Hessische Verwaltungsvorschrift für die Entsorgung von unbelastetem Erdaushub und unbelastetem Bauschutt, Berliner Liste, Kloke-Liste und Anhang D der Technischen Anleitung (TA) Abfall. Bei einer Verbringung von Böden auf entsprechende Deponien werden von den zuständigen Behörden Einzelentscheidungen gefällt. Eine bundeseinheitliche Regelung zur Einstufung von Abfällen als Sonderabfälle gibt es derzeit nicht. Für einzelne Kriterien, z. B. mineralölkontaminierte Böden, wurde in Thüringen eine einheitliche Verfahrensweise der Behörden vereinbart.

Zu 9.: Bodenaushub im Rahmen von Bankette- und Grabenberäumung fällt jährlich in Mengen von mehr als 100.000 m3 an.

Zu 10.: Grundsätzlich steht die Landesregierung Bepflanzungen an Straßen aufgeschlossen gegenüber. Eine Lebendverbauung von Straßenrändern durch Sträucher bzw. Baumreihen zur Immissionsbegrenzung bedarf aufgrund vorliegender wissenschaftlicher Ergebnisse nicht der in Ihrer Anfrage geforderten Breite von 50 oder 70

m. Weitergehende Angaben dazu können einschlägigen Fachpublikationen entnommen werden.

Zu 11.: Die Problematik, inwieweit in Straßennähe angebaute pflanzliche Lebensmittel aufgrund möglicher Schadstoffbelastungen für Verbraucher gesundheitlich relevant sind, erfordert eine komplexe Betrachtungsweise.

Am Beispiel des Schwermetalles Blei, einer wesentlichen Schadstoffkomponente, lässt sich dieser Sachverhalt darstellen. Blei, als zumindest teilweise noch verwendeter Bestandteil des Vergaserkraftstoffs, bleibt natürlich nicht ohne Auswirkung auf die den Straßen benachbarte Vegetation.

Hierbei spielen inbesondere Fahrzeugaufkommen und Windrichtung eine wesentliche Rolle.

So können auch in einer Entfernung von ca. 100 m von der Straße teilweise noch Bleibelastungen in der Vegetation nachgewiesen werden, die aber, da die Bleibelastung asymptotisch mit der Entfernung von der Straße abnimmt, in der Regel nicht zu beanstanden oder gar von gesundheitlicher Relevanz sind.

Der pauschalisierten Forderung, an Autobahnen gelegene Flächen bis zu einer Entfernung von 100 m bzw. bei Landes- und Bundesstraßen bis zu 50 m aus Gründen des Verbraucherschutzes zum Anbau pflanzlicher Lebenssmittel nicht zu nutzen, kann deshalb nicht bedingungslos gefolgt werden.

Ergebnisse der amtlichen Lebensmittelüberwachung, die eine derartige Verfahrensweise rechtfertigen würden, wie beträchtliche Richtwertüberschreitungen, liegen z.Zt. in Thüringen nicht vor. Unabhängig davon können jedoch, z.

B. bei indirekter Straßennähe individuell angebauten pflanzlichen Lebensmitteln, da diese in der Regel von bestimmten Personen z.T. ausschließlich verzehrt werden, gezielte Untersuchungen erforderlich sein. In deren Ergebnis können auch entsprechende Maßnahmen bis hin zur Nutzungsbeschränkung von Anbauflächen notwendig werden. Derartige Untersuchungen von in unmittelbarer Straßennähe angebauten pflanzlichen Lebensmitteln werden z. Zt. in Erfurt durchgeführt.

Zusammenfassend ergibt sich daraus:

Im Land Thüringen konnten 1991/92 sowohl bei der routinemäßigen Untersuchung von Pflanzenproben als auch der im Rahmen des Lebensmittel-Monitoring untersuchten pflanzlichen Lebensmittel keine Richtwertüberschreitungen bezüglich Blei festgestellt werden.

Abschließend ist anzumerken, dass Flächenstillegungsprogramme freiwillige marktentlastende Maßnahmen sind.

Dem Landwirt als Eigentümer bzw. Nutzungsberechtigten des Bodens bleibt es überlassen, welche Flächen stillgelegt werden können.

Sieckmann Minister.